Sergius [aufspringend]: Oh, das habe ich vergessen!
Louka [kalt]: Sie können Ihr Wort zurücknehmen, wenn Sie wollen.
Sergius: Zurücknehmen? Niemals! Sie sind mein. [Er umarmt sie,
Katharina kommt herein, findet Louka in Sergius' Armen und sieht, wie
alle Louka und Sergius fassungslos anstarren.]
Katharina: Was soll das heißen? [Sergius läßt Louka los.]
Petkoff: Nun, meine Teure, es scheint, daß Sergius jetzt die Absicht
hat, statt Raina Louka zu heiraten. [Katharina will eben entrüstet
gegen ihn losbrechen, er hält sie zurück und ruft mürrisch aus:] Gib
mir nicht die Schuld, ich habe nichts damit zu schaffen. [Er zieht
sich nach dem Ofen zurück.]
Katharina: Louka heiraten?! Sergius, Sie sind gebunden! Wir haben
Ihr Wort!
Sergius [seine Arme kreuzend]: Mich bindet nichts.
Bluntschli [sehr erfreut über dieses vernünftige Vorgehen]: Saranoff,
Ihre Hand! Ich gratuliere Ihnen, Ihr Heldentum ist in manchen Fällen
gut angebracht. [Zu Louka.] Schönes Fräulein, empfangen Sie die
herzlichsten Glückwünsche eines guten Republikaners. [Er küßt Louka
die Hand, zu Rainas größtem Widerwillen.]
Katharina [drohend]: Louka, du hast getratscht!
Louka: Ich habe Raina nicht geschadet.
Katharina [hochmütig]: Raina?! [Raina ist gleichfalls empört über
diese Frechheit.]
Louka: Ich habe das Recht, sie Raina zu nennen, sie nennt mich ja
auch bloß Louka. Ich habe Major Saranoff gesagt, daß sie ihn nie
heiraten würde, falls der Schweizer Herr jemals wiederkommen sollte.
Bluntschli [überrascht]: Was ist das?
Louka [wendet sich zu Raina]: Ich dachte, Sie hätten ihn lieber als
Sergius; Sie müssen am besten wissen, ob ich recht habe.
Bluntschli: Was ist das für ein Unsinn? Ich versichere Ihnen, mein
lieber Major, verehrte gnädige Frau, Ihr reizendes Fräulein Tochter
hat mir nur das Leben gerettet, nichts weiter; es war ihr niemals
etwas an mir gelegen. Wie könnte das auch sein, um Gottes willen!
Sehen Sie sich bloß einmal diese junge Dame an, und dann sehen Sie
mich an! Sie: reich, jung, schön, ihre Phantasie voller
Märchenprinzen und Heldentaten, Kavallerieattacken und weiß Gott was
noch! und ich, ein gewöhnlicher Schweizer Soldat, der sich kaum mehr
vorstellen kann, was ein geregeltes Dasein ist, nach fünfzehnjährigem
Kasernen- und Schlachtenleben, ein Vagabund, ein Mann, der alle seine
Lebensaussichten durch eine unverbesserliche romantische Veranlagung
verdorben hat, ein Mann, der...
Sergius [auffahrend; wie von einer Tarantel gestochen unterbricht er
Bluntschli mit ungläubiger Verwunderung]: Verzeihen Sie, Bluntschli:
was, sagen Sie, hat Ihre Lebensaussichten verdorben?
Bluntschli [sofort]: Eine unverbesserlich romantische Veranlagung.
Ich bin schon als Knabe zweimal von Hause durchgebrannt. Ich ging
zur Armee statt in meines Vaters Geschäft. Ich kletterte auf den
Balkon dieses Hauses, statt mich wie ein vernünftiger Mensch im
erstbesten Keller zu verstecken! Ich kam hierher zurückgeschlichen,
um diese junge Dame noch einmal zu sehen, wo jeder andere Mann in
meinem Alter den Rock einfach zurückgeschickt hätte...
Petkoff: Meinen Rock?
Bluntschli:--Ja, Ihren Rock! Jeder andere würde ihn zurückgeschickt
haben und wäre dann ruhig nach Hause gereist. Glauben Sie wirklich,
daß ein junges Mädchen sich in so einen Menschen verlieben wird?
Vergleichen Sie bloß einmal unser Alter--ich bin vierunddreißig! Ich
glaube nicht, daß Fräulein Raina viel über siebzehn ist. [Diese
Schätzung ruft eine bemerkbare Sensation hervor, alle wenden sich um
und blicken einander an; er fährt unschuldig fort:] Dieses ganze
Abenteuer, dessen Ausgang für mich Leben oder Tod bedeutet hat, war
ihr bloß das Spiel eines Backfisches mit Schokoladenbonbons, ein
Versteckenspiel. Hier ist der Beweis! [Er nimmt die Photographie
vom Tisch.] Ich frage Sie: würde mir eine Frau, die unsere Begegnung
ernst genommen hätte, das geschickt haben mit dieser Inschrift:
"Raina ihrem Pralinésoldaten zum Andenken"? [Er hält die
Photographie triumphierend in die Höhe, als ob er die Angelegenheit
nun über allen Zweifel erhaben geschlichtet hätte.]
Petkoff: Dieses Bild habe ich ja gesucht. Wie zum Teufel kam es
dorthin?
Bluntschli [zu Raina, wohlgefällig]: Nun habe ich aber hoffentlich
alles schön in Ordnung gebracht, verehrtes Fräulein?
Raina [in unbeherrschbarer Kränkung]: Ich stimme vollkommen mit allem
überein, was Sie über sich erzählen. Sie sind ein romantischer Idiot.
[Bluntschli fährt sprachlos zurück.] Das nächste Mal, hoffe ich,
werden Sie den Unterschied zwischen einem Schulmädchen von siebzehn
und einer Frau von dreiundzwanzig bemerken.
Bluntschli [verblüfft]: Dreiundzwanzig? [Sie reißt ihm die
Photographie verachtungsvoll aus der Hand, zerreißt sie und wirft ihm
die Stücke vor die Füße.]
Sergius [sehr erfreut über die Niederlage seines Nebenbuhlers]:
Bluntschli, mein letzter Glaube ist dahin,--Ihr Scharfsinn ist
Schwindel, wie alles andere--Sie sind noch dümmer als ich.
Bluntschli [überwältigt]: Dreiundzwanzig! dreiundzwanzig! [Er denkt
nach:] Hm! [Schnell einen Entschluß fassend:] In diesem Falle, Major
Petkoff, bitte ich Sie in aller Form um die Hand Ihrer verehrten
Tochter, an Stelle des zurückgetretenen Major Saranoff.
Raina: Sie wagen es?
Bluntschli: Wenn Sie dreiundzwanzig Jahre alt waren, als Sie mir
heute nachmittag jene Dinge sagten, dann nehme ich sie ernst.
Katharina [stolz, höflich]: Ich zweifle sehr, mein Herr, ob Sie sich
der Stellung meiner Tochter sowie der Stellung des Major Sergius
Saranoff, dessen Platz Sie einzunehmen wünschen, bewußt sind. Die
Petkoffs und die Saranoffs sind bekannt als die reichsten und
angesehensten Familien unseres Landes. Unser Name ist beinahe
historisch, wir können bis auf nahezu zwanzig Jahre zurückblicken.
Petkoff: Oh, laß das, Katharina. [Zu Bluntschli:] Ihr Antrag würde
uns sehr glücklich machen, Bluntschli, wenn es sich bloß um Ihre
Stellung handelte. Aber verwünscht! Sie wissen, Raina ist an eine
sehr großartige Lebensführung gewöhnt. Sergius hält zwanzig Pferde.
Bluntschli: Aber was sollen ihr denn zwanzig Pferde? Das ist ja ein
wahrer Zirkus?
Katharina [strenge]: Meine Tochter ist an einen Stall ersten Ranges
gewöhnt, Herr Hauptmann.
Raina: Aber Mama, du machst mich ja lächerlich!
Bluntschli: Na, gut! wenn es sich um wirtschaftliche Einrichtungen
handelt, da stelle ich meinen Mann! [Er geht rasch, an den Tisch und
nimmt seine Papiere aus dem blauen Umschlag.] Wieviel Pferde, haben
Sie gesagt?
Sergius: Zwanzig, edler Schweizer!
Bluntschli: Ich habe zweihundert Pferde. [Sie sind erstaunt]:
Wieviel Wagen haben Sie?
Sergius: Drei.
Bluntschli: Ich habe siebzig. In vierundzwanzig davon haben je zwölf
Leute Platz und noch zwei auf dem Bock, ohne den Kutscher und den
Kondukteur zu rechnen. Wieviel Tischtücher haben Sie?
Sergius: Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?
Bluntschli: Haben Sie viertausend?
Sergius: Nein.
Bluntschli: Ich habe so viel; ferner neuntausendsechshundert Betttücher
und Bettdecken, mit zweitausendvierhundert Eiderdaunenkissen. Ich habe
zehntausend Messer und Gabeln und die gleiche Anzahl Dessertlöffel.
Ich habe sechshundert Diener, sechs palastartige Gebäude, außerdem
zwei Mietstallungen, ein Gartenrestaurant und ein Wohnhaus. Ich habe
vier Medaillen für hervorragende Dienste, ich habe den Rang eines
Offiziers, und den Stand eines Gentleman, und drei Muttersprachen.
Zeigen Sie mir irgend einen Mann in Bulgarien, der so viel bieten
kann.
Petkoff [mit kindischer Scheu]: Sind Sie am Ende gar der Kaiser der
Schweiz?
Bluntschli: Mein Rang ist der höchste, den man in der Schweiz
anerkennt: ich bin ein freier Bürger.
Katharina: Wenn dem so ist, Kapitän Bluntschli, so will ich, da meine
Tochter Sie auserkoren hat, Ihrem Glück nicht im Wege stehen.
[Petkoff will sprechen.] Major Petkoff teilt dieses Gefühl.
Petkoff: Oh, ich werde mich glücklich schätzen... Zweihundert
Pferde--Donnerwetter!
Sergius [zu Raina gewendet]: Und was sagen Sie?
Raina [tut, ab ob sie schmollte]: Ich sage, daß er seine Tischwäsche
und seine Omnibusse behalten kann. Ich lasse mich nicht an den
Meistbietenden verkaufen.
Bluntschli: Diese Antwort nehme ich nicht an. Ich wandte mich an Sie
als Flüchtling, als Bettler, als Verhungernder! Sie haben mich
aufgenommen und mir Ihre Hand zum Kusse, Ihr Bett für meine müden
Glieder und Ihr Dach zu meinem Schutze angeboten.
Raina [unterbricht ihn]: Dem Kaiser der Schweiz hab' ich das alles
nicht geboten!
Bluntschli: Das ist es ja gerade, was ich sage! [Er ergreift ihre
Hand rasch und sieht ihr fest in die Augen, während er, seiner Macht
vertrauend, hinzufügt:] Bitte, sagen Sie uns nun, wem Sie dies alles
gaben?
Raina [ergibt sich mit scheuem Lächeln]: Meinem Pralinésoldaten.
Bluntschli [mit knabenhaft entzücktem Lachen]: Das genügt mir, ich
danke Ihnen! [Er sieht auf seine Uhr und wird plötzlich Berufssoldat.]
Die Zeit ist um, ich muß nun fort, Major! Sie haben die Regimenter
so trefflich dirigiert, daß Sie überzeugt sein können, man wird Sie
ausersehen, um einige Infanterieregimenter der Timoklinien
loszuwerden. Senden Sie die Leute auf dem Weg von Lom-Palanka heim;
Saranoff, verheiraten Sie sich nicht, bevor ich zurückkomme; ich
werde pünktlich Dienstag in vierzehn Tagen um fünf Uhr abends hier
sein!--Meine verehrten Damen, ich wünsche einen guten Abend! [Er
macht ihnen eins militärische Verbeugung und geht ab.]
Sergius: Was für ein Mann! was für ein Mann!
Vorhang