SCHWARZER RITTER. Warum verfolgst du mich und heftest dich
So wutentbrannt an meine Fersen? Mir
Ist nicht bestimmt, von deiner Hand zu fallen.
JOHANNA. Verhaßt in tiefster Seele bist du mir,
Gleich wie die Nacht, die deine Farbe ist.
Dich weg zu tilgen von dem Licht des Tags
Treibt mich die unbezwingliche Begier.
Wer bist du? Öffne dein Visier.--Hätt ich
Den kriegerischen Talbot in der Schlacht
Nicht fallen sehn, so sagt ich, du wärst Talbot.
SCHWARZER RITTER. Schweigt dir die Stimme des Prophetengeistes?
JOHANNA. Sie redet laut in meiner tiefsten Brust,
Daß mir das Unglück an der Seite steht.
SCHWARZER RITTER. Johanna d'Arc! Bis an die Tore Reims
Bist du gedrungen auf des Sieges Flügeln.
Dir gnüge der erworbne Ruhm. Entlasse
Das Glück, das dir als Sklave hat gedient,
Eh es sich zürnend selbst befreit, es haßt
Die Treu und keinem dient es bis ans Ende.
JOHANNA. Was heißest du in Mitte meines Laufs
Mich stille stehen und mein Werk verlassen?
Ich führ es aus und löse mein Gelübde!
SCHWARZER RITTER. Nichts kann dir, du Gewaltge, widerstehn,
In jedem Kampfe siegst du.--Aber gehe
In keinen Kampf mehr. Höre meine Warnung!
JOHANNA. Nicht aus den Händen leg ich dieses Schwert,
Als bis das stolze England niederliegt.
SCHWARZER RITTER. Schau hin! Dort hebt sich Reims mit seinen Türmen,
Das Ziel und Ende deiner Fahrt--die Kuppel
Der hohen Kathedrale siehst du leuchten,
Dort wirst du einziehn im Triumphgepräng,
Deinen König krönen, dein Gelübde lösen.
--Geh nicht hinein. Kehr um. Hör meine Warnung.
JOHANNA. Wer bist du, doppelzüngig falsches Wesen,
Das mich erschrecken und verwirren will?
Was maßest du dir an, mir falsch Orakel
Betrüglich zu verkündigen?
(Der schwarze Ritter will abgehen, sie tritt ihm in den Weg)
Nein, du stehst
Mir Rede, oder stirbst von meinen Händen!
(Sie will einen Streich auf ihn führen)
SCHWARZER RITTER (berührt sie mit der Hand, sie bleibt
unbeweglich stehen). Töte, was sterblich ist!
(Nacht, Blitz und Donnerschlag. Der Ritter versinkt)
JOHANNA (steht anfangs erstaunt, faßt sich aber bald wieder).
Es war nichts Lebendes.--Ein trüglich Bild
Der Hölle wars, ein widerspenstger Geist,
Heraufgestiegen aus dem Feuerpfuhl,
Mein edles Herz im Busen zu erschüttern.
Wen fürcht ich mit dem Schwerte meines Gottes?
Siegreich vollenden will ich meine Bahn,
Und käm die Hölle selber in die Schranken,
Mir soll der Mut nicht weichen und nicht wanken!
(Sie will abgehen)
DRITTER AUFZUG
Zehnter Auftritt
Lionel. Johanna
LIONEL. Verfluchte, rüste dich zum Kampf--Nicht beide
Verlassen wir lebendig diesen Platz.
Du hast die Besten meines Volks getötet,
Der edle Talbot hat die große Seele
In meinen Busen ausgehaucht.--Ich räche
Den Tapfern oder teile sein Geschick.
Und daß du wissest, wer dir Ruhm verleiht,
Er sterbe oder siege--Ich bin Lionel,
Der letzte von den Fürsten unsers Heers,
Und unbezwungen noch ist dieser Arm.
(Er dringt auf sie ein, nach einem kurzen Gefecht schlägt sie
ihm das Schwert aus der Hand)
Treuloses Glück! (Er ringt mit ihr)
JOHANNA (ergreift ihn von hinten zu am Helmbusch und reißt
ihm den Helm gewaltsam herunter, daß sein Gesicht entblößt
wird, zugleich zückt sie das Schwert mit der Rechten).
Erleide, was du suchtest,
Die heilge Jungfrau opfert dich durch mich!
(In diesem Augenblick sieht sie ihm ins Gesicht, sein Anblick
ergreift sie, sie bleibt unbeweglich stehen und läßt dann
langsam den Arm sinken)
LIONEL. Was zauderst du und hemmst den Todesstreich?
Nimm mir das Leben auch, du nahmst den Ruhm,
Ich bin in deiner Hand, ich will nicht Schonung.
(Sie gibt ihm ein Zeichen mit der Hand, sich zu entfernen)
Entfliehen soll ich? Dir soll ich mein Leben
Verdanken?--Eher sterben!
JOHANNA (mit abgewandtem Gesicht). Rette dich!
Ich will nichts davon wissen, daß dein Leben
In meine Macht gegeben war.
LIONEL. Ich hasse dich und dein Geschenk--Ich will
Nicht Schonung--Töte deinen Feind, der dich
Verabscheut, der dich töten wollte.
JOHANNA. Töte mich
--Und fliehe!
LIONEL Ha! Was ist das?
JOHANNA (verbirgt das Gesicht). Weh mir!
LIONEL (tritt ihr näher). Du tötest, sagt man, alle Engelländer,
Die du im Kampf bezwingst--Warum nur mich
Verschonen?
JOHANNA (erhebt das Schwert mit einer raschen Bewegung gegen ihn,
läßt es aber, wie sie ihn ins Gesicht faßt, schnell wieder sinken).
Heilge Jungfrau!
LIONEL. Warum nennst du
Die Heilge? Sie weiß nichts von dir, der Himmel
Hat keinen Teil an dir.
JOHANNA (in der heftigsten Beängstigung). Was hab ich
Getan! Gebrochen hab ich mein Gelübde!
(Sie ringt verzweifelnd die Hände)
LIONEL (betrachtet sie mit Teilnahme und tritt ihr näher).
Unglücklich Mädchen! Ich beklage dich,
Du rührst mich, du hast Großmut ausgeübt
An mir allein, ich fühle, daß mein Haß
Verschwindet, ich muß Anteil an dir nehmen!
--Wer bist du? Woher kommst du?
JOHANNA. Fort! Entfliehe!
LIONEL. Mich jammert deine Jugend, deine Schönheit!
Dein Anblick dringt mir an das Herz. Ich möchte
Dich gerne retten--Sage mir, wie kann ichs!
Komm! Komm! Entsage dieser gräßlichen
Verbindung--Wirf sie von dir, diese Waffen!
JOHANNA. Ich bin unwürdig, sie zu führen!
LIONEL. Wirf
Sie von dir, schnell, und folge mir!
JOHANNA (mit Entsetzen). Dir folgen!
LIONEL. Du kannst gerettet werden. Folge mir!
Ich will dich retten, aber säume nicht.
Mich faßt ein ungeheurer Schmerz um dich,
Und ein unnennbar Sehnen, dich zu retten--
(Bemächtigt sich ihres Armes)
JOHANNA. Der Bastard naht! Sie sinds! Sie suchen mich!
Wenn sie dich finden--
LIONEL. Ich beschütze dich!
JOHANNA. Ich sterbe, wenn du fällst von ihren Händen!
LIONEL. Bin ich dir teuer?
JOHANNA. Heilige des Himmels!
LIONEL. Werd ich dich wiedersehen? Von dir hören?
JOHANNA. Nie! Niemals!
LIONEL. Dieses Schwert zum Pfand, daß ich
Dich wiedersehe!
(Er entreißt ihr das Schwert)
JOHANNA. Rasender, du wagst es?
LIONEL. Jetzt weich ich der Gewalt, ich seh dich wieder!
(Er geht ab)
DRITTER AUFZUG
Eilfter Auftritt
Dunois und La Hire. Johanna
LA HIRE. Sie lebt! Sie ists!
DUNOIS. Johanna, fürchte nichts!
Die Freunde stehen mächtig dir zur Seite.
LA HIRE. Flieht dort nicht Lionel?
DUNOIS. Laß ihn entfliehn!
Johanna, die gerechte Sache siegt,
Reims öffnet seine Tore, alles Volk
Strömt jauchzend seinem Könige entgegen--
LA HIRE. Was ist der Jungfrau? Sie erbleicht, sie sinkt!
(Johanna schwindelt und will sinken)
DUNOIS. Sie ist verwundet--Reißt den Panzer auf--
Es ist der Arm und leicht ist die Verletzung.
LA HIRE. Ihr Blut fließt.
JOHANNA. Laßt es mit meinem Leben
Hinströmen! (Sie liegt ohnmächtig in La Hires Armen)
VIERTER AUFZUG
Ein festlich ausgeschmückter Saal, die Säulen sind mit Festons
umwunden, hinter der Szene Flöten und Hoboen
Erster Auftritt
JOHANNA. Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen,
Auf blutge Schlachten folgt Gesang und Tanz,
Durch alle Straßen tönt der muntre Reigen,
Altar und Kirche prangt in Festes Glanz,
Und Pforten bauen sich aus grünen Zweigen,
Und um die Säule windet sich der Kranz,
Das weite Reims faßt nicht die Zahl der Gäste,
Die wallend strömen zu dem Völkerfeste.
Und einer Freude Hochgefühl entbrennet,
Und ein Gedanke schlägt in jeder Brust,
Was sich noch jüngst in blutgem Haß getrennet,
Das teilt entzückt die allgemeine Lust,
Wer nur zum Stamm der Franken sich bekennet,
Der ist des Namens stolzer sich bewußt,
Erneuert ist der Glanz der alten Krone,
Und Frankreich huldigt seinem Königssohne.
Doch mich, die all dies Herrliche vollendet,
Mich rührt es nicht, das allgemeine Glück,
Mir ist das Herz verwandelt und gewendet,
Es flieht von dieser Festlichkeit zurück,
Ins britsche Lager ist es hingewendet,
Hinüber zu dem Feinde schweift der Blick,
Und aus der Freude Kreis muß ich mich stehlen,
Die schwere Schuld des Busens zu verhehlen.
Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild
In meinem reinen Busen tragen?
Dies Herz, von Himmels Glanz erfüllt,
Darf einer irdschen Liebe schlagen?
Ich meines Landes Retterin,
Des höchsten Gottes Kriegerin,
Für meines Landes Feind entbrennen!
Darf ichs der keuschen Sonne nennen,
Und mich vernichtet nicht die Scham!
(Die Musik hinter der Szene geht in eine weich schmelzende
Melodie über)
Wehe! Weh mir! Welche Töne!
Wie verführen sie mein Ohr!
Jeder ruft mir seine Stimme,
Zaubert mir sein Bild hervor!
Daß der Sturm der Schlacht mich faßte.
Speere sausend mich umtönten
In des heißen Streites Wut!
Wieder fänd ich meinen Mut!
Diese Stimmen, diese Töne,
Wie umstricken sie mein Herz,
Jede Kraft in meinem Busen
Lösen sie in weichem Sehnen,
Schmelzen sie in Wehmuts-Tränen!
(Nach einer Pause lebhafter)
Sollt ich ihn töten? Konnt ichs, da ich ihm
Ins Auge sah? Ihn töten! Eher hätt ich
Den Mordstahl auf die eigne Brust gezückt!
Und bin ich strafbar, weil ich menschlich war?
Ist Mitleid Sünde?--Mitleid! Hörtest du
Des Mitleids Stimme und der Menschlichkeit
Auch bei den andern, die dein Schwert geopfert?
Warum verstummte sie, als der Walliser dich,
Der zarte Jüngling um sein Leben flehte?
Arglistig Herz! Du lügst dem ewgen Licht,
Dich trieb des Mitleids fromme Stimme nicht!
Warum mußt ich ihm in die Augen sehn!
Die Züge schaun des edeln Angesichts!
Mit deinem Blick fing dein Verbrechen an,
Unglückliche! Ein blindes Werkzeug fodert Gott,
Mit blinden Augen mußtest dus vollbringen!
Sobald du sahst, verließ dich Gottes Schild,
Ergriffen dich der Hölle Schlingen!
(Die Flöten wiederholen, sie versinkt in eine stille Wehmut )
Frommer Stab! O hätt ich nimmer
Mit dem Schwerte dich vertauscht!
Hätt es nie in deinen Zweigen,
Heilge Eiche! mir gerauscht!
Wärst du nimmer mir erschienen,
Hohe Himmelskönigin!
Nimm, ich kann sie nicht verdienen,
Deine Krone, nimm sie hin!
Ach, ich sah den Himmel offen
Und der Selgen Angesicht!
Doch auf Erden ist mein Hoffen,
Und im Himmel ist es nicht!
Mußtest du ihn auf mich laden
Diesen furchtbaren Beruf,
Konnt ich dieses Herz verhärten,
Das der Himmel fühlend schuf!
Willst du deine Macht verkünden,
Wähle sie, die frei von Sünden
Stehn in deinem ewgen Haus,
Deine Geister sende aus,
Die Unsterblichen, die Reinen,
Die nicht fühlen, die nicht weinen!
Nicht die zarte Jungfrau wähle,
Nicht der Hirtin weiche Seele!
Kümmert mich das Los der Schlachten,
Mich der Zwist der Könige?
Schuldlos trieb ich meine Lämmer
Auf des stillen Berges Höh.
Doch du rissest mich ins Leben,
In den stolzen Fürstensaal,
Mich der Schuld dahinzugeben,
Ach! es war nicht meine Wahl!
VIERTER AUFZUG
Zweiter Auftritt
Agnes Sorel. Johanna
SOREL (kommt in lebhafter Rührung, wie sie die Jungfrau erblickt,
eilt sie auf sie zu und fällt ihr um den Hals; plötzlich besinnt
sie sich, läßt sie los und fällt vor ihr nieder).
Nein! Nicht so! Hier im Staub vor dir--
JOHANNA (will sie aufheben). Steh auf!
Was ist dir? Du vergissest dich und mich.
SOREL. Laß mich! Es ist der Freude Drang, der mich
Zu deinen Füßen niederwirft--ich muß
Mein überwallend Herz vor Gott ergießen,
Den Unsichtbaren bet ich an in dir.
Du bist der Engel, der mir meinen Herrn
Nach Reims geführt und mit der Krone schmückt.
Was ich zu sehen nie geträumt, es ist
Erfüllt! Der Krönungszug bereitet sich,
Der König steht im festlichen Ornat,
Versammelt sind die Pairs, die Mächtigen
Der Krone, die Insignien zu tragen,
Zur Kathedrale wallend strömt das Volk,
Es schallt der Reigen und die Glocken tönen,
O dieses Glückes Fülle trag ich nicht!
(Johanna hebt sie sanft in die Höhe. Agnes Sorel hält einen
Augenblick inne, indem sie der Jungfrau näher ins Auge sieht)
Doch du bleibst immer ernst und streng, du kannst
Das Glück erschaffen, doch du teilst es nicht.
Dein Herz ist kalt, du fühlst nicht unsre Freuden,
Du hast der Himmel Herrlichkeit gesehn,
Die reine Brust bewegt kein irdisch Glück.
(Johanna ergreift ihre Hand mit Heftigkeit, läßt sie aber
schnell wieder fahren)
O könntest du ein Weib sein und empfinden!
Leg diese Rüstung ab, kein Krieg ist mehr,
Bekenne dich zum sanfteren Geschlechte!
Mein liebend Herz flieht scheu vor dir zurück,
Solange du der strengen Pallas gleichst.
JOHANNA. Was foderst du von mir!
SOREL. Entwaffne dich! Leg diese Rüstung ab, die Liebe fürchtet,
Sich dieser stahlbedeckten Brust zu nahn.
O sei ein Weib und du wirst Liebe fühlen!
JOHANNA. Jetzt soll ich mich entwaffnen! Jetzt! Dem Tod
Will ich die Brust entblößen in der Schlacht!
Jetzt nicht--o möchte siebenfaches Erz
Vor euren Festen, vor mir selbst mich schützen!
SOREL. Dich liebt Graf Dunois. Sein edles Herz,
Dem Ruhm nur offen und der Heldentugend,
Es glüht für dich in heiligem Gefühl.
O es ist schön, von einem Helden sich geliebt
Zu sehn--es ist noch schöner, ihn zu lieben!
(Johanna wendet sich mit Abscheu hinweg)
Du hassest ihn!--Nein, nein, du kannst ihn nur
Nicht lieben--Doch wie solltest du ihn hassen!
Man haßt nur den, der den Geliebten uns
Entreißt, doch dir ist keiner der Geliebte!
Dein Herz ist ruhig--Wenn es fühlen könnte--
JOHANNA. Beklage mich! Beweine mein Geschick!
SOREL. Was könnte dir zu deinem Glücke mangeln?
Du hast dein Wort gelöst, Frankreich ist frei,
Bis in die Krönungsstadt hast du den König
Siegreich geführt, und hohen Ruhm erstritten,
Dir huldiget, dich preist ein glücklich Volk,
Von allen Zungen überströmend fließt
Dein Lob, du bist die Göttin dieses Festes,
Der König selbst mit seiner Krone strahlt
Nicht herrlicher als du.
JOHANNA. O könnt ich mich
Verbergen in den tiefsten Schoß der Erde!
SOREL. Was ist dir? Welche seltsame Bewegung!
Wer dürfte frei aufschaun an diesem Tage,
Wenn du die Blicke niederschlagen sollst!
Mich laß erröten, mich, die neben dir
So klein sich fühlt, zu deiner Heldenstärke sich,
Zu deiner Hoheit nicht erheben kann!
Denn soll ich meine ganze Schwäche dir
Gestehen,--Nicht der Ruhm des Vaterlandes,
Nicht der erneute Glanz des Thrones, nicht
Der Völker Hochgefühl und Siegesfreude
Beschäftigt dieses schwache Herz. Es ist
Nur einer, der es ganz erfüllt, es hat
Nur Raum für dieses einzige Gefühl:
Er ist der Angebetete, ihm jauchzt das Volk,
Ihn segnet es, ihm streut es diese Blumen,
Er ist der Meine, der Geliebte ists.
JOHANNA. O du bist glücklich! Selig preise dich!
Du liebst, wo alles liebt! Du darfst dein Herz
Aufschließen, laut aussprechen dein Entzücken
Und offen tragen vor der Menschen Blicken!
Dies Fest des Reichs ist deiner Liebe Fest,
Die Völker alle, die unendlichen,
Die sich in diesen Mauren flutend drängen,
Sie teilen dein Gefühl, sie heilgen es,
Dir jauchzen sie, dir flechten sie den Kranz,
Eins bist du mit der allgemeinen Wonne,
Du liebst das Allerfreuende, die Sonne,
Und was du siehst, ist deiner Liebe Glanz!
SOREL (ihr um den Hals fallend).
O du entzückst mich, du verstehst mich ganz!
Ja ich verkannte dich, du kennst die Liebe,
Und was ich fühle, sprichst du mächtig aus.
Von seiner Furcht und Scheue löst sich mir
Das Herz, es wallt vertrauend dir entgegen
JOHANNA (entreißt sich mit Heftigkeit ihren Armen).
Verlaß mich. Wende dich von mir! Beflecke
Dich nicht mit meiner pesterfüllten Nähe!
Sei glücklich, geh, mich laß in tiefster Nacht
Mein Unglück, meine Schande, mein Entsetzen
Verbergen--
SOREL. Du erschreckst mich, ich begreife
Dich nicht, doch ich begriff dich nie--und stets
Verhüllt war mir dein dunkel tiefes Wesen.
Wer möcht es fassen, was dein heilig Herz,
Der reinen Seele Zartgefühl erschreckt!
JOHANNA. Du bist die Heilige! Du bist die Reine!
Sähst du mein Innerstes, du stießest schaudernd
Die Feindin von dir, die Verräterin!
VIERTER AUFZUG
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Dunois. Du Chatel und La Hire mit der Fahne der
Johanna
DUNOIS. Dich suchen wir, Johanna. Alles ist
Bereit, der König sendet uns, er will,
Daß du vor ihm die heilge Fahne tragest,
Du sollst dich schließen an der Fürsten Reihn,
Die Nächste an ihm selber sollst du gehn,
Denn er verleugnete nicht und alle Welt
Soll es bezeugen, daß er dir allein
Die Ehre dieses Tages zuerkennt.
LA HIRE. Hier ist die Fahne. Nimm sie, edle Jungfrau,
Die Fürsten warten und es harrt das Volk.
JOHANNA Ich vor ihm herziehn! Ich die Fahne tragen!
DUNOIS. Wem anders ziemt' es! Welche andre Hand
Ist rein genug, das Heiligtum zu tragen!
Du schwangst sie im Gefechte, trage sie
Zur Zierde nun auf diesem Weg der Freude.
(La Hire will ihr die Fahne überreichen, sie bebt schaudernd
davor zurück)
JOHANNA. Hinweg! Hinweg!
LA HIRE. Was ist dir? Du erschrickst
Vor deiner eignen Fahne!--Sieh sie an!
(Er rollt die Fahne auseinander)
Es ist dieselbe, die du siegend schwangst.
Die Himmelskönigin ist drauf gebildet,
Die über einer Erdenkugel schwebt,
Denn also lehrte dichs die heilge Mutter.
JOHANNA (mit Entsetzen hinschauend).
Sie ists! Sie selbst! Ganz so erschien sie mir.
Seht, wie sie herblickt und die Stirne faltet,
Zornglühend aus den finstern Wimpern schaut!
SOREL. O sie ist außer sich! Komm zu dir selbst!
Erkenne dich, du siehst nichts Wirkliches!
Das ist ihr irdisch nachgeahmtes Bild,
Sie selber wandelt in des Himmels Chören!
JOHANNA. Furchtbare, kommst du dein Geschöpf zu strafen?
Verderbe, strafe mich, nimm deine Blitze,
Und laß sie fallen auf mein schuldig Haupt.
Gebrochen hab ich meinen Bund, entweiht,
Gelästert hab ich deinen heilgen Namen!
DUNOIS. Weh uns! Was ist das! Welch unselge Reden!
LA HIRE (erstaunt zu Du Chatel).
Begreift Ihr diese seltsame Bewegung?
DU CHATEL. Ich sehe, was ich seh. Ich hab es längst
Gefürchtet.
DUNOIS. Wie? Was sagt Ihr?
DU CHATEL. Was ich denke,
Darf ich nicht sagen. Wollte Gott, es wäre
Vorüber und der König wär gekrönt!
LA HIRE. Wie? Hat der Schrecken, der von dieser Fahne
Ausging, sich auf dich selbst zurückgewendet?
Den Briten laß vor diesem Zeichen zittern,
Den Feinden Frankreichs ist es fürchterlich,
Doch seinen treuen Bürgern ist es gnädig.
JOHANNA. Ja du sagst recht! Den Freunden ist es hold
Und auf die Feinde sendet es Entsetzen!
(Man hört den Krönungsmarsch)
DUNOIS. So nimm die Fahne! Nimm sie! Sie beginnen
Den Zug, kein Augenblick ist zu verlieren!
(Sie dringen ihr die Fahne auf, sie ergreift sie mit heftigem
Widerstreben und geht ab, die andern folgen)
VIERTER AUFZUG
Die Szene verwandelt sich in einen freien Platz vor der
Kathedralkirche
Vierter Auftritt
Zuschauer erfüllen den Hintergrund, aus ihnen heraus treten
Bertrand, Claude Marie und Etienne und kommen vorwärts. Der
Krönungsmarsch erschallt gedämpft aus der Ferne
BERTRAND. Hört die Musik! Sie sinds! Sie nahen schon!
Was ist das Beste? Steigen wir hinauf
Auf die Platforme, oder drängen uns
Durchs Volk, daß wir vom Aufzug nichts verlieren,
ETIENNE. Es ist nicht durchzukommen. Alle Straßen sind
Von Menschen vollgedrängt, zu Roß und Wagen.
Laßt uns hieher an diese Häuser treten,
Hier können wir den Zug gemächlich sehen,
Wenn er vorüberkommt!
CLAUDE MARIE. Ists doch, als ob
Halb Frankreich sich zusammen hier gefunden!
So allgewaltig ist die Flut, daß sie
Auch uns im fernen lothringischen Land
Hat aufgehoben und hieher gespült!
BERTRAND. Wer wird
In seinem Winkel müßig sitzen, wenn
Das Große sich begibt im Vaterland!
Es hat auch Schweiß und Blut genug gekostet,
Bis daß die Krone kam aufs rechte Haupt!
Und unser König, der der wahre ist,
Dem wir die Kron itzt geben, soll nicht schlechter
Begleitet sein, als der Pariser ihrer,
Den sie zu Saint Denis gekrönt! Der ist
Kein Wohlgesinnter, der von diesem Fest
Wegbleibt, und nicht mit ruft: es lebe der König!
VIERTER AUFZUG
Fünfter Auftritt
Margot und Louison treten zu ihnen
LOUISON. Wir werden unsre Schwester sehen, Margot!
Mir pocht das Herz.
MARGOT. Wir werden sie im Glanz
Und in der Hoheit sehn, und zu uns sagen:
Es ist Johanna, es ist unsre Schwester!
LOUISON. Ich kanns nicht glauben, bis ich sie mit Augen
Gesehn, daß diese Mächtige, die man
Die Jungfrau nennt von Orleans, unsre Schwester
Johanna ist, die uns verlorenging.
(Der Marsch kommt immer näher)
MARGOT. Du zweifelst noch! Du wirsts mit Augen sehn!
BERTRAND. Gebt acht! Sie kommen!
VIERTER AUFZUG
Sechster Auftritt
Flötenspieler und Hoboisten eröffnen den Zug. Kinderfolgen,
weiß gekleidet, mit Zweigen in der Hand, hinter diesen zwei
Herolde. Darauf ein Zug von Hellebardierern. Magistratspersonen
in der Robe folgen. Hierauf zwei Marschälle mit dem Stabe,
Herzog von Burgund das Schwert tragend, Dunois mit dem Szepter,
andere Große mit der Krone, dem Reichsapfel und dem
Gerichtsstabe, andere mit Opfergaben; hinter diesen Ritter
in ihrem Ordensschmuck, Chorknaben mit dem Rauchfaß, dann zwei
Bischöfe mit der Sainte Ampoule. Erzbischof mit dem Kruzifix;
ihm folgt Johanna mit der Fahne. Sie geht mit gesenktem Haupt
und ungewissen Schritten, die Schwestern geben bei ihrem
Anblick Zeichen des Erstaunens und der Freude. Hinter ihr
kommt der König, unter einem Thronhimmel, welchen vier Barone
tragen, Hofleute folgen, Soldaten schließen. Wenn der Zug in
die Kirche hinein ist, schweigt der Marsch
VIERTER AUFZUG
Siebenter Auftritt
Louison. Margot. Claude Marie. Etienne. Bertrand
MARGOT. Sahst du die Schwester?
CLAUDE MARIE. Die im goldnen Harnisch,
Die vor dem König herging mit der Fahne!
MARGOT. Sie wars. Es war Johanna, unsre Schwester!
LOUISON. Und sie erkannt uns nicht! Sie ahndete
Die Nähe nicht der schwesterlichen Brust.
Sie sah zur Erde und erschien so blaß,
Und unter ihrer Fahne ging sie zitternd--
Ich konnte mich nicht freun, da ich sie sah.
MARGOT. So hab ich unsre Schwester nun im Glanz
Und in der Herrlichkeit gesehn.--Wer hätte
Auch nur im Traum geahndet und gedacht,
Da sie die Herde trieb auf unsern Bergen,
Daß wir in solcher Pracht sie würden schauen.
LOUISON. Der Traum des Vaters ist erfüllt, daß wir
Zu Reims uns vor der Schwester würden neigen.
Das ist die Kirche, die der Vater sah
Im Traum, und alles hat sich nun erfüllt.
Doch der Vater sah auch traurige Gesichte,
Ach, mich bekümmerts, sie so groß zu sehn!
BERTRAND. Was stehn wir müßig hier? Kommt in die Kirche,
Die heilge Handlung anzusehn!
MARGOT. Ja kommt!
Vielleicht, daß wir der Schwester dort begegnen.
LOUISON. Wir haben sie gesehen, kehren wir
In unser Dorf zurück.
MARGOT. Was? Eh wir sie
Begrüßt und angeredet?
LOUISON. Sie gehört
Uns nicht mehr an, bei Fürsten ist ihr Platz
Und Königen--Wer sind wir, daß wir uns
Zu ihrem Glanze rühmend eitel drängen?
Sie war uns fremd, da sie noch unser war!
MARGOT. Wird sie sich unser schämen, uns verachten?
BERTRAND. Der König selber schämt sich unser nicht,
Er grüßte freundlich auch den Niedrigsten.
Sei sie so hoch gestiegen als sie will,
Der König ist doch größer!
(Trompeten und Pauken erschallen aus der Kirche)
CLAUDE MARIE. Kommt zur Kirche!
(Sie eilen nach dem Hintergrund, wo sie sich unter dem Volke
verlieren)
VIERTER AUFZUG
Achter Auftritt
Thibaut kommt, schwarz gekleidet, Raimond folgt ihm und will
ihn zurückehalten
RAIMOND. Bleibt, Vater Thibaut! Bleibt aus dem Gedränge
Zurück! Hier seht Ihr lauter frohe Menschen,
Und Euer Gram beleidigt dieses Fest.
Kommt! Fliehn wir aus der Stadt mit eilgen Schritten.
THIBAUT. Sahst du mein unglückselig Kind? Hast du
Sie recht betrachtet?
RAIMOND. O ich bitt Euch, flieht!
THIBAUT. Bemerktest du, wie ihre Schritte wankten,
Wie bleich und wie verstört ihr Antlitz war!
Die Unglückselige fühlt ihren Zustand,
Das ist der Augenblick, mein Kind zu retten,
Ich will ihn nutzen.
(Er will gehen)
RAIMOND. Bleibt! Was wollt Ihr tun?
THIBAUT. Ich will sie überraschen, will sie stürzen
Von ihrem eiteln Glück, ja mit Gewalt
Will ich zu ihrem Gott, dem sie entsagt,
Zurück sie führen.
RAIMOND. Ach! Erwägt es wohl!
Stürzt Euer eigen Kind nicht ins Verderben!
THIBAUT. Lebt ihre Seele nur, ihr Leib mag sterben.
(Johanna stürzt aus der Kirche heraus, ohne ihre Fahne, Volk
dringt zu ihr, adoriert sie rund küßt ihre Kleider, sie wird
durch das Gedränge im Hintergrunde aufgehalten)
Sie kommt! Sie ists! Bleich stürzt sie aus der Kirche,
Es treibt die Angst sie aus dem Heiligtum,
Das ist das göttliche Gericht, das sich
An ihr verkündiget!--
RAIMOND. Lebt wohl!
Verlangt nicht, daß ich länger Euch begleite!
Ich kam voll Hoffnung und ich geh voll Schmerz.
Ich habe Eure Tochter wieder gesehn,
Und fühle, daß ich sie aufs neu verliere!
(Er geht ab, Thibaut entfernt sich auf der entgegengesetzten Seite)
VIERTER AUFZUG
Neunter Auftritt
Johanna. Volk. Hernach ihre Schwestern
JOHANNA (hat sich des Volks erwehrt und kommt vorwärts).
Ich kann nicht bleiben--Geister jagen mich,
Wie Donner schallen mir der Orgel Töne,
Des Doms Gewölbe stürzen auf mich ein,
Des freien Himmels Weite muß ich suchen!
Die Fahne ließ ich in dem Heiligtum,
Nie, nie soll diese Hand sie mehr berühren!
--Mir wars, als hält ich die geliebten Schwestern,
Margot und Louison, gleich einem Traum
An mir vorüber gleiten sehen.--Ach!
Es war nur eine täuschende Erscheinung!
Fern sind sie, fern und unerreichbar weit,
Wie meiner Kindheit, meiner Unschuld Glück!
MARGOT (hervortretend). Sie ists, Johanna ists.
LOUISON (eilt ihr entgegen). O meine Schwester!
JOHANNA. So wars kein Wahn--Ihr seid es--Ich umfaß euch,
Dich meine Louison! Dich meine Margot!
Hier in der fremden menschenreichen Öde
Umfang ich die vertraute Schwesterbrust!
MARGOT. Sie kennt uns noch, ist noch die gute Schwester.
JOHANNA. Und eure Liebe führt euch zu mir her
So weit, so weit! Ihr zürnt der Schwester nicht,
Die lieblos ohne Abschied euch verließ!
LOUISON. Dich führte Gottes dunkle Schickung fort.
MARGOT. Der Ruf von dir, der alle Welt bewegt,
Der deinen Namen trägt auf allen Zungen,
Hat uns erweckt in unserm stillen Dorf,
Und hergeführt zu dieses Festes Feier.
Wir kommen deine Herrlichkeit zu sehn,
Und wir sind nicht allein!
JOHANNA (schnell). Der Vater ist mit euch!
Wo, wo ist er? Warum verbirgt er sich?
MARGOT. Der Vater ist nicht mit uns.
JOHANNA. Nicht? Er will sein Kind
Nicht sehn? Ihr bringt mir seinen Segen nicht?
LOUISON. Er weiß nicht, daß wir hier sind.
JOHANNA. Weiß es nicht!
Warum nicht?--Ihr verwirret euch? Ihr schweigt
Und seht zur Erde! Sagt, wo ist der Vater?
MARGOT. Seitdem du weg bist—
LOUISON (winkt ihr). Margot!
MARGOT. Ist der Vater
Schwermütig worden.
JOHANNA. Schwermütig!
LOUISON. Tröste dich!
Du kennst des Vaters ahndungsvolle Seele!
Er wird sich fassen, sich zufrieden geben,
Wenn wir ihm sagen, daß du glücklich bist.
MARGOT. Du bist doch glücklich? Ja du mußt es sein,
Da du so groß bist und geehrt!
JOHANNA. Ich bins.
Da ich euch wieder sehe, eure Stimme
Vernehme, den geliebten Ton, mich heim
Erinnre an die väterliche Flur.
Da ich die Herde trieb auf unsern Höhen,
Da war ich glücklich wie im Paradies--
Kann ichs nicht wieder sein, nicht wieder werden!
(Sie verbirgt ihr Gesicht an Louisons Brust. Claude Marie,
Etienne und Bertrand zeigen sich und bleiben schüchtern in
der Ferne stehen)
MARGOT. Kommt, Etienne! Bertrand! Claude Marie!
Die Schwester ist nicht stolz, sie ist so sanft
Und spricht so freundlich, als sie nie getan,
Da sie noch in dem Dorf mit uns gelebt.
(Jene treten näher und wollen ihr die Hand reichen, Johanna
sieht sie mit starren Blicken an, und fällt in ein tiefes Staunen)
JOHANNA. Wo war ich? Sagt mir! War das alles nur
Ein langer Traum und ich bin aufgewacht?
Bin ich hinweg aus Dom Remi? Nicht wahr!
Ich war entschlafen unterm Zauberbaum,
Und bin erwacht, und ihr steht um mich her,
Die wohlbekannten traulichen Gestalten?
Mir hat von diesen Königen und Schlachten
Und Kriegestaten nur geträumt--es waren
Nur Schatten, die an mir vorübergingen,
Denn lebhaft träumt sichs unter diesem Baum.
Wie kämet ihr nach Reims? Wie käm ich selbst
Hieher? Nie, nie verließ ich Dom Remi!
Gesteht mirs offen und erfreut mein Herz.
LOUISON. Wir sind zu Reims. Dir hat von diesen Taten
Nicht bloß geträumt, du hast sie alle wirklich
Vollbracht.--Erkenne dich, blick um dich her,
Befühle deine glänzend goldne Rüstung!
(Johanna fährt mit der Hand nach der Brust, besinnt sich und
erschrickt)
BERTRAND. Aus meiner Hand empfingt Ihr diesen Helm.
CLAUDE MARIE. Es ist kein Wunder, daß Ihr denkt zu träumen,
Denn was Ihr ausgerichtet und getan,
Kann sich im Traum nicht wunderbarer fügen.
JOHANNA (schnell). Kommt, laßt uns fliehn! Ich geh mit euch,
ich kehre
In unser Dorf, in Vaters Schoß zurück.
LOUISON. O komm! komm mit uns!
JOHANNA. Diese Menschen alle
Erheben mich weit über mein Verdienst!
Ihr habt mich kindisch, klein und schwach gesehn,
Ihr liebt mich, doch ihr betet mich nicht an!
MARGOT. Du wolltest allen diesen Glanz verlassen!
JOHANNA. Ich werf ihn von mir, den verhaßten Schmuck,
Der euer Herz von meinem Herzen trennt,
Und eine Hirtin will ich wieder werden.
Wie eine niedre Magd will ich euch dienen,
Und büßen will ichs mit der strengsten Buße,
Daß ich mich eitel über euch erhob!
(Trompeten erschallen)
VIERTER AUFZUG
Zehenter Auftritt
Der König tritt aus der Kirche, er ist im Krönungsornat,
Agnes Sorel, Erzbischof, Burgund, Dunois, La Hire, Du Chatel,
Ritter, Hofleute und Volk
ALLE STIMMEN (rufen wiederholt, während daß der König
vorwärtskommt).
Es lebe der König! Karl der Siebente!
(Trompeten fallen ein. Auf ein Zeichen, das der König gibt,
gebieten die Herolde mit erhobenem Stabe Stillschweigen)
KÖNIG. Mein gutes Volk! Habt Dank für eure Liebe!
Die Krone, die uns Gott aufs Haupt gesetzt,
Durchs Schwert ward sie gewonnen und erobert,
Mit edelm Bürgerblut ist sie benetzt,
Doch friedlich soll der Ölzweig sie umgrünen.
Gedankt sei allen, die für uns gefochten,
Und allen, die uns widerstanden, sei
Verziehn, denn Gnade hat uns Gott erzeigt,
Und unser erstes Königswort sei--Gnade!
VOLK. Es lebe der König! Karl der Gütige!
KÖNIG. Von Gott allein, dem höchsten Herrschenden,
Empfangen Frankreichs Könige die Krone.
Wir aber haben sie sichtbarer Weise
Aus seiner Hand empfangen.
(Zur Jungfrau sich wendend)
Hier steht die Gottgesendete, die euch
Den angestammten König wieder gab,
Das Joch der fremden Tyrannei zerbrochen!
Ihr Name soll dem heiligen Denis
Gleich sein, der dieses Landes Schützer ist,
Und ein Altar sich ihrem Ruhm erheben!
VOLK. Heil, Heil der Jungfrau, der Erretterin! (Trompeten)
KÖNIG (zu Johanna). Wenn du von Menschen bist gezeugt wie wir,
So sage, welches Glück dich kann erfreuen;
Doch wenn dein Vaterland dort oben ist,
Wenn du die Strahlen himmlischer Natur
In diesem jungfräulichen Leib verhüllst,
So nimm das Band hinweg von unsern Sinnen
Und laß dich sehn in deiner Lichtgestalt,
Wie dich der Himmel sieht, daß wir anbetend
Im Staube dich verehren.
(Ein allgemeines Stillschweigen, jedes Auge ist auf die
Jungfrau gerichtet)
JOHANNA (plötzlich aufschreiend). Gott! Mein Vater!
VIERTER AUFZUG
Eilfter Auftritt
Die Vorigen. Thibaut tritt aus der Menge und steht Johanna
gerade gegenüber
MEHRERE STIMMEN. Ihr Vater!
THIBAUT. Ja ihr jammervoller Vater,
Der die Unglückliche gezeugt, den Gottes
Gericht hertreibt, die eigne Tochter anzuklagen.
BURGUND. Ha! Was ist das!
DU CHATEL. Jetzt wird es schrecklich tagen!
THIBAUT (zum König).
Gerettet glaubst du dich durch Gottes Macht?
Betrogner Fürst! Verblendet Volk der Franken!
Du bist gerettet durch des Teufels Kunst.
(Alle treten mit Entsetzen zurück)
DUNOIS. Rast dieser Mensch?
THIBAUT. Nicht ich, du aber rasest,
Und diese hier, und dieser weise Bischof,
Die glauben, daß der Herr der Himmel sich
Durch eine schlechte Magd verkünden werde.
Laß sehn, ob sie auch in des Vaters Stirn
Der dreisten Lüge Gaukelspiel behauptet,
Womit sie Volk und König hinterging.
Antworte mir im Namen des Dreieinen,
Gehörst du zu den Heiligen und Reinen?
(Allgemeine Stille, alle Blicke sind auf sie gespannt, sie
steht unbeweglich)
SOREL. Gott, sie verstummt!
THIBAUT. Das muß sie vor dem furchtbarn Namen
Der in der Höllen Tiefen selbst
Gefürchtet wird!--Sie eine Heilige,
Von Gott gesendet!--An verfluchter Stätte
Ward es ersonnen, unterm Zauberbaum,
Wo schon von alters her die bösen Geister
Den Sabbat halten--hier verkaufte sie
Dem Feind der Menschen ihr unsterblich Teil,
Daß er mit kurzem Weltruhm sie verherrliche.
Laßt sie den Arm aufstreifen, seht die Punkte,
Womit die Hölle sie gezeichnet hat!
BURGUND. Entsetzlich!--Doch dem Vater muß man glauben,
Der wider seine eigne Tochter zeugt!
DUNOIS. Nein, nicht zu glauben ist dem Rasenden,
Der in dem eignen Kind sich selber schändet!
SOREL (zur Johanna). O rede! Brich dies unglückselge Schweigen!
Wir glauben dir! Wir trauen fest auf dich!
Ein Wort aus deinem Mund, ein einzig Wort
Soll uns genügen--Aber sprich! Vernichte
Die gräßliche Beschuldigung--Erkläre,
Du seist unschuldig, und wir glauben dir.
(Johanna steht unbeweglich, Agnes Sorel tritt mit Entsetzen
von ihr hinweg)
LA HIRE. Sie ist erschreckt. Erstaunen und Entsetzen
Schließt ihr den Mund.--Vor solcher gräßlichen
Anklage muß die Unschuld selbst erheben.
(Er nähert sich ihr)
Faß dich, Johanna. Fühle dich. Die Unschuld
Hat eine Sprache, einen Siegerblick,
Der die Verleumdung mächtig niederblitzt!
In edelm Zorn erhebe dich, blick auf,
Beschäme, strafe den unwürdgen Zweifel,
Der deine heilge Tugend schmäht.
(Johanna steht unbeweglich. La Hire tritt entsetzt zurück,
die Bewegung vermehrt sich)
DUNOIS. Was zagt das Volk? Was zittern selbst die Fürsten?
Sie ist unschuldig--Ich verbürge mich,
Ich selbst, für sie mit meiner Fürstenehre!
Hier werf ich meinen Ritterhandschuh hin,
Wer wagte, sie eine Schuldige zu nennen?
(Ein heftiger Donnerschlag, alle stehen entsetzt)
THIBAUT. Antworte bei dem Gott, der droben donnert!
Sprich, du seist schuldlos. Leugn es, daß der Feind
In deinem Herzen ist, und straf mich Lügen!
(Ein zweiter stärkerer Schlag, das Volk en Sieht zu allen Seiten)
BURGUND. Gott schütz uns! Welche fürchterliche Zeichen!
DU CHATEL (zum König).
Kommt! Kommt, mein König! Fliehet diesen Ort!
ERZBISCHOF (zur Johanna).
Im Namen Gottes frag ich dich. Schweigst du
Aus dem Gefühl der Unschuld oder Schuld,
Wenn dieses Donners Stimme fiir dich zeugt,
So fasse dieses Kreuz und gib ein Zeichen!
(Johanna bleibt unbeweglich. Neue heftige Donnerschläge.
Der König, Agnes Sorel, Erzbischof, Burgund, La Hire und
Du Chatel gehen ab)
VIERTER AUFZUG
Zwölfter Auftritt
Dunois. Johanna
DUNOIS. Du bist mein Weib--Ich hab an dich geglaubt
Beim ersten Blick, und also denk ich noch.
Dir glaub ich mehr als diesen Zeichen allen,
Als diesem Donner selbst, der droben spricht.
Du schweigst in edelm Zorn, verachtest es,
In deine heilge Unschuld eingehüllt,
So schändlichen Verdacht zu widerlegen.
--Veracht es, aber mir vertraue dich,
An deiner Unschuld hab ich nie gezweifelt.
Sag mir kein Wort, die Hand nur reiche mir
Zum Pfand und Zeichen, daß du meinem Arme
Getrost vertraust und deiner guten Sache.
(Er reicht ihr die Hand hin, sie wendet sich mit einer
zuckenden Bewegung von ihm hinweg; er bleibt in starrem
Entsetzen stehen)
VIERTER AUFZUG
Dreizehnter Auftritt
Johanna. Du Chatel. Dunois. Zuletzt Raimond
DU CHATEL (zurückkommend).
Johanna d'Arc! Der König will erlauben,
Daß Ihr die Stadt verlasset ungekränkt.
Die Tore stehn Euch offen. Fürchtet keine
Beleidigung. Euch schützt des Königs Frieden--
Folgt mir, Graf Dunois--Ihr habt nicht Ehre,
Hier länger zu verweilen--Welch ein Ausgang!
(Er geht. Dunois fährt aus seiner Erstarrung auf, wirft
noch einen Blick auf Johanna und geht ab. Diese steht
einen Augenblick ganz allein. Endlich erscheint Raimond,
bleibt eine Weile in der Ferne stehen, und betrachtet sie
mit stillem Schmerz. Dann tritt er auf sie zu und faßt sie
bei der Hand)
RAIMOND. Ergreift den Augenblick. Kommt! Kommt! Die Straßen
Sind leer. Gebt mir die Hand. Ich will Euch führen.
(Bei seinem Anblick gibt sie das erste Zeichen der Empfindung,
sieht ihn starr an und blickt zum Himmel, dann ergreift sie
ihn heftig bei der Hand und geht ab)
FÜNFTER AUFZUG
Ein wilder Wald, in der Ferne Köhlerhütten. Es ist ganz dunkel,
heftiges Donnern und Blitzen, dazwischen Schießen
Erster Auftritt
Köhler und Köhlerweib
KÖHLER. Das ist ein grausam, mördrisch Ungewitter,
Der Himmel droht in Feuerbächen sich
Herabzugießen, und am hellen Tag
Ists Nacht, daß man die Sterne könnte sehn.
Wie eine losgelaßne Hölle tobt
Der Sturm, die Erde bebt und krachend beugen
Die alt verjährten Eschen ihre Krone.
Und dieser fürchterliche Krieg dort oben,
Der auch die wilden Tiere Sanftmut lehrt,
Daß sie sich zahm in ihre Gruben bergen,
Kann unter Menschen keinen Frieden stiften--
Aus dem Geheul der Winde und des Sturms
Heraus hört ihr das Knallen des Geschützes;
Die beiden Heere stehen sich so nah,
Daß nur der Wald sie trennt, und jede Stunde
Kann es sich blutig fürchterlich entladen.
KÖHLERWEIB. Gott steh uns bei! Die Feinde waren ja
Schon ganz aufs Haupt geschlagen und zerstreut,
Wie kommts, daß sie aufs neu uns ängstigen?
KÖHLER. Das macht, weil sie den König nicht mehr fürchten.
Seitdem das Mädchen eine Hexe ward
Zu Reims, der böse Feind uns nicht mehr hilft,
Geht alles rückwärts.
KÖHLERWEIB. Horch! Wer naht sich da?
FÜNFTER AUFZUG
Zweiter Auftritt
Raimond und Johanna zu den Vorigen
RAIMOND. Hier seh ich Hütten. Kommt, hier finden wir
Ein Obdach vor dem wütgen Sturm. Ihr haltets
Nicht länger aus, drei Tage schon seid Ihr
Herumgeirrt, der Menschen Auge fliehend,
Und wilde Wurzeln waren Eure Speise.
(Der Sturm legt sich, es wird hell und heiter)
Es sind mitleidge Köhler. Kommt herein.
KÖHLER. Ihr scheint der Ruhe zu bedürfen. Kommt!
Was unser schlechtes Dach vermag, ist euer.
KÖHLERWEIB. Was will die zarte Jungfrau unter Waffen?
Doch freilich! Jetzt ist eine schwere Zeit,
Wo auch das Weib sich in den Panzer steckt!
Die Königin selbst, Frau Isabeau, sagt man,
Läßt sich gewaffnet sehn in Feindes Lager,
Und eine Jungfrau, eines Schäfers Dirn,
Hat für den König unsern Herrn gefochten.
KÖHLER. Was redet Ihr? Geht in die Hütte, bringt
Der Jungfrau einen Becher zur Erquickung.
(Köhlerweib geht nach der Hütte)
RAIMOND (zur Johanna).
Ihr seht, es sind nicht alle Menschen grausam,
Auch in der Wildnis wohnen sanfte Herzen.
Erheitert Euch! Der Sturm hat ausgetobt,
Und friedlich strahlend geht die Sonne nieder.
KÖHLER. Ich denk, ihr wollt zu unsers Königs Heer,
Weil ihr in Waffen reiset--Seht euch vor!
Die Engelländer stehen nah gelagert,
Und ihre Scharen streifen durch den Wald.
RAIMOND. Weh uns! Wie ist da zu entkommen?
KÖHLER. Bleibt,
Bis daß mein Bub zurück ist aus der Stadt.
Der soll euch auf verborgnen Pfaden führen,
Daß ihr nichts zu befürchten habt. Wir kennen
Die Schliche.
RAIMOND (zur Johanna). Legt den Helm ab und die Rüstung,
Sie macht Euch kenntlich und beschützt Euch nicht.
(Johanna schüttelt den Kopf)
KÖHLER. Die Jungfrau ist sehr traurig--Still! Wer kommt da?
FÜNFTER AUFZUG
Dritter Auftritt
Vorige. Köhlerweib kommt aus der Hütte mit einem Becher. Köhlerbub
KÖHLERWEIB. Es ist der Bub, den wir zurückerwarten.
(Zur Johanna) Trinkt, edle Jungfrau! Mögs Euch Gott gesegnen!
KÖHLER (zu seinem Sohn). Kommst du, Anet? Was bringst du?
KÖHLERBUB (hat die Jungfrau ins Auge gefaßt, welche eben den
Becher an den Mund setzt; er erkennet sie, tritt auf sie zu
und reißt ihr den Becher vom Munde). Mutter! Mutter!
Was macht Ihr? Wen bewirtet Ihr? Das ist die Hexe
Von Orleans!
KÖHLER und KÖHLERWEIB. Gott sei uns gnädig! (Bekreuzen sich und
entfliehen)
FÜNFTER AUFZUG
Vierter Auftritt
Raimond. Johanna
JOHANNA (gefaßt und sanft).
Du siehst, mir folgt der Fluch, und alles flieht mich,
Sorg für dich selber und verlaß mich auch.
RAIMOND. Ich Euch verlassen! Jetzt! Und wer soll Euer
Begleiter sein?
JOHANNA. Ich bin nicht unbegleitet.
Du hast den Donner über mir gehört.
Mein Schicksal führt mich. Sorge nicht, ich werde
Ans Ziel gelangen, ohne daß ichs suche.
RAIMOND. Wo wollt Ihr hin? Hier stehn die Engelländer,
Die Euch die grimmig blutge Rache schwuren
Dort stehn die Unsern, die Euch ausgestoßen,
Verbannt--
JOHANNA. Mich wird nichts treffen, als was sein muß.
RAIMOND. Wer soll Euch Nahrung suchen? Wer Euch schützen
Vor wilden Tieren und noch wildern Menschen?
Euch pflegen, wenn Ihr krank und elend werdet?
JOHANNA. Ich kenne alle Kräuter, alle Wurzeln,
Von meinen Schafen lernt ich das Gesunde
Vom Giftgen unterscheiden--ich verstehe
Den Lauf der Sterne und der Wolken Zug
Und die verborgnen Quellen hör ich rauschen.
Der Mensch braucht wenig und an Leben reich
Ist die Natur.
RAIMOND (faßt sie bei der Hand).
Wollt Ihr nicht in Euch gehn,
Euch nicht mit Gott versöhnen--in den Schoß
Der heilgen Kirche reuend wiederkehren,
JOHANNA. Auch du hältst mich der schweren Sünde schuldig?
RAIMOND. Muß ich nicht, Euer schweigendes Geständnis--
JOHANNA. Du, der mir in das Elend nachgefolgt,
Das einzge Wesen, das mir treu geblieben,
Sich an mich kettet, da mich alle Welt
Ausstieß, du hältst mich auch für die Verworfne,
Die ihrem Gott entsagt--
(Raimond schweigt) O das ist hart!
RAIMOND (erstaunt). Ihr wäret wirklich keine Zauberin?
JOHANNA. Ich eine Zauberin!
RAIMOND. Und diese Wunder,
Ihr hättet sie vollbracht mit Gottes Kraft
Und seiner Heiligen?
JOHANNA. Mit welcher sonst!
RAIMOND. Und Ihr verstummtet auf die gräßliche
Beschuldigung?--Ihr redet jetzt, und vor dem König,
Wo es zu reden galt, verstummtet Ihr!
JOHANNA. Ich unterwarf mich schweigend dem Geschick,
Das Gott, mein Meister, über mich verhängte.
RAIMOND. Ihr konntet Eurem Vater nichts erwidern!
JOHANNA. Weil es vom Vater kam, so kams von Gott,
Und väterlich wird auch die Prüfung sein.
RAIMOND. Der Himmel selbst bezeugte Eure Schuld!
JOHANNA. Der Himmel sprach, drum schwieg ich.
RAIMOND. Wie? Ihr konntet
Mit einem Wort Euch reinigen, und ließt
Die Welt in diesem unglückselgen Irrtum?
JOHANNA. Es war kein Irrtum, eine Schickung wars.
RAIMOND. Ihr littet alle diese Schmach unschuldig,
Und keine Klage kam von Euren Lippen!
--Ich staune über Euch, ich steh erschüttert,
Im tiefsten Busen kehrt sich mir das Herz!
O gerne nehm ich Euer Wort für Wahrheit,
Denn schwer ward mirs, an Eure Schuld zu glauben.
Doch könnt ich träumen, daß ein menschlich Herz
Das Ungeheure schweigend würde tragen!
JOHANNA. Verdient ichs, die Gesendete zu sein,
Wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte!
Und ich bin nicht so elend, als du glaubst.
Ich leide Mangel, doch das ist kein Unglück
Für meinen Stand, ich bin verbannt und flüchtig,
Doch in der Öde lernt ich mich erkennen.
Da, als der Ehre Schimmer mich umgab,
Da war der Streit in meiner Brust, ich war
Die Unglückseligste, da ich der Welt
Am meisten zu beneiden schien--Jetzt bin ich
Geheilt, und dieser Sturm in der Natur,
Der ihr das Ende drohte, war mein Freund,
Er hat die Welt gereinigt und auch mich.
In mir ist Friede--Komme, was da will,
Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt!
RAIMOND. O kommt, kommt, laßt uns eilen, Eure Unschuld
Laut, laut vor aller Welt zu offenbaren!
JOHANNA. Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen!
Nur wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht!
Ein Tag wird kommen, der mich reiniget.
Und die mich jetzt verworfen und verdammt,
Sie werden ihres Wahnes inne werden,
Und Tränen werden meinem Schicksal fließen.
RAIMOND. Ich sollte schweigend dulden, bis der Zufall--
JOHANNA (ihn sanft bei der Hand fassend).
Du siehst nur das Natürliche der Dinge,
Denn deinen Blick umhüllt das irdsche Band.
Ich habe das Unsterbliche mit Augen
Gesehen--ohne Götter fällt kein Haar
Vom Haupt des Menschen--Siehst du dort die Sonne
Am Himmel niedergehen--So gewiß
Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,
So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!
FÜNFTER AUFZUG
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Königin Isabeau mit Soldaten erscheint im Hintergrund
ISABEAU (noch hinter der Szene).
Dies ist der Weg ins engelländsche Lager!
RAIMOND. Weh uns! die Feinde!
(Soldaten treten auf, bemerken im Hervorkommen die Johanna,
und taumeln erschrocken zurück)
ISABEAU. Nun! was hält der Zug!
SOLDATEN. Gott steh uns bei!
ISABEAU. Erschreckt euch ein Gespenst!
Seid ihr Soldaten? Memmen seid ihr!--Wie,
(Sie drängt sich durch die andern, tritt hervor und fährt
zurück, wie sie die Jungfrau erblickt) Was seh ich! Ha!
(Schnell faßt sie sich und tritt ihr entgegen) Ergib dich!
Du bist meine
Gefangene.
JOHANNA. Ich bins.
(Raimond entflieht mit Zeichen der Verzweiflung)
ISABEAU (zu den Soldaten). Legt sie in Ketten!
(Die Soldaten nahen sich der Jungfrau schüchtern, sie reicht
den Arm hin und wird gefesselt)
Ist das die Mächtige, Gefürchtete,
Die eure Scharen wie die Lämmer scheuchte,
Die jetzt sich selber nicht beschützen kann?
Tut sie nur Wunder, wo man Glauben hat,
Und wird zum Weib, wenn ihr ein Mann begegnet?
(Zur Jungfrau) Warum verließest du dein Heer? Wo bleibt
Graf Dunois, dein Ritter und Beschützer?
JOHANNA. Ich bin verbannt.
ISABEAU (erstaunt zurücktretend).
Was? Wie? Du bist verbannt?
Verbannt vom Dauphin!
JOHANNA. Frage nicht! Ich bin
In deiner Macht, bestimme mein Geschick.
ISABEAU. Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet,
Die Krone ihm hast aufgesetzt zu Reims,
Zum König über Frankreich ihn gemacht?
Verbannt! Daran erkenn ich meinen Sohn!
--Führt sie ins Lager. Zeiget der Armee
Das Furchtgespenst, vor dem sie so gezittert!
Sie eine Zauberin! Ihr ganzer Zauber
Ist euer Wahn und euer feiges Herz!
Eine Närrin ist sie, die für ihren König
Sich opferte, und jetzt den Königslohn
Dafür empfängt--Bringt sie zu Lionel--
Das Glück der Franken send ich ihm gebunden,
Gleich folg ich selbst.
JOHANNA. Zu Lionel! Ermorde mich
Gleich hier, eh du zu Lionel mich sendest.
ISABEAU (zu den Soldaten).
Gehorchet dem Befehle. Fort mit ihr! (Geht ab)
FÜNFTER AUFZUG
Sechster Auftritt
Johanna. Soldaten
JOHANNA (zu den Soldaten).
Engländer, duldet nicht, daß ich lebendig
Aus eurer Hand entkomme! Rächet euch!
Zieht eure Schwerter, taucht sie mir ins Herz,
Reißt mich entseelt zu eures Feldherrn Füßen!
Denkt, daß ichs war, die eure Trefflichsten
Getötet, die kein Mitleid mit euch trug,
Die ganze Ströme engelländschen Bluts
Vergossen, euren tapfern Heldensöhnen
Den Tag der frohen Wiederkehr geraubt!
Nehmt eine blutge Rache! Tötet mich!
Ihr habt mich jetzt, nicht immer möchtet ihr
So schwach mich sehn--
ANFÜHRER DER SOLDATEN. Tut, was die Königin befahl!
JOHANNA Sollt ich
Noch unglückselger werden als ich war!
Furchtbare Heilge! deine Hand ist schwer!
Hast du mich ganz aus deiner Huld verstoßen?
Kein Gott erscheint, kein Engel zeigt sich mehr,
Die Wunder ruhn, der Himmel ist verschlossen.
(Sie folgt den Soldaten)
FÜNFTER AUFZUG
Das französische Lager
Siebenter Auftritt
Dunois zwischen dein Erzbischof und Du Chatel
ERZBISCHOF. Bezwinget Euern finstern Unmut, Prinz!
Kommt mit uns! Kehrt zurück zu Euerm König!
Verlasset nicht die allgemeine Sache
In diesem Augenblick, da wir aufs neu
Bedränget, Eures Heldenarms bedürfen.
DUNOIS. Warum sind wir bedrängt? Warum erhebt
Der Feind sich wieder? Alles war getan,
Frankreich war siegend und der Krieg geendigt.
Die Retterin habt ihr verbannt, nun rettet
Euch selbst! Ich aber will das Lager
Nicht wieder sehen, wo sie nicht mehr ist.
DU CHATEL. Nehmt bessern Rat an, Prinz. Entlaßt uns nicht
Mit einer solchen Antwort!
DUNOIS. Schweigt, Du Chatel! Ich hasse Euch,
von Euch will ich nichts hören.
Ihr seid es, der zuerst an ihr gezweifelt.
ERZBISCHOF. Wer ward nicht irr an ihr und hätte nicht
Gewankt an diesem unglückselgen Tage,
Da alle Zeichen gegen sie bewiesen!
Wir waren überrascht, betäubt, der Schlag
Traf zu erschütternd unser Herz--Wer konnte
In dieser Schreckensstunde prüfend wägen?
Jetzt kehrt uns die Besonnenheit zurück,
Wir sehn sie, wie sie unter uns gewandelt,
Und keinen Tadel finden wir an ihr.
Wir sind verwirrt--wir fürchten schweres Unrecht
Getan zu haben.--Reue fühlt der König,
Der Herzog klagt sich an, La Hire ist trostlos,
Und jedes Herz hüllt sich in Trauer ein.
DUNOIS. Sie eine Lügnerin! Wenn sich die Wahrheit
Verkörpern will in sichtbarer Gestalt,
So muß sie ihre Züge an sich tragen!
Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit
Auf Erden irgend wohnt--auf ihren Lippen,
In ihren klaren Augen muß sie wohnen!
ERZBISCHOF. Der Himmel schlage durch ein Wunder sich
Ins Mittel, und erleuchte dies Geheimnis,
Das unser sterblich Auge nicht durchdringt--
Doch wie sichs auch entwirren mag und lösen,
Eins von den beiden haben wir verschuldet!
Wir haben uns mit höllischen Zauberwaffen
Verteidigt oder eine Heilige verbannt!
Und beides ruft des Himmels Zorn und Strafen
Herab auf dieses unglückselge Land!
FÜNFTER AUFZUG
Achter Auftritt
Ein Edelmann zu den Vorigen, hernach Raimond
EDELMANN. Ein junger Schäfer fragt nach deiner Hoheit,
Er fodert dringend, mit dir selbst zu reden,
Er komme, sagt er, von der Jungfrau--
DUNOIS. Eile!
Bring ihn herein! Er kommt von ihr!
(Edelmann öffnet dem Raimond die Türe, Dunois eilt ihm entgegen)
Wo ist sie?
Wo ist die Jungfrau?
RAIMOND. Heil Euch, edler Prinz,
Und Heil mir, daß ich diesen frommen Bischof,
Den heilgen Mann, den Schirm der Unterdrückten,
Den Vater der Verlaßnen bei Euch finde!
DUNOIS. Wo ist die Jungfrau?
ERZBISCHOF. Sag es uns, mein Sohn!
RAIMOND. Herr, sie ist keine schwarze Zauberin!
Bei Gott und allen Heiligen bezeug ichs.
Im Irrtum ist das Volk. Ihr habt die Unschuld
Verbannt, die Gottgesendete verstoßen!
DUNOIS. Wo ist sie? Sage!
RAIMOND. Ihr Gefährte war ich
Auf ihrer Flucht in dem Ardennerwald,
Mir hat sie dort ihr Innerstes gebeichtet.
In Martern will ich sterben, meine Seele
Hab keinen Anteil an dem ewgen Heil,
Wenn sie nicht rein ist, Herr, von aller Schuld!
DUNOIS. Die Sonne selbst am Himmel ist nicht reiner!
Wo ist sie, sprich!
RAIMOND. O wenn Euch Gott das Herz
Gewendet hat--So eilt! So rettet sie!
Sie ist gefangen bei den Engelländern.
DUNOIS. Gefangen! Was!
ERZBISCHOF. Die Unglückselige!
RAIMOND. In den Ardennen, wo wir Obdach suchten,
Ward sie ergriffen von der Königin,
Und in der Engelländer Hand geliefert.
O rettet sie, die euch gerettet hat,
Von einem grausenvollen Tode!