DUNOIS. Zu den Waffen! Auf! Schlagt Lärmen! Rührt die Trommeln!
Führt alle Völker ins Gefecht! Ganz Frankreich
Bewaffne sich! Die Ehre ist verpfändet
Die Krone, das Palladium entwendet,
Setzt alles Blut! setzt euer Leben ein!
Frei muß sie sein, noch eh der Tag sich endet! (Gehen ab)
FÜNFTER AUFZUG
Ein Wachturm, oben eine Öffnung
Neunter Auftritt
Johanna und Lionel. Fastolf. Isabeau
FASTOLF (eilig hereintretend). Das Volk ist länger nicht
zu bändigen.
Sie fodern wütend, daß die Jungfrau sterbe.
Ihr widersteht vergebens. Tötet sie,
Und werft ihr Haupt von dieses Turmes Zinnen,
Ihr fließend Blut allein versöhnt das Heer.
ISABEAU (kommt). Sie setzen Leitern an, sie laufen Sturm!
Befriediget das Volk. Wollt Ihr erwarten,
Bis sie den ganzen Turm in blinder Wut
Umkehren und wir alle mit verderben?
Ihr könnt sie nicht beschützen, gebt sie hin.
LIONEL. Laßt sie anstürmen! Laßt sie wütend toben!
Dies Schloß ist fest, und unter seinen Trümmern
Begrab ich mich, eh mich ihr Wille zwingt.
--Antworte mir, Johanna! Sei die Meine,
Und gegen eine Welt beschütz ich dich.
ISABEAU. Seid Ihr ein Mann?
LIONEL. Verstoßen haben dich
Die Deinen, aller Pflichten bist du ledig
Für dein unwürdig Vaterland. Die Feigen,
Die um dich warben, sie verließen dich,
Sie wagten nicht den Kampf um deine Ehre.
Ich aber, gegen mein Volk und das deine
Behaupt ich dich.--Einst ließest du mich glauben,
Daß dir mein Leben teuer sei! Und damals
Stand ich im Kampf als Feind dir gegenüber,
Jetzt hast du keinen Freund als mich!
JOHANNA. Du bist
Der Feind mir, der verhaßte, meines Volks.
Nichts kann gemein sein zwischen dir und mir.
Nicht lieben kann ich dich, doch wenn dein Herz
Sich zu mir neigt, so laß es Segen bringen
Für unsre Völker.--Führe deine Heere
Hinweg von meines Vaterlandes Boden,
Die Schlüssel aller Städte gib heraus,
Die ihr bezwungen, allen Raub vergüte,
Gib die Gefangnen ledig, sende Geiseln
Des heiligen Vertrags, so biet ich dir
Den Frieden an in meines Königs Namen.
ISABEAU. Willst du in Banden uns Gesetze geben?
JOHANNA. Tu es bei Zeiten, denn du mußt es doch.
Frankreich wird nimmer Englands Fesseln tragen.
Nie, nie wird das geschehen! Eher wird es
Ein weites Grab für eure Heere sein.
Gefallen sind euch eure Besten, denkt
Auf eine sichre Rückkehr, euer Ruhm
Ist doch verloren, eure Macht ist hin.
ISABEAU. Könnt Ihr den Trotz der Rasenden ertragen?
FÜNFTER AUFZUG
Zehnter Auftritt
Die Vorigen. Ein Hauptmann kommt eilig
HAUPTMANN--Eilt, Feldherr, eilt, das Heer zur Schlacht zu stellen,
Die Franken rücken an mit fliegenden Fahnen,
Von ihren Waffen blitzt das ganze Tal.
JOHANNA (begeistert).
Die Franken rücken an! Jetzt, stolzes England,
Heraus ins Feld, jetzt gilt es, frisch zu fechten!
FASTOLF. Unsinnige, bezähme deine Freude!
Du wirst das Ende dieses Tags nicht sehn.
JOHANNA. Mein Volk wird siegen und ich werde sterben,
Die Tapfern brauchen meines Arms nicht mehr.
LIONEL. Ich spotte dieser Weichlinge! Wir haben
Sie vor uns her gescheucht in zwanzig Schlachten,
Eh dieses Heldenmädchen für sie stritt!
Das ganze Volk veracht ich bis auf eine,
Und diese haben sie verbannt.--Kommt, Fastolf!
Wir wollen ihnen einen zweiten Tag
Bei Crequi und Poitiers bereiten.
Ihr, Königin, bleibt in diesem Turm, bewacht
Die Jungfrau, bis das Treffen sich entschieden,
Ich laß Euch fünfzig Ritter zur Bedeckung.
FASTOLF. Was? Sollen wir dem Feind entgegengehn,
Und diese Wütende im Rücken lassen?
JOHANNA. Erschreckt dich ein gefesselt Weib?
LIONEL. Gib mir
Dein Wort, Johanna, dich nicht zu befreien!
JOHANNA. Mich zu befreien ist mein einzger Wunsch.
ISABEAU Legt ihr dreifache Fesseln an. Mein Leben
Verbürg ich, daß sie nicht entkommen soll.
(Sie wird mit schweren Ketten um den Leib und um die Arme
gefesselt)
LIONEL (zur Johanna). Du willst es so! Du zwingst uns! Noch
stehts bei dir!
Entsage Frankreich! Trage Englands Fahne,
Und du bist frei, und diese Wütenden,
Die jetzt dein Blut verlangen, dienen dir!
FASTOLF (dringend). Fort, fort, mein Feldherr!
JOHANNA. Spare deine Worte!
Die Franken rücken an, verteidge dich!
(Trompeten ertönen, Lionel eilt fort)
FASTOLF. Ihr wißt, was Ihr zu tun habt, Königin!
Erklärt das Glück sich gegen uns, seht Ihr,
Daß unsre Völker fliehen--
ISABEAU (einen Dolch ziehend). Sorget nicht!
Sie soll nicht leben, unsern Fall zu sehn.
FASTOLF (zur Johanna). Du weißt, was dich erwartet. Jetzt erflehe
Glück für die Waffen deines Volks! (Ergeht ab)
FÜNFTER AUFZUG
Eilfter Auftritt
Isabeau. Johanna. Soldaten
JOHANNA. Das will ich!
Daran soll niemand mich verhindern.--Horch!
Das ist der Kriegsmarsch meines Volks! Wie mutig
Er in das Herz mir schallt und siegverkündend!
Verderben über England! Sieg den Franken!
Auf, meine Tapfern! Auf! Die Jungfrau ist
Euch nah, sie kann nicht vor euch her wie sonst
Die Fahne tragen--schwere Bande fesseln sie,
Doch frei aus ihrem Kerker schwingt die Seele
Sich auf den Flügeln eures Kriegsgesangs.
ISABEAU (zu einem Soldaten).
Steig auf die Warte dort, die nach dem Feld
Hin sieht, und sag uns, wie die Schlacht sich wendet.
(Soldat steigt hinauf)
JOHANNA. Mut, Mut, mein Volk! Es ist der letzte Kampf!
Den einen Sieg noch, und der Feind liegt nieder.
ISABEAU. Was siehest du?
SOLDAT. Schon sind sie aneinander.
Ein Wütender auf einem Barberroß,
Im Tigerfell, sprengt vor mit den Gendarmen.
JOHANNA. Das ist Graf Dunois! Frisch, wackrer Streiter!
Der Sieg ist mit dir!
SOLDAT. Der Burgunder greift
Die Brücke an.
ISABEAU. Daß zehen Lanzen ihm
Ins falsche Herz eindrängen, dem Verräter!
SOLDAT. Lord Fastolf tut ihm mannhaft Widerstand.
Sie sitzen ab, sie kämpfen Mann für Mann,
Des Herzogs Leute und die unsrigen.
ISABEAU. Siehst du den Dauphin nicht? Erkennst du nicht
Die königlichen Zeichen?
SOLDAT. Alles ist
In Staub vermengt Ich kann nichts unterscheiden.
JOHANNA. Hätt er mein Auge oder stünd ich oben,
Das Kleinste nicht entginge meinem Blick!
Das wilde Huhn kann ich im Fluge zählen,
Den Falk erkenn ich in den höchsten Lüften.
SOLDAT. Am Graben ist ein fürchterlich Gedräng,
Die Größten, scheints, die Ersten kämpfen dort.
ISABEAU. Schwebt unsre Fahne noch?
SOLDAT. Hoch flattert sie.
JOHANNA Könnt ich nur durch der Mauer Ritze schauen,
Mit meinem Blick wollt ich die Schlacht regieren!
SOLDAT. Weh mir! Was seh ich! Unser Feldherr ist
Umzingelt!
ISABEAU (zuckt den Dolch auf Johanna). Stirb, Unglückliche!
SOLDAT (schnell). Er ist befreit.
Im Rücken faßt der tapfere Fastolf
Den Feind--er bricht in seine dichtsten Scharen.
ISABEAU (zieht den Dolch zurück).
Das sprach dein Engel!
SOLDAT. Sieg! Sieg! Sie entfliehen!
ISABEAU. Wer flieht?
SOLDAT.
Die Franken, die Burgunder fliehn,
Bedeckt mit Flüchtigen ist das Gefilde.
JOHANNA. Gott! Gott! So sehr wirst du mich nicht verlassen!
SOLDAT. Ein schwer Verwundeter wird dort geführt.
Viel Volk sprengt ihm zu Hülf, es ist ein Fürst.
ISABEAU. Der Unsern einer oder Fränkischen?
SOLDAT. Sie lösen ihm den Helm, Graf Dunois ists.
JOHANNA (greift mit krampfhafter Anstrengung in ihre Ketten).
Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!
SOLDAT. Sie! Halt! Wer trägt den himmelblauen Mantel
Verbrämt mit Gold,
JOHANNA (lebhaft). Das ist mein Herr, der König!
SOLDAT. Sein Roß wird scheu--es überschlägt sich--stürzt,
Er windet schwer arbeitend sich hervor--
(Johanna begleitet diese Worte mit leidenschaftlichen Bewegungen)
Die Unsern nahen schon in vollem Lauf--
Sie haben ihn erreicht--umringen ihn--
JOHANNA. O hat der Himmel keine Engel mehr!
ISABEAU (hohnlachend). Jetzt ist es Zeit! Jetzt, Retterin, errette!
JOHANNA (stürzt auf die Knie, mit gewaltsam heftiger Stimme betend).
Höre mich, Gott, in meiner höchsten Not,
Hinauf zu dir, in heißem Flehenswunsch,
In deine Himmel send ich meine Seele.
Du kannst die Fäden eines Spinngewebs
Stark machen wie die Taue eines Schiffs,
Leicht ist es deiner Allmacht, ehrne Bande
In dünnes Spinngewebe zu verwandeln--
Du willst und diese Ketten fallen ab,
Und diese Turmwand spaltet sich--du halfst
Dem Simson, da er blind war und gefesselt,
Und seiner stolzen Feinde bittern Spott
Erduldete.--Auf dich vertrauend faßt' er
Die Pfosten seines Kerkers mächtig an,
Und neigte sich und stürzte das Gebäude--
SOLDAT. Triumph! Triumph!
ISABEAU. Was ists?
SOLDAT. Der König ist
Gefangen!
JOHANNA (springt auf).
So sei Gott mir gnädig!
(Sie hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und
zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den
nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt
hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach)
FÜNFTER AUFZUG
Zwölfter Auftritt
Vorige ohne Johanna
ISABEAU (nach einer langen Pause).
Was war das? Träumte mir? Wo kam sie hin?
Wie brach sie diese zentnerschweren Bande?
Nicht glauben würd ichs einer ganzen Welt,
Hätt ichs nicht selbst gesehn mit meinen Augen.
SOLDAT (auf der Warte).
Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie
Hinabgeführt?
ISABEAU. Sprich, ist sie unten?
SOLDAT. Mitten
Im Kampfe schreitet sie--Ihr Lauf ist schneller
Als mein Gesicht--Jetzt ist sie hier--jetzt dort--
Ich sehe sie zugleich an vielen Orten!
--Sie teilt die Haufen--Alles weicht vor ihr,
Die Franken stehn, sie stellen sich aufs neu!
--Weh mir! Was seh ich! Unsre Völker werfen
Die Waffen von sich, unsre Fahnen sinken--
ISABEAU. Was? Will sie uns den sichern Sieg entreißen?
SOLDAT. Grad auf den König dringt sie an--Sie hat ihn
Erreicht--Sie reißt ihn mächtig aus dem Kampf.
--Lord Fastolf stürzt--Der Feldherr ist gefangen.
ISABEAU. Ich will nicht weiter hören. Komm herab.
SOLDAT. Flieht, Königin! Ihr werdet überfallen.
Gewaffnet Volk dringt an den Turm heran.
(Er steigt herunter)
ISABEAU (das Schwert ziehend). So fechtet, Memmen!
FÜNFTER AUFZUG
Dreizehnter Auftritt
Vorige. La Hire mit Soldaten kommt. Bei seinem Eintritt
streckt das Volk der Königin die Waffen
LA HIRE (naht ihr ehrerbietig). Königin, unterwerft Euch
Der Allmacht--Eure Ritter haben sich
Ergeben, aller Widerstand ist unnütz!
--Nehmt meine Dienste an. Befehlt, wohin
Ihr wollt begleitet sein.
ISABEAU. Jedweder Ort
Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne.
(Gibt ihr Schwert ab und folgt ihm mit den Soldaten)
Die Szene verwandelt sich in das Schlachtfeld
FÜNFTER AUFZUG
Vierzehnter Auftritt
Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund.
Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den
Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet,
ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts.
Agnes Sorel stürzt herein
SOREL (wirft sich an des Königs Brust).
Ihr seid befreit--Ihr lebt--Ich hab Euch wieder!
KÖNIG. Ich bin befreit--Ich bins um diesen Preis!
(Zeigt auf Johanna)
SOREL. Johanna! Gott! Sie stirbt!
BURGUND. Sie hat geendet!
Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt,
Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind!
Des Himmels Friede spielt um ihre Züge,
Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben
Ist noch zu spüren in der warmen Hand.
König. Sie ist dahin--Sie wird nicht mehr erwachen,
Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen.
Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist,
Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue.
SOREL. Sie schlägt die Augen auf, sie lebt!
BURGUND (erstaunt). Kehrt sie
Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod,
Sie richtet sich empor! Sie steht!
JOHANNA (steht ganz aufgerichtet und schaut umher).
Wo bin ich?
BURGUND. Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen!
KÖNIG. In deiner Freunde, deines Königs Armen!
JOHANNA (nachdem sie ihn lange starr angesehen).
Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß ich bins nicht.
KÖNIG. Du bist heilig wie die Engel,
Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt.
JOHANNA (sieht heiter lächelnd umher).
Und ich bin wirklich unter meinem Volk.
Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?
Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?
--Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh ich nicht--Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,
Von meinem Meister ward sie mir vertraut,
Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,
Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.
König (mit abgewandtem Gesicht). Gebt ihr die Fahne!
(Man reicht sie ihr. Sie steht ganz frei aufgerichtet,
die Fahne in der Hand--Der Himmel ist von einem rosigten
Schein beleuchtet)
JOHANNA. Seht ihr den Regenbogen in der Luft,
Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,
Im Chor der Engel steht sie glänzend da,
Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,
Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen.
Wie wird mir--Leichte Wolken heben mich--
der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.
Hinauf--hinauf--Die Erde flieht zurück--
Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!
(Die Fahne entfällt ihr, sie sinkt tot darauf nieder--
Alle stehen lange in loser Rührung--Auf einen leisen Wink
des Königs werden alle Fahnen sanft auf sie niedergelassen,
daß sie ganz davon bedeckt wird)
von Friedrich Schiller