Johann Shiller

Die Braut von Messina
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(Der Chor geht ab, den Leichnam Don Manuels auf einer Bahre tragend.)




Vierter Aufzug.

Die Säulenhalle.--Es ist Nacht; die Scene ist von oben herab durch
eine große Lampe erleuchtet.



Erster Auftritt.


Donna Isabella und Diego treten auf.

Isabella.
  Noch keine Kunde kam von meinen Söhnen,
  Ob eine Spur sich fand von der Verlornen?

Diego.
  Noch nichts, Gebieterin!--doch hoffe Alles
  Von deiner Söhne Ernst und Emsigkeit.

Isabella.
  Wie ist mein Herz geängstiget, Diego!
  Es stand bei mir, dies Unglück zu verhüten.

Diego.
  Drück' nicht des Vorwurfs Stachel in dein Herz.
  An welcher Vorsicht ließest du's ermangeln?

Isabella.
  Hätt' ich sie früher an das Licht gezogen,
  Wie mich des Herzens Stimme mächtig trieb!

Diego.
  Die Klugheit wehrte dir's, du thatest weise;
  Doch der Erfolg ruht in des Himmels Hand.

Isabella.
  Ach, so ist keine Freude rein! Mein Glück
  Wär' ein vollkommnes ohne diesen Zufall.

Diego.
  Dies Glück ist nur verzögert, nicht zerstört;
  Genieße du jetzt deiner Söhne Frieden.

Isabella.
  Ich habe sie einander Herz an Herz
  Umarmen sehn--ein nie erlebter Anblick!

Diego.
  Und nicht ein Schauspiel bloß, es ging von Herzen,
  Denn ihr Geradsinn haßt der Lüge Zwang.

Isabella.
  Ich seh' auch, daß sie zärtlicher Gefühle,
  Der schönen Neigung fähig sind; mit Wonne
  Entdeck' ich, daß sie ehren, was sie lieben.
  Der ungebundnen Freiheit wollen sie
  Entsagen, nicht dem Zügel des Gesetzes
  Entzieht sich ihre brausend wilde Jugend,
  Und sittlich selbst blieb ihre Leidenschaft.
  --Und will dir's jetzo gern gestehn, Diego,
  Daß ich mit Sorge diesem Augenblick,
  Der aufgeschloßnen Blume des Gefühls
  Mit banger Furcht entgegen sah--Die Liebe
  Wird leicht zur Wuth in heftigen Naturen.
  Wenn in den aufgehäuften Feuerzunder
  Des alten Hasses auch noch dieser Blitz,
  Der Eifersucht feindsel'ge Flamme schlug--
  Mir schaudert, es zu denken--ihr Gefühl,
  Das niemals einig war, gerade hier
  Zum erstenmal unselig sich begegnet--
  Wohl mir! Auch diese donnerschwere Wolke,
  Die über mir schwarz drohend niederhing,
  Sie führte mir ein Engel still vorüber,
  Und leicht nun athmet die befreite Brust.

Diego.
  Ja, freue deines Werkes dich. Du hast
  Mit zartem Sinn und ruhigem Verstand
  Vollendet, was der Vater nicht vermochte
  Mit aller seiner Herrscher Macht--Dein ist
  Der Ruhm; doch auch dein Glücksstern ist zu loben!

Isabella.
  Vieles gelang mir! Viel auch that das Glück!
  Nichts Kleines war es, solche Heimlichkeit
  Verhüllt zu tragen diese langen Jahre,
  Der Mann zu täuschen, den umsichtigsten
  Der Menschen, und ins Herz zurückzudrängen
  Den Trieb des Bluts, der mächtig, wie des Feuers
  Verschloßner Gott, aus seinen Banden strebte!

Diego.
  Ein Pfand ist mir des Glückes lange Gunst,
  Daß Alles sich erfreulich lösen wird.

Isabella.
  Ich will nicht eher meine Sterne loben,
  Bis ich das Ende dieser Thaten sah.
  Daß mir der böse Genius nicht schlummert,
  Erinnert warnen mich der Tochter Flucht.
  --Schilt oder lobe meine That, Diego!
  Doch dem Getreuen will ich nichts verbergen.
  Nicht tragen konnt' ich's, hier in müß'ger Ruh
  Zu harren des Erfolgs, indeß die Söhne
  Geschäftig forschen nach der Tochter Spur.
  Gehandelt hab' auch ich--Wo Menschenkunst
  Nicht zureicht, hat der Himmel oft gerathen.

Diego.
  Entdecke mir, was mir zu wissen ziemt.

Isabella.
  Einsiedelnd auf des Ätna Höhen haust
  Ein frommer Klausner, von Uralters her
  Der Greis genannt des Berges, welcher, näher
  Dem Himmel wohnend, als der andern Menschen
  Tief wandelndes Geschlecht, den ird'schen Sinn
  In leichter, reiner Ätherluft geläutert
  Und von dem Berg der aufgewälzten Jahre
  Hinabsieht in das aufgelöste Spiel
  Des unverständlich krummgewundnen Lebens.
  Nicht fremd ist ihm das Schicksal meines Hauses,
  Oft hat der heil'ge Mann für uns den Himmel
  Gefragt und manchen Fluch hinweggebetet.
  Zu ihm hinauf gesandt hab' ich alsbald
  Des raschen Boten jugendliche Kraft,
  Daß er mir Kunde von der Tochter gebe,
  Und stündlich harr' ich dessen Wiederkehr.

Diego.
  Trügt mich mein Auge nicht, Gebieterin,
  So ist's derselbe, der dort eilend naht,
  Und Lob fürwahr verdient der Emsige!



Zweiter Auftritt.


Bote. Die Vorigen.

Isabella.
  Sag' an und weder Schlimmes hehle mir
  Noch Gutes, sondern schöpfe rein die Wahrheit!
  Was gab der Greis des Bergs dir zum Bescheide?

Bote.
  Ich soll mich schnell zurückbegeben, war
  Die Antwort, die Verlorne sei gefunden.

Isabella.
  Glücksel'ger Mund, erfreulich Himmelswort,
  Stets hast du das Erwünschte mir verkündet!
  Und welchem meiner Söhne war's verliehn,
  Die Spur zu finden der Verlornen?

Bote.
  Die Tiefverborgne fand dein ältster Sohn.

Isabella.
  Don Manuel ist es, dem ich sie verdanke!
  Ach, stets war dieser mir ein Kind des Segens!
  --Hast du dem Greis auch die geweihte Kerze
  Gebracht, die zum Geschenk ich ihm gesendet,
  Sie anzuzünden seinem Heiligen?
  Denn, was von Gaben sonst der Menschen Herzen
  Erfreut, verschmäht der fromme Gottesdiener.

Bote.
  Die Kerze nahm er schweigend von mir an,
  Und zum Altar hintretend, wo die Lampe
  Dem Heil'gen brannte, zündet' er sie flugs
  Dort an, und schnell in Brand steckt' er die Hütte,
  Worin er Gott verehrt seit neunzig Jahren.

Isabella.
  Was sagst du? Welches Schreckniß nennst du mir?

Bote.
  Und dreimal Wehe! Wehe! rufend, stieg er
  Herab vom Berg; mir aber winkt' er schweigend,
  Ihm nicht zu folgen, noch zurückzuschauen.
  Und so, gejagt von Grausen, eilt' ich her!

Isabella.
  In neuer Zweifel wogende Bewegung
  Und ängstlich schwankende Verworrenheit
  Stürzt mich das Widersprechende zurück.
  Gefunden sei mir die verlorne Tochter
  Von meinem ältsten Sohn, Don Manuel?
  Die gute Rede kann mir nicht gedeihen,
  Begleitet von der unglücksel'gen That.

Bote.
  Blick' hinter dich, Gebieterin! Du siehst
  Des Klausners Wort erfüllt vor deinen Augen;
  Denn Alles müßt' mich trügen, oder dies
  Ist die verlorne Tochter, die du suchst,
  Von deiner Söhne Ritterschaar begleitet.

(Beatrice wird von dem zweiten Halbchor auf einem Tragsessel
gebracht und auf der vordern Bühne niedergesetzt. Sie ist noch
ohne Leben und Bewegung.)



Dritter Auftritt.


Isabella. Diego. Bote. Beatrice. Chor. (Bohemund, Roger, Hippolyt
und die neun andern Ritter Don Cesars.)

Chor. (Bohemund.)
  Des Herrn Geheiß erfüllend, setzen wir
  Die Jungfrau hier zu deinen Füßen nieder,
  Gebieterin--Also befahl er uns
  Zu thun und dir zu melden dieses Wort:
  Es sei dein Sohn Don Cesar, der sie sendet.

Isabella (ist mit ausgebreiteten Armen auf sie zugeeilt und tritt
mit Schrecken zurück.)
  O Himmel! Sie ist bleich und ohne Leben!

Chor. (Bohemund.)
  Sie lebt! Sie wird erwachen! Gönn' ihr Zeit,
  Von dem Erstaunlichen sich zu erholen,
  Das ihre Geister noch gebunden hält.

Isabella.
  Mein Kind! Kind meiner Schmerzen, meiner Sorgen!
  So sehen wir uns wieder! So mußt du
  Den Einzug halten in des Vaters Haus!
  O, laß an meinem Leben mich das deinige
  Anzünden! An die mütterliche Brust
  Will ich dich pressen, bis, vom Todesfrost
  Gelöst, die warmen Adern wieder schlagen! (Zum Chor.)
  O, sprich! Welch Schreckliches ist hier geschehn?
  Wo fandst du sie? Wie kam das theure Kind
  In diesen kläglich jammervollen Zustand?

Chor. (Bohemund.)
  Erfahr' es nicht von mir, mein Mund ist stumm.
  Dein Sohn Don Cesar wird dir Alles deutlich
  Verkündigen, denn er ist's, der sie sendet.

Isabella.
  Mein Sohn Don Manuel, so willst du sagen?

Chor. (Bohemund.)
  Dein Sohn Don Cesar sendet sie dir zu.

Isabella (zu dem Boten).
  War's nicht Don Manuel, den der Seher nannte?

Bote.
  So ist es, Herrin, das war seine Rede.

Isabella.
  Welcher es sei, er hat mein Herz erfreut;
  Die Tochter dank' ich ihm, er sei gesegnet!
  O, muß ein neid'scher Dämon mir die Wonne
  Des heiß erflehten Augenblicks verbittern!
  Ankämpfen muß ich gegen mein Entzücken!
  Die Tochter seh' ich in des Vaters Haus,
  Sie aber sieht nicht mich, vernimmt mich nicht,
  Sie kann der Mutter Freude nicht erwiedern.
  O, öffnet euch, ihr lieben Augenlichter!
  Erwärmet euch, ihr Hände! Hebe dich,
  Lebloser Busen, und schlage der Lust!
  Diego! Das ist meine Tochter--Das
  Die Langverborgne, die Gerettete,
  Vor aller Welt kann ich sie jetzt erkennen!

Chor. (Bohemund.)
  Ein seltsam neues Schreckniß glaub' ich ahnend
  Vor mir zu sehn und stehe wundernd, wie
  Das Irrsal sich entwirren soll und lösen.

Isabella (zum Chor, der Bestürzung und Verlegenheit ausdrückt).
  O, seid ihr undurchdringlich harte Herzen!
  Vom ehrnen Harnisch eurer Brust, gleichwie
  Von einem schroffen Meeresfelsen, schlägt
  Die Freude meines Herzens mir zurück!
  Umsonst in diesem ganzen Kreis umher
  Späh' ich nach einem Auge, das empfindet.
  Wo weilen meine Söhne, daß ich Antheil
  In einem Auge lese; denn mir ist,
  Als ob der Wüste unmitleid'ge Schaaren,
  Des Meeres Ungeheuer mich umständen!

Diego.
  Sie schlägt die Augen auf! Sie regt sich, lebt!

Isabella.
  Sie lebt! Ihr erster Blick sei auf die Mutter!

Diego.
  Das Auge schließt sie schaudernd wieder zu.

Isabella (zum Chor).
  Weichet zurück! Sie schreckt der fremde Anblick!

Chor (tritt zurück). (Bohemund.)
  Gern meid' ich's, ihrem Blicke zu begegnen.

Diego.
  Mit großen Augen mißt sie staunend dich.

Beatrice.
  Wo bin ich? Diese Züge sollt' ich kennen.

Isabella.
  Langsam kehrt die Besinnung ihr zurück.

Diego.
  Was macht sie? Auf die Kniee senkt sie sich.

Beatrice.
  Ich, schönes Engelsantlitz meiner Mutter!

Isabella.
  Kind meines Herzens! Komm in meine Arme!

Beatrice.
  Zu deinen Füßen sieh die Schuldige.

Isabella.
  Ich habe dich wieder! Alles sei vergessen!

Diego.
  Betracht' auch mich! Erkennst du meine Züge?

Beatrice.
  Des redlichen Diego greises Haupt!

Isabella.
  Der treue Wächter deiner Kinderjahre.

Beatrice.
  So bin ich wieder in dem Schooß der Meinen?

Isabella.
  Und nichts soll uns mehr scheiden, als der Tod.

Beatrice.
  Du willst mich nicht mehr in die Fremde stoßen?

Isabella.
  Nichts trennt uns mehr, das Schicksal ist befriedigt.

Beatrice (sinkt an ihre Brust).
  Und find' ich wirklich mich an deinem Herzen?
  Und Alles war ein Traum, was ich erlebt?
  Ein schwerer, fürchterlicher Traum--O Mutter!
  Ich sah ihn todt zu meinen Füßen fallen!
  --Wie komm' ich aber hieher? Ich besinne
  Mich nicht--Ach, wohl mir, wohl, daß ich gerettet
  In deinen Armen bin! Sie wollten mich
  Zur Fürstin Mutter von Messina bringen.
  Eher ins Grab!

Isabella.
                 Komm zu dir, meine Tochter!
  Messinas Fürstin--

  Beatrice.
                    Nenne sie nicht mehr!
  Mir gießt sich bei dem unglücksel'gen Namen
  Ein Frost des Todes durch die Glieder.

Isabella.
                                        Höre mich.

Beatrice.
  Sie hat zwei Söhne, die sich tödtlich hassen;
  Don Manuel, Don Cesar nennt man sie.

Isabella.
  Ich bin's ja selbst! Erkenne deine Mutter!

Beatrice.
  Was sagst du? Welches Wort hast du geredet?

Isabella.
  Ich, deine Mutter, bin Messinas Fürstin.

Beatrice.
  Du bist Don Manuels Mutter und Don Cesars?

Isabella.
  Und deine Mutter! Deine Brüder nennst du!

Beatrice.
  Weh, weh mir! O, entsetzensvolles Licht!

Isabella.
  Was ist dir? Was erschüttert dich so seltsam?

Beatrice (wild um sich her schauend, erblickt den Chor).
  Das sind sie, ja! Jetzt, jetzt erkenn' ich sie.
  Mich hat kein Traum getäuscht--Die sind's, Die waren
  Zugegen--Es ist fürchterliche Wahrheit!
  Unglückliche, wo habt ihr ihn verborgen?

(Sie geht mit heftigem Schritt auf den Chor zu, der sich von ihr
abwendet. Ein Trauermarsch läßt sich in der Ferne hören.)

Chor.
  Weh! Wehe!

Isabella.
             Wen verborgen? Was ist wahr?
  Ihr schweigt bestürzt--Ihr scheint sie zu verstehn.
  Ich les' in euren Augen, eurer Stimme
  Gebrochnen Tönen etwas Unglücksel'ges,
  Das mir zurückgehalten wird--Was ist's?
  Ich will es wissen. Warum heftet ihr
  So schreckensvolle Blicke nach der Thüre?
  Und was für Töne hör' ich da erschallen?

Chor. (Bohemund.)
  Es naht sich! Es wird sich mit Schrecken klären.
  Sei stark, Gebieterin, stähle dein Herz!
  Mit Fassung ertrage, was dich erwartet,
  Mit männlicher Seele den tödtlichen Schmerz!

Isabella.
  Was naht sich? Was erwartet mich?--Ich höre
  Der Todtenklage fürchterlichen Ton
  Das Haus durchdringen--Wo sind meine Söhne?

(Der erste Halbchor bringt den Leichnam Don Manuels auf einer
Bahre getragen, die er auf der leer gelassenen Seite der Scene
niedersetzt. Ein schwarzes Tuch ist darüber gebreitet.)



Vierter Auftritt.


Isabella. Beatrice. Diego. Beide Chöre.

Erster Chor. (Cajetan.)
  Durch die Straßen der Städte,
  Vom Jammer gefolget,
  Schreitet das Unglück--
  Lauernd umschleicht es
  Die Häuser der Menschen,
  Heute an dieser
  Pforte pocht es,
  Morgen an jener,
  Aber noch keinen hat es verschont.
  Die unerwünschte
  Schmerzliche Botschaft,
  Früher oder später,
  Bestellt es an jeder
  Schwelle, wo ein Lebendiger wohnt.

(Berengar.)
  Wenn die Blätter fallen
  In des Jahres Kreise,
  Wenn zum Grabe wallen
  Entnervte Greise,
  Da gehorcht die Natur
  Ruhig nur
  Ihrem alten Gesetze,
  Ihrem ewigen Brauch,
  Da ist nichts, was den Menschen entsetze!

  Aber das Ungeheure auch
  Lerne erwarten im irdischen Leben!
  Mit gewaltsamer Hand
  Löst der Mord auch das heiligste Band,
  In sein stygisches Boot
  Raffet der Tod
  Auch der Jugend blühendes Leben!

(Cajetan.)
  Wenn die Wolken gethürmt den Himmel schwärzen,
  Wenn dumpftosend der Donner hallt,
  Da, da fühlen sich alle Herzen
  In des furchtbaren Schicksals Gewalt.
  Aber auch aus entwölkter Höhe
  Kann der zündende Donner schlagen
  Darum in deinen fröhlichen Tagen
  Fürchte des Unglücks tückische Nähe!
  Nicht an die Güter hänge dein Herz,
  Die das Leben vergänglich zieren!
  Wer besitzt, der lerne verlieren,
  Wer im Glück ist, der lerne den Schmerz.

Isabella.
  Was soll ich hören? Was verhüllt dies Tuch?
(Sie macht einen Schritt gegen die Bahre, bleibt aber unschlüssig
zaudernd stehen.)
  Es zieht mich grausend hin und zieht mich schaudernd
  Mit dunkler, kalter Schreckenshand zurück.
(Zu Beatrice, welche sich zwischen sie und die Bahre geworfen.)
  Laß mich! Was es auch sei, ich will's enthüllen!
(Sie hebt das Tuch auf und entdeckt Don Manuels Leichnam.)
  O himmlische Mächte, es ist mein Sohn!

(Sie bleibt mit starrem Entsetzen stehen--Beatrice sinkt mit einem
Schrei des Schmerzens neben der Bahre nieder.)

Chor. (Cajetan, Berengar, Manfred.)
  Unglückliche Mutter! Es ist dein Sohn!
  Du hast es gesprochen, das Wort des Jammers,
  Nicht meinen Lippen ist es entflohn.

Isabella.
  Mein Sohn! Mein Manuel!--O, ewige
  Erbarmung--So muß ich dich wieder finden!
  Mit deinem Leben mußtest du die Schwester
  Erkaufen aus des Räubers Hand!--Wo war
  Dein Bruder, daß sein Arm dich nicht beschützte?
  --O, Fluch der Hand, die diese Wunde grub!
  Fluch ihr, die den Verderblichen geboren,
  Der mir den Sohn erschlug! Fluch seinem ganzen
  Geschlecht!

Chor.
              Wehe! Wehe! Wehe! Wehe!

Isabella.
  So haltet ihr mir Wort, ihr Himmelsmächte?
  Das, das ist eure Wahrheit? Wehe Dem,
  Der euch vertraut mit redlichem Gemüth!
  Worauf hab' ich gehofft, wovor gezittert,
  Wenn dies der Ausgang ist!--O, die ihr hier
  Mich schreckenvoll umsteht, an meinem Schmerz
  Die Blicke weidend, lernt die Lügen kennen,
  Womit die Träume uns, die Seher täuschen!
  Glaube noch einer an der Götter Mund!
  --Als ich mich Mutter fühlte dieser Tochter,
  Da träumte ihrem Vater eines Tages,
  Er säh' aus seinem hochzeitlichen Bette
  Zwei Lorbeerbäume wachsen--Zwischen ihnen
  Wuchs eine Lilie empor; sie ward
  Zur Flamme, die der Bäume dicht Gezweig ergriff
  Und, um sich wüthend, schnell das ganze Haus
  In ungeheurer Feuersfluth verschlang.
  Erschreckt von diesem seltsamen Gesichte,
  Befrug der Vater einen Vogelschauer
  Und schwarzen Magier um die Bedeutung.
  Der Magier erklärte: wenn mein Schooß
  Von einer Tochter sich entbinden würde,
  So würde sie die beiden Söhne ihm
  Ermorden und vertilgen seinen Stamm!

Chor. (Cajetan und Bohemund.)
  Gebieterin, was sagst du? Wehe! Wehe!

Isabella.
  Darum befahlt der Vater, sie zu tödten;
  Doch ich entrückte sie dem Jammerschicksal.
  --Die arme Unglückselige! Verstoßen
  Ward sie als Kind aus ihrer Mutter Schooß,
  Daß sie, erwachsen, nicht die Brüder morde!
  Und jetzt durch Räubershände fällt der Bruder,
  Nicht die Unschuldige hat ihn getödtet!

Chor.
  Wehe! Wehe! Wehe! Wehe!

Isabella.
                         Keinen Glauben
  Verdiente mir des Götzendieners Spruch,
  Ein beßres Hoffen stärkte meine Seele.
  Denn mir verkündigte ein andrer Mund,
  Den ich für wahrhaft hielt, von dieser Tochter:
  "In heißer Liebe würde sie dereinst
  "Der Söhne Herzen mir vereinigen."
  --So widersprachen die Orakel sich,
  Den Fluch zugleich und Segen auf das Haupt
  Der Tochter legend--Nicht den Fluch hat sie
  Verschuldet, die Unglückliche! Nicht Zeit
  Ward ihr gegönnt, den Segen zu vollziehen.
  Ein Mund hat, wie der andere, gelogen!
  Die Kunst der Seher ist ein eitles Nichts,
  Betrüger sind sie oder sind betrogen.
  Nichts Wahres läßt sich von der Zukunft wissen,
  Du schöpfest drunten an der Hölle Flüssen,
  Du schöpfest droben an dem Quell des Lichts.

Erster Chor. (Cajetan.)
  Wehe! Wehe! Was sagst du? Halt ein, halt ein!
  Bezähme der Zunge verwegenes Toben!
  Die Orakel sehen und treffen ein,
  Der Ausgang wird die Wahrhaftigen loben!

Isabella.
  Nicht zähmen will ich meine Zunge, laut,
  Wie mir das Herz gebietet, will ich reden.
  Warum besuchen wir die heil'gen Häuser
  Und heben zu dem Himmel fromme Hände?
  Gutmüth'ge Thoren, was gewinnen wir
  Mit unserm Glauben? So unmöglich ist's,
  Die Götter, die hochwohnenden, zu treffen,
  Als in den Mond mit einem Pfeil zu schießen.
  Vermauert ist dem Sterblichen die Zukunft,
  Und kein Gebet durchbohrt den ehrnen Himmel.
  Ob rechts die Vögel fliegen oder links,
  Die Sterns so sich oder anders fügen,
  Nicht Sinn ist in dem Buche der Natur,
  Die Traumkunst träumt, und alle Zeichen trügen.

Zweiter Chor. (Bohemund.)
  Halt ein, Unglückliche! Wehe! Wehe!
  Du leugnest der Sonne leuchtendes Licht
  Mit blinden Augen! Die Götter leben,
  Erkenne sie, die dich furchtbar umgeben!
(Alle Ritter.)
  Die Götter leben, die Götter leben,
  Erkenne sie, die dich furchtbar umgeben!

Beatrice.
  O Mutter! Mutter! Warum hast du mich
  Gerettet! Warum warfst du mich nicht hin
  Dem Fluch, der, eh' ich war, mich schon verfolgte?
  Blödsicht'ge Mutter! Warum dünktest du
  Dich weiser, als die Alles Schauenden,
  Die Nah' und Fernes an einander knüpfen
  Und in der Zukunft späte Saaten sehn?
  Dir selbst und mir, uns allen zum Verderben
  Hast du den Todesgöttern ihren Raub,
  Den sie gefordert, frevelnd vorenthalten!
  Jetzt nehmen sie ihn zweifach, dreifach selbst.
  Nicht dank' ich dir das traurige Geschenk,
  Dem Schmerz, dem Jammer hast du mich erhalten!

Erster Chor (Cajetan.) (in heftiger Bewegung nach der Thüre sehend).
  Brechet auf, ihr Wunden,
  Fließet, fließet!
  In schwarzen Güssen
  Stürzet hervor, ihr Bäche des Bluts!

(Berengar.)
  Eherner Füße
  Rauschen vernehm' ich,
  Höllischer Schlangen
  Zischendes Tönen,
  Ich erkenne der Furien Schritt!

(Cajetan.)
  Stürzet ein, ihr Wände!
  Versink, o Schwelle,
  Unter der schrecklichen Füße Tritt!
  Schwarze Dämpfe, entsteiget, entsteiget
  Qualmend dem Abgrund! Verschlinget des Tages
  Lieblichen Schein!
  Schützende Götter des Hauses, entweichet!
  Lasst die rächenden Göttinnen ein!



Fünfter Auftritt.


Don Cesar. Isabella. Beatrice. Der Chor.

Beim Eintritt des Don Cesar zertheilt sich der Chor in fliehender
Bewegung vor ihm; er bleibt allein in der Mitte der Scene stehen.

Beatrice.
  Weh mir, er ist's!

Isabella (tritt ihm entgegen).
                     O mein Sohn Cesar! Muß ich so
  Dich wiedersehen--O, blick her und sieh
  Den Frevel einer gottverfluchten Hand!
(Führt ihn zu dem Leichnam.)

Don Cesar (tritt mit Entsetzen zurück, das Gesicht verhüllend).

Erster Chor. (Cajetan, Berengar.)
  Brechet auf, ihr Wunden!
  Fließet, fließet!
  In schwarzen Güssen
  Strömet hervor, ihr Bäche des Bluts!

Isabella.
  Du schauderst und erstarrst!--Ja, das ist Alles
  Was dir noch übrig ist von deinem Bruder!
  Da liegen meine Hoffnungen--Sie stirbt
  Im Keim, die junge Blume eures Friedens,
  Und keine schöne Früchte sollt' ich schauen.

Don Cesar.
  Tröste dich, Mutter! Redlich wollten wir
  Den Frieden, aber Blut beschloß der Himmel.

Isabella.
  O, ich weiß, du liebtest ihn, ich sah entzückt
  Die schönen Bande zwischen euch sich flechten!
  An deinem Herzen wolltest du ihn tragen,
  Ihm reich ersetzen die verlornen Jahre.
  Der blut'ge Mord kam deiner schönen Liebe
  Zuvor--Jetzt kannst du nichts mehr, als ihn rächen.

Don Cesar.
  Komm, Mutter, komm! Hier ist kein Ort für dich,
  Entreiß dich diesem unglücksel'gen Anblick! (Er will sie fortziehen.)

Isabella (fällt ihm um den Hals).
  Du lebst mir noch! Du, jetzt mein Einziger!

Beatrice.
  Weh, Mutter! Was beginnst du?

Don Cesar.
  Weine dich aus
  An diesem treuen Busen! Unverloren
  Ist dir der Sohn, denn seine Liebe lebt
  Unsterblich fort in deines Cesars Brust.

Erster Chor. (Cajetan, Berengar, Manfred.)
  Brechet auf, ihr Wunden!
  Redet, ihr stummen!
  In schwarzen Fluthen
  Stürzet hervor, ihr Bäche des Bluts!

Isabella (Beider Hände fassend).
  O meine Kinder!

Don Cesar.
                  Wie entzückt es mich,
  In deinen Armen sie zu sehen, Mutter!
  Ja, laß sie deine Tochter sein! Die Schwester--

Isabella (unterbricht ihn).
  Dir dank' ich die Gerettete, mein Sohn!
  Du hieltest Wort, du hast sie mir gesendet.

Don Cesar (erstaunt).
  Wen, Mutter, sagst du, hab' ich dir gesendet?

Isabella.
  Sie mein' ich, die du vor dir siehst, die Schwester.

Don Cesar.
  Sie meine Schwester?

Isabella.
                       Welche andre sonst?

Don Cesar.
                                           Meine Schwester?

Isabella.
  Die du selber mir gesendet.

Don Cesar.
                              Und seine Schwester!

Chor.
                                                  Wehe! Wehe! Wehe!

Beatrice.
  O, meine Mutter!

Isabella.
                   Ich erstaune--Redet!

Don Cesar.
  So ist der Tag verflucht, der mich geboren!

Isabella.
  Was ist dir? Gott!

Don Cesar.
                     Verflucht der Schooß, der mich
  Getragen!--Und verflucht sei deine Heimlichkeit,
  Die all dies Gräßliche verschuldet! Falle
  Der Donner nieder, der dein Herz zerschmettert,
  Nicht länger halt' ich schonen ihn zurück--
  Ich selber, wiss' es, ich erschlug den Bruder,
  In ihren Armen überrascht' ich ihn;
  Sie ist es, die ich liebe, die zur Braut
  Ich mir gewählt--den Bruder aber fand ich
  In ihren Armen--Alles weißt du nun!
  --Ist sie wahrhaftig seine, meine Schwester,
  So bin ich schuldig einer Gräuelthat,
  Die keine Reu' und Büßung kann versöhnen!

Chor. (Bohemund.)
  Es ist gesprochen, du hast es vernommen,
  Das Schlimmste weißt du, nichts ist mehr zurück!
  Wie die Seher verkündet, so ist es gekommen,
  Denn noch Niemand entfloh dem verhängten Geschick.
  Und wer sich vermißt, es klüglich zu wenden,
  Der muß es selber erbauend vollenden.

Isabella.
  Was kümmert's mich noch, ob die Götter sich
  Als Lügner zeigen, oder sich als wahr
  Bestätigen? Mir haben sie das Ärgste
  Gethan--Trotz biet' ich ihnen, mich noch härter
  Zu treffen, als sie trafen--Wer für nichts mehr
  Zu zittern hat, der fürchtet sie nicht mehr.
  Ermordet liegt mir der geliebte Sohn,
  Und von dem lebenden scheid' ich mich selbst.
  Er ist mein Sohn nicht--Einen Basilisken
  Hab' ich erzeugt, genährt an meiner Brust,
  Der mir den bessern Sohn zu Tode stach.
  --Komm, meine Tochter! Hier ist unsers Bleibens
  Nicht mehr--den Rachegeistern überlass' ich
  Dies Haus--ein Frevel führte mich herein,
  Ein Frevel treibt mich aus--Mit Widerwillen
  Hab' ich's betreten und mit Furcht bewohnt,
  Und in Verzweiflung räum' ich's--Alles dies
  Erleid' ich schuldlos; doch bei Ehren bleiben
  Die Orakel, und gerettet sind die Götter.
(Sie geht ab. Diego folgt ihr.)



Sechster Auftritt.


Beatrice. Don Cesar. Der Chor.

Don Cesar (Beatricen zurückhaltend).
  Bleib, Schwester! Scheide du nicht so von mir!
  Mag mir die Mutter fluchen, mag dies Blut
  Anklagend gegen mich zum Himmel rufen,
  Mich alle Welt verdammen! Aber du
  Fluche mir nicht! Von dir kann ich's nicht tragen!

Beatrice (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Leichnam).

Don Cesar.
  Nicht den Geliebten hab' ich dir getödtet!
  Den Bruder hab' ich dir und hab' ihn mir
  Gemordet--Dir gehört der Abgeschiedne jetzt
  Nicht näher an, als ich, der Lebende,
  Und ich bin mitleidswürdiger, als er,
  Denn er schied rein hinweg, und ich bin schuldig.

Beatrice (bricht in heftige Thränen aus).

Don Cesar.
  Weine um den Bruder, ich will mit dir weinen,
  Und mehr noch--rächen will ich ihn! Doch nicht
  Um den Geliebten weine! Diesen Vorzug,
  Den du dem Todten gibst, ertrag' ich nicht.
  Den einz'gen Trost, den letzten, laß mich schöpfen
  Aus unsers Jammers bodenloser Tiefe,
  Daß er dir näher nicht gehört, als ich--
  Denn unser furchtbar aufgelöstes Schicksal
  Macht unsre Rechte gleich, wie unser Unglück.
  In einen Fall verstrickt, drei liebende
  Geschwister, gehen wir vereinigt unter
  Und theilen gleich der Thränen traurig Recht.
  Doch wenn ich denken muß, daß deine Trauer
  Mehr dem Geliebten als dem Bruder gilt,
  Dann mischt sich Wuth und Neid in meinen Schmerz,
  Und mich verläßt der Wehmuth letzter Trost.
  Nicht freudig, wie ich gerne will, kann ich
  Das letzte Opfer seinen Manen bringen;
  Doch sanft nachsenden will ich ihm die Seele,
  Weiß ich nur, daß du meinen Staub mit seinem
  In einem Aschenkruge sammeln wirst.

(Den Arm um sie schlingend, mit einer leidenschaftlich zärtlichen Heftigkeit.)

  Dich liebt' ich, wie ich nichts zuvor geliebt,
  Da du noch eine Fremde für mich warst.
  Weil ich dich liebte über alle Grenzen,
  Trag' ich den schweren Fluch des Brudermords,
  Liebe zu dir war meine ganze Schuld.
  --Jetzt bist du meine Schwester, und dein Mitleid
  Fordr' ich von dir als einen heil'gen Zoll.

(Er sieht sie mit ausforschenden Blicken und schmerzlicher
Erwartung an, dann wendet er sich mit Heftigkeit von ihr.)

  Nein, nein, nicht sehen kann ich diese Thränen--
  In dieses Todten Gegenwart verläßt
  Der Muth mich, und die Brust zerreißt der Zweifel--
  --Laß mich im Irrthum! Weine im Verborgnen!
  Sieh nie mich wieder--niemals mehr--Nicht dich,
  Nicht deine Mutter will ich wieder sehen,
  Sie hat mich nie geliebt! Verrathen endlich
  Hat sich ihr Herz, der Schmerz hat es geöffnet.
  Sie nannt' ihn ihren bessern Sohn!--So hat sie
  Verstellung ausgeübt ihr ganzes Leben!
  --Und du bist falsch, wie sie! Zwinge dich nicht!
  Zeig' deinen Abscheu! Mein verhaßtes Antlitz
  Sollst du nicht wieder sehn! Geh hin auf ewig!

(Er geht ab. Sie steht unschlüssig, im Kampf widersprechender
Gefühle, dann reißt sie sich los und geht.)



Siebenter Auftritt.


Chor. (Cajetan.) -- -- -- -- -- -- --
  Wohl Dem! Selig muß ich ihn preisen,
  Der in der Stille der ländlichen Flur,
  Fern von des Lebens verworrenen Kreisen,
  Kindlich liegt an der Brust der Natur.
  Denn das Herz wird mir schwer in der Fürsten Palästen,
  Wenn ich herab vom Gipfel des Glücks
  Stürzen sehe die Höchsten, die Besten
  In der Schnelle des Augenblicks!

  Und auch Der hast sich wohl gebettet,
  Der aus der stürmischen Lebenswelle,
  Zeitig gewarnt, sich heraus gerettet
  In des Klosters friedliche Zelle,
  Der die stachelnde Sucht der Ehren
  Von sich warf und die eitle Lust
  Und die Wünsche, die ewig begehren,
  Eingeschläfert in ruhiger Brust.
  Ihn ergreift in dem Lebensgewühle
  Nicht der Leidenschaft wilde Gewalt,
  Nimmer in seinem stillen Asyle
  Sieht er der Menschheit traur'ge Gestalt.
  Nur in bestimmter Höhe ziehet
  Das Verbrechen hin und das Ungemach,
  Wie die Pest die erhabnen Orte fliehet,
  Dem Qualm der Städte wälzt es sich nach.

(Berengar, Bohemund und Manfred.)
  Auf den Bergen ist Freiheit! Der Hauch der Grüfte
  Steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte;
  Die Welt ist vollkommen überall,
  Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.

(Der ganze Chor wiederholt.)
  Auf den Bergen u. s. w.



Achter Auftritt.


Don Cesar. Der Chor.

Don Cesar (gefaßter).
  Das Recht des Herrschers üb' ich aus zum letzten Mal,
  Dem Grab zu übergeben diesen theuren Leib,
  Denn dieses ist der Todten letzte Herrlichkeit.
  Vernehmt denn meines Willens ernstlichen Beschluß,
  Und wie ich's euch gebiete, also übt es aus
  Genau--Euch ist in frischem Angedenken noch
  Das ernste Amt, denn nicht von langen Zeiten ist's,
  Daß ihr zur Gruft begleitet eures Fürsten Leib.
  Die Todtenklage ist in diesen Mauern kaum
  Verhallt, und eine Leiche drängt die andre fort
  Ins Grab, daß eine Fackel ander andern sich
  Anzünden, auf der Treppe Stufen sich der Zug
  Der Klagemänner fast begegnen mag.
  So ordnet denn ein feierlich Begräbnißfest
  In dieses Schlosses Kirche, die des Vaters Staub
  Verwahrt, geräuschlos bei verschloßnen Pforten an,
  Und Alles werde, wie es damals war, vollbracht.

Chor. (Bohemund.)
  Mit schnellen Händen soll dies Werk bereitet sein,
  O Herr--denn aufgerichtet steht der Katafalk,
  Ein Denkmal jener ernsten Festlichkeit, noch da,
  Und an den Bau des Todes rührte keine Hand.

Don Cesar.
  Das war kein glücklich Zeichen, daß des Grabes Mund
  Geöffnet blieb im Hause der Lebendigen.
  Wie kam's, daß man das unglückselige Gerüst
  Nicht nach vollbrachtem Dienste alsobald zerbrach?

Chor. (Bohemund.)
  Die Noth der Zeiten und der jammervolle Zwist,
  Der gleich nachher, Messina feindlich theilend, sich
  Entflammt, zog unsre Augen von den Todten ab,
  Und öde blieb, verschlossen dieses Heiligthum.

Don Cesar.
  Ans Werk denn eilet ungesäumt! Noch diese Nacht
  Vollende sich das mitternächtliche Geschäft!
  Die nächste Sonne finde von Verbrechen rein
  Das Haus und leuchte einem fröhlichen Geschlecht.

(Der zweite Chor entfernt sich mit Don Manuels Leichnam.)

Erster Chor. (Cajetan.)
  Soll ich der Mönche fromme Brüderschaft hieher
  Berufen, daß sie nach der Kirche altem Brauch
  Das Seelenamt verwalte und mit heil'gem Lied
  Zur ew'gen Ruh einsegne den Begrabenen?

Don Cesar.
  Ihr frommes Lied mag fort und fort an unserm Grab
  Auf ew'ge Zeiten schallen bei der Kerze Schein;
  Doch heute nicht bedarf es ihres reinen Amts,
  Der blut'ge Mord verscheucht das Heilige.

Chor. (Cajetan.)
  Beschließe nichts gewaltsam Blutiges, o Herr,
  Wider sich selber wüthend mit Verzweiflungsthat;
  Denn auf der Welt lebt Niemand, der dich strafen kann,
  Und fromme Büßung kauft den Zorn des Himmels ab.

Don Cesar.
  Nicht auf der Welt lebt, wer mich richten strafen kann,
  Drum muß ich selber an mir selber es vollziehn.
  Bußfert'ge Sühne, weiß ich, nimmt der Himmel an;
  Doch nur mit Blut büßt sich ab der blut'ge Mord.

Chor. (Cajetan.)
  Des Jammers Fluthen, die auf dieses Haus gestürmt,
  Ziemt dir zu brechen, nicht zu häufen Leid auf Leid.

Don Cesar.
  Den alten Fluch des Hauses lös' ich sterbend auf,
  Der freie Tod nur bricht die Kette des Geschicks.

Chor. (Cajetan.)
  Zum Herrn bist du dich schuldig dem verwaisten Land,
  Weil du des andern Herrscherhauptes uns beraubt.

Don Cesar.
  Zuerst den Todesgöttern zahl' ich meine Schuld,
  Ein andrer Gott mag sorgen für die Lebenden.

Chor. (Cajetan.)
  So weit die Sonne leuchtet, ist die Hoffnung auch,
  Nur von dem Tod gewinnt sich nichts! Bedenk' es wohl!

Don Cesar.
  Du selbst bedenke schweigend deine Dienerpflicht!
  Mich laß dem Geist gehorchend, der mich furchtbar treibt,
  Denn in das Innre kann kein Glücklicher mir schaun.
  Und ehrst du fürchtend auch den Herrscher nicht in mir,
  Den Verbrecher fürchte, den der Flüche schwerster drückt!
  Das Haupt verehre des Unglücklichen,
  Das auch den Göttern heilig ist--Wer das erfuhr,
  Was ist erleide und im Busen fühle,
  Gibt keinem Irdischen mehr Rechenschaft.



Neunter Auftritt.


Donna Isabella. Don Cesar. Der Chor.

Isabella (kommt mit zögernden Schritten und wirft unschlüssige
Blicke auf Don Cesar. Endlich tritt sie ihm näher und spricht
mit gefaßtem Ton).
  Dich sollten meine Augen nicht mehr schauen,
  So hatt' ich mir's in meinem Schmerz gelobt;
  Doch in die Luft verwehen die Entschlüsse,
  Die eine Mutter, unnatürlich wüthend,
  Wider des Herzens Stimme faßt--Mein Sohn!
  Mich treibt ein unglückseliges Gerücht
  Aus meines Schmerzens öden Wohnungen
  Hervor--Soll ich ihm glauben? Ist es wahr,
  Daß mir ein Tag zwei Söhne rauben soll?

Chor. (Cajetan.)
  Entschlossen siehst du ihn, festen Muths,
  Hinab zu gehen mit freiem Schritte
  Zu des Todes traurigen Thoren.
  Erprobe du jetzt die Kraft des Blutes,
  Die Gewalt der rührenden Mutterbitte!
  Meine Worte hab' ich umsonst verloren.

Isabella.
  Ich rufe die Verwünschungen zurück,
  Die ich im blinden Wahnsinn der Verzweiflung
  Auf dein geliebtes Haupt herunter rief.
  Eine Mutter kann des eignen Busens Kind,
  Das sie mit Schmerz geboren, nicht verfluchen.
  Nicht hört der Himmel solche sündige
  Gebete; schwer von Thränen, fallen sie
  Zurück von seinem leuchtenden Gewölbe.
  --Lebe, mein Sohn! Ich will den Mörder lieber sehn
  Des einen Kindes, als um beide weinen.

Don Cesar.
  Nicht wohl bedenkst du, Mutter, was du wünschest
  Dir selbst und mir--Mein Pfad kann nicht mehr sein
  Bei den Lebendigen--Ja, könntest du
  Des Mörders gottverhaßtes Antlitz auch
  Ertragen, Mutter, ich ertrüge nicht
  Den stummen Vorwurf deines ew'gen Grams.

Isabella.
  Kein Vorwurf soll dich kränken, keine laute,
  Noch stumme Klage in das Herz dir schneiden.
  In milder Wehmuth wird der Schmerz sich lösen,
  Gemeinsam trauernd, wollen wir das Unglück
  Beweinen und bedecken das Verbrechen.

Don Cesar (faßt ihre Hand, mit sanfter Stimme).
  Das wirst du, Mutter. Also wird's geschehn.
  In milder Wehmuth wird dein Schmerz sich lösen--
  Dann, Mutter, wenn ein Todtenmal den Mörder
  Zugleich mit dem Gemordeten umschließt,
  Ein Stein sich wölbet über beider Staube,
  Dann wird der Fluch entwaffnet sein--Dann wirst
  Du deine Söhne nicht mehr unterscheiden,
  Die Thränen, die dein schönes Auge weint,
  Sie werden einem wie dem andern gelten,
  Ein mächtiger Vermittler ist der Tod.
  Da löschen alle Zornesflammen aus,
  Der Haß versöhnt sich, und das schöne Mitleid
  Neigt sich, ein weinend Schwesterbild, mit sanft
  Anschmiegender Umarmung auf die Urne.
  Drum, Mutter, wehre du mir nicht, daß ich
  Hinuntersteige und den Fluch versöhne.

Isabella.
  Reich ist die Christenheit an Gnadenbildern,
  Zu denen wallend ein gequältes Herz
  Kann Ruhe finden. Manche schwere Bürde
  Ward abgeworfen in Lorettos Haus,
  Und segensvolle Himmelskraft umweht
  Das heil'ge Grab, das alle Welt entsündigt.
  Vielkräftig auch ist das Gebet der Frommen,
  Sie haben reichen Vorrath an Verdienst,
  Und auf der Stelle, wo ein Mord geschah,
  Kann sich ein Tempel reinigend erheben.

Don Cesar.
  Wohl läßt der Pfeil sich aus dem Herzen ziehn,
  Doch nie wird das verletzte mehr gesunden.
  Lebe, wer's kann, ein Leben der Zerknirschung,
  Mit strengen Bußkasteiungen allmählich
  Abschöpfend eine ew'ge Schuld--Ich kann
  Nicht leben, Mutter, mit gebrochnem Herzen.
  Aufblicken muß ich freudig zu den Frohen
  Und in den Äther greifen über mir
  Mit freiem Geist--Der Neid vergiftete mein Leben,
  Da wir noch deine Liebe gleich getheilt.
  Denkst du, daß ich den Vorzug werde tragen,
  Den ihm dein Schmerz gegeben über mich?
  Der Tod hat eine reinigende Kraft,
  In seinem unvergänglichen Palaste
  Zu echter Tugend reinem Diamant
  Das Sterbliche zu läutern und die Flecken
  Der mangelhaften Menschheit zu verzehren.
  Weit, wie die Sterne abstehn von der Erde,
  Wird er erhaben stehen über mir,
  Und hat der alte Neid uns in dem Leben
  Getrennt, da wir noch gleich Brüder waren,
  So wurd er rastlos mir das Herz zernagen,
  Nun er das Ewige mir abgewann
  Und, jenseits alles Wettstreits, wie ein Gott
  In der Erinnerung der Menschen wandelt.

Isabella.
  O, hab' ich euch nur darum nach Messina
  Gerufen, um euch Beide zu begraben!
  Euch zu versöhnen, rief ich euch hieher,
  Und ein verderblich Schicksal kehret all
  Mein Hoffen in sein Gegentheil mir um!

Don Cesar.
  Schilt nicht den Ausgang, Mutter! Es erfüllt
  Sich Alles, was versprochen ward. Wir zogen ein
  Mit Friedenshoffnungen in diese Thore,
  Und friedlich werden wir zusammen ruhn,
  Versöhnt auf ewig, in dem Haus des Todes.

Isabella.
  Lebe, mein Sohn! Laß deine Mutter nicht
  Freundlos im Land der Fremdlinge zurück,
  Rohherziger Verhöhnung preisgegeben,
  Weil sie der Söhne Kraft nicht mehr beschützt.

Don Cesar.
  Wenn alle Welt dich herzlos kalt verhöhnt
  So flüchte du dich hin zu unserm Grabe
  Und rufe deiner Söhne Gottheit an;
  Denn Götter sind wir dann, wir hören dich,
  Und wie des Himmels Zwillinge, dem Schiffer
  Ein leuchtend Sternbild, wollen wir mit Trost
  Die nahe sein und deine Seele stärken.

Isabella.
  Lebe, mein Sohn! Für deine Mutter lebe!
  Ich kann's nicht tragen, Alles zu verlieren!

(Sie schlingt ihre Arme mit leidenschaftlicher Heftigkeit um ihn;
er macht sich sanft von ihr los und reicht ihr die Hand mit
abgewandtem Gesicht.)

Don Cesar.
  Leb wohl!

Isabella.
  Ach, wohl erfahr' ich's schmerzlich fühlend nun,
  Daß nichts die Mutter über dich vermag!
  Gibt's keine andre Stimme, welche dir
  Zum Herzen mächt'ger als die meine dringt?
(Sie sieht nach dem Eingang der Scene.)
  Komm, meine Tochter! Wenn der todte Bruder
  Ihn so gewaltig nachzieht in die Gruft,
  So mag vielleicht die Schwester, die geliebte,
  Mit schöner Lebenshoffnung Zauberschein
  Zurück ihn locken in das Licht der Sonne.



Letzter Auftritt.


Beatrice erscheint am Eingang der Scene. Donna Isabella. Don Cesar
und der Chor.

Don Cesar (bei ihrem Anblick heftig bewegt sich verhüllend).
  O Mutter! Mutter! Was ersannest du?

Isabella (führt sie vorwärts).
  Die Mutter hat umsonst zu ihm gefleht,
  Beschwöre du, erfleh' ihn, daß er lebe!

Don Cesar.
  Arglist'ge Mutter! Also prüfst du mich!
  In neuen Kampf willst du zurück mich stürzen?
  Das Licht der Sonne mir noch theurer machen
  Auf meinem Wege zu der ew'gen Nacht?
  --Da steht der holde Lebensengel mächtig
  Vor mir, und tausend Blumen schüttet er
  Und tausend goldne Früchte lebenduftend
  Aus reichem Füllhorn strömend vor mir aus,
  Das Herz geht auf im warmen Strahl der Sonne,
  Und neu erwacht in der erstorbnen Brust
  Die Hoffnung wieder und die Lebenslust.

Isabella.
  Fleh' ihn, dich oder Niemand wird er hören,
  Daß er den Stab nicht raube dir und mir.

Beatrice.
  Ein Opfer fordert der geliebte Todte;
  Es soll ihm werden, Mutter--Aber mich
  Laß dieses Opfer sein! Dem Tode war ich
  Geweiht, eh' ich das Leben sah. Mich fordert
  Der Fluch, der dieses Haus verfolgt, und Raub
  Am Himmel ist das Leben, das ich lebe.
  Ich bin's, die ihn gemordet, eures Streits
  Entschlafne Furien geweckte--Mir
  Gebührt es, seine Manen zu versöhnen!

Chor. (Cajetan.)
  O jammervolle Mutter! Hin zum Tod
  Drängen sich eifernd alle deine Kinder
  Und lassen dich allein, verlassen stehen
  Um freudlos öden, liebeleeren Leben.

Beatrice.
  Du, Bruder, rette dein geliebtes Haupt!
  Für deine Mutter lebe! Sie bedarf
  Des Sohnes; erst heute fand sie eine Tochter,
  Und leicht entbehrt sie, was sie nie besaß.

Don Cesar (mit tief verwundeter Seele).
  Wir mögen leben, Mutter, oder sterben,
  Wenn sie nur dem Geliebten sich vereinigt!

Beatrice.
  Beneidest du des Bruders todten Staub?

Don Cesar.
  Er lebt in deinem Schmerz ein selig Leben,
  Ich werde ewig todt sein bei den Todten.

Beatrice.
  O Bruder!

Don Cesar (mit dem Ausdruck der heftigsten Leidenschaft).
           Schwester, weinest du um mich?

Beatrice.
  Lebe für unsre Mutter!

Don Cesar (läßt ihre Hand los, zurücktretend).
                       Für die Mutter?

Beatrice (neigt sich an seine Brust).
  Lebe für sie und tröste deine Schwester.

Chor. (Bohemund.)
  Sie hat gesiegt! Dem rührenden Flehen
  Der Schwester konnt' er nicht widerstehen.
  Trostlose Mutter! Gieb Raum der Hoffnung,
  Er erwählt das Leben, die bleibt dein Sohn!

(In diesem Augenblick läßt sich ein Chorgesang hören, die Flügelthüre
wird geöffnet, man sieht in der Kirche den Katafalk aufgerichtet und
den Sarg von Candelabern umgeben.)

Don Cesar (gegen den Sarg gewendet).
  Nein, Bruder! Nicht dein Opfer will ich dir
  Entziehen--deine Stimme aus dem Sarg
  Ruft mächt'ger dringend als der Mutter Thränen
  Und mächt'ger als der Liebe Flehn--Ich halte
  In meinen Armen, was das ird'sche Leben
  Zu einem Loos der Götter machen kann--
  Doch ich, der Mörder, sollte glücklich sein,
  Und deine heil'ge Unschuld ungerächet
  Im tiefen Grabe liegen?--Das verhüte
  Der allgerechte Lenker unsrer Tage,
  Daß solche Theilung sei in seiner Welt--
  --Die Thränen sah ich, die auch mir geflossen,
  Befriedigt ist mein Herz, ich folge dir.

(Er durchsticht sich mit einem Dolch und gleitet sterbend an seiner
Schwester nieder, die sich der Mutter in die Arme wirft.)

Chor (Cajetan.) (nach einem tiefen Schweigen).
  Erschüttert steh' ich, weiß nicht, ob ich ihn
  Bejammern oder preisen soll sein Loos.
  Dies Eine fühl' ich und erkenn' es klar:
  Das Leben ist der Güter höchstes nicht,
  Der Übel größtes aber ist die Schuld.
                
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