Hofmarschall. Sie sind echauffiert, meine Gnädige?
Lady. Um so weniger wird hier gelogen sein--Hurrah, Herr
Hofmarschall! Es wird eine Stelle vacant. Gut Wetter für Kuppler!
(Das der Marschall einen zweifelhaften Blick auf den Zettel wirft.)
Lesen Sie, lesen Sie!--Es ist mein Wille, daß der Inhalt nicht unter
vier Augen bleibe.
Hofmarschall (liest, unterdessen sammeln sich die Bedienten der Lady
im Hintergrund):
"Gnädigster Herr!
Ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig brachen, kann mich nicht mehr
binden. Die Glückseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner
Liebe. Drei Jahre währte der Betrug. Die Binde fällt mir von den
Augen. Ich verabscheue Gunstbezeugungen, die von den Thränen der
Unterthanen triefen.--Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen nicht
mehr erwiedern kann, Ihrem weinenden Lande und lernen von einer
brittischen Fürstin Erbarmen gegen Ihr deutsches Volk. In einer
Stunde bin ich über der Grenze.
Johanna Norfolk."
Alle Bedienten (murmeln bestürzt durcheinander). Über der Grenze?
Hofmarschall (legt die Karte erschrocken auf den Tisch). Behüte der
Himmel, meine Beste und Gnädige! Den Überbringer müßte der Hals eben
so jücken, als der Schreiberin.
Lady. Das ist deine Sorge, du Goldmann--Leider weiß ich es, daß du
und deines Gleichen am Nachbeten Dessen, was Andre gethan haben,
erwürgen!--Mein Rath wäre, man backt den Zettel in eine
Wildpretpastete, so fänden ihn Serenissimus auf dem
Teller-Hofmarschall. Ciel! Diese Vermessenheit!--So erwägen Sie
doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen,
Lady!
Lady (wendet sich zu der versammelten Dienerschaft und spricht das
Folgende mit der innigsten Rührung). Ihr steht bestürzt, guten Leute,
erwartet angstvoll, wie sich das Räthsel entwickeln wird?--Kommt
näher, meine Lieben!--Ihr dientet mir redlich und warm, sahet mir
öfter in die Augen, als ich die Börse; euer Gehorsam war eure
Leidenschaft, euer Stolz--meine Gnade!--Daß das Andenken eurer Treue
zugleich das Gedächtniß meiner Erniedrigung sein muß! Trauriges
Schicksal, daß meine schwärzesten Tage eure glücklichen waren! (Mit
Thränen in den Augen.) Ich entlasse euch, meine Kinder--Lady Milford
ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld
abzutragen--Mein Schatzmeister stürze meine Schatulle unter
euch--Dieser Palast bleibt dem Herzog--Der Ärmste von euch wird
reicher von hinnen gehen, als seine Gebieterin. (Sie reicht ihre
Hände hin, die alle nach einander mit Leidenschaft küssen.) Ich
verstehe euch, meine Guten--Lebt wohl! Lebt ewig wohl! (Faßt sich
aus ihrer Beklemmung.) Ich höre den Wagen vorfahren. (Sie reißt sich
los, will hinaus, der Hofmarschall verrennt ihr den Weg.) Mann des
Erbarmens, stehst du noch immer da?
Hofmarschall (der diese ganze Zeit über mit einem Geistesbankerott
auf den Zettel sah). Und dieses Billet soll ich Seiner
Hochfürstlichen Durchlaucht zu Höchsteigenen Händen geben?
Lady. Mann des Erbarmens! zu Höchsteigenen Händen, und sollst melden
zu Höchsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loretto könne, so
werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf,
ihn beherrscht zu haben.
(Sie eilt ab. Alle Übrigen gehen sehr bewegt auseinander.)
Fünfter Akt.
Abend zwischen Licht im Zimmer beim Musikanten.
Erste Scene.
Luise sitzt stumm und ohne sich zu rühren in dem finstersten Winkel
des Zimmers, den Kopf auf den Arm gesunken. Nach einer großen und
tiefen Pause kommt Miller mit einer Handlaterne, leuchtet ängstlich
im Zimmer herum, ohne Luisen zu bemerken, dann legt er den Hut auf
den Tisch und setzt die Laterne nieder.
Miller. Hier ist sie auch nicht. Hier wieder nicht--Durch alle
Gassen bin ich gezogen, bei allen Bekannten bin ich gewesen, auf
allen Thoren hab' ich gefragt--mein Kind hat man nirgends gesehen.
(Nach einigem Stillschweigen.) Geduld, armer, unglücklicher Vater!
Warte ab, bis es Morgen wird. Vielleicht kommt deine Einzige dann
ans Ufer geschwommen--Gott! Gott! Wenn ich mein Herz zu abgöttisch
an diese Tochter hing?--Die Strafe ist hart. Himmlischer Vater, hart!
Ich will nicht murren, himmlischer Vater, aber die Strafe ist hart!
(Er wirft sich gramvoll in einen Stuhl.)
Luise (spricht aus dem Winkel). Du thust recht, armer alter Mann!
Lerne bei Zeit noch verlieren.
Miller (springt auf). Bist du da, mein Kind? Bist du?--Aber warum
denn so einsam und ohne Licht?
Luise. Ich bin darum doch nicht einsam. Wenn's so recht schwarz
wird um mich herum, hab' ich meine besten Besuche.
Miller. Gott bewahre dich! Nur der Gewissenswurm schwärmt mit der
Eule. Sünden und böse Geister scheuen das Licht.
Luise. Auch die Ewigkeit, Vater, die mit der Seele ohne Gehilfen
redet.
Miller. Kind! Kind! Was für Reden sind das?
Luise (steht auf und kommt vorwärts). Ich hab' einen harten Kampf
gekämpft. Er weiß es, Vater. Gott gab mir Kraft. Der Kampf ist
entschieden. Vater, man pflegt unser Geschlecht zart und
zerbrechlich zu nennen. Glaub' Er das nicht mehr. Vor einer Spinne
schütteln wir uns, aber das schwarze Ungeheuer Verwesung drücken wir
im Spaß in die Arme. Dieses zur Nachricht, Vater. Seine Luise ist
lustig.
Miller. Höre, Tochter! ich wollte du heultest. Du gefielst mir so
besser.
Luise. Wie ich ihn überlisten will, Vater! Wie ich den Tyrannen
betrügen will!--Die Liebe ist schlauer als die Bosheit und
kühner--das hat er nicht gewußt, der Mann mit dem traurigen Stern--O,
sie sind pfiffig, so lang sie es nur mit dem Kopf zu thun haben; aber
sobald sie mit dem Herzen anbinden, werden die Böswichter dumm--Mit
einem Eid gedachte er seinen Betrug zu versiegeln? Eide, Vater,
binden wohl die Lebendigen, im Tode schmilzt auch der Sacramente
eisernes Band. Ferdinand wird seine Luise kennen--Will Er mir dies
Billet besorgen, Vater? Will Er so gut sein?
Miller. An wen, meine Tochter?
Luise. Seltsame Frage! Die Unendlichkeit und mein Herz haben mit
einander nicht Raum genug für einen einzigen Gedanken an ihn--Wenn
hätt' ich denn wohl an sonst Jemand schreiben sollen?
Miller (unruhig). Höre, Luise! Ich erbrechen den Brief.
Luise. Wie Er will, Vater--aber Er wird nicht klug daraus werden.
Die Buchstaben liegen wie kalte Leichname da und leben nur dem Auge
der Liebe.
Miller (liest). "Du bist verrathen, Ferdinand!--Ein Bubenstück ohne
Beispiel zerriß den Bund unsrer Herzen, aber ein schrecklicher Schwur
hat meine Zunge gebunden, und dein Vater hat überall seine Horcher
gestellt. Doch, wenn du Muth hast, Geliebter,--ich weiß einen
dritten Ort, wo kein Eidschwur mehr bindet und wohin ihm kein Horcher
geht." (Miller hält inne und sieht ihr ernsthaft ins Gesicht.)
Luise. Warum sieht Er mich so an? Les' Er doch ganz aus, Vater.
Miller. "Aber Muth genug mußt du haben, eine finstre Straße zu
wandeln, wo dir nichts leuchtet, als deine Luise und Gott--Ganz zur
Liebe mußt du kommen, daheim lassen all deine Hoffnungen und all deine
brausenden Wünsche; nichts kannst du brauchen, als dein Herz. Willst
du--so brich auf, wenn die Glocke den zwölften Streich thut auf dem
Carmeliterthurm. Bangt dir--so durchstreiche das Wort stark vor
deinem Geschlechte, denn ein Mädchen hat dich zu Schanden gemacht."
(Miller legt das Billet nieder, schaut lange mit einem schmerzlichen,
starren Blick vor sich hinaus, endlich kehrt er sich gegen sie und
sagt mit leiser, gebrochener Stimme.) Und dieser dritte Ort, meine
Tochter?
Luise. Er kennt ihn nicht? Er kennt ihn wirklich nicht,
Vater?--Sonderbar! Der Ort ist zum Finden gemalt. Ferdinand wird
ihn finden.
Miller. Hum! rede deutlicher.
Luise. Ich weiß so eben kein liebliches Wort dafür--Er muß nicht
erschrecken, Vater, wenn ich Ihm ein häßliches nenne. Dieser Ort--O
warum hat die Liebe nicht Namen erfunden! den schönsten hätte sie
diesem gegeben. Der dritte Ort, guter Vater--aber Er muß mich
ausreden lassen--der dritte Ort ist das Grab.
Miller (zu seinem Sessel hinwankend). O mein Gott!
Luise (geht auf ihn zu und hält ihn). Nicht doch, mein Vater! Das
sind nur Schauer, die sich um das Wort herum lagern--Weg mit diesem,
und es liegt ein Brautbette da, worüber der Morgen seinen goldenen
Teppich breitet und die Frühlinge ihre bunten Guirlanden streun. Nur
ein heulender Sünder konnte den Tod ein Gerippe schelten; es ist ein
holder, niedlicher Knabe, blühend, wie sie den Liebesgott malen, aber
so tückisch nicht--ein stiller, dienstbarer Genius, der der
erschöpften Pilgerin Seele den Arm bietet über den Graben der Zeit,
das Feenschloß der ewigen Herrlichkeit aufschließt, freundlich nickt
und verschwindet.
Miller. Was hast du vor, meine Tochter?--Du willst eigenmächtig Hand
an dich legen.
Luise. Nenn' Er es nicht so, mein Vater. Eine Gesellschaft räumen,
wo ich nicht wohl gelitten bin--an einen Ort vorausspringen, den ich
nicht länger missen kann--ist denn das Sünde?
Miller. Selbstmord ist die abscheulichste, mein Kind--die einzige,
die man nicht mehr bereuen kann, weil Tod und Missethat
zusammenfallen.
Luise (bleibt erstarrt stehn). Entsetzlich!--Aber so rasch wird es
doch nicht gehn. Ich will in den Fluß springen, Vater, und im
Hinuntersinken Gott den Allmächtigen um Erbarmen bitten.
Miller. Das heißt, du willst den Diebstahl bereuen, sobald du das
Gestohlene in Sicherheit weißt--Tochter! Tochter! Gib Acht, daß du
Gottes nicht spottest, wenn du seiner am meisten vonnöthen hast. O!
es ist weit, weit mit dir gekommen!--Du hast dein Gebet aufgegeben,
und der Barmherzige zog seine Hand von dir.
Luise. Ist lieben denn Frevel, mein Vater!
Miller. Wenn du Gott liebst, wirst du nie bis zum Frevel lieben--Du
hast mich tief gebeugt, meine Einzige! tief, tief, vielleicht zur
Grube gebeugt.--Doch, ich will dir dein Herz nicht noch schwerer
machen--Tochter, ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein zu sein.
Du hast mich behorcht; und warum sollt' ich's noch länger geheim
halten? Du warst mein Abgott. Höre, Luise, wenn du noch Platz für
das Gefühl eines Vaters hast--Du warst mein Alles. Jetzt verthust du
nichts mehr von deinem Eigenthum. Auch ich hab' Alles zu verlieren.
Du siehst, mein Haar fängt an grau zu werden. Die Zeit meldet sich
allgemach bei mir, wo uns Vätern die Kapitale zu statten kommen, die
wir im Herzen unsrer Kinder anlegten--Wirst du mich darum betrügen,
Luise? Wirst du dich mit dem Hab' und Gut deines Vaters auf und
davon machen?
Luise (küßt seine Hand mit der heftigsten Rührung). Nein, mein Vater.
Ich gehe als Seine große Schuldnerin aus der Welt und werde in der
Ewigkeit mit Wucher bezahlen.
Miller. Gib Acht, ob du dich da nicht verrechnest, mein Kind? (Sehr
ernst und feierlich.) Werden wir uns dort wohl noch finden?--Sieh!
wie du blaß wirst!--Meine Luise begreift es von selbst, daß ich sie
in jener Welt nicht mehr wohl einholen kann, weil ich nicht so früh
dahin eile, wie sie. (Luise stürzt ihm in den Arm, von Schauern
ergriffen--Er drückt sie mit Feuer an seine Brust und fährt fort mit
beschwörender Stimme.) O Tochter! Tochter! gefallene, vielleicht
schon verlorene Tochter! Beherzige das ernsthafte Vaterwort! Ich
kann nicht über dich wachen. Ich kann dir die Messer nehmen, du
kannst dich mit einer Stricknadel tödten. Vor Gift kann ich dich
bewahren, du kannst dich mit einer Schnur Perlen erwürgen.
--Luise--Luise--nur warnen kann ich dich noch--Willst du es darauf
ankommen lassen, daß dein treuloses Gaukelbild auf der schrecklichen
Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit von dir weiche? Willst du dich vor
des Allwissenden Thron mit der Lüge wagen: Deinetwegen, Schöpfer, bin
ich da--wenn deine strafbaren Augen ihre sterbliche Puppe
suchen?--Und wenn dieser zerbrechliche Gott deines Gehirns, jetzt
Wurm wie du, zu den Füßen deines Richters sich windet, deine gottlose
Zuversicht in diesem schwankenden Augenblick Lügen straft und deine
betrogenen Hoffnungen an die ewige Erbarmung verweist, die der Elende
für sich selbst kaum erflehen kann--wie dann? (Nachdrücklicher,
lauter.) Wie dann, Unglückselige? (Er hält sie fester, blickt sie
eine Weile starr und durchdringend an, dann verläßt er sie schnell.)
Jetzt weiß ich nichts mehr--(mit aufgehobener Rechte) stehe dir, Gott
Richter! für diese Seele nicht mehr. Thu, was du willst. Bring
deinem schlanken Jüngling ein Opfer, daß deine Teufel jauchzen und
deine guten Engel zurücktreten--Zieh hin! Lade alle deine Sünden auf,
lade auch diese, die letzte, die entsetzlichste auf, und wenn die
Last noch zu leicht ist, so mache mein Fluch das Gewicht
vollkommen--Hier ist ein Messer--durchstich dein Herz und (indem er
lautweinend fortstürzen will) das Vaterherz!
Luise (springt auf und eilt ihm nach). Halt! halt! O mein Vater!
--daß die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwuth!
--Was soll ich? Ich kann nicht! Was muß ich thun?
Miller. Wenn die Küsse deines Majors heißer brennen als die Thränen
deines Vaters--stirb!
Luise (nach einem qualvollen Kampf mit einiger Festigkeit). Vater!
Hier ist meine Hand! Ich will--Gott! Gott! Was thu' ich? was will
ich?--Vater, ich schwöre--wehe mir, wehe! Verbrecherin, wohin ich
mich neige!--Vater, es sei!--Ferdinand--Gott sieht herab!--So
zernicht' ich sein letztes Gedächtniß. (Sie zerreißt ihren Brief.)
Miller (stürzt ihr freudetrunken an den Hals). Das ist meine Tochter!
--Blick' auf! um einen Liebhaber bist du leichter, dafür hast du
einen glücklichen Vater gemacht. (Unter Lachen und Weinen sie
umarmend.) Kind! Kind! das ich den Tag meines Lebens nicht werth war!
Gott weiß, wie ich schlechter Mann zu diesem Engel gekommen bin!
--Mein Luise, mein Himmelreich!--O Gott! ich verstehe ja wenig vom
Lieben, aber daß es eine Qual sein muß, aufzuhören--so was begreif'
ich noch.
Luise. Doch hinweg aus dieser Gegend, mein Vater--Weg von der Stadt,
wo meine Gespielinnen meiner spotten und mein guter Name dahin ist
auf immerdar--Weg, weg, weit weg von dem Ort, wo mich so viele Spuren
der verlorenen Seligkeit anreden. Weg, wenn es möglich ist-Miller.
Wohin du nur willst, meine Tochter. Das Brod unsers Herrgotts wächst
überall, und Ohren wird er auch meiner Geige bescheren. Ja! laß auch
Alles dahingehn--Ich setze die Geschichte deines Grams auf die Laute,
singe dann ein Lied von der Tochter, die, ihren Vater zu ehren, ihr
Herz zerriß--wir betteln mit der Ballade von Thüre zu Thüre, und das
Almosen wird köstlich schmecken von den Händen der Weinenden-
Zweite Scene.
Ferdinand zu den Vorigen.
Luise (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend
um den Hals). Gott! Da ist er! Ich bin verloren.
Miller. Wo? Wer?
Luise (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und drückt sich
fester an ihren Vater). Er! er selbst--Seh' Er nur um sich,
Vater--Mich zu ermorden, ist er da.
Miller (erblickt ihn, fährt zurück.) Was? Sie hier, Baron?
Ferdinand (kommt langsam näher, bleibt Luisen gegenüber stehen und
läßt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause).
Überraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntniß ist schrecklich,
aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung.--Guten Abend,
Miller.
Miller. Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was führt
Sie her? Was soll dieser Überfall?
Ferdinand. Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Secunden
zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden
Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen
sollte--Wie kommt's, daß ich jetzt überrasche?
Miller. Gehen Sie, gehen Sie, Baron--Wenn noch ein Funke von
Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb--wenn Sie Die nicht
erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie
keinen Augenblick länger. Der Segen war fort aus meiner Hütte,
sobald Sie einen Fuß darein setzten. Sie haben das Elend unter mein
Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch
nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wühlen, die Ihre
unglückliche Bekanntschaft mit meinem einzigen Kinde schlug?
Ferdinand. Wunderlicher Vater, jetzt komm' ich ja, deiner Tochter
etwas Erfreuliches zu sagen.
Miller. Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung?--Geh,
Unglücksbote! Dein Gesicht schimpft deine Waare.
Ferdinand. Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen!
Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen
Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das
Schicksal läßt nach, uns zu verfolgen. Unsere glücklichen Sterne
gehen auf--Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulösen und meine
Braut zum Altar abzuholen.
Miller. Hörst du ihn, meine Tochter? Hörst du ihn sein Gespötte mit
deinen getäuschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! es steht
dem Verführer so schön, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu
kitzeln.
Ferdinand. Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine
Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie
halten, wie sie ihre Eide--Ich kenne nichts Heiligeres--Noch
zweifelst du? noch kein freudiges Erröthen auf den Wangen meiner
schönen Gemahlin? Sonderbar! die Lüge muß hier gangbare Münze sein,
wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr mißtraut meinen
Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugniß. (Er wirft Luisen
den Brief an den Marschall zu.)
Luise (schlägt ihn auseinander und sinkt leichenblaß nieder).
Miller (ohne das zu bemerken, zum Major). Was soll das bedeuten,
Baron? Ich verstehe Sie nicht.
Ferdinand (führt ihn zu Luisen hin). Desto besser hat mich Diese
verstanden.
Miller (fällt an ihr nieder). O Gott! meine Tochter!
Ferdinand. Bleich wie der Tod!--Jetzt erst gefällt sie mir, deine
Tochter! So schön war sie nie, die fromme, rechtschaffene
Tochter--Mit diesem Leichengesicht--Der Odem des Weltgerichts, der
den Firniß von jeder Lüge streift, hat jetzt die Schminke verblasen,
womit die Tausendkünstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen
hat--Es ist ihr schönstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht!
Laß mich es küssen. (Er will auf sie zugehen.)
Miller. Zurück! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor
deinen Liebkosungen konnt' ich sie nicht bewahren, aber ich kann es
vor deinen Mißhandlungen.
Ferdinand. Was willst du, Graukopf? Mit dir hab' ich nichts zu
schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren
ist--oder bist du auch vielleicht klüger, als ich dir zugetraut habe?
Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner
Tochter geborgt und dies ehrwürdige Haar mit dem Gewerb eines
Kupplers geschändet?--O! wenn das nicht ist, unglücklicher alter Mann,
lege dich nieder und stirb--Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem
süßen Taumel entschlafen: ich war ein glücklicher Vater!--Einen
Augenblick später, und du schleuderst die giftige Natter ihrer
höllischen Heimath zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und
fährst mit der Gotteslästerung in die Grube. (Zu Luisen.) Sprich,
Unglückselige! Schriebst du diesen Brief?
Miller (warnend zu Luisen). Um Gottes Willen, Tochter! Vergiß nicht!
Vergiß nicht!
Luise. O dieser Brief, mein Vater-Ferdinand. Daß er in die
unrechten Hände fiel?--Gepriesen sei mir der Zufall, er hat größere
Thaten gethan, als die klügelnde Vernunft, und wird besser bestehn an
jenem Tag, als der Witz aller Weisen--Zufall, sage ich?--O die
Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein
Teufel entlarvt werden soll?--Antwort will ich!--Schriebst du diesen
Brief?
Miller (seitwärts zu ihr mit Beschwörung). Standhaft! Standhaft,
meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und Alles ist überwunden.
Ferdinand. Lustig! lustig! Auch der Vater betrogen! Alles betrogen.
Nun sieh, wie sie dasteht, die Schändliche, und selbst ihre Zunge
nun ihrer letzten Lüge den Gehorsam aufkündigt! Schwöre bei Gott,
bei dem fürchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?
Luise (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem
Vater gesprochen hat, fest und entscheidend). Ich schrieb ihn.
Ferdinand (bleibe erschrocken stehen). Luise!--Nein! So wahr meine
Seele lebt! du lügst--Auch die Unschuld bekennt sich auf der
Folterbank zu Freveln, die sie nie beging--Ich fragte zu
heftig--Nicht wahr, Luise--Du bekanntest nur, weil ich zu heftig
fragte?
Luise. Ich bekannte, was wahr ist.
Ferdinand. Nein, sag' ich! nein! nein! Du schriebst nicht. Es ist
deine Hand gar nicht--Und wäre sie's, warum sollten Handschriften
schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr,
Luise--Oder nein, nein, thu' es nicht, du könntest Ja sagen, und ich
wär' verloren--Eine Lüge, Luise--ein Lüge!--O wenn du jetzt eine
wüßtest, mir hinwärfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur
mein Aug überredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich
täuschtest--O Luise! Alle Wahrheit möchte dann mit diesem Hauch aus
der Schöpfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun
an zu einem höfischen Bückling beugen! (Mit scheuem bebendem Ton.)
Schriebst du diesen Brief?
Luise. Bei Gott! bei dem fürchterlich wahren! Ja!
Ferdinand (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes).
Weib! Weib!--Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst!--Theile
mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der
Verdammniß keinen Käufer finden--Wußtest du, was du mir warst, Luise?
Unmöglich! Nein! Du wußtest nicht, daß du mir Alles warst! Alles!
--Es ist ein armes verächtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Mühe, es
zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin--Alles! und so
frevelhaft damit zu spielen--O, es ist schrecklich!-Luise. Sie haben
mein Geständniß, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt.
Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglücklich waren.
Ferdinand. Gut! gut! Ich bin ja ruhig--ruhig, sagt man ja, ist auch
der schaudernde Strich Landes, worüber die Pest ging--ich bin's.
(Nach einigem Nachdenken.) Noch eine Bitte, Luise--die letzte! Mein
Kopf brennt so fieberisch. Ich brauch Kühlung--Willst du mir ein
Glas Limonade zurecht machen? (Luise geht ab.)
Dritte Scene.
Ferdinand und Miller.
(Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige Pausen lang auf den
entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab).
Miller (bleibt endlich stehen und betrachtet den Major mit trauriger
Miene). Lieber Baron, kann es Ihren Gram vielleicht mindern, wenn
ich Ihnen gestehe, daß ich Sie herzlich bedaure!
Ferdinand. Laß Er es gut sein, Miller. (Wieder einige Schritte.)
Miller, ich weiß nur kaum noch, wie ich in Sein Haus kam--Was war die
Veranlassung?
Miller. Wie, Herr Major? Sie wollten ja Lection auf der Flöte bei
mir nehmen? Das wissen Sie nicht mehr?
Ferdinand (rasch). Ich sah Seine Tochter! (Wiederum einige Pausen.)
Er hat nicht Wort gehalten, Freund. Wir accordierten Ruhe für meine
einsamen Stunden. Er betrog mich und verkaufte mir Skorpionen. (Da
er Millers Bewegung sieht.) Nein, erschrick nur nicht, alter Mann.
(Gerührt an seinem Hals.) Du bist nicht schuldig.
Miller (die Augen wischend). Das weiß der allwissende Gott!
Ferdinand (aufs neue hin und her, in düstres Grübeln versunken).
Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns. An dünnen
unmerkbaren Seilen hängen oft fürchterliche Gewichte--Wüßte der
Mensch, daß er an diesem Apfel den Tod essen sollte--Hum!--Wüßte er
das? (Heftiger auf und nieder, dann Millers Hand mit starker
Bewegung fassend.) Mann! Ich bezahle dir dein Bischen Flöte zu
theuer--und du gewinnst nicht einmal--auch du verlierst--verlierst
vielleicht Alles. (Gepreßt von ihm weggehend.) Unglückseliges
Flötenspiel, das mir nie hätte einfallen sollen!
Miller (sucht seine Rührung zu verbergen). Die Limonade bleibt auch
gar zu lang außen. Ich denke, ich sehe nach, wenn Sie mir's nicht
für übel nehmen-Ferdinand. Es eilt nicht, lieber Miller. (Vor sich
hinmurmelnd.) Zumal für den Vater nicht--Bleib' Er nur--Was hatt' ich
doch fragen wollen?--Ja!--Ist Luise Seine einzige Tochter? Sonst hat
Er keine Kinder mehr?
Miller (warm). Habe sonst keins mehr, Baron--wünsch' mir auch keins
mehr. Das Mädel ist just so recht, mein ganzes Vaterherz
einzustecken--hab' meine ganze Baarschaft von Liebe an der Tochter
schon zugesetzt.
Ferdinand (heftig erschüttert). Ha!--Seh' Er doch lieber nach dem
Trank, guter Miller. (Miller ab.)
Vierte Scene.
Ferdinand allein.
Das einzige Kind!--Fühlst du das, Mörder? Das einzige! Mörder!
hörst du, das einzige?--Und der Mann hat auf der großen Welt Gottes
nichts, als sein Instrument und das einzige--Du willst's ihm rauben?
Rauben?--rauben den letzten Nothpfenning einem Bettler? Die Krücke
zerbrochen vor die Füße werfen dem Lahmen? Wie? Hab' ich auch Brust
für das?--Und wenn er nun heimeilt und nicht erwarten kann, die ganze
Summe seiner Freuden vom Gesicht dieser Tochter herunter zu zählen,
und hereintritt und sie da liegt, die Blume--welk--todt--zertreten,
muthwillig, die letzte, einzige, unüberschwängliche Hoffnung--Ha, und
er dasteht vor ihr, und dasteht und ihm die ganze Natur den
lebendigen Odem anhält, und sein erstarrter Blick die entvölkerte
Unendlichkeit fruchtlos durchwandert, Gott sucht, und Gott nicht mehr
finden kann und leerer zurückkommt--Gott! Gott! Aber auch mein
Vater hat diesen einzigen Sohn--den einzigen Sohn, doch nicht den
einzigen Reichthum--(Nach einer Pause.) Doch wie? Was verliert er
denn? Das Mädchen, dem die heiligsten Gefühle der Liebe nur Puppen
waren, wird es den Vater glücklich machen können?--Es wird nicht, es
wird nicht! Und ich verdiene noch Dank, daß ich die Natter zertrete,
ehe sie auch noch den Vater verwundet.
Fünfte Scene.
Miller, der zurückkommt, und Ferdinand.
Miller. Gleich sollen Sie bedient sein, Baron! Draußen sitzt das
arme Ding und will sich zu Tod weinen. Sie wird Ihnen mit der
Limonade auch Thränen zu trinken geben.
Ferdinand. Und wohl, wenn's nur Thränen wären!--Weil wir vorhin von
der Musik sprachen, Miller--(Eine Börse ziehend.) Ich bin noch Sein
Schuldner.
Miller. Wie? Was? Gehen Sie mir, Baron! Wofür halten Sie mich?
Das steht ja in guter Hand, thun Sie mir doch den Schimpf nicht an,
und sind wir ja, will's Gott, nicht das letzte Mal bei einander.
Ferdinand. Wer kann das wissen? Nehm' Er nur. Es ist für Leben und
Sterben.
Miller (lachend). O deßwegen, Baron! Auf den Fall, denk' ich, kann
man's wagen bei Ihnen.
Ferdinand. Man wagte wirklich--Hat Er nie gehört, daß Jünglinge
gefallen sind--Mädchen und Jünglinge, die Kinder der Hoffnung, die
Luftschlösser betrogener Väter--Was Wurm und Alter nicht thun, kann
oft ein Donnerschlag ausrichten--Auch Seine Luise ist nicht
unsterblich.
Miller. Ich hab' sie von Gott.
Ferdinand. Hör' Er--Ich sag' Ihm, sie ist nicht unsterblich. Diese
Tochter ist Sein Augapfel. Er hat sich mit Herz und Seel' an diese
Tochter gehängt. Sei Er vorsichtig, Miller. Nur ein verzweifelter
Spieler setzt Alles auf einen einzigen Wurf. Einen Waghals nennt man
den Kaufmann, der auf ein Schiff sein ganzes Vermögen ladet--Hör' Er,
denk' Er der Warnung nach--Aber warum nimmt Er Sein Geld nicht?
Miller. Was, Herr? die ganze allmächtige Börse? Wohin denken Eure
Gnaden?
Ferdinand. Auf meine Schuldigkeit--Da! (Er wirft den Beutel auf den
Tisch, daß Goldstücke herausfallen.) Ich kann den Quark nicht eine
Ewigkeit so halten.
Miller (bestürzt). Was beim großen Gott? Der klang nicht wie
Silbergeld! (Er tritt zum Tisch und ruft mit Entsetzen.) Wie, um
aller Himmel willen, Baron? Baron? Wie sind Sie? Was treiben Sie,
Baron? Das nenn' ich mir Zerstreuung! (Mit zusammengeschlagenen
Händen.) Hier liegt ja--oder bin ich verhext,--oder--Gott
verdamm mich! Da greif' ich ja das baare, gelbe, leibhaftige
Gottesgold--Nein, Satanas! Du sollst mich nicht daran kriegen!
Ferdinand. Hat Er Alten oder Neuen getrunken, Miller?
Miller (grob). Donner und Wetter! Da schauen Sie nur hin!--Gold!
Ferdinand. Und was weiter?
Miller. Ins Henkers Namen--ich sage--ich bitte Sie um Gottes Christi
willen--Gold!
Ferdinand. Das ist nun freilich etwas Merkwürdiges.
Miller (nach einigem Stillschweigen zu ihm gehend, mit Empfindung).
Gnädiger Herr, ich bin ein schlichter, gerader Mann, wenn Sie mich
etwa zu einem Bubenstück anspannen wollen--denn so viel Geld läßt
sich, weißt Gott, nicht mit etwas Gutem verdienen.
Ferdinand (bewegt). Sei Er ganz getrost, lieber Miller. Das Geld
hat Er längst verdient, und Gott bewahre mich, daß ich mich mit
Seinem guten Gewissen dafür bezahlt machen sollte.
Miller (wie ein Halbnarr in die Höhe springend). Mein also! mein!
Mit des guten Gottes Wissen und Willen, mein! (Nach der Thür laufend,
schreiend.) Weib! Tochter! Victoria! Herbei! (Zurückkommend.)
Aber du lieber Himmel! Wie komm' ich denn so auf einmal zu dem
ganzen grausamen Reichthum? Wie verdien' ich ihn? lohn' ich ihn?
Heh?
Ferdinand. Nicht mit Seinen Musikstunden, Miller.--Mit dem Geld hier
bezahl' ich Ihm, (von Schauern ergriffen hält er inn) bezahl' ich Ihm
(nach einer Pause mit Wehmuth) den drei Monat langen glücklichen
Traum von Seiner Tochter.
Miller (faßt seine Hand, die er stark drückt). Gnädiger Herr! Wären
Sie ein schlechter, geringer Bürgersmann--(rasch) und mein Mädel
liebte Sie nicht--erstechen wollt' ich's, das Mädel! (Wieder beim
Geld, darauf niedergeschlagen.) Aber da hab' ich ja nun Alles und Sie
nichts, und da werd' ich nun das ganze Gaudium wieder herausblechen
müssen? Heh?
Ferdinand. Laß Er sich das nicht anfechten, Freund--Ich reise ab,
und in dem Land, wo ich mich zu setzen gedenke, gelten die Stempel
nicht.
Miller (unterdessen mit unverwandten Augen auf das Gold hingeheftet,
voll Entzückung). Bleibt's also mein? Bleibt's?--Aber das thut mir
nur leid, daß Sie verreisen--Und wart, was ich jetzt auftreten will!
Wie ich die Backen jetzt vollnehmen will! (Er setzt den Hut auf und
schießt durch das Zimmer.) Und auf den Markt will ich und meine
Musikstunden geben und Numero fünfe Dreikönig rauchen, und wenn ich
wieder auf dem Dreibatzenplatz sitze, soll mich der Teufel holen.
(Will fort.)
Ferdinand. Bleib' Er! Schweig' Er! und streich' Er sein Geld ein!
(Nachdrücklich.) Nur diesen Abend noch schweig' Er und geb' Er, mir
zu Gefallen, von nun an keine Musikstunden mehr.
Miller (noch hitziger und ihn hart an der Weste fassend, voll inniger
Freude). Und, Herr! meine Tochter! (Ihn werden loslassend.) Geld
macht den Mann nicht--Geld nicht--Ich habe Kartoffeln gegessen oder
ein wildes Huhn; satt ist satt, und dieser Rock da ist ewig gut, wenn
Gottes liebe Sonne nicht durch den Ärmel scheint--Für mich ist das
Plunder--Aber dem Mädel soll der Segen bekommen; was ich ihr nur an
den Augen absehen kann, soll sie haben-Ferdinand (fällt rasch ein).
Stille, o stille-Miller (immer feuriger). Und soll mir Französisch
lernen aus dem Fundament und Menuet-Tanzen und Singen, daß man's in
den Zeitungen lesen soll; und eine Haube soll sie tragen, wie die
Hofrathstöchter, und einen Kidebarri, wie sie's heißen, und von der
Geigerstochter soll man reden auf vier Meilen weit-Ferdinand
(ergreift seine Hand mit der schrecklichsten Bewegung). Nichts mehr!
Nichts mehr! Um Gotteswillen, schweig' Er still! Nur noch heute
schweig' Er still! Das sei der einzige Dank, den ich von Ihm fordre.
Sechste Scene.
Luise mit der Limonade, und die Vorigen.
Luise (mit rotgeweinten Augen und zitternder Stimme, indem sie dem
Major das Glas auf einem Teller bringt). Sie befehlen, wenn sie
nicht stark genug ist.
Ferdinand (nimmt das Glas, setzt es nieder und dreht sich rasch gegen
Millern). O beinahe hätt' ich das vergessen!--Darf ich Ihn um etwas
bitten, lieber Miller? Will Er mir einen kleinen Gefallen thun?
Miller. Tausend für einen! Was befehlen-Ferdinand. Man wird mich
bei der Tafel erwarten. Zum Unglück hab' ich eine sehr böse Laune.
Es ist mir ganz unmöglich, unter Menschen zu gehn--Will Er einen Gang
thun zu meinem Vater und mich entschuldigen?
Luise (erschrickt und fällt schnell ein). Den Gang kann ja ich thun.
Miller. Zum Präsidenten?
Ferdinand. Nicht zu ihm selbst. Er übergibt Seinen Auftrag in der
Garderobe einem Kammerdiener--Zu Seiner Legitimation ist hier meine
Uhr--Ich bin noch da, wenn Er wieder kommt.--Er wartet auf Antwort.
Luise (sehr ängstlich). Kann denn ich das nicht auch besorgen?
Ferdinand (zu Millern, der eben fort will). Halt, und noch etwas!
Hier ist ein Brief an meinen Vater, der diesen Abend an mich
eingeschlossen kam--Vielleicht dringende Geschäfte--Es geht in einer
Bestellung hin-Miller. Schon gut, Baron!
Luise (hängt sich an ihn, in der entsetzlichsten Bangigkeit). Aber,
mein Vater, Dies alles könnt' ich ja recht gut besorgen.
Miller. Du bist allein, und es ist finstre Nacht, meine Tochter.
(Ab.)
Ferdinand. Leuchte deinem Vater, Luise! (Während dem, daß sie
Millern mit dem Licht begleitet, tritt er zum Tisch und wirft Gift in
ein Glas Limonade.) Ja, sie soll dran! Sie soll! Die obern Mächte
nicken mir ihr schreckliches Ja herunter, die Rache des Himmels
unterschreibt, ihr guter Engel läßt sie fahren-
Siebente Scene.
Ferdinand und Luise.
Sie kommt langsam mit dem Lichte zurück, setzt es nieder und stellt
sich auf die entgegengesetzte Seite vom Major, das Gesicht auf den
Boden geschlagen und nur zuweilen furchtsam und verstohlen nach ihm
hinüberschielend. Er steht auf der andern Seite und sieht starr vor
sich hinaus. (Großes Stillschweigen, das diesen Auftritt ankündigen
muß.)
Luise. Wollen Sie mich accompagnieren, Herr von Walter, so mach' ich
einen Gang auf dem Fortepiano. (Sie öffnet den Pantalon.)
(Ferdinand gibt keine Antwort. Pause.)
Luise. Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig.
Wollen wir eine Partie, Herr von Walter? (Eine neue Pause.)
Luise. Herr von Walter, die Brieftasche, die ich Ihnen einmal zu
sticken versprochen--ich habe sie angefangen--Wollen Sie das Dessin
nicht besehen? (Wieder eine Pause.)
Luise. Ich bin sehr elend!
Ferdinand (in der bisherigen Stellung). Das könnte wahr sein.
Luise. Meine Schuld ist es nicht, Herr von Walter, daß Sie so
schlecht unterhalten werden.
Ferdinand (lacht beleidigend vor sich hin). Denn was kannst du für
meine blöde Bescheidenheit?
Luise. Ich hab' es ja wohl gewußt, daß wir jetzt nicht zusammen
taugen. Ich erschrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen
Vater verschickten--Herr von Walter, ich vermuthe, dieser Augenblick
wird uns Beiden gleich unerträglich sein--Wenn Sie mir's erlauben
wollen, so geh' ich und bitte einige von meinen Bekannten her.
Ferdinand. O ja doch, das thu'. Ich will auch gleich gehn und von
den meinigen bitten.
Luise (sieht ihn stutzend an). Herr von Walter?
Ferdinand (sehr hämisch). Bei meiner Ehre! der gescheidteste Einfall,
den ein Mensch in dieser Lage nur haben kann. Wir machen aus diesem
verdrießlichen Duett eine Lustbarkeit und rächen uns mit Hilfe
gewisser Galanterieen an den Grillen der Liebe.
Luise. Sie sind aufgeräumt, Herr von Walter.
Ferdinand. Ganz außerordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter
mir her zu jagen! Nein! In Wahrheit, Luise! dein Beispiel bekehrt
mich--du sollst meine Lehrerin sein. Thoren sind's, die von ewiger
Liebe schwatzen. Ewiges Einerlei widersteht, Veränderung nur ist das
Salz des Vergnügens--Topp, Luise! Ich bin dabei--Wir hüpfen von
Roman zu Roman, wälzen uns von Schlamme zu Schlamm--Du dahin--ich
dorthin--vielleicht, daß meine verlorene Ruhe sich in einem Bordell
wieder finden läßt--Vielleicht, daß wir dann nach dem lustigen
Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmsten Überraschung
von der Welt zum zweiten Mal aufeinander stoßen, daß wir uns da an
dem gemeinschaftlichen Familienzug, den kein Kind dieser Mutter
verleugnet, wie in Komödien wieder erkennen, daß Ekel und Scham noch
eine Harmonie veranstalten, die der zärtlichsten Liebe unmöglich
gewesen ist.
Luise. O Jüngling! Jüngling! Unglücklich bist du schon; willst du
es auch noch verdienen?
Ferdinand (ergrimmt durch die Zähne murmelnd). Unglücklich bin
ich? Wer hat dir das gesagt? Weib, du bist zu schlecht, und
selbst zu empfinden--womit kannst du eines Andern Empfindungen
wägen?--Unglücklich, sagte sie?--Ha! dieses Wort könnte meine
Wuth aus dem Grabe rufen! Unglücklich mußt' ich werden, das
wußte sie. Tod und Verdammniß! das wußte sie und hat mich
dennoch verrathen--Siehe, Schlange! das war der einzige Fleck der
Vergebung--Deine Aussage bricht dir den Hals--Bis jetzt konnt'
ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beschönigen, in meiner
Verachtung wärst du beinahe meiner Rache entsprungen. (Indem
er hastig das Glas ergreift.) Also leichtsinnig warst du
nicht--dumm warst du nicht--du warst nur ein Teufel. (Er
trinkt.) Die Limonade ist matt wie deine Seele--Versuche!
Luise. O Himmel! Nicht umsonst hab' ich diesen Auftritt gefürchtet.
Ferdinand (gebieterisch). Versuche!
Luise (nimmt das Glas etwas unwillig und trinkt).
Ferdinand (wendet sich, sobald sie das Glas an den Mund setzt, mit
einer plötzlichen Erblassung weg und eilt nach dem hintersten Winkel
des Zimmers).
Luise. Die Limonade ist gut.
Ferdinand (ohne sich umzukehren, von Schauer geschüttelt). Wohl
bekomm's!
Luise (nachdem sie es niedergesetzt). O wenn Sie wüßten, Walter, wie
ungeheuer Sie meine Seele beleidigen.
Ferdinand. Hum!
Luise. Es wird eine Zeit kommen, Walter-Ferdinand (wieder vorwärts
kommend). O! mit der Zeit wären wir fertig.
Luise. Wo der heutige Abend schwer auf Ihr Herz fallen
dürfte-Ferdinand (fängt an stärker zu gehen und beunruhigter zu
werden, indem er Schärpe und Degen von sich wirft). Gute Nacht,
Herrendienst!
Luise. Mein Gott! Wie wird Ihnen?
Ferdinand. Heiß und enge--Will mir's bequemer machen.
Luise Trinken Sie! Trinken Sie! Der Trank wird Sie kühlen.
Ferdinand. Das wird er auch ganz gewiß--Die Metze ist gutherzig;
doch, das sind alle!
Luise (mit dem vollen Ausdruck der Liebe ihm in die Arme eilend).
Das deiner Luise, Ferdinand?
Ferdinand (drückt sie von sich). Fort! Fort! Diese sanften
schmelzenden Augen weg! Ich erliege. Komm in deiner ungeheuern
Furchtbarkeit, Schlange! spring an mir auf, Wurm!--Krame vor mir
deine gräßlichen Knoten aus, bäume deine Wirbel zum Himmel!--so
abscheulich, als dich jemals der Abgrund sah--nur keinen Engel
mehr--nur jetzt keinen Engel mehr--Es ist zu spät--Ich muß dich
zertreten, wie eine Natter, oder verzweifeln--Erbarme dich!
Luise. O! daß es so weit kommen mußte!
Ferdinand (sie von der Seite betrachtend). Dieses schöne Werk des
himmlischen Bildners--Wer kann das glauben?--Wer sollte das glauben?
(Ihre Hand fassend und emporhaltend.) Ich will dich nicht zur Rede
stellen, Gott Schöpfer--Aber warum denn dein Gift in so schönen
Gefäßen?--Kann das Laster in diesem milden Himmelstrich
fortkommen?--O, es ist seltsam.
Luise. Das anzuhören und schweigen zu müssen!
Ferdinand. Und die süße melodische Stimme--Wie kann so viel
Wohlklang kommen aus zerrissenen Saiten? (Mit trunkenem Aug auf
ihrem Anblick verweilend.) Alles so schön--so voll Ebenmaß--so
göttlich vollkommen!--Überall das Werk seiner himmlischen
Schäferstunde! Bei Gott! als wäre die große Welt nur entstanden, den
Schöpfer für dieses Meisterstück in Laune zu setzen!--Und nur in der
Seele sollte Gott sich vergriffen haben? ist es möglich, daß diese
empörende Mißgeburt in die Natur ohne Tadel kam? (Indem er sie
schnell verläßt.) Oder sah er einen Engel unter dem Meißel
hervorgehen und half diesem Irrthum in der Eile mit einem desto
schlechteren Herzen ab?
Luise. O des frevelhaften Eigensinns! Ehe er sich eine Übereilung
gestände, greift er lieber den Himmel an.
Ferdinand (stürzt ihr heftig weinend an den Hals). Noch einmal,
Luise!--Noch einmal wie am Tag unsers ersten Kusses, da du Ferdinand
stammeltest und das erste Du auf deine brennenden Lippen trat--O eine
Saat unendlicher, unaussprechlicher Freuden schien in dem Augenblick
wie in der Knospe zu liegen--Da lag die Ewigkeit wie ein schöner
Maitag vor unsern Augen; goldne Jahrtausende hüpften, wie Bräute, vor
unsrer Seele vorbei--Da war ich der Glückliche!--O Luise! Luise!
Luise! Warum hat du mir das gethan?
Luise. Weinen Sie, weinen Sie, Walter. Ihre Wehmuth wird gerechter
gegen mich sein, als Ihre Entrüstung.
Ferdinand. Du betrügst dich. Das sind ihre Thränen nicht--Nicht
jener warme, wollüstige Thau, der in die Wunde der Seele balsamisch
fließt und das starre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt. Es
sind einzelne--kalte Tropfen--das schauerliche ewige Lebewohl meiner
Liebe. (Furchtbar feierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf sinken
läßt.) Thränen um deine Seele, Luise--Thränen um die Gottheit, die
ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die so muthwillig um
das herrlichste ihrer Werke kommt--O mich däucht, die ganze Schöpfung
sollte den Flor anlegen und über das Beispiel betreten sein, das in
ihrer Mitte geschieht--Es ist was Gemeines, daß Menschen fallen und
Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engel wüthet, so
rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.
Luise. Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Walter. Ich habe
Seelenstärke, so gut wie Eine--aber sie muß auf eine menschliche
Probe kommen. Walter, das Wort noch und dann geschieden--Ein
entsetzliches Schicksal hat die Sprache unsrer Herzen verwirrt.
Dürft' ich den Mund aufthun, Walter, ich könnte dir Dinge sagen--ich
könnte--aber das harte Verhängniß band meine Zunge wie meine Liebe,
und dulden muß ich's, wenn du mich wie eine gemeine Metze mißhandelst.
Ferdinand. Fühlst du dich wohl, Luise?
Luise. Wozu diese Frage?
Ferdinand. Sonst sollte mir's leid um dich thun, wenn du mit einer
Lüge von hinnen müßtest.
Luise. Ich beschwöre Sie, Walter-Ferdinand (unter heftigen
Bewegungen). Nein! nein! Zu satanisch wäre diese Rache! Nein!
Gott bewahre mich! In jene Welt hinaus will ich's nicht
treiben--Luise! Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr
aus diesem Zimmer gehen.
Luise. Fragen Sie, was Sie wollen. Ich antworte nichts mehr. (Sie
setzt sich nieder.)
Ferdinand (ernster). Sorge für deine unsterbliche Seele, Luise!
--Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem
Zimmer gehen.
Luise. Ich antworte nichts mehr.
Ferdinand (fällt in fürchterlicher Bewegung vor ihr nieder).
Luise! Hast du den Marschall geliebt? Ehe dieses Licht noch
ausbrennt--stehst du--vor Gott!
Luise (fährt erschrocken in die Höhe). Jesus! Was ist das?--und
mir wird sehr übel. (Sie sinkt auf den Sessel zurück.)
Ferdinand. Schon?--Über euch Weiber und das ewige Räthsel! Die
zärtliche Nerve hält Freveln fest, die die Menschheit an ihren
Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arsenik wirft sie um-Luise. Gift!
Gift! O mein Herrgott!
Ferdinand. So fürchte ich. Deine Limonade war in der Hölle gewürzt.
Du hast sie dem Tod zugetrunken.
Luise. Sterben! Sterben! Gott Allbarmherziger! Gift in der
Limonade und sterben!--O meiner Seele erbarme dich, Gott der Erbarmer!
Ferdinand. Das ist die Hauptsache. Ich bitt' ihn auch darum.
Luise. Und meine Mutter--mein Vater--Heiland der Welt! Mein armer,
verlorener Vater! Ist keine Rettung mehr? Mein junges Leben, und
keine Rettung! Und muß ich jetzt schon dahin?
Ferdinand. Keine Rettung, mußt jetzt schon dahin--aber sei ruhig.
Wir machen die Reise zusammen.
Luise. Ferdinand, auch du! Gift, Ferdinand! Von dir! O Gott,
vergiß es ihm--Gott der Gnade, nimm die Sünde von ihm-Ferdinand.
Sieh du nach deinen Rechnungen--Ich fürchte, sie stehen übel.
Luise. Ferdinand! Ferdinand!--O--Nun kann ich nicht mehr
schweigen--Der Tod--der Tod hebt alle Eide auf--Ferdinand!--Himmel
und Erde hat nichts Unglückseligeres als dich!--Ich sterbe unschuldig,
Ferdinand.
Ferdinand (erschrocken). Was sagt sie da?--Eine Lüge pflegt man doch
sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?
Luise. Ich lüge nicht--lüge nicht--hab' nur einmal gelogen mein
Lebenlang--Huh! wie das eiskalt durch meine Adern schauert--als ich
den Brief schrieb an den Hofmarschall-Ferdinand. Ha! Dieser Brief!
--Gottlob! Jetzt hab' ich all meine Mannheit wieder.
Luise (ihre Zunge wird schwerer, ihre Finger fangen an gichterisch zu
zucken). Dieser Brief--Fasse dich, ein entsetzliches Wort zu
hören--Meine Hand schrieb, was mein Herz verdammte--dein Vater hat
ihn dictiert.
Ferdinand (starr und einer Bildsäule gleich, in langer todter Pause
hingewurzelt, fällt endlich wie von einem Donnerschlag nieder).
Luise. O des kläglichen Mißverstands--Ferdinand--man zwang
mich--vergib--deine Luise hätte den Tod vorgezogen--aber mein
Vater--die Gefahr--sie machten es listig.
Ferdinand (schrecklich emporgeworfen). Gelobet sei Gott! noch spür'
und das Gift nicht. (Er reißt den Degen heraus.)
Luise (von Schwäche zu Schwäche sinkend). Weh! Was beginnst du? Es
ist dein Vater-Ferdinand (im Ausdruck der unbändigsten Wuth). Mörder
und Mördervater!--Mit muß er, daß der Richter der Welt nur gegen den
Schuldigen rase. (Will hinaus.)
Luise. Sterbend vergab mein Erlöser--Heil über dich und ihn (Sie
stirbt.)
Ferdinand (kehrt schnell um, wird ihre letzte sterbende Bewegung
gewahr und fällt in Schmerz aufgelöst vor der Todten nieder). Halt!
Halt! Entspringe mir nicht, Engel des Himmels! (Er faßt ihre Hand
an und läßt sie schnell wie fallen.) Kalt, kalt und feucht! Ihre
Seele ist dahin. (Er springt wieder auf.) Gott meiner Luise! Gnade!
Gnade dem verruchtesten der Mörder! Es war ihr letztes Gebet!--Wie
reizend und schön auch ihr Leichnam! Der gerührte Würger ging
schonend über diese freundlichen Wangen hin--Diese Sanftmuth war
keine Larve, sie hat auch dem Tod Stand gehalten. (Nach einer Pause.)
Aber wie? Warum fühl' ich nichts? Will die Kraft meiner Jugend
mich retten? Undankbare Mühe! Das ist meine Meinung nicht. (Er
greift nach dem Glase.)
Letzte Scene.
Ferdinand. Der Präsident. Wurm und Bediente, welche alle voll
Schrecken ins Zimmer stürzen, darauf Miller mit Volk und
Gerichtsdienern, welche sich im Hintergrund sammeln.
Präsident (den Brief in der Hand). Sohn, was ist das?--Ich will doch
nimmermehr glauben-Ferdinand (wirft ihm das Glas vor die Füße). So
sieh, Mörder!
Präsident (taumelt hinter sich. Alle erstarren. Eine schreckhafte
Pause.) Mein Sohn, warum hast du mir das gethan?
Ferdinand (ohne ihn anzusehen). O ja freilich! Ich hätte den
Staatsmann erst hören sollen, ob der Streich auch zu seinen Karten
passe?--Fein und bewundernswerth, ich gesteh's, war die Finte, den
Bund unsrer Herzen zu zerreißen durch Eifersucht--Die Rechnung hatte
ein Meister gemacht, aber Schade nur, daß die zürnende Liebe dem
Draht nicht so gehorsam blieb wie deine hölzerne Puppe.
Präsident (sucht mit verdrehten Augen im ganzen Kreise herum). Ist
hier Niemand, der um einen trostlosen Vater weint?
Miller (hinter der Scene rufend). Laßt mich hinein! Um Gottes
willen! Laßt mich!
Ferdinand. Das Mädchen ist eine Heilige--für sie muß ein Anderer
rechten. (Er öffnet Millern die Thüre, der mit Volk und
Gerichtsdienern hineinstürzt.)
Miller (in der fürchterlichsten Angst). Mein Kind! Mein Kind!
--Gift--Gift, schreit man, sei hier genommen worden--Meine Tochter!
Wo bist du?
Ferdinand (führt ihn zwischen den Präsident und Luisens Leiche). Ich
bin unschuldig--Danke Diesem hier.
Miller (fällt an ihr zu Boden). O Jesus!
Ferdinand. In wenig Worten, Vater--Sie fangen an mir kostbar zu
werden--Ich bin bübisch um mein Leben bestohlen, bestohlen durch Sie.
Wie ich mit Gott stehe, zittre ich--doch ein Bösewicht bin ich
niemals gewesen. Mein ewiges Loos falle, wie es will--auf Sie fall'
es nicht--Aber ich hab' einen Mord begangen, (mit furchtbar erhobener
Stimme) einen Mord, den du mir nicht zumuthen wirst, allein vor den
Richter der Welt hinzuschleppen. Feierlich wälz' ich dir hier die
größte, gräßlichste Hälfte zu; wie du damit zurecht kommen magst,
siehe du selber. (Ihn zu Luisen hinführend.) Hier, Barbar! Weide
dich an der entsetzlichen Frucht deines Witzes, auf dieses Gesicht
ist mit Verzerrungen dein Name geschrieben, und die Würgengel werden
ihn lesen--Eine Gestalt wie diese ziehe den Vorhang von deinem Bette,
wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand--Eine Gestalt wie
diese stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein
letztes Gebet weg--Eine Gestalt wie diese stehe auf deinem Grabe,
wenn du auferstehst--und neben Gott, wenn er dich richtet. (Er wird
ohnmächtig. Bediente halten ihn.)
Präsident (eine schreckliche Bewegung des Arms gegen den Himmel).
Von mir nicht, von mir nicht, Richter der Welt, fordre diese Seelen,
von Diesem! (Er geht auf Wurm zu.)
Wurm (auffahrend). Von mir?
Präsident. Verfluchter, von dir! Von dir, Satan!--Du, du gabst den
Schlangenrath--Über dich die Verantwortung--ich wasche die Hände.
Wurm. Über mich? (Er fängt gräßlich an zu lachen.) Lustig!
Lustig! So weiß ich doch nun auch, auf was Art sich die Teufel
danken.--Über mich, dummer Bösewicht? War es mein Sohn? War ich
dein Gebieter?--Über mich die Verantwortung? Ha! bei diesem Anblick,
der alles Mark in meinen Gebeinen erkältet! Über mich soll sie
kommen!--Jetzt will ich verloren sein, aber du sollst es mit mir
sein--Auf! Auf! Ruft Mord durch die Gassen! Weckt die Justiz auf!
Gerichtsdiener, bindet mich! Führt mich von hinnen! Ich will
Geheimnisse aufdecken, daß Denen, die sie hören, die Haut schauern
soll. (Will gehen.)
Präsident (hält ihn). Du wirst doch nicht, Rasender?
Wurm (klopft ihn auf die Schulter). Ich werde, Kamerad! Ich werde!
--Rasend bin ich, das ist wahr--das ist dein Werk--so will ich auch
jetzt handeln wie ein Rasender--Arm in Arm mit dir zum Blutgerüst!
Arm in Arm mit dir zur Hölle! Es soll mich kitzeln, Bube, mit dir
verdammt zu sein! (Er wird abgeführt.)