Fiesco (nimmt ihn mit Sanftmuth bei der Hand). Auch nicht, wenn der
Herzog dein Bruder ist? wenn er sein Fürstenthum nur zur Schatzkammer
seiner Wohlthätigkeit macht, die bis jetzt bei seiner haushälterischen
Dürftigkeit betteln ging? Verrina, auch dann nicht?
Verrina. Auch dann nicht--und der verschenkte Raub hat noch keinem
Dieb von dem Galgen geholfen. Überdies ging diese Großmuth bei
Verrina fehl. Meinem Mitbürger konnt' ich schon erlauben, mir Gutes
zu thun--meinem Mitbürger hofft' ich es wett machen zu können. Die
Geschenke eines Fürsten sind Gnade--und nur Gott ist mir gnädig.
Fiesco (ärgerlich). Wollt ich doch lieber Italien vom Atlantermeer
abreißen, als diesen Starrkopf von seinem Wahn.
Verrina. Und abreißen ist doch sonst deine schlechteste Kunst nicht,
davon weiß das Lamm Republik zu erzählen, das du dem Wolf Doria aus
dem Rachen nahmst--es selbst aufzufressen.--Aber genug! Nur im
Vorbeigehen, Herzog, sage mir, was verbrach denn der arme Teufel, den
ihr am Jesuiterdom aufknüpftet?
Fiesco. Die Canaille zündete Genua an.
Verrina. Aber doch die Gesetze ließ die Canaille ganz?
Fiesco. Verrina brandschatzt meine Freundschaft.
Verrina. Hinweg mit der Freundschaft! ich sage dir ja, ich liebe
dich nicht mehr; ich schwöre dir, daß ich dich hasse--hasse wie den
Wurm des Paradieses, der den ersten falschen Wurf in der Schöpfung
that, worunter schon das fünfte Jahrtausend blutet--Höre,
Fiesco--nicht Unterthan gegen Herrn--nicht Freund gegen
Freund--Mensch gegen Mensch red' ich zu dir. (Scharf und heftig.) Du
hast eine Schande begangen an der Majestät des wahrhaftigen Gottes,
daß du dir die Tugend die Hände zu deinem Bubenstück führen und
Genuas Patrioten mit Genua Unzucht treiben ließest--Fiesco, wär' auch
ich der Redlichdumme gewesen, den Schalk nicht zu merken, Fiesco! bei
allen Schauern der Ewigkeit, einen Strick wollt' ich drehen aus
meinen eigenen Gedärmen und mich erdrosseln, daß meine fliehende
Seele im gichtrischen Schaumblasen dir zuspritzen sollte. Das
fürstliche Schelmenstück drückt wohl die Goldwage menschlicher Sünden
entzwei, aber du hast den Himmel geneckt, und den Prozeß wird das
Weltgericht führen.
(Fiesco erstaunt und sprachlos mißt ihn mit großen Augen.)
Verrina. Besinne dich auf keine Antwort. Jetzt sind wir fertig.
(Nach einigem Auf- und Niedergehen.) Herzog von Genua, auf den
Schiffen des gestrigen Tyrannen lernt' ich eine Gattung armer
Geschöpfe kennen, die eine verjährte Schuld mit jedem Ruderschlag
wiederkäuen und in den Ocean ihre Thränen weinen, der wie ein reicher
Mann zu vornehm ist, sie zu zählen--Ein guter Fürst eröffnet sein
Regiment mit Erbarmen. Wolltest du dich entschließen, die
Galeerensklaven zu erlösen?
Fiesco (scharf). Sie seien die Erstlinge meiner Tyrannei--Geh und
verkündige ihnen Allen Erlösung.
Verrina. So machst du deine Sache nur halb, wenn du ihre Freude
verlierst. Versuch' es und gehe selbst. Die großen Herren sind so
selten dabei, wenn sie Böses thun; sollten sie auch das Gute im
Hinterhalt stiften?--Ich dächte, der Herzog wäre für keines Bettlers
Empfindung zu groß.
Fiesco. Mann, du bist schrecklich, aber ich weiß nicht, warum ich
folgen muß. (Beide gehen dem Meer zu.)
Verrina (hält still, mit Wehmuth). Aber, noch einmal umarme mich,
Fiesco! Hier ist ja Niemand, der den Verrina weinen sieht und einen
Fürsten empfinden. (Er drückt ihn innig.) Gewiß, nie schlugen zwei
größere Herzen zusammen; wir liebten uns doch so brüderlich
warm--(Heftig an Fiescos Halse weinend.) Fiesco! Fiesco! du räumst
einen Platz in meiner Brust, den das Menschengeschlecht, dreifach
genommen, nicht mehr besetzen wird.
Fiesco (sehr gerührt). Sei--mein--Freund!
Verrina. Wirf diesen häßlichen Purpur weg, und ich bin's--Der erste
Fürst war ein Mörder und führte den Purpur ein, die Flecken seiner
That in dieser Blutfarbe zu verstecken--Höre, Fiesco--ich bin ein
Kriegsmann, verstehe mich wenig auf nasse Wangen--Fiesco--das sind
meine ersten Thränen--Wird diesen Purpur weg!
Fiesco. Schweig!
Verrina (heftiger). Fiesco--laß hier alle Kronen dieses Planeten zum
Preis, dort zum Popanz all seine Foltern legen, ich soll knieen vor
einem Sterblichen--ich werde nicht knieen--Fiesco! (indem er
niederfällt) es ist mein erster Kniefall--Wirf diesen Purpur weg!
Fiesco. Steh auf und reize mich nicht mehr!
Verrina (entschlossen). Ich steh' auf, reize dich nicht mehr (Sie
stehen an einem Brett, das zu einer Galeere führt.) Der Fürst hat den
Vortritt. (Gehen über das Brett.)
Fiesco. Was zerrst du mich so am Mantel?--er fällt!
Verrina (mit fürchterlichem Hohn). Nun, wenn der Purpur fällt, muß
auch der Herzog nach! (Er stürzt ihn ins Meer.)
Fiesco (ruft aus den Wellen). Hilf, Genua! Hilf! Hilf deinem
Herzog! (Sinkt unter.)
Siebzehnter Auftritt
Calcagno. Sacco. Zibo. Zenturione. Verschworne. Volk. (Alle
eilig, ängstlich.)
Calcagno (schreit). Fiesco! Fiesco! Andreas ist zurück, halb Genua
springt dem Andreas zu. Wo ist Fiesco?
Verrina (mit festem Ton). Ertrunken!
Zenturione. Antwortet die Hölle oder das Tollhaus?
Verrina. Ertränkt, wenn das hübscher lautet--Ich geh' zum Andreas.
(Alle bleiben in starren Gruppen stehn. Der Vorhang fällt.)
Genua", von Friedrich Schiller.