Johann Shiller

Der Parasit, oder die Kunst, sein Glück zu machen
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Selicour.  Nein!

Robineau.  Ei, ei, ich bin ja des Robineau's Christoph, des Winzers,
der die dicke Madelon heirathete, Seines Großvaters Muhme, Herr
Selicour!

Selicour.  Ach so!

Robineau.  Nun--Vetter pflegen sich sonst zu umarmen, denk' ich.

Selicour.  Mit Vergnügen.--Seid mir willkommen, Vetter!

Robineau.  Großen Dank, Vetter!

Selicour.  Aber laßt uns auf mein Zimmer gehen--ich bin hier nicht
zu Hause.

Mad. Belmont.  Lassen Sie sich nicht stören, Herr Selicour!  Thun
Sie, als wenn ich gar nicht da wäre.

Selicour.  Mit Ihrer Erlaubniß, Madame, Sie sind gar zu gütig!  Man
muß ihm sein schlichtes Wesen zu gute halten; er ist ein guter
ehrlicher Landmann und ein Vetter, den ich sehr lieb habe.

Mad. Belmont.  Das sieht Ihnen ähnlich, Herr Selicour!

Robineau.  Ich komme so eben an, Herr Vetter!

Selicour.  So--und woher denn?

Robineau.  Ei, woher sonst als von unserm Dorf.--Dieses Paris ist
aber auch wie zwanzig Dörfer.--Schon über zwei Stunden, daß ich aus
dem Postwagen gestiegen, treib' ich mich herum, um Ihn und den La
Roche aufzusuchen, Er weiß ja, Seinen Nachbar und Schulkameraden.--
Nun, da find' ich Ihn ja endlich, und nun mag's gut sein!

Selicour.  Er kommt in Geschäften nach Paris, Vetter?

Robineau.  In Geschäften!  Hat sich wohl!  Ein Geschäft hab' ich
freilich--

Selicour.  Und welches denn?

Robineau.  Je nun--mein Glück hier zu machen, Vetter!

Selicour.  Ha!  Ha!

Robineau.  Nun, das Geschäft ist wichtig genug, denk' ich.

Selicour (zu Madame Belmont).  Excusieren Sie.

Mad. Belmont.  Er belustigt mich.  Selicour.  Er ist sehr kurzweilig.

Robineau.  Peter, der Kärrner, meinte, der Vetter habe sich in Paris
seine Pfeifen gut geschnitten.--Als er noch klein war, der Vetter,
da sei er ein loser Schelm gewesen; da hätt's geheißen: Der verdirbt
nicht--der wird seinen Weg schon machen!--Wir hatten auch schon von
Ihm gehört; aber die Nachrichten lauteten gar zu schön, als daß wir
sie hätten glauben können.  Wie wir aber nicht länger daran zweifeln
konnten, sagte mein Vater zu mir: Geh hin, Christoph!  Suche den
Vetter Selicour in Paris auf!  Die Reise wird dich nicht reuen--
Vielleicht machst du dein Glück mit einer guten Heirath.--Ich,
gleich auf den Weg, und da bin ich nun!--Nehmen Sie mir's nicht übel,
Madame!  Die Robineaus gehen gerade aus; was das Herz denkt, muß die
Zunge sagen--und wie ich den lieben Herrn Vetter da so vor mir sah,
sehen Sie, so ging mir das Herz auf.

Mad. Belmont.  Ei, das ist ganz natürlich.

Robineau.  Hör' Er, Vetter, ich möchte herzlich gern auch mein Glück
machen!  Er weiß das Geheimniß, wie man's anfängt; theil' Er mir's
doch mit.

Selicour.  Sei immer rechtschaffen, wahr und bescheiden!  Das ist
mein ganzes Geheimniß, Vetter, weiter hab' ich keins.--Es ist doch
alles wohl zu Hause?

Robineau.  Zum Preis Gottes, ja!  Die Familie gedeiht.  Der Bertrand
hat seine Susanne geheirathet; sie wird bald niederkommen und hofft,
der Herr Vetter wird zu Gevatter stehen.  Es ist alles in guten
Umständen, bis auf Seine arme Mutter.--Die meint, es war' doch hart,
daß sie Noth leiden müsse und einen so steinreichen Sohn in der Stadt
habe.

Selicour (leise).  Halt's Maul, Dummkopf!

Mad. Belmont.  Was sagt er von der Mutter?

Selicour (laut).  Ist's möglich?  Die tausend Thaler, die ich ihr
geschickt, sind also nicht angekommen?--Das thut mir in der Seele
weh!--Was das doch für schlechte Anstalten sind auf diesen Posten--
Die arme, gute Mutter!  Was mag sie ausgestanden haben!

Mad. Belmont.  Ja wohl!  Man muß ihr helfen.

Selicour.  Das versteht sich!  Sogleich bitte ich den Minister um
Urlaub--es ist eine gerechte Forderung.  Ich kann darauf bestehen--
Die Pflicht der Natur geht allen andern vor--Ich eile nach meinem
Ort--in acht Tagen ist alles abgethan!--Sie hat sich nicht in Paris
niederlassen wollen, wie sehr ich sie auch darum bat!  Die liebe alte
Mutter hängt gar zu sehr an ihrem Geburtsort.

Robineau.  So kann ich gar nicht aus ihr klug werden; denn zu uns
sagte sie, sie wäre gern nach Paris gekommen, aber der Vetter habe es
durchaus nicht haben wollen!

Selicour.  Die gute Frau weiß selbst nicht immer, was sie will!--
Aber sie nothleidend zu wissen--ach Gott!  Das jammert mich und
schneidet mir ins Herz.

Mad. Belmont.  Ich glaub's Ihnen wohl, Herr Selicour!  Aber Sie
werden bald Rath geschafft haben.  Ich gehe jetzt und lasse Sie mit
Ihrem Vetter allein.--Glücklich ist die Gattin, die Sie einst
besitzen wird.  Ein so pflichtvoller Sohn wird gewiß auch ein
zärtlicher Gatte werden!  (Ab.)



Achter Auftritt.

Selicour und Robineau.


Robineau.  Meiner Treu, Herr Vetter, ich bin ganz verwundert über Ihn
--eine so herzliche Aufnahme hätt' ich mir gar nicht von Ihm erwartet.
Der ist gar stolz und hochmüthig, hieß es, der wird dich gar nicht
mehr erkennen!

Selicour (nachdem er wohl nachgesehen, ob Madame Belmont auch fort
ist).  Sage mir, du Esel!  Was fällt dir ein, daß du mir hier so zur
Unzeit über den Hals kommst!

Robineau.  Nun, nun!  Wie ich Ihm schon sagte, ich komme, mein Glück
zu machen!

Selicour.  Dein Glück zu machen!  Der Schafskopf!

Robineau.  Ei, ei, Vetter!  Wie Er mit mir umgeht; ich lasse mir
nicht so begegnen.

Selicour.  Du thust wohl gar empfindlich--schade um deinen Zorn--
Von seinem Dorf weg nach Paris zu laufen!  Der Tagdieb!

Robineau.  Aber was das auf einmal für ein Betragen ist, Herr Vetter!
--Erst der freundliche Empfang und jetzt diesen barschen Ton mit mir!
--Das ist nicht ehrlich und gerade gehandelt, nehm' Er mir's nicht
übel, das ist falsch--und wenn ich das weiter erzählte, wie Er mit
mir umgeht--'s würde Ihm schlechte Ehre bringen!  Ja, das würd' es!

Selicour (erschrocken).  Weitererzählen!  Was?

Robineau.  Ja, ja, Vetter!

Selicour.  Untersteh dich, Bube!--Ich will dich unterbringen--ich
will für die Mutter sorgen.  Sei ruhig, ich schaffe dir einen Platz,
verlaß dich darauf!

Robineau.  Nun, wenn Er das--

Selicour.  Aber hier können wir nicht davon reden!  Fort!  Auf mein
Zimmer!

Robineau.  Ja, hör' Er, Vetter!  Ich möchte so gern ein recht ruhiges
und bequemes Brod.  Wenn Er mich so bei der Accise unterbringen
könnte.

Selicour.  Verlaß dich drauf; ich schaffe dich an den rechten Platz.
--Ins Dorf mit dem dummen Dorfteufel über Hals und Kopf.--(Ab.)




Dritter Aufzug.



Erster Auftritt.

La Roche und Karl Firmin begegnen einander.


La Roche.  Ich suchte Sie schon längst.--Hören Sie!--Nun, ich hab'
Wort gehalten--ich hab' ihn dem Minister abgeschildert, diesen
Selicour.

Karl.  Wirklich?  Und es ist also vorbei mit ihm?  Ganz vorbei?

La Roche.  Das nun eben nicht!--noch nicht ganz--denn ich muß Ihnen
sagen, er hat sich herausgelogen, daß ich da stand, wie ein rechter
Dummkopf--Der Heuchler stellte sich gerührt, er spielte den
zärtlichen Freund, den Großmüthigen mit mir, er überhäufte mich mit
Freundschaftsversicherungen und will mich bei dem Bureau als Chef
anstellen.

Karl.  Wie?  Was?  Das ist ja ganz vortrefflich!  Da wünsche ich
Glück.

La Roche.  Für einen Glücksjäger hielt ich ihn; ich hatte geglaubt,
daß es ihm nur um Stellen und um Geld zu thun wäre; für so falsch und
verrätherisch hätte ich ihn nie gehalten.  Der Heuchler mit seinem
süßen Geschwätz!  Ich war aber sein Narr nicht und hab' es rundweg
ausgeschlagen!

Karl.  Und so sind wir noch, wo wir waren?  Und mein Vater ist nicht
besser daran, als vorher?

La Roche.  Wohl wahr--aber lassen Sie mich nur machen!  Lassen Sie
mich machen!

Karl.  Ich bin auch nicht weiter.  In den Garten hab' ich mich
geschlichen, ob ich dort vielleicht meiner Geliebten begegnen möchte.
--Aber vergebens!  Einige Strophen, die ich mir in der Einsamkeit
ausdachte, sind die ganze Ausbeute, die ich zurückbringe.

La Roche.  Vortrefflich!  Brav!  Machen Sie Verse an Ihre Geliebte!
Unterdessen will ich die Spur meines Wildes verfolgen :der Schelm
betrügt sich sehr, wenn er glaubt, ich habe meinen Plan aufgegeben.

Karl.  Lieber La Roche!  Das ist unter unserer Würde.  Lassen wir
diesen Elenden sein schmutziges Handwerk treiben und das durch unser
Verdienst erzwingen, was er durch Niederträchtigkeit erschleicht.

La Roche.  Weg mit diesem Stolz!  Es ist Schwachheit, es ist
Vorurtheil!--Wie?  Wollen wir warten, bis die Redlichkeit die Welt
regiert--da würden wir lange warten müssen.  Alles schmiedet Ränke!
Wohl, so wollen wir einmal für die gute Sache ein Gleiches versuchen.
--Das geht übrigens Sie nichts an.--Machen Sie Ihre Verse, bilden
Sie Ihr Talent aus, ich will es geltend machen, ich--das ist meine
Sache!

Karl.  Ja, aber die Klugheit nicht vergessen.--Sie haben sich heute
übel ertappen lassen.

La Roche.  Und es wird nicht das letzte Mal sein.--Aber thut nichts!
Ich schreite vorwärts.  Ich lasse mich nicht abschrecken, ich werde
ihm so lange und so oft zusetzen, daß ich ihm endlich doch Eins
beibringe.  Ich bin lange sein Narr gewesen, jetzt will ich auch ihm
einen Possen spielen.  Lassen wir's den Buben so forttreiben, wie
er's angefangen, so werde ich bald der Schelm und Ihr Vater der
Dummkopf sein müssen!

Karl.  Man kommt!

La Roche.  Er ist es selbst!

Karl.  Ich kann seinen Anblick nicht ertragen.  In den Garten will
ich zurückgehen und mein Gedicht vollenden.  (Ab.)

La Roche.  Ich will auch fort!  Auf der Stelle will ich Hand ans Werk
legen.  Doch nein--es ist besser, ich bleibe.  Der Geck glaubte
sonst, ich fürchte mich vor ihm!



Zweiter Auftritt.

Selicour und La Roche.


Selicour.  Ach, sieh da!  Finde ich den Herrn La Roche hier?

La Roche.  Ihn selbst, Herr Selicour!

Selicour.  Sehr beschämt, wie ich sehe.

La Roche.  Nicht sonderlich.

Selicour.  Ihr wüthender Ausfall gegen mich hat nichts gefruchtet--
Der Freund hat seine Bolzen umsonst verschossen.

La Roche.  Hat nichts zu sagen.

Selicour.  Wahrlich, Freund La Roche!  So hart Sie mir auch zusetzten
--Sie haben mir leid gethan mit Ihren närrischen Grillen.

La Roche.  Herr Narbonne ist jetzt nicht zugegen.--Zwingt Euch nicht!

Selicour.  Was beliebt?

La Roche.  Seid unverschämt nach Herzensgelüsten.

Selicour.  Sieh doch!

La Roche.  Brüstet Euch mit Eurem Triumph.  Ihr habt mir's abgewonnen!

Selicour.  Freilich, es kann Einen stolz machen, über einen so
fürchterlichen Gegner gesiegt zu haben.

La Roche.  Wenn ich's heute nicht recht machte, in Eurer Schule will
ich's bald besser lernen.

Selicour.  Wie, Herr La Roche?  Sie haben es noch nicht aufgegeben,
mir zu schaden?

La Roche.  Um eines unglücklichen Zugs willen verläßt man das Spiel
nicht!

Selicour.  Ein treuer Schildknappe also des ehrlichen Firmins!--Sieh,
sieh!

La Roche.  Er muß dir oft aus der Noth helfen, dieser ehrliche Firmin.

Selicour.  Was gibt er dir für deine Ritterschaft?

La Roche.  Was bezahlst du ihm für die Exercitien, die er dir
ausarbeitet?

Selicour.  Nimm dich in Acht, Freund Roche!--Ich könnte dir schlimme
Händel anrichten.

La Roche.  Werde nicht böse, Freund Selicour!--Der Zorn verräth ein
böses Gewissen.

Selicour.  Freilich sollte ich über deine Thorheit nur lachen.

La Roche.  Du verachtest einen Feind, der dir zu schwach scheint.
Ich will darauf denken, deine Achtung zu verdienen!  (Geht ab.)



Dritter Auftritt.

Selicour allein.


Sie wollen den Firmin zum Gesandten haben.--Gemach, Kamerad!--So
weit sind wir noch nicht.--Aber Firmin betrug sich immer so gut
gegen mich.--Es ist der Sohn vermutlich--der junge Mensch, der sich
mit Versen abgibt, ganz gewiß--und dieser La Roche ist's, der sie
hetzt!--Dieser Firmin hat Verdienste, ich muß es gestehen, und wenn
sie je seinen Ehrgeiz aufwecken, so kenne ich Keinen, der mir
gefährlicher wäre.--Das muß verhütet werden!--Aber in welcher
Klemme sehe ich mich!--Eben diese beiden Firmins wären mir jetzt
gerade höchst nöthig, der Vater mit seinen Einsichten und der Sohn
mit seinen Versen.--Laß uns fürs erste Nutzen von ihnen ziehen, und
dann schafft man sie sich schon gelegentlich vom Halse.



Vierter Auftritt.

Firmin der Vater und Selicour.


Selicour.  Sind Sie's, Herr Firmin?  Eben wollte ich zu Ihnen.

Firmin.  Zu mir?

Selicour.  Mich mit Ihnen zu erklären--

Firmin.  Worüber?

Selicour.  Ueber eine Armseligkeit--Lieber Firmin, es ist mir ein
rechter Trost, Sie zu sehen.--Man hat uns veruneinigen wollen.

Firmin.  Uns veruneinigen?

Selicour.  Ganz gewiß.  Aber es soll ihnen nicht gelingen, hoff' ich.
Ich bin Ihr wahrer und aufrichtiger Freund, und ich hab' es heute
bewiesen, denk' ich, da dieser tollköpfige La Roche mich bei dem
Minister anschwärzen wollte.

Firmin.  Wie?  Hätte der La Roche--

Selicour.  Er hat mich auf das abscheulichste preisgegeben.

Firmin.  Er hat seine Stelle verloren.--Setzen Sie sich an seinen
Platz.

Selicour.  Er ist ein Undankbarer!  Nach allem, was ich für ihn
gethan habe--Und es geschehe, sagte er, um Ihnen dadurch einen
Dienst zu leisten.--Er diente Ihnen aber schlecht.  Da er mir zu
schaden suchte.--Was will ich denn anders, als Ihr Glück?--Aber ich
weiß besser, als dieser Brauskopf, was Ihnen dient.  Darum habe ich
mir schon ein Plänchen mit Ihnen ausgedacht.--Das lärmende Treiben
der Bureaux ist Ihnen verhaßt, das weiß ich; Sie lieben nicht, in der
geräuschvollen Stadt zu leben.--Es soll für Sie gesorgt werden, Herr
Firmin!--Sie suchen sich irgend ein einsames stilles Plätzchen aus,
ziehen einen guten Gehalt, ich schicke Ihnen Arbeit hinaus, Sie mögen
gern arbeiten, es soll Ihnen nicht daran fehlen.

Firmin.  Aber wie--

Selicour.  Das sind aber bloß noch Ideen, es hat noch Zeit bis dahin.
--Glücklich, der auf der ländlichen Flur seine Tage lebt!  Ach, Herr
Firmin!  So wohl wird es mir nicht!  Ich bin in die Stadt gebannt,
ein Lastthier der Verhältnisse, den Pfeilen der Bosheit preisgegeben.
Auch hielt ich's für die Pflicht eines guten Verwandten, einen
Vetter, der sich hier niederlassen wollte, über Hals und Kopf wieder
aufs Land zurück zu schicken.--Der gute Vetter!  Ich bezahlte ihm
gern die Reisekosten--denn, sagen Sie selbst, ist's nicht unendlich
besser, auf dem Land in der Dunkelheit frei zu leben, als hier in der
Stadt sich zu placken und zu quälen?--

Firmin.  Das ist meine Meinung auch.--Aber was wollten Sie
eigentlich bei mir?

Selicour.  Nun, wie ich sagte, vor allen Dingen mich von der
Freundschaft meines lieben Mitbruders überzeugen--und alsdann--Sie
haben mir so oft schon aus der Verlegenheit geholfen; ich verhehle es
nicht, ich bin Ihnen so viel--so Vieles schuldig--mein Posten
bringt mich um--mir liegt so Vieles auf dem Halse--wahrhaftig, es
braucht meinen ganzen Kopf, um herum zu kommen--Sie sind zufrieden
mit unserm Minister?

Firmin.  Ich bewundere ihn.

Selicour.  Ja, das nenn' ich einmal einen fähigen Chef!  Und wahrlich,
es war auch die höchste Noth, daß ein solcher an den Platz kam, wenn
nicht alles zu Grunde gehen sollte.--Es ist noch nicht alles, wie es
soll, sagte ich ihm heute--wollen Sie, daß alles seinen rechten Gang
gehe, so müßten Sie ein Memoire einreichen, worin alles, was noch zu
verbessern ist, mit der strengsten Wahrheit angezeigt wäre.--Diese
meine Idee hat er mit Eifer ergriffen und will eine solche Schrift
unverzüglich aufgesetzt haben.--Er trug sie mir auf--aber die
unendlichen Geschäfte, die auf mir liegen--in der That, ich zittre,
wenn ich an einen Zuwachs denke--

Firmin.  Und da rechnen Sie denn auf mich--nicht wahr?

Selicour.  Nun ja, ich will's gestehen!

Firmin.  Sie konnten sich diesmal an keinen Bessern wenden!

Selicour.  O das weiß ich!  Das weiß ich!

Firmin.  Denn da ich so lange Zeit von den Mißbräuchen unter der
vorigen Verwaltung Augenzeuge war--so habe ich, um nicht bloß als
müßiger Zuschauer darüber zu seufzen, meine Beschwerden und
Verbesserungspläne dem Papiere anvertraut--und so findet sich, daß
die Arbeit, die man von Ihnen verlangt, von mir wirklich schon gethan
ist!--Ich hatte mir keinen bestimmten Gebrauch dabei gedacht--ich
schrieb bloß nieder, um mein Herz zu erleichtern.

Selicour.  Ist's möglich?  Sie hätten--

Firmin.  Es liegt alles bereit, wenn Sie davon Gebrauch machen wollen.

Selicour.  Ob ich das will!  O mit Freuden!--Das ist ja ein ganz
erwünschter Zufall!

Firmin.  Aber die Papiere sind nicht in der besten Ordnung!

Selicour.  O diese kleine Mühe übernehm' ich gern--noch heute Abend
soll der Minister das Memoire haben--Ich nenne Sie als Verfasser,
Sie sollen den Ruhm davon haben.

Firmin.  Sie wissen, daß mir's darauf eben nicht ankommt!  Wenn ich
nur Gutes stifte, gleichviel, unter welchem Namen.

Selicour.  Würdiger, scharmanter Mann!  Niemand läßt Ihrem
bescheidnen Verdienst mehr Gerechtigkeit widerfahren, als ich.--Sie
wollen mir also die Papiere--

Firmin.  Ich kann sie gleich holen.  Wenn Sie so lange verziehen
wollen.

Selicour.  Ja, gehen Sie!  Ich will hier warten.

Firmin.  Da kommt mein Sohn--Er kann Ihnen unterdessen Gesellschaft
leisten--Aber sagen Sie ihm nichts davon--hören Sie!  Ich bitte
mir's aus!

Selicour.  So!  Warum denn nicht?

Firmin.  Aus Ursachen.

Selicour.  Nun, wenn Sie so wollen!  Es wird mir zwar sauer werden,
Ihre Gefälligkeit zu verschweigen.--(Wenn Firmin fort ist.) Der arme
Schelm!  Er fürchtet wohl gar, sein Sohn werde ihn auszanken.



Fünfter Auftritt.

Karl.  Selicour.


Karl (kommt, in einem Papier lesend, das er beim Anblick Selicours
schnell verbirgt).  Schon wieder dieser Selicour--(Will gehen.)

Selicour.  Bleiben Sie doch, mein junger Freund!--Warum fliehen Sie
so die Gesellschaft?

Karl.  Verzeihung, Herr Selicour!--(Für sich.) Daß ich dem Schwätzer
in den Weg laufen mußte!

Selicour.  Ich habe mich schon längst darnach gesehnt, Sie zu sehen,
mein Bester!--Was machen die Musen?  Wie fließen uns die Verse?--
Der gute Herr Firmin hat allerlei dagegen, ich weiß aber, er hat
Unrecht.--Sie haben ein so entschiednes Talent!--Wenn die Welt Sie
nur erst kennte--aber das wird kommen!  Noch heute früh sprach ich
von Ihnen--

Karl.  Von mir?

Selicour.  Mit der Mutter unsers Herrn Ministers--und man hat schon
ein gutes Vorurtheil für Sie, nach der Art, wie ich Ihrer erwähnte.

Karl.  So!  Bei welchem Anlaß war das?

Selicour.  Sie macht die Kennerin--ich weiß nicht, wie sie dazu
kommt--Man schmeichelt ihr, ihres Sohnes wegen.--Wie?  Wenn Sie ihr
auf eine geschickte feine Art den Hof machten--derentwegen wollte
ich Sie eben aufsuchen.--Sie verlangte ein paar Couplets von mir für
diesen Abend.--Nun habe ich zwar zu meiner Zeit auch meinen Vers
gemacht, wie ein Andrer, aber der Witz ist eingerostet in den
leidigen Geschäften!  Wie wär's nun, wenn Sie statt meiner die
Verschen machten.--Sie vertrauten sie mir an--ich lese sie vor--
man ist davon bezaubert--man will von mir wissen--Ich--ich nenne
Sie!  Ich ergreife diese Gelegenheit, Ihnen eine Lobrede zu halten.--
Alles ist voll von Ihrem Ruhm, und nicht lange, so ist der neue Poet
fertig, eben so berühmt durch seinen Witz, als seinen Degen!

Karl.  Sie eröffnen mir eine glänzende Aussicht!

Selicour.  Es steht ganz in Ihrer Gewalt, sie wirklich zu machen!

Karl (für sich).  Er will mich beschwatzen!  Es ist lauter Falschheit,
ich weiß es recht gut, daß er falsch ist--aber, wie schwach bin ich
gegen das Lob!  Wider meinen Willen könnte er mich beschwatzen.--(Zu
Selicour.) Man verlangt also für diesen Abend--

Selicour.  Eine Kleinigkeit!  Ein Nichts!  Ein Liedchen--wo sich auf
eine ungezwungene Art so ein feiner Zug zum Lobe des Ministers
anbringen ließe.--

Karl.  Den Lobredner zu machen, ist meine Sache nicht!  Die Würde der
Dichtkunst soll durch mich nicht so erniedrigt werden.  Jedes Lob,
auch wenn es noch so verdient ist, ist Schmeichelei, wenn man es an
die Großen richtet.

Selicour.  Der ganze Stolz eines echten Musensohns!  Nichts von
Lobsprüchen also--aber so etwas von Liebe--Zärtlichkeit--
Empfindung--

Karl (sieht sein Papier an).  Konnte ich denken, da ich sie
niederschrieb, daß ich so bald Gelegenheit haben würde?

Selicour.  Was?  Wie?  Das sind doch nicht gar Verse--

Karl.  O verzeihen Sie!  Eine sehr schwache Arbeit--

Selicour.  Ei was!  Mein Gott!  Da hätten wir ja gerade, was wir
brauchen!--Her damit, geschwind!--Sie sollen bald die Wirkung davon
erfahren--Es braucht auch gerade keine Romanze zu sein--diese
Kleinigkeiten--diese artigen Spielereien thun oft mehr, als man
glaubt--dadurch gewinnt man die Frauen, und die Frauen machen alles.
--Geben Sie!  Geben Sie!--Wie!  Sie stehen an?  Nun, wie Sie wollen!
Ich wollte Ihnen nützlich sein--Sie bekannt machen--Sie wollen
nicht bekannt sein--Behalten Sie Ihre Verse!  Es ist Ihr Vortheil,
nicht der meine, den ich dabei beabsichtete.

Karl.  Wenn nur--

Selicour.  Wenn Sie sich zieren--

Karl.  Ich weiß aber nicht--

Selicour (reißt ihm das Papier aus der Hand).  Sie sind ein Kind!
Geben Sie!  Ich will Ihnen wider Ihren Willen dienen--Ihr Vater
selbst soll Ihrem Talente bald Gerechtigkeit erzeigen.  Da kommt er!
(Er steckt das Papier in die rechte Tasche.)



Sechster Auftritt.

Beide Firmins.  Selicour.


Firmin.  Hier, mein Freund!--aber reinen Mund gehalten!  (Gibt ihm
das Papier heimlich.)

Selicour.  Ich weiß zu schweigen.  (Steckt das Papier in die linke
Rocktasche.)

Karl (für sich).  That ich Unrecht, sie ihm zu geben--Was kann er
aber auch am Ende mit meinen Versen machen?

Selicour.  Meine werthen Freunde!  Sie haben mir eine köstliche
Viertelstunde geschenkt--aber man vergißt sich in Ihrem Umgang.--
Der Minister wird auf mich warten--ich reiße mich ungern von Ihnen
los, denn man gewinnt immer etwas bei so würdigen Personen.  (Geht ab,
mit beiden Händen an seine Rocktaschen greifend.)



Siebenter Auftritt.

Beide Firmins.


Firmin.  Das ist nun der Mann, den du einen Ränkeschmied und
Kabalenmacher nennst--und kein Mensch nimmt hier mehr Antheil an mir,
als er!

Karl.  Sie mögen mich nun für einen Träumer halten--aber je mehr er
Ihnen schön thut, desto weniger trau' ich ihm--Dieser süße Ton, den
er bei Ihnen annimmt--Entweder er braucht Sie, oder er will Sie zu
Grund richten.

Firmin.  Pfui über das Mißtrauen!--Nein, mein Sohn!  Und wenn ich
auch das Opfer der Bosheit werden sollte--so will ich doch so spät
als möglich das Schlechte von Andern glauben.



Achter Auftritt.

Vorige.  La Roche.


La Roche.  Sind Sie da, Herr Firmin!--Es macht mir herzliche Freude
--der Minister will Sie besuchen.

Karl.  Meinen Vater?--

Firmin.  Mich?

La Roche.  Ja, Sie!--Ich hab' es wohl bemerkt, wie ich ein Wort von
Ihnen fallen ließ, daß Sie schon seine Aufmerksamkeit erregt hatten.
--Diesem Selicour ist auch gar nicht wohl dabei zu Muthe--So ist
mein heutiger Schritt doch zu etwas gut gewesen.

Karl.  O so sehen Sie sich doch wider Ihren eigenen Willen ans Licht
hervorgezogen!--Welche glückliche Begebenheit!

Firmin.  Ja, ja!  Du siehst mich in deinen Gedanken schon als
Ambassadeur und Minister--Herr von Narbonne wird mir einen kleinen
Auftrag zu geben haben, das wird's alles sein!

La Roche.  Nein, nein, sag' ich Ihnen--er will Ihre nähere
Bekanntschaft machen--Und das ist's nicht allein!  Nein, nein!  Die
Augen sind ihm endlich aufgegangen!  Dieser Selicour, ich weiß es,
ist seinem Fall nahe!  Noch heute--es ist schändlich und abscheulich
--doch ich sage nichts.--Der Minister ließ in Ihrem Hause nach Ihnen
fragen; man sagte ihm, Sie seien auf dem Bureau--Ganz gewiß sucht er
Sie hier auf!  Sagt' ich's nicht?  Sieh, da ist er schon!  (Er tritt
nach dem Hintergrunde zurück.)



Neunter Auftritt.

Narbonne zu den Vorigen.


Narbonne.  Ich habe Arbeiten von Ihnen gesehen, Herr Firmin, die mir
eine hohe Idee von Ihren Einsichten geben, und von allen Seiten hör'
ich Ihre Rechtschaffenheit, Ihre Bescheidenheit rühmen.--Männer
Ihrer Art brauche ich höchst nöthig--Ich komme deßwegen, mir Ihren
Beistand, Ihren Rath, Ihre Mitwirkung in dem schweren Amte
auszubitten, das mir anvertraut ist.--Wollen Sie mir Ihre
Freundschaft schenken, Herr Firmin?

Firmin.  So viel Zutrauen beschämt mich und macht mich stolz.--Mit
Freude und Dankbarkeit nehme ich dieses gütige Anerbieten an--aber
ich fürchte, man hat Ihnen eine zu hohe Meinung von mir gegeben.

Karl.  Man hat Ihnen nicht mehr gesagt, als wahr ist, Herr von
Narbonne!--Ich bitte Sie, meinem Vater in diesem Punkte nicht zu
glauben.

Firmin.  Mache nicht zu viel Rühmens, mein Sohn, von einem ganz
gemeinen Verdienst.

Narbonne.  Das ist also Ihr Sohn, Herr Firmin?

Firmin.  Ja.

Narbonne.  Der Karl Firmin, dessen meine Mutter und Tochter noch
heute Morgen gedacht haben?

Karl.  Ihre Mutter und die liebenswürdige Charlotte haben sich noch
an Karl Firmin erinnert!

Narbonne.  Sie haben mir sehr viel Schmeichelhaftes von Ihnen gesagt.

Karl.  Möchte ich so viele Güte verdienen!

Narbonne.  Es soll mich freuen, mit Ihnen, braver junger Mann, und
mit Ihrem würdigen Vater mich näher zu verbinden.--Herr Firmin!
Wenn es meine Pflicht ist, Sie aufzusuchen, so ist es die Ihre nicht
weniger, sich finden zu lassen.  Mag sich der Unfähige einer
schimpflichen Trägheit ergeben!--Der Mann von Talent, der sein
Vaterland liebet, sucht selbst das Auge seines Chefs und bewirbt sich
um die Stelle, die er zu verdienen sich bewußt ist.--Der Dummkopf
und der Nichtswürdige sind immer bei der Hand, um sich mit ihrem
anmaßlichen Verdienste zu brüsten--Wie soll man das wahre Verdienst
unterscheiden, wenn es sich mit seinen verächtlichen Nebenbuhlern
nicht einmal in die Schranken stellt?--Bedenken Sie, Herr Firmin,
daß man für das Gute, welches man nicht thut, so wie für das Böse,
welches man zuläßt, verantwortlich ist.

Karl.  Hören Sie' s nun, mein Vater!

Firmin.  Geben Sie mir Gelegenheit, meinem Vaterlande zu dienen, ich
werde sie mit Freuden ergreifen!

Narbonne.  Und mehr verlang' ich nicht--Damit wir besser mit
einander bekannt werden, so speisen Sie Beide diesen Abend bei mir.
Sie finden eine angenehme Gesellschaft--ein paar gute Freunde,
einige Verwandte--Aller Zwang wird entfernt sein, und meine Mutter,
die durch meinen neuen Stand nicht stolzer geworden ist, wird Sie
aufs freundlichste empfangen, das versprech' ich Ihnen.

Firmin.  Wir nehmen Ihre gütige Einladung an.

Karl (für sich).  Ich werde Charlotten sehen!

La Roche (bei Seite).  Die Sachen sind auf gutem Weg--der Augenblick
ist günstig--frisch, noch einen Ausfall auf diesen Selicour!  (Kommt
vorwärts.) So lassen Sie endlich dem Verdienst Gerechtigkeit
widerfahren, gut!  Nun ist noch übrig, auch das Laster zu entlarven--
Glücklicherweise finde ich Sie hier und kann da fortfahren, wo ich es
diesen Morgen gelassen.--Dieser Selicour brachte mich heute zum
Stillschweigen--ich machte es ungeschickt, ich gesteh' es, daß ich
so mit der Thür ins Haus fiel; aber wahr bleibt wahr!  Ich habe doch
recht!  Sie verlangten Thatsachen--Ich bin damit versehen.

Narbonne.  Was?  Wie?

La Roche.  Dieser Mensch, der sich das Ansehen gibt, als ob er seiner
Mutter und seiner ganzen Familie zur Stütze diente, er hat einen
armen Teufel von Vetter schön empfangen, der heute in seiner Einfalt,
in gutem Vertrauen zu ihm in die Stadt kam, um eine kleine Versorgung
durch ihn zu erhalten.  Fortgejagt wie einen Taugenichts hat ihn der
Heuchler!  So geht er mit seinen Verwandten um--und wie schlecht
sein Herz ist, davon kann seine nothleidende Mutter--

Firmin.  Sie thun ihm sehr Unrecht, lieber La Roche!  Eben dieser
Vetter, den er soll fortgejagt haben, kehrt mit seinen Wohlthaten
überhäuft und von falschen Hoffnungen geheilt in sein Dorf zurück!

Narbonne.  Eben mit diesem Vetter hat er sich recht gut betragen.

La Roche.  Wie?  Was?

Narbonne.  Meine Mutter war ja bei dem Gespräch zugegen.

Firmin.  Lieber La Roche!  Folgen Sie doch nicht so der Eingebung
einer blinden Rache.

La Roche.  Schön, Herr Firmin!  Reden Sie ihm noch das Wort!

Firmin.  Er ist abwesend, es ist meine Pflicht, ihn zu verteidigen.

Narbonne.  Diese Gesinnung macht Ihnen Ehre, Herr Firmin; auch hat
sich Herr Selicour in Ansehung Ihrer noch heute eben so betragen.--
Wie erfreut es mich, mich von so würdigen Personen umgeben zu sehen.
--(Zu La Roche) Sie aber, der den armen Selicour so unversöhnlich
verfolgt, Sie scheinen mir wahrlich der gute Mann nicht zu sein, für
den man Sie hält!--Was ich bis jetzt noch von Ihnen sah, bringt
Ihnen wahrlich schlechte Ehre!

La Roche für sich).  Ich möchte bersten--aber nur Geduld!

Narbonne.  Ich bin geneigt, von dem guten Selicour immer besser zu
denken, je mehr Schlimmes man mir von ihm sagt, und ich gehe damit um,
ihn mir näher zu verbinden.

Karl (betroffen).  Wie so?

Narbonne.  Meine Mutter hat gewisse Plane, die ich vollkommen
gutheiße--Auch mit Ihnen habe ich es gut vor, Herr Firmin!--Diesen
Abend ein Mehreres.--Bleiben Sie ja nicht lange aus.  (Zu Karl.) Sie,
mein junger Freund, legen sich auf die Dichtkunst, hör' ich; meine
Mutter hat mir heute Ihr Talent gerühmt.--Lassen Sie uns bald etwas
von Ihrer Arbeit hören.--Auch ich liebe die Musen, ob ich gleich
ihrem Dienst nicht leben kann.--Ihr Diener, meine Herren!--Ich
verbitte mir alle Umstände.  (Er geht ab.)



Zehnter Auftritt.

Vorige ohne Narbonne.


Karl.  Ich werde sie sehen!  Ich werde sie sprechen!--Aber diese
gewissen Plane der Großmutter--Gott!  Ich zittre.--Es ist gar nicht
mehr zu zweifeln, daß sie diesem Selicour bestimmt ist.

Firmin.  Nun, mein Sohn!  Das ist ja heute ein glücklicher Tag!

La Roche.  Für Sie wohl, Herr Firmin--aber für mich?

Firmin.  Sei'n Sie außer Sorgen!  Ich hoffe, alles wieder ins Gleiche
zu bringen.--(Zu Karl.) Betrage dich klug, mein Sohn!  Wenigstens
unter den Augen des Ministers vergiß dich nicht!

Karl.  Sorgen Sie nicht!  Aber auch Sie, mein Vater, rühren Sie sich
einmal!

Firmin.  Schön!  Ich erhalte auch meine Lektion.

Karl.  Und habe ich nicht recht, Herr La Roche?

Firmin.  Laß dir sein Beispiel wenigstens zu einer Warnung dienen.--
Muth gefaßt, La Roche!  Wenn meine Fürsprache etwas gilt, so ist Ihre
Sache noch nicht verloren.  (Er geht ab.)



Eilfter Auftritt.

Karl Firmin und La Roche.


La Roche.  Nun, was sagen Sie?  Ist das erlaubt, daß Ihr Vater selbst
mich Lügen straft und den Schelmen in Schutz nimmt?

Karl.  Bester Freund, ich habe heute früh Ihre Dienste verschmäht,
jetzt flehe ich um Ihre Hilfe.  Es ist nicht mehr zu zweifeln, daß
man ihr den Selicour zum Gemahl bestimmt.  Ich bin nicht werth, sie
zu besitzen, aber noch weniger verdient es dieser Nichtswürdige!

La Roche.  Braucht's noch eines Sporns, mich zu hetzen?  Sie sind
Zeuge gewesen, wie man mich um seinetwillen mißhandelt hat!  Hören
Sie mich an!  Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Minister ihm
noch heute eine sehr wichtige und kitzliche Arbeit aufgetragen, die
noch vor Abend fertig sein soll.  Er wird sie entweder gar nicht
leisten, oder doch etwas höchst Elendes zu Markte bringen.  So kommt
seine Unfähigkeit ans Licht.  Trotz seiner süßlichten Manieren hassen
ihn Alle und wünschen seinen Fall.  Keiner wird ihm helfen, dafür
steh' ich, so verhaßt ist er!

Karl.  Meinen Vater will ich schon davon abhalten.--Ich sehe jetzt
wohl, zu welchem Zweck er mir mein Gedicht abschwatzte.  Sollte er
wohl die Stirne haben, sich in meiner Gegenwart für den Verfasser
auszugeben?

La Roche.  Kommen Sie mit mir in den Garten, er darf uns nicht
beisammen antreffen.--Du nennst dich meinen Meister, Freund Selicour!
Nimm dich in Acht----dein Lehrling formiert sich, und noch vor
Abend sollst du bei ihm in die Schule gehen!  (Gehen ab.)




Vierter Aufzug.



Erster Auftritt.

Madame Belmont.  Charlotte.


Mad. Belmont.  Bleib da, Charlotte!  Wir haben ein Wörtchen mit
einander zu reden, eh die Gesellschaft kommt.--Sage mir, mein Kind!
Was hältst du von dem Herrn Selicour?

Charlotte.  Ich, Mama?

Mad. Belmont.  Ja, du!

Charlotte.  Nun, ein ganz angenehmer, verdienstvoller, würdiger Mann
scheint er mir zu sein.

Mad. Belmont.  Das hör' ich gerne!  Ich freue mich, liebes Kind, daß
du eine so gute Meinung von ihm hast--denn, wenn dein Vater und ich
etwas über dich vermögen, so wird Herr Selicour bald dein Gemahl sein.

Charlotte (betroffen).  Mein Gemahl!--

Mad. Belmont.  Fällt dir das auf?

Charlotte.  Herr Selicour?

Mad. Belmont.  Wir glaubten nicht besser für dein Glück sorgen zu
können.

Charlotte.  Von Ihren und meines Vaters Händen will ich gern einen
Gatten annehmen--Aber, Sie werden mich für grillenhaft halten, liebe
Großmama!--Ich weiß nicht--dieser Herr Selicour, den ich übrigens
hochschätze--gegen den ich nichts einzuwenden habe--ich weiß nicht,
wie es kommt--wenn ich mir ihn als meinen Gemahl denke, so--so
empfinde ich in der Tiefe meines Herzens eine Art von--

Mad. Belmont.  Doch nicht von Abneigung?

Charlotte.  Von Grauen möcht' ich's sogar nennen!  Ich weiß, daß ich
ihm Unrecht thue; aber ich kann es nun einmal nicht überwinden--Ich
fühle weit mehr Furcht vor ihm, als Liebe.

Mad. Belmont.  Schon gut!  Diese Furcht kennen wir, meine Tochter!

Charlotte.  Nein!  Hören Sie!--

Mad. Belmont.  Eine angenehme mädchenhafte Schüchternheit!  Das muß
ich wissen, glaube mir.--Bin ich nicht auch einmal jung gewesen?--
Uebrigens steht diese Partie deiner Familie an.--Ein Mann, der alles
weiß--ein Mann von Geschmack--ein feiner Kenner--und ein so
gefälliger, bewährter Freund.--Auch reißt man sich in allen Häusern
um ihn.--Wäre er nicht eben jetzt seiner Mutter wegen bekümmert, so
hätte er mir diesen Abend eine Romanze für dich versprochen--denn er
kann alles, und dir möchte er gern in jeder Kleinigkeit zu Gefallen
sein.--Aber ich hör' ihn kommen!  Er läßt doch niemals auf sich
warten!  Wahrlich, es gibt seines Gleichen nicht!



Zweiter Auftritt.

Selicour zu den Vorigen.


Selicour.  Sie verlangten heute ein gefühlvolles zärtliches Lied von
mir!  Ich habe mein Möglichstes gethan, Madame!--und lege es Ihnen
hier zu Füßen.

Mad. Belmont.  Wie, Herr Selicour?  Sie haben es wirklich schon
fertig?--In der That, ich fürchtete, daß die übeln Nachrichten--

Selicour.  Welche Nachrichten?

Mad. Belmont.  Von Ihrer Mutter--

Selicour.  Von meiner Mutter!--Ja--ich--ich habe eben einen Brief
von ihr erhalten--einen Brief, worin sie mir meldet, daß sie
endlich--

Mad. Belmont.  Daß sie die tausend Thaler erhalten--nun, das freut
mich--

Selicour.  Hätte ich sonst die Fassung haben können?--Aber, dem
Himmel sei Dank!--jetzt ist mir dieser Stein vom Herzen, und in der
ersten Freude setzte ich diese Strophen auf, die ich die Ehre gehabt,
Ihnen zu überreichen.

Mad. Belmont (zu Charlotten).  Er hätte dich gejammert, wenn du ihn
gesehen hättest--Da war's, wo ich sein ganzes treffliches Herz
kennen lernte.--Herr Selicour, ich liebe Ihre Romanze, noch eh' ich
sie gelesen.



Dritter Auftritt.

Vorige.  Narbonne.


Narbonne.  Selicour hier bei Ihnen!  Ei, ei, liebe Mutter!  Sie
ziehen mir ihn von nöthigeren Dingen ab.--Er hat so dringend zu thun,
und Sie beladen ihn noch mit unnützen Aufträgen.

Mad. Belmont.  Sieh, sieh, mein Sohn!--Will er nicht gar böse
werden!

Narbonne.  Was soll aus dem Aufsatz werden, der doch so wichtig und
so dringend ist?

Selicour.  Der Aufsatz ist fertig.  Hier ist er!

Narbonne.  Was, schon fertig?

Selicour.  Und ich bitte Sie, zu glauben.  Daß ich weder Zeit noch
Mühe dabei gespart habe.

Narbonne.  Aber wie ist das möglich?

Selicour.  Die Mißbräuche der vorigen Verwaltung haben mir nur zu oft
das Herz schwer gemacht--Ich konnte es nicht dabei bewenden lassen,
sie bloß müßig zu beklagen--dem Papiere vertraute ich meinen
Unwillen, meinen Tadel, meine Verbesserungsplane an, und so trifft es
sich, daß die Arbeit, die Sie mir auftrugen, schon seit lange im
Stillen von mir gemacht ist--Es sollte mir wahrlich auch nicht an
Muth gefehlt haben, öffentlich damit hervorzutreten, wenn die
Regierung nicht endlich von selbst zur Einsicht gekommen wäre und in
Ihrer Person einen Mann abgestellt hätte, der alles wieder in Ordnung
bringt.--Jetzt ist der Zeitpunkt da, von diesen Papieren
öffentlichen Gebrauch zu machen--Es fehlte nichts, als die Blätter
zurecht zu legen, und das war in wenig Augenblicken geschehen.

Mad. Belmont.  Nun, mein Sohn!  Du kannst zufrieden sein, denk' ich
--Herr Selicour hat deinen Wunsch erfüllt, eh' er ihn wußte; hat dir
in die Hand gearbeitet, und ihr kommt einander durch den
glücklichsten Zufall entgegen--

Narbonne.  Mit Freuden seh' ich, daß wir einverstanden sind.--Geben
Sie, Herr Selicour, noch heute Abend sende ich den Aufsatz an die
Behörde.

Selicour (für sich).  Alles geht gut--Jetzt diesen Firmin
weggeschafft, der mir im Weg ist.  (Laut.) Werden Sie mir verzeihen,
Herr von Narbonne?--Es thut mir leid.  Es zu sagen--aber ich muß
fürchten, daß die Anklage des Herrn La Roche diesen Morgen doch
einigen Eindruck gemacht haben könnte.

Narbonne.  Nicht den mindesten.

Selicour.  Ich habe es befürchtet.--Nach allem, was ich sehe, hat
dieser La Roche meine Stelle schon an Jemanden vergeben.--

Narbonne.  Wie?

Selicour.  Ich habe immer sehr gut gedacht von Herrn Firmin.  Aber,
ich gesteh' es--ich fange doch endlich an, an ihm irre zu werden.

Narbonne.  Wie?  Sie haben mir ja noch heute seine Gutmütigkeit
gerühmt.

Selicour.  Ist auch den Gutmütigsten bis auf einen gewissen Punkt zu
trauen?--Ich sehe mich von Feinden umgeben.  Man legt mir
Fallstricke.

Narbonne.  Sie thun Herrn Firmin Unrecht.  Ich kenne ihn besser, und
ich stehe für ihn.

Selicour.  Ich wünschte, daß ich eben so von ihm denken könnte.

Narbonne.  Der schändliche Undank dieses La Roche muß Sie
natürlicherweise mißtrauisch machen.  Aber wenn Sie auch nur den
Schatten eines Zweifels gegen Herrn Firmin haben, so werden Sie
sogleich Gelegenheit haben, von Ihrem Irrthum zurück zu kommen.

Selicour.  Wie das?

Narbonne.  Er wird im Augenblick selbst hier sein.

Selicour.  Herr Firmin--hier?

Narbonne.  Hier--Ich konnte mir's nicht versagen.  Ich hab' ihn
gesehen!

Selicour.  Gesehen!  Vortrefflich!

Narbonne.  Er und sein Sohn speisen diesen Abend mit uns.

Selicour.  Speisen--Sein Sohn!  Vortrefflich!

Mad. Belmont und Charlotte.  Karl Firmin?

Narbonne.  Der junge Officier, dessen Verdienste Sie mir so oft
gerühmt haben--Ich habe Vater und Sohn zum Nachtessen eingeladen.

Mad. Belmont.  Ich werde sie mit Vergnügen willkommen heißen.

Narbonne (zu Selicour).  Sie haben doch nichts dawider?

Selicour.  Ich bitte sehr--ganz im Gegentheil!

Mad. Belmont.  Ich bin dem Vater schon im Voraus gut um des Sohnes
willen.  Und was sagt unsere Charlotte dazu?

Charlotte.  Ich, Mama--ich bin ganz Ihrer Meinung!

Narbonne.  Sie können sich also ganz offenherzig gegen einander
erklären.

Selicour.  O das bedarf's nicht--im geringsten nicht--Wenn ich's
gestehen soll, ich habe Herrn Firmin immer für den redlichsten Mann
gehalten--und that ich ihm einen Augenblick Unrecht, so bekenne ich
mit Freuden meinen Irrthum--Ich für meinen Theil bin überzeugt, daß
er mein Freund ist.

Narbonne.  Er hat es bewiesen!  Er spricht mit großer Achtung von
Ihnen--Zwar kenne ich ihn nur erst von heute, aber gewiß verdient
er--

Selicour (einfallend).  Alle die Lobsprüche, die ich ihm, wie Sie
wissen, noch vor kurzem ertheilt habe--So bin ich einmal!  Mein Herz
weiß nichts von Mißgunst.

Narbonne.  Er verbindet einen gesunden Kopf mit einem vortrefflichen
Herzen, und kein Mensch kann von Ruhmsucht freier sein, als er.  Was
gilt's, er wär' im Stande, einem Andern das ganze Verdienst von dem
zu lassen, was er geleistet hat!

Selicour.  Meinen Sie?

Narbonne.  Er wäre der Mann dazu!

Mad. Belmont.  Sein Sohn möchte in diesem Stück nicht ganz so denken.

Charlotte.  Jawohl, der ist ein junger feuriger Dichterkopf, der
keinen Scherz versteht.

Selicour.  Würde der wohl einem Andern den Ruhm seines Werks abtreten?

Charlotte.  O daran zweifle ich sehr.

Narbonne.  Ich liebe dieses Feuer an einem jungen Kriegsmann.

Selicour.  O allerdings, das verspricht!

Narbonne.  Jeder an seinen rechten Platz gestellt, werden sie Beide
vortrefflich zu brauchen sein.

Selicour.  Es ist doch gar schön, wie Sie die fähigen Leute so
aufsuchen!

Narbonne.  Das ist meine Pflicht.  (Er spricht mit seiner Tochter.)

Selicour.  Das war's!  (Zu Madame Belmont, bei Seite.) Ein Wort,
Madame!--Man könnte doch glauben, Sie zerstreuten mich von meinen
Berufsgeschäften--Wenn also diesen Abend mein Gedicht sollte
gesungen werden, so--nennen Sie mich nicht!

Mad. Belmont.  Wenn Sie nicht wollen, nein.

Selicour.  Ja--mir fällt ein.--Wie?  Wenn ich, größerer Sicherheit
wegen, Jemanden aus der Gesellschaft darum anspräche, sich als
Verfasser zu bekennen.--

Mad. Belmont.  Wie?  Sie könnten einem Andern den Ruhm davon
abtreten?

Selicour.  Pah!  Das ist eine Kleinigkeit!  (Beide Firmin treten ein.)

Charlotte (erblickt sie, lebhaft).  Da kommen sie!



Vierter Auftritt.

Vorige.  Beide Firmins.


Narbonne (ihnen entgegen).  Ich habe Sie längst erwartet, meine
Herren!--Nur herein!  Nur näher!  Sei'n Sie herzlich willkommen!--
Hier Herr Firmin, meine Mutter und hier meine Tochter--Sie sind kein
Fremdling in meiner Familie.

Mad. Belmont (zu Karl Firmin).  Ich hatte mir' s nicht erwartet, Sie
hier in Paris zu sehen; es ist sehr angenehm, sich mit lieben
Freunden so unvermuthet zusammen zu finden.

Karl.  Dieser Name hat einen hohen Werth für mich.  (Zu Charlotten.)
Sie haben Ihre Tante doch wohl verlassen?

Charlotte.  Ja, Herr Firmin!

Karl.  Es waren unvergeßliche Tage, die ich in Ihrem Hause verlebte.
Dort war's, mein Fräulein--

Narbonne (zu Firmin, dem Vater).  Lassen wir die jungen Leute ihre
Bekanntschaft erneuern.--Nun, Herr Firmin, da ist Selicour!

Selicour (zu Firmin).  In der That--ich bin--ich kann nicht genug
sagen, wie erfreut ich bin--Sie bei dem Herrn von Narbonne
eingeführt zu sehen.

Narbonne.  Sie sind Beide die Männer dazu, einander Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen.  (Zu Firmin.) Er hat etwas auf dem Herzen, ich
wünschte, daß Sie sich gegen einander erklärten, meine Herren!

Selicour.  O nicht doch!  Nicht doch!  Herr Firmin kennt mich als
seinen Freund.

Narbonne.  Und sei'n Sie versichert, er ist auch der Ihrige.  Ich
wünschte, Sie hätten es gehört, mit welcher Wärme er noch heute Ihre
Partei nahm.  Ganz gewiß hat dieser La Roche wieder--

Selicour.  Aber was in aller Welt mag doch den La Roche so gegen mich
aufheben?

Narbonne.  Dieser La Roche ist mein Mann nicht--wenigstens hab' ich
eine schlechte Meinung von seinem Charakter.

Firmin.  Sie thun ihm Unrecht.  Ich habe heute gegen ihn gesprochen,
aber diesmal muß ich ihn vertheidigen.

Selicour.  Es ist ganz und gar nicht nöthig.  Ich schätze ihn, ich
kenne sein gutes Herz und kenne auch seine Sparren.--Und mag er mich
am Ende bei der ganzen Welt anschwärzen, wenn er nur bei Ihnen keinen
Glauben fand!--Sie sehen, wir sind fertig--unser Streit ist
beigelegt; es braucht keiner weitern Erklärung.

Mad. Belmont.  Nun, wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Herren?

Selicour (zu Karl Firmin).  Es ist schon übergeben, das Gedicht.

Karl.  Wirklich?

Selicour.  Die alte Mama hat es, und den Verfasser habe ich ihr nicht
verschwiegen.  (Madame Belmont bei Seite führend).  Wissen Sie, was
ich gemacht habe?

Mad. Belmont.  Nun!

Selicour.  Der junge Firmin--Sie wissen, er gibt sich mit
Versemachen ab.

Mad. Belmont.  Ja!--Nun!

Selicour.  Ich habe ihn ersucht, sich für den Verfasser des Liedchens
zu bekennen--Er läßt sich's gefallen!

Mad. Belmont.  Läßt sich's gefallen?  Das glaub' ich!

Selicour.  Daß Sie mich ja nicht Lügen strafen!

Narbonne.  Aber bis unsre andern Gäste kommen, liebe Mutter, lassen
Sie uns eine kleine Unterhaltung ausdenken--Zum Spiel lade ich Sie
nicht ein--wir können uns besser beschäftigen.

Firmin.  Sie haben zu befehlen.

Karl.  Es wird von Madame abhängen.

Charlotte.  Lieben Sie noch immer die Musik, Herr Firmin?

Narbonne.  Es ist ja wahr, du singst nicht übel--Laß hören!--Hast
du uns nicht irgend etwas Neues vorzutragen?

Karl.  Wenn es Fräulein Charlotte nicht zu viel Mühe macht.

Charlotte.  Hier hat man mir so eben einige Strophen zugestellt.

Narbonne.  Gut!  Ich werde, mit Ihrer Erlaubniß, unterdessen das
Memoire unseres Freundes durchlesen.

Selicour.  Aber wir werden Sie stören, Herr von Narbonne!

Narbonne.  Nicht doch!  Ich bin gewohnt, im ärgsten Geräusch zu
arbeiten--und hier ist nur vom Lesen die Rede!  (Er geht auf die
entgegengesetzte Seite, wo er sich niedersetzt.)

Selicour.  Wenn Sie aber doch lieber--

Narbonne.  Verzeihen Sie!  Aber es leidet keinen Aufschub.  Die
Pflicht geht allem vor!

Mad. Belmont.  Lassen wir ihn denn, wenn er es so will, und nehmen
unser Lied vor.  (Alle setzen sich, Charlotte ans Ende, Madame
Belmont neben Charlotte, Selicour zwischen Madame Belmont und Karln,
neben Letztern Firmin der Vater.)

Charlotte.  Die Melodie ist gleich gut gewählt, wie ich sehe.

Madame Belmont.  Der Verfasser ist nicht weit,--ich kann ihn ohne
Brille sehen.

Selicour (zu Madame Belmont leise).  Verrathen Sie mich nicht.--(Zu
Karl Firmin.) Das gilt Ihnen.  Mein Lieber!

Charlotte.  Ihm!  Wie?

Firmin.  Ist das wahr, Karl?  Wärest du--

Selicour.  Er ist der Verfasser.

Charlotte (zu ihrer Großmutter).  Wie?  Herr Firmin wäre der
Verfasser!

Mad. Belmont (laut).--Ja!--(heimlich.) Nenne den wahren Verfasser
ja nicht--

Charlotte.  Warum nicht?

Mad. Belmont.  Aus Ursachen.  (Zu Selicour.) Wollen Sie Charlotten
nicht accompagnieren?

Selicour.  Mit Vergnügen.

Firmin (ärgerlich zu seinem Sohn).  Gewiß wieder eine übereilte
Arbeit--aber das muß einmal gedichtet sein--

Karl.  Aber, lieber Vater, hören Sie doch erst, eh Sie richten!

Charlotte (singt).
     An der Quelle saß der Knabe,
     Blumen band er sich zum Kranz,
     Und er sah sie, fortgerissen,
     Treiben in der Wellen Tanz,--
     "Und so fliehen meine Tage,
     "Wie die Quelle, rastlos hin,
     "Und so schwindet meine Jugend,
     "Wie die Kränze schnell verblühn!"


Mad. Belmont (Selicour ansehend). Dieser Anfang verspricht schon
viel!

Selicour (auf Karl Firmin zeigend). Diesem Herrn da gehört das
Compliment.

Mad. Belmont. Gut! Gut! Ich verstehe!

Firmin. Der Gedanke ist alltäglich, gemein.

Karl. Aber er ist doch wahr.

Narbonne (auf der entgegengesetzten Seite mit dem Aufsatz beschäftigt).
Die Einleitung ist sehr gut und erweckt sogleich die Aufmerksamkeit.

Charlotte (singt wieder).

     "Fraget nicht, warum ich traure
     "In des Lebens Blüthenzeit;
     "Alles freuet sich und hoffet,
     "Wenn der Frühling sich erneut!
     "Aber diese tausend Stimmen
     "Der erwachenden Natur
     "Wecken in dem tiefen Busen
     "Mir den schweren Kummer nur!"


Mad. Belmont. Zum Entzücken!

Firmin. Nicht übel.

Selicour (zu Karl Firmin). Sie sehen, wie alles Sie bewundert.

Narbonne (lesend). Trefflich entwickelt und nachdrücklich
vorgetragen--Lesen Sie doch mit mir, Herr Firmin!

(Firmin tritt zum Minister und liest über seine linke Schulter.)

Mad. Belmont. Ganz göttlich!

Selicour (zu Narbonne tretend). Ich habe aber freilich dem Herrn
Firmin viel, sehr, sehr viel dabei zu danken. (Tritt wieder auf die
andere Seite zwischen Karl Firmin und Madame Belmont, doch ohne die
andere Gruppe aus den Augen zu verlieren.)

Charlotte (singt wieder).

     "Was kann mir die Freude frommen,
     "Die der schöne Lenz mir beut?
     "Eine nur ist's, die ich suche,
     "Sie ist nah und ewig weit.
     "Sehnend breit ich meine Arme,
     "Nach dem theuren Schattenbild;
     "Ach, ich kann es nicht erreichen,
     "Und das Herz bleibt ungestillt!
     "Komm herab, du schöne Holde,
     "Und verlaß dein stolzes Schloß!
     "Blumen, die der Lenz geboren,
     "Streu' ich dir in deinen Schooß.
     "Horch, der Hain erschallt von Liedern
     "Und die Quelle rieselt klar!
     "Raum ist in der kleinsten Hütte
     "Für ein glücklich liebend Paar."



Mad. Belmont.  Wie rührend der Schluß ist!--Das liebe Kind ist ganz
davon bewegt worden.

Charlotte.  Ja, es mag es gemacht haben, wer will, es ist aus einem
Herzen geflossen, das die Liebe kennt!

Selicour (verneigt sich gegen Charlotten).  Dies ist ein
schmeichelhaftes Lob.

Karl.  Was?  Er bedankt sich--

Selicour (schnell zu Karl Firmin sich umdrehend).  Nicht wahr, lieber
Freund?

Mad. Belmont.  Ich bin ganz davon hingerissen--

Selicour (bückt sich gegen Madame Belmont).  Gar zu gütig, Madame!

Karl.  Wie versteh' ich das?

Selicour (eben so schnell wieder zu Karl Firmin).  Nun! sagt' ich's
Ihnen nicht?  Sie haben den vollkommensten Sieg davon getragen.

Karl.  Hält er mich zum Narren?

Narbonne.  Das Werk ist vortrefflich!  Ganz vortrefflich!

Selicour (zu Firmin dem Vater).  Sie sehen, ich habe mich ganz an
Ihre Ideen gehalten.

Firmin (lächelt).  Ich muß gestehen, ich merke so etwas.

Charlotte.  Ich weiß nicht, welchem von beiden Herren--

Selicour (zu Charlotten, indem er auf Karl Firmin deutet).  Ein süßer
Triumph für den Verfasser!

Narbonne (den Aufsatz zusammenlegend.) Ein wahres Meisterwerk.  In
der That!

Selicour (bückt sich gegen Narbonne).  Gar zu viel Ehre!

Mad. Belmont (wiederholt die letzte Strophe).

Horch, der Hain erschallt von Liedern,
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
für ein glücklich liebend Paar!


Schön!  Himmlisch!  Dem widerstehe, wer kann!--Selicour, es bleibt
dabei, Sie heirathen meine Charlotte!

Karl.  O Himmel!

Charlotte.  Was hör' ich!

Narbonne (steht auf).  Ich kenne wenig Arbeiten, die so vortrefflich
wären--Selicour, Sie sind Gesandter!

Karl.  Mein Gott!

Narbonne.  Sie sind's!  Ich stehe Ihnen für Ihre Ernennung!  Wer das
schreiben konnte, muß ein rechtschaffener Mann, muß ein Mann von
hohem Genie sein!

Selicour.  Aber erlauben Sie--ich weiß nicht, ob ich es annehmen
darf--Zufrieden mit meinem jetzigen Loose--

Narbonne.  Sie müssen sich von allem losreißen, wenn der Staat Sie
anderswo nöthig hat.

Selicour.  Dürfte ich mir nicht wenigstens Herrn Firmin zu meinem
Secretär ausbitten?
                
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