ROMEO
O laß uns fort von hier! Ich bin in großer Eil.
LORENZO
Wer hastig läuft, der fällt; drum eile nur mit Weil.
(Beide ab.)
VIERTE SZENE
(Eine Straße)
(Benvolio und Mercutio kommen.)
MERCUTIO
Wo, Teufel, kann der Romeo stecken? Kam er heute nacht nicht
nach Hause?
BENVOLIO
Nach seines Vaters Hause nicht; ich sprach seinen Diener.
MERCUTIO
Ja, dies hartherzge Frauenbild, die Rosalinde,
Sie quält ihn so, er wird gewiß verrückt.
BENVOLIO
Tybalt, des alten Capulet Verwandter,
Hat dort ins Haus ihm einen Brief geschickt.
MERCUTIO
Eine Ausforderung, so wahr ich lebe!
BENVOLIO
Romeo wird ihm die Antwort nicht schuldig bleiben.
MERCUTIO
Auf einen Brief kann ein jeder antworten, wenn er schreiben kann.
BENVOLIO
Nein, ich meine, er wird dem Briefsteller zeigen, daß er Mut
hat, wenn man ihm so was zumutet.
MERCUTIO
Ach, der arme Romeo; er ist ja schon tot! Durchbohrt von einer
weißen Dirne schwarzem Auge; durchs Ohr geschossen mit einem
Liebesliedchen; seine Herzensscheibe durch den Pfeil des
kleinen blinden Schützen mitten entzweigespalten. Ist er der
Mann darnach, es mit dem Tybalt aufzunehmen?
BENVOLIO
Nun, was ist Tybalt denn Großes?
MERCUTIO
Kein papierner Held, das kann ich dir sagen! Oh, er ist ein
beherzter Zeremonienmeister der Ehre. Er ficht, wie Ihr ein
Liedlein singt, hält Takt und Maß und Ton. Er beobachtet seine
Pausen; eins--zwei--drei; dann sitzt Euch der Stoß in der
Brust! Er bringt Euch einen seidnen Knopf unfehlbar ums Leben.
Ein Raufer, ein Raufer! Ein Ritter vom ersten Range, der Euch
alle Gründe eines Ehrenstreits an den Fingern herzuzählen weiß.
Ach die göttliche Passade! Die doppelte Finte! Der!
BENVOLIO
Der--was?
MERCUTIO
Der Henker hole diese phantastischen, gezierten, lispelnden
Eisenfresser! Was sie für neue Töne anstimmen!--"Eine sehr
gute Klinge"--"Ein sehr wohlgewachsener Mann!"--"Eine sehr
gute Hure!"--Wetter, sie hatte doch einen bessern Liebhaber,
um sie zu bereimen!--, Dido eine Trutschel, Kleopatra eine
Zigeunerin, Helena und Hero Metzen und lose Dirnen, Thisbe ein
artiges Blauauge oder sonst so was, will aber nichts vorstellen.
(Romeo tritt auf.)
Signor Romeo, bonjour! Da habt Ihr einen französischen Gruß
für Eure französischen Pumphosen! Ihr spieltet uns diese
Nacht einen schönen Streich.
ROMEO
Guten Morgen, meine Freunde! Was für einen Streich?
MERCUTIO
Einen Diebesstreich. Ihr stahlt Euch unversehens davon.
ROMEO
Verzeihung, guter Mercutio. Ich hatte etwas Wichtiges vor,
und in einem solchen Falle tut man wohl einmal der Höflichkeit
Gewalt an.
MERCUTIO
Das soll wohl heißen, daß in einem solchen Falle ein Mann dazu
vergewaltigt wird, sich in den Schenkeln zu verbeugen.
ROMEO
Das bedeutet, einen höflichen Knicks zu machen.
MERCUTIO
Du hast es allergnädigst erfaßt.
ROMEO
Eine äußerst höfliche Auslegung.
MERCUTIO
Ich bringe die Höflichkeit zur höchsten Blüte.
ROMEO
Blüte steht für Blume.
MERCUTIO
Richtig.
ROMEO
Nun, dann ist mein Tanzschuh gut geblümt.
MERCUTIO
Gut gesagt: spinne mir nun diesen Scherz weiter, bis du deinen
Tanzschuh abgenutzt hast; so daß, wenn seine einzige Sohle
abgenutzt ist, der Scherz solo und einzigartig hernach übrig
bleibe.
ROMEO
Oh einfachbesohlter Scherz, einfach einzigartig in seiner Einfalt!
MERCUTIO
Tritt zwischen uns, guter Benvolio; mein Witz schwindet mir.
ROMEO
Dann gib ihm Peitsche und Sporen, Peitsche und Sporen; oder
ich rufe mich zum Sieger aus.
MERCUTIO
Nein, wenn dein Witz ebenso ziellos herumgaloppiert wie bei einer
Wildgansjagd, bin ich fertig; denn du hast mehr von einer
schnatternden Wildgans in einem deiner Sinne, da bin ich mir
sicher, als ich in meinen ganzen fünfen: bin ich Euch mit der
Schnatterei zu nahe getreten?
{Wildgansjagd (wild-goose chase}: Ein Wettrennen zu Pferde, bei
dem der führende Reiter die Strecke bestimmt. Im übertragenen
Sinn: ein sehr wenig erfolgversprechendes Unternehmen.}
ROMEO
Du bist nie nahe zu mir getreten, außer mit Schnatterei.
MERCUTIO
Für diesen Scherz werde ich dir am Ohr knabbern.
ROMEO
Nein, guter Gänserich, beiß mich nicht.
MERCUTIO
Dein Witz ist wie ein sehr bitterer Süßapfel; er ist eine äußerst
scharfe Soße.
ROMEO
Und ist er dann nicht genau die richtige Beilage zu einer süßen
Gans?
MERCUTIO
Oh, das ist ein Witz aus Glacéleder, der sich von einem kleinen
Zoll auf eine große Elle dehnen läßt!
ROMEO
Ich werde ihn durch das Wort "groß" ausdehnen, welches, wenn es
der Gans hinzugefügt wird, dich weit und breit als eine große
Schnattergans dastehen läßt.
MERCUTIO
Wie nun? [Du sprichst ja ganz menschlich. Wie kommt es, daß du
auf einmal deine aufgeweckte Zunge und deine muntern Augen
wiedergefunden hast? So hab ich dich gern.] Ist das nicht besser
als das ewige Liebesgekrächze? Jetzt bist du umgänglich, jetzt
bist du Romeo; jetzt bist du was du bist, in deiner Kunst ebenso
wie in deiner Natur, denn dieser faselnde Amor ist wie ein großer
Einfaltspinsel, der lächsend auf und ab rennt, um sein Stöckchen
in einem Loch zu verstecken.
BENVOLIO
Halt ein, halt ein.
MERCUTIO
Du wünschst, daß ich meine Ergüße unzeitig beende.
BENVOLIO
Ansonsten wäre es dir zu lang geworden.
MERCUTIO
O, du irrst dich; es wäre sogleich wieder kurz geworden, denn ich
bin bereits in die volle Tiefe vorgedrungen und beabsichtigte in
der Tat, auf dem Fall nicht länger herumzureiten.
ROMEO
Seht den prächtigen Aufzug!
(Die Wärterin und Peter hinter ihr.)
MERCUTIO
Was kommt da angesegelt?
BENVOLIO
Zwei, zwei: ein Männerhemd und ein Unterrock.
WÄRTERIN
Peter!
PETER
Was beliebt?
WÄRTERIN
Meinen Fächer, Peter!
MERCUTIO
Gib ihn ihr, guter Peter, um ihr Gesicht zu verstecken.
Ihr Fächer ist viel hübscher wie ihr Gesicht.
WÄRTERIN
Schönen guten Morgen, Ihr Herren!
MERCUTIO
Schönen guten Abend, schöne Dame!
WÄRTERIN
Warum guten Abend?
MERCUTIO
Euer Brusttuch deutet auf Sonnenuntergang.
WÄRTERIN
Pfui, was ist das für ein Mensch?
ROMEO
Einer, Verehrte, den Gott geschaffen hat, daß er sich selbst
verderbe.
WÄRTERIN
Schön gesagt, bei meiner Seele! Daß er sich selbst verderbe!
Ganz recht! Aber, Ihr Herren, kann mir keiner von Euch sagen,
wo ich den jungen Romeo finde?
ROMEO
Ich kanns Euch sagen; aber der junge Romeo wird älter sein, wenn
Ihr ihn gefunden habt, als er war, da Ihr ihn suchtet.
Ich bin der Jüngste, der den Namen führt, weil kein schlechterer
da war.
WÄRTERIN
Gut gegeben.
MERCUTIO
So? Ist das Schlechteste gut gegeben? Nun wahrhaftig: gut
begriffen! Sehr vernünftig!
WÄRTERIN
Wenn Ihr Romeo seid, mein Herr, so wünsche ich Euch insgeheim
zu sprechen.
BENVOLIO
Sie wird ihn irgendwohin auf den Abend bitten.
MERCUTIO
Eine Kupplerin, eine Kupplerin! Ho, ho!
BENVOLIO
Was witterst du?
MERCUTIO
[Neue Jagd, neue Jagd!--] Kein Häschen, mein Herr; außer vielleicht
einer Häsin, mein Herr, in einer Fastenspeise, die schon etwas
schal und schimmelig-grau geworden ist, bevor sie vernascht wurde.
(Singt.) Ein Has', ergraut,
Und ein Has', ergraut,
Welch sehr gute Fastenspeis';
Doch ein Has', der ergraut,
Ist zu viel zugetraut,
Wenns ergraut eh' ichs verspeis.
{Es ist sicher kein Zufall, daß das Wort "hoar" (ergraut) genauso
klingt wie "whore" (Hure) und daß die sprichwörtliche
Vermehrungsfreudigkeit der Hasen auch eine Interpretation von
"hare" (Hase) als Hure nahelegt. So lautet die erste Zeile wörtlich
"Ein alter Hase, (der) ergraut (ist)", doch der Zuhörer versteht
"Eine alte Hure".}
Romeo, kommt nach Eures Vaters Hause, wir wollen zu Mittag
da essen.
ROMEO
Ich komme euch nach.
MERCUTIO
Lebt wohl, alte Schöne! Lebt wohl,
(Singt.)
o Schöne--Schöne--Schöne!
(Benvolio und Mercutio gehen ab.)
WÄRTERIN
Sagt mir doch, was war das für ein unverschämter Gesell, der
nichts als Schelmstücke im Kopfe hatte?
ROMEO
Jemand, der sich selbst gern reden hört, meine gute Frau, und der
in einer Minute mehr spricht, als er in einem Monate verantworten
kann.
WÄRTERIN
Ja, und wenn er auf mich was zu sagen hat, so will ich ihn bei den
Ohren kriegen, und wäre er auch noch vierschrötiger, als er ist,
und zwanzig solcher Hasenfüße obendrein; und kann ichs nicht, so
könnens andre. So 'n Lausekerl! Ich bin keine von seinen Kreaturen,
ich bin keine von seinen Karnuten.
(Zu Peter.)
Und du mußt auch dabeistehen und leiden, daß jeder Schuft sich nach
Belieben über mich hermacht!
PETER
Ich habe nicht gesehn, daß sich jemand über Euch hergemacht hätte,
sonst hätte ich geschwind vom Leder gezogen, das könnt Ihr glauben.
Ich kann so gut ausziehen wie ein andrer, wo es einen ehrlichen Zank
gibt und das Recht auf meiner Seite ist.
WÄRTERIN
Nu, weiß Gott, ich habe mich so geärgert, daß ich am ganzen Leibe
zittre. So 'n Lausekerl!--Seid so gütig, mein Herr, auf ein Wort!
Und was ich Euch sagte: Mein junges Fräulein befahl mir. Euch zu
suchen. Was sie mir befahl. Euch zu sagen, das will ich für mich
behalten; aber erst laßt mich Euch sagen, wenn Ihr sie wolltet bei
der Nase herumführen, sozusagen, das wäre eine unartige Aufführung,
sozusagen. Denn seht, das Fräulein ist jung, und also, wenn Ihr
falsch gegen sie zu Werke gingt, das würde sich gar nicht gegen
ein Fräulein schicken und wäre ein recht nichtsnutziger Handel.
ROMEO
Empfiehl mich deinem Fräulein! Ich beteure dir--
WÄRTERIN
Du meine Zeit! Gewiß und wahrhaftig, das will ich ihr wiedersagen.
O jemine, sie wird sich vor Freude nicht zu lassen wissen!
ROMEO
Was willst du ihr sagen, gute Frau? Du gibst nicht Achtung.
WÄRTERIN
Ich will ihr sagen, daß Ihr beteuert, und ich meine, das ist
recht wie ein Kavalier gesprochen.
ROMEO
Sag ihr, sie mög ein Mittel doch ersinnen,
Zur Beichte diesen Nachmittag zu gehn.
Dort in Lorenzos Zelle soll alsdann,
Wenn sie gebeichtet, unsre Trauung sein.
Hier ist für deine Müh.
WÄRTERIN
Nein, wahrhaftig, Herr, keinen Pfennig!
ROMEO
Nimm, sag ich dir; du mußt!
WÄRTERIN
Heut nachmittag? Nun gut, sie wird Euch treffen.
ROMEO
Du, gute Frau, wart hinter der Abtei,
Mein Diener soll dir diese Stunde noch,
Geknüpft aus Seilen, eine Leiter bringen,
Die zu dem Gipfel meiner Freuden ich
Hinan will klimmen in geheimer Nacht.
Leb wohl! Sei treu, so lohn ich deine Müh.
Leb wohl! Empfiehl mich deinem Fräulein!
WÄRTERIN
Nun, Gott der Herr gesegn es!--Hört, noch eins!
ROMEO
Was willst du, gute Frau?
WÄRTERIN
Schweigt Euer Diener? Habt Ihr nie vernommen:
Wo zwei zu Rate gehn, laßt keinen dritten kommen?
ROMEO
Verlaß dich drauf, der Mensch ist treu wie Gold.
WÄRTERIN
Nun gut, Herr, meine Herrschaft ist ein allerliebstes Fräulein.
O jemine, als sie noch so ein kleines Dingelchen war--Oh, da ist
ein Edelmann in der Stadt, einer, der Paris heißt, der gern
einhaken möchte; aber das gute Herz mag ebenso lieb eine Kröte
sehn, eine rechte Kröte, als ihn.--Ich ärgre sie zuweilen und sag
ihr: Paris wär doch der hübscheste; aber Ihr könnt mirs glauben,
wenn ich das sage, so wird sie so blaß wie ein Tischtuch. Fängt
nicht Rosmarin und Romeo mit demselben Buchstaben an?
ROMEO
Ja, gute Frau; beide mit einem R.
WÄRTERIN
Ach, Spaßvogel, warum nicht gar? Das schnurrt ja wie 'n Spinnrad.
Nein, ich weiß wohl, es fängt mit einem andern Buchstaben an, und
sie hat die prächtigsten Reime und Sprichwörter darauf, daß Euch
das Herz im Leibe lachen tät, wenn Ihrs hörtet.
ROMEO
Empfiehl mich deinem Fräulein!
(Ab.)
WÄRTERIN
Jawohl, viel tausendmal!
(Romeo geht ab.)
--Peter!
PETER
Was beliebt?
WÄRTERIN
Peter, nimm meinen Fächer und geh vorauf!
(Beide ab.)
FÜNFTE SZENE
(Capulets Garten)
(Julia tritt auf.)
JULIA
Neun schlug die Glock, als ich die Amme sandte.
In einer halben Stunde wollte sie
Schon wieder hier sein. Kann sie ihn vielleicht
Nicht treffen? Nein, das nicht. Oh, sie ist lahm!
Zu Liebesboten taugen nur Gedanken,
Die zehnmal schneller fliehn als Sonnenstrahlen,
Wenn sie die Nacht von finstern Hügeln scheuchen.
Deswegen ziehn ja leichtbeschwingte Tauben
Der Liebe Wagen, und Cupido hat
Windschnelle Flügel. Auf der steilsten Höhe
Der Tagereise steht die Sonne jetzt;
Von neun bis zwölf, drei lange Stunden sinds,
Und dennoch bleibt sie aus. O hätte sie
Ein Herz und warmes, jugendliches Blut,
Sie würde wie ein Ball behende fliegen,
Es schnellte sie mein Wort dem Trauten zu
Und seines mir.
Doch Alte tun, als lebten sie nicht mehr,
Träg, unbehülflich, und wie Blei so schwer.
(Die Wärterin und Peter kommen.)
O Gott, sie kommt!
(Die Amme und Peter treten auf.)
Was bringst du, goldne Amme?
Trafst du ihn an? Schick deinen Diener weg!
WÄRTERIN
Wart vor der Türe, Peter!
(Peter ab.)
JULIA
Nun, Mütterchen? Gott, warum blickst du traurig?
Ist dein Bericht schon traurig, gib ihn fröhlich,
Und klingt er gut, verdirb die Weise nicht,
Indem du sie mit saurer Miene spielst.
WÄRTERIN
Ich bin ermattet; laßt ein Weilchen mich!
Das war 'ne Jagd! Das reißt in Gliedern mir!
JULIA
Ich wollt, ich hätte deine Neuigkeit,
Du meine Glieder. Nun, so sprich geschwind!
Ich bitt dich, liebe, liebe Amme, sprich!
WÄRTERIN
Was für 'ne Hast! Könnt Ihr kein Weilchen warten?
Seht Ihr nicht, daß ich außer Atem bin?
JULIA
Wie außer Atem, wenn du Atem hast,
Um mir zu sagen, daß du keinen hast?
Der Vorwand deines Zögerns währt ja länger
Als der Bericht, den du dadurch verzögerst.
Gib Antwort: Bringst du Gutes oder Böses!
Nur das, so wart ich auf das Nähere gern.
Beruhge mich! Ists Gutes oder Böses?
WÄRTERIN
Ei, Ihr habt mir eine recht einfältige Wahl getroffen; Ihr versteht
auch einen Mann auszulosen! Romeo--ja, das ist der rechte!--Er hat
zwar ein hübscher Gesicht wie andre Leute; aber seine Beine gehen
über alle Beine, und Hand und Fuß und die ganze Positur--es läßt
sich eben nicht viel davon sagen, aber man kann sie mit nichts
vergleichen. Er ist kein Ausbund von feinen Manieren, doch wett
ich drauf, wie ein Lamm so sanft.--Treibs nur so fort, Kind, und
fürchte Gott!--Habt Ihr diesen Mittag zu Hause gegessen?
JULIA
Nein, nein! Doch all dies wußt ich schon zuvor.
Was sagt er von der Trauung? Hurtig: was?
WÄRTERIN
O je, wie schmerzt der Kopf mir! Welch ein Kopf!
Er schlägt, als wollt er gleich in Stücke springen.
Da hier mein Rücken, o mein armer Rücken!
Gott sei Euch gnädig, daß Ihr hin und her
So viel mich schickt, mich bald zu Tode hetzt.
JULIA
Im Ernst, daß du nicht wohl bist, tut mir leid.
Doch, beste, beste Amme, sage mir:
Was macht mein Liebster?
WÄRTERIN
Eur Liebster sagt, so wie ein wackrer Herr--und ein artiger und
ein freundlicher und ein hübscher Herr und, auf mein Wort, ein
tugendsamer Herr.--Wo ist denn Eure Mutter?
JULIA
Wo meine Mutter ist? Nun, sie ist drinnen;
Wo wär sie sonst? Wie seltsam du erwiderst:
Eur Liebster sagt, so wie ein wackrer Herr--
Wo ist denn Eure Mutter?
WÄRTERIN
Jemine!
Seid Ihr so hitzig? Seht doch! Kommt mir nur!
Ist das die Bähung für mein Gliederweh?
Geht künftig selbst, wenn Ihr 'ne Botschaft habt.
JULIA
Das ist 'ne Not! Was sagt er? Bitte, sprich!
WÄRTERIN
Habt Ihr Erlaubnis, heut zu beichten?
JULIA
Ja.
WÄRTERIN
So macht Euch auf zu Eures Paters Zelle,
Da harrt ein Mann, um Euch zur Frau zu machen.
Nun steigt das lose Blut Euch in die Wangen,
Gleich sind sie Scharlach, wenns was Neues gibt.
Eilt Ihr ins Kloster; ich muß sonst wohin,
Die Leiter holen, die der Liebste bald
Zum Nest hinan, wenns Nacht wird, klimmen soll.
Ich bin das Lasttier, muß für Euch mich plagen,
Doch Ihr sollt Eure Last zur Nacht schon tragen.
Ich will zur Mahlzeit erst; eilt Ihr zur Zelle hin!
JULIA
Zu hohem Glücke, treue Pflegerin!
(Beide ab.)
SECHSTE SZENE
(Bruder Lorenzos Zelle)
(Lorenzo und Romeo.)
LORENZO
Der Himmel lächle so dem heilgen Bund,
Daß künftge Tag' uns nicht durch Kummer schelten!
ROMEO
Amen! So sei's! Doch laß den Kummer kommen,
So sehr er mag; wiegt er die Freuden auf,
Die mir in ihrem Anblick eine flüchtge
Minute gibt? Füg unsre Hände nur
Durch deinen Segensspruch in eins, dann tue
Sein Äußerstes der Liebeswürger Tod;
Genug, daß ich nur mein sie nennen darf.
LORENZO
So wilde Freude nimmt ein wildes Ende
Und stirbt im höchsten Sieg, wie Feur und Pulver
Im Kusse sich verzehrt. Die Süßigkeit
Des Honigs widert durch ihr Übermaß,
Und im Geschmack erstickt sie unsre Lust.
Drum liebe mäßig; solche Lieb ist stet;
Zu hastig und zu träge kommt gleich spät.
(Julia tritt auf.)
Hier kommt das Fräulein, sieh,
Mit leichtem Tritt, der keine Blume biegt.
Sieh, wie die Macht der Lieb und Wonne siegt!
(Julia tritt auf.)
JULIA
Ehrwürdger Herr, ich sag Euch guten Abend.
LORENZO
Für mich und sich dankt Romeo, mein Kind.
JULIA
Es gilt ihm mit, sonst wär sein Dank zuviel.
ROMEO
Ach Julia! Ist deiner Freude Maß
Gehäuft wie meins und weißt du mehr die Kunst,
Ihr Schmuck zu leihn, so würze rings die Luft
Durch deinen Hauch; laß des Gesanges Mund
Die Seligkeit verkünden, die wir beide
Bei dieser teuern Näh im andern finden.
JULIA
Gefühl, an Inhalt reicher als an Worten,
Ist stolz auf seinen Wert und nicht auf Schmuck.
Nur Bettler wissen ihres Guts Betrag;
Doch meine treue Liebe stieg so hoch,
Daß keine Schätzung ihre Schätz erreicht.
LORENZO
Kommt, kommt mit mir, wir schreiten gleich zur Sache.
Ich leide nicht, daß ihr allein mir bleibt,
Bis euch die Kirch einander einverleibt.
(Alle ab.)
DRITTER AKT
ERSTE SZENE
(Ein öffentlicher Platz)
(Mercutio, Benvolio, Page und Diener.)
BENVOLIO
Ich bitt dich, Freund, laß uns nach Hause gehn!
Der Tag ist heiß, die Capulets sind draußen,
Und treffen wir, so gibt es sicher Zank:
Denn bei der Hitze tobt das tolle Blut.
MERCUTIO
Du bist mir so ein Zeisig, der, sobald er die Schwelle eines
Wirtshauses betritt, mit dem Degen auf den Tisch schlägt und
ausruft: Gebe Gott, daß ich dich nicht nötig habe!--a kommen
die Capulets.
MERCUTIO
Bei meiner Sohle! Mich kümmerts nicht.
(Tybalt und andre kommen.)
TYBALT (zu seinen Leuten.)
Schließt euch mir an, ich will mit ihnen reden.--
Guten Tag, Ihr Herrn! Ein Wort mit Euer einem!
MERCUTIO
Nur ein Wort mit einem von uns? Gebt noch was zu, laßt es ein Wort
und einen Schlag sein!
TYBALT
Dazu werdet Ihr mich bereit genug finden, wenn Ihr mir Anlaß gebt.
MERCUTIO
Könntet Ihr ihn nicht nehmen, ohne daß wir ihn gäben?
TYBALT
Mercutio, du harmonierst mit Romeo.
MERCUTIO
Harmonierst? Was? Machst du uns zu Musikanten? Wenn du uns zu
Musikanten machen willst, so sollst du auch nichts als Dissonanzen
zu hören kriegen. Hier ist mein Fiedelbogen, wart, der soll Euch
tanzen lehren! Alle Wetter! Über das Harmonieren!
BENVOLIO
Wir reden hier auf öffentlichem Markt;
Entweder sucht Euch einen stillern Ort,
Wo nicht, besprecht Euch kühl von Eurem Zwist.
Sonst geht! Hier gafft ein jedes Aug auf uns.
MERCUTIO
Zum Gaffen hat das Volk die Augen; laß sie!
Ich weich und wank um keines willen, ich!
(Romeo tritt auf.)
TYBALT
Herr, zieht in Frieden! Hier kommt mein Gesell.
(Romeo tritt auf.)
MERCUTIO
Ich will gehängt sein, Herr, wenn Ihr sein Meister seid.
Doch stellt Euch nur, er wird sich zu Euch halten;
In dem Sinn mögen Eure Gnaden wohl
Gesell ihn nennen.
TYBALT
Hör, Romeo! Der Haß, den ich dir schwur,
Gönnt diesen Gruß dir nur: Du bist ein Schurke!
ROMEO
Tybalt, die Ursach, die ich habe, dich
Zu lieben, mildert sehr die Wut, die sonst
Auf diesen Gruß sich ziemt. Ich bin kein Schurke,
Drum lebe wohl! Ich seh, du kennst mich nicht.
TYBALT
Nein, Knabe, dies entschuldigt nicht den Hohn,
Den du mir angetan; kehr um und zieh!
ROMEO
Ich schwöre dir, nie tat ich Hohn dir an.
Ich liebe mehr dich, als du denken kannst,
Bis du die Ursach meiner Liebe weißt.
Drum, guter Capulet, ein Name, den
Ich wert wie meinen halte, sei zufrieden!
MERCUTIO
O zahme, schimpfliche, verhaßte Demut!
Die Kunst des Raufers trägt den Sieg davon.--
(Er zieht.)
Tybalt, du Ratzenfänger, willst du dran?
TYBALT
Was willst du denn von mir?
MERCUTIO
Mein guter Katzenkönig, nichts als eins von Euern neun Leben;
damit will ich mich nebenbei lustig machen, und wenn Ihr mir
wieder über den Weg lauft, auch die andern acht ausklopfen.
Wollt Ihr bald Euren Degen bei den Ohren aus der Scheide ziehn?
Macht zu, sonst habt Ihr meinen um die Ohren, eh er heraus ist.
TYBALT
Ich steh zu Dienst.
(Er zieht.)
ROMEO
Lieber Mercutio, steck den Degen ein!
MERCUTIO
Kommt, Herr! Laßt Eure Finten sehn!
(Sie fechten.)
ROMEO
Zieh, Benvolio!
Schlag zwischen ihre Degen! Schämt euch doch
Und haltet ein mit Wüten! Tybalt! Mercutio!
Der Prinz verbot ausdrücklich solchen Aufruhr
In Veronas Gassen. Halt, Tybalt! Freund Mercutio!
(Tybalt entfernt sich mit seinen Anhängern.)
MERCUTIO
Ich bin verwundet.--
Zum Teufel beider Sippschaft! Ich bin hin.
Und ist er fort? Und hat nichts abgekriegt?
BENVOLIO
Bist du verwundet, wie?
MERCUTIO
Ja, ja, geritzt, geritzt!--Wetter, 's ist genug.--
Wo ist mein Page?--Bursch, hol einen Wundarzt!
(Der Page geht ab.)
ROMEO
Sei guten Muts, Freund! Die Wunde kann nicht beträchtlich sein.
MERCUTIO
Nein, nicht so tief wie ein Brunnen noch so weit wie eine
Kirchtüre; aber es reicht eben hin. Fragt morgen nach mir,
und Ihr werdet einen stillen Mann an mir finden. Für diese
Welt, glaubts nur, ist mir der Spaß versalzen.--Hol der Henker
eure beiden Häuser!--Was? Von einem Hund, einer Maus, einer
Ratze, einer Katze zu Tode gekratzt zu werden! Von so einem
Prahler, einem Schuft, der nach dem Rechenbuche ficht!--Warum
zum Teufel kamt Ihr zwischen uns? Unter Eurem Arm wurde ich
verwundet.
ROMEO
Ich dacht es gut zu machen.
MERCUTIO
O hilf mir in ein Haus hinein, Benvolio.
Sonst sink ich hin.--Zum Teufel eure Häuser!
Sie haben Würmerspeis aus mir gemacht.
Ich hab es tüchtig weg; verdammte Sippschaft!
(Mercutio und Benvolio ab.)
ROMEO
Um meinetwillen wurde dieser Ritter,
Dem Prinzen nah verwandt, mein eigner Freund,
Verwundet auf den Tod; mein Ruf befleckt
Durch Tybalts Lästerungen, Tybalts, der
Seit einer Stunde mir verschwägert war.
O süße Julia, deine Schönheit hat
So weibisch mich gemacht; sie hat den Stahl
Der Tapferkeit in meiner Brust erweicht.
(Benvolio kommt zurück.)
BENVOLIO
O Romeo, der wackre Freund ist tot,
Sein edler Geist schwang in die Wolken sich,
Der allzu früh der Erde Staub verschmäht.
ROMEO
Nichts kann den Unstern dieses Tages wenden;
Er hebt das Weh an, andre müssens enden.
(Tybalt kommt zurück.)
BENVOLIO
Da kommt der grimmige Tybalt wieder her.
ROMEO
Am Leben! Siegreich! Und mein Freund erschlagen!
Nun flieh gen Himmel, schonungsreiche Milde!
Entflammte Wut, sei meine Führerin!
(Tybalt kommt zurück.)
Nun, Tybalt, nimm den Schurken wieder, den du
Mir eben gabst! Der Geist Mercutios
Schwebt nah noch über unsern Häuptern hin
Und harrt, daß deiner sich ihm zugeselle.
Du oder ich! sonst folgen wir ihm beide.
TYBALT
Elendes Kind, hier hieltest du's mit ihm
Und sollst mit ihm von hinnen.
ROMEO
Dies entscheide!
(Sie fechten; Tybalt fällt.)
BENVOLIO
Flieh, Romeo, die Bürger sind in Wehr
Und Tybalt tot. Steh so versteinert nicht!
Flieh, flieh, der Prinz verdammt zum Tode dich,
Wenn sie dich greifen. Fort, nur fort mit dir!
ROMEO
Weh mir, ich Narr des Glücks!
BENVOLIO
Was weilst du noch?
(Romeo ab. Bürger treten auf.)
EIN BÜRGER
Wo lief er hin, der den Mercutio totschlug?
Der Mörder Tybalts? Hat ihn wer gesehn?
BENVOLIO
Da liegt der Tybalt.
EIN BÜRGER
Auf, Herr, geht mit mir!
Gehorcht! Ich mahn Euch von des Fürsten wegen.
(Der Prinz mit Gefolge, Montague, Capulet, ihre
Gemahlinnen und andre.)
PRINZ
Wer durfte freventlich hier Streit erregen?
BENVOLIO
O edler Fürst, ich kann verkünden recht
Nach seinem Hergang dies unselige Gefecht.
Der deinen wackren Freund Mercutio
Erschlagen, liegt hier tot, entleibt vom Romeo.
GRÄFIN CAPULET
Mein Vetter! Tybalt! Meines Bruders Kind!
O Fürst! O mein Gemahl! O seht, noch rinnt
Das teure Blut! Mein Fürst, bei Ehr und Huld,
Im Blut der Montagues tilg ihre Schuld!--
O Vetter, Vetter!
PRINZ
Benvolio, sprich, wer hat den Streit erregt?
BENVOLIO
Der tot hier liegt, von Romeo erlegt.
Viel gute Worte gab ihm Romeo,
Hieß ihn bedenken, wie gering der Anlaß,
Wie sehr zu fürchten Euer höchster Zorn.
Dies alles, vorgebracht mit sanftem Ton,
Gelaßnem Blick, bescheidner Stellung, konnte
Nicht Tybalts ungezähmte Wut entwaffnen.
Dem Frieden taub, berennt mit scharfem Stahl
Er die entschloßne Brust Mercutios;
Der kehrt gleich rasch ihm Spitze gegen Spitze
Und wehrt mit Kämpfertrotz mit einer Hand
Den kalten Tod ab, schickt ihn mit der andern
Dem Gegner wieder, des Behendigkeit
Zurück ihn schleudert. Romeo ruft laut:
Halt, Freunde, auseinander! Und geschwinder
Als seine Zunge schlägt sein rüstger Arm,
Dazwischen stürzend, beider Mordstahl nieder.
Recht unter diesem Arm traf des Mercutio Leben
Ein falscher Stoß vom Tybalt. Der entfloh,
Kam aber gleich zum Romeo zurück,
Der eben erst der Rache Raum gegeben.
Nun fallen sie mit Blitzeseil sich an,
Denn eh ich ziehen konnt, um sie zu trennen,
War der beherzte Tybalt umgebracht.
Er fiel, und Romeo, bestürzt, entwich.
Ich rede wahr, sonst führt zum Tode mich.
GRÄFIN CAPULET
Er ist verwandt mit Montagues Geschlecht,
Aus Freundschaft spricht er falsch, verletzt das Recht.
Die Fehd erhoben sie zu ganzen Horden,
Und alle konnten nur ein Leben morden.
Ich fleh um Recht; Fürst, weise mich nicht ab:
Gib Romeo, was er dem Tybalt gab!
PRINZ
Er hat Mercutio, ihn Romeo erschlagen;
Wer soll die Schuld des teuren Blutes tragen?
GRÄFIN MONTAGUE
Fürst, nicht mein Sohn, der Freund Mercutios;
Was dem Gesetz doch heimfiel, nahm er bloß:
Das Leben Tybalts.
PRINZ
Weil er das verbrochen,
Sei über ihn sofort der Bann gesprochen.
Mich selber trifft der Ausbruch eurer Wut,
Um euren Zwiespalt fließt mein eignes Blut;
Allein ich will dafür so streng euch büßen,
Daß mein Verlust euch ewig soll verdrießen.
Taub bin ich jeglicher Beschönigung,
Kein Flehn, kein Weinen kauft Begnadigung;
Drum spart sie. Romeo flieh schnell von hinnen!
Greift man ihn, soll er nicht dem Tod entrinnen.
Tragt diese Leiche weg! Vernehmt mein Wort!
Wenn Gnade Mörder schont, verübt sie Mord!
(Alle ab.)
ZWEITE SZENE
(Ein Zimmer in Capulets Hause)
(Julia tritt auf.)
JULIA
Hinab, du flammenhufiges Gespann,
Zu Phöbus' Wohnung! Solch ein Wagenlenker
Wie Phaethon jagt' euch gen Westen wohl
Und brächte schnell die wolkige Nacht herauf.
Verbreite deinen dichten Vorhang, Nacht,
Du Liebespflegerin, damit das Auge
Der Neubegier sich schließ und Romeo
Mir unbelauscht in diese Arme schlüpfe.
Verliebten gnügt zu der geheimen Weihe
Das Licht der eignen Schönheit, oder wenn
Die Liebe blind ist, stimmt sie wohl zur Nacht.
Komm, ernste Nacht, du züchtig stille Frau,
Ganz angetan mit Schwarz, und lehre mich
Ein Spiel, wo jedes reiner Jugend Blüte
Zum Pfände setzt, gewinnend zu verlieren!
Verhülle mit dem schwarzen Mantel mir
Das wilde Blut, das in den Wangen flattert,
Bis scheue Liebe kühner wird und nichts
Als Unschuld sieht in innger Liebe Tun.
Komm, Nacht! Komm, Romeo, du Tag in Nacht,
Denn du wirst ruhn auf Fittichen der Nacht
Wie frischer Schnee auf eines Raben Rücken.
Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,
Nimm ihn, zerteil in kleine Sterne ihn:
Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt
Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt.--
Ich habe Lieb erworben wie ein Haus,
Und durfte noch nicht einziehn; bin verkauft,
Doch noch nicht übergeben. Dieser Tag
Währt so verdrießlich lang mir wie die Nacht
Vor einem Fest dem ungeduldgen Kinde,
Das noch sein neues Kleid nicht tragen durfte.
(Die Wärterin mit einer Strickleiter.)
Da kommt die Amme ja, die bringt Bericht,
Und jede Zunge, die nur Romeo
Beim Namen nennt, spricht so beredt wie Engel.
(Die Amme tritt auf mit einer Strickleiter.)
Nun, Amme? Sag, was gibts, was hast du da?
Die Stricke, die dich Romeo hieß holen?
WÄRTERIN
Ja, ja, die Stricke!
(Sie wirft sie auf die Erde.)
JULIA
Weh mir! Was gibts? Was ringst du so die Hände?
WÄRTERIN
Daß Gott erbarm! Er ist tot, er ist tot, er ist tot!
Wir sind verloren, Fräulein, sind verloren!
O weh uns! Er ist hin! Ermordet! Tot!
JULIA
So neidisch kann der Himmel sein?
WÄRTERIN
Ja, das kann Romeo; der Himmel nicht.
O Romeo, wer hätt es je gedacht?
O Romeo, Romeo!
JULIA
Welch Teufel bist du, daß du so mich folterst?
Die grause Hölle nur brüllt solche Qual.
Hat Romeo sich selbst ermordet? Sprich!
Und sagt du "Ja", vergiftet dieser Laut
Mehr als des Basilisks todbringend "Aug".
Ich bin nicht "ich", wenns gibt ein solches "Ja",
Dies Auge zu, das dich zwingt zu dem "Ja".
{Ein Wortspiel mit den Wörtern "aye" (ja), "I" (ich) und
"eye" (Auge), die alle gleich ausgesprochen werden.}
Ist er entleibt, sag ja, wo nicht, sag nein!
Ein kurzer Laut entscheidet Wonn und Pein.
WÄRTERIN
Ich sah die Wunde, meine Augen sahn sie
--Behüte Gott!--auf seiner tapfern Brust;
Die blutge Leiche, jämmerlich und blutig,
Bleich, bleich wie Asche, ganz mit Blut besudelt,
Ganz starres Blut--de wieder! Pulsschlag, hemme dich!
Ein Sarg empfange Romeo und mich!
WÄRTERIN
O Tybalt, Tybalt! O mein bester Freund!
Leutselger Tybalt, wohlgesinnter Herr!
So mußt ich leben, um dich tot zu sehn?
JULIA
Was für ein Sturm tobt so von jeder Seite?
Ist Romeo erschlagen? Tybalt tot?
Mein teurer Vetter? Teuerster Gemahl?
Dann töne nur des Weltgerichts Posaune!
Wer lebt noch, wenn dahin die beiden sind?
WÄRTERIN
Dahin ist Tybalt, Romeo verbannt;
Verbannt ist Romeo, der ihn erschlug.
JULIA
Gott! Seine Hand, vergoß sie Tybalts Blut?
WÄRTERIN
Sie tats, sie tats! O weh uns, weh, sie tats!
JULIA
O Schlangenherz, von Blumen überdeckt!
Wohnt' in so schöner Höhl ein Drache je?
Holdselger Wütrich! Engelgleicher Unhold!
Ergrimmte Taube! Lamm mit Wolfesgier!
Verworfne Art in göttlichster Gestalt!
Das rechte Gegenteil des, was mit Recht
Du scheinest: ein verdammter Heiliger,
Ein ehrenwerter Schurke!--O Natur!
Was hattest du zu schaffen in der Hölle,
Als du des holden Leibes Paradies
Zum Lustsitz einem Teufel übergabst?
War je ein Buch, so arger Dinge voll,
So schön gebunden? Oh, daß Falschheit doch
Solch herrlichen Palast bewohnen kann!
WÄRTERIN
Kein Glaube, keine Treu noch Redlichkeit
Ist unter Männern mehr. Sie sind meineidig,
Falsch sind sie, lauter Schelme, lauter Heuchler!--
Wo ist mein Diener? Gebt mir Aquavit!
Die Not, die Angst, der Jammer macht mich alt.
Zu Schanden werde Romeo!
JULIA
Die Zunge
Erkranke dir für einen solchen Wunsch!
Er war zur Schande nicht geboren; Schande
Weilt mit Beschämung nur auf seiner Stirn.
Sie ist ein Thron, wo man die Ehre mag
Als Allbeherrscherin der Erde krönen.
O wie unmenschlich war ich, ihn zu schelten!
WÄRTERIN
Von Eures Vetters Mörder sprecht Ihr Gutes?
JULIA
Soll ich von meinem Gatten Übles reden?
Ach, armer Gatte! Welche Zunge wird
Wohl deinem Namen Liebes tun, wenn ich,
Dein Weib von wenig Stunden, ihn zerrissen?
Doch, Arger, was erschlugst du meinen Vetter?
Der Arge wollte den Gemahl erschlagen.
Zurück zu eurem Quell, verkehrte Tränen!
Dem Schmerz gebühret eurer Tropfen Zoll,
Ihr bringt aus Irrtum ihn der Freude dar.
Mein Gatte lebt, den Tybalt fast getötet,
Und tot ist Tybalt, der ihn töten wollte.
Dies alles ist ja Trost: was wein ich denn?
Ich hört ein schlimmres Wort als Tybalts Tod,
Das mich erwürgte; ich vergäß es gern!
Doch ach, es drückt auf mein Gedächtnis schwer
Wie Freveltaten auf des Sünders Seele.
Tybalt ist tot und Romeo verbannt!
O dies "Verbannt", dies eine Wort "Verbannt"
Erschlug zehntausend Tybalts. Tybalts Tod
War gnug des Wehes, hätt es da geendet!
Und liebt das Leid Gefährten, reiht durchaus
An andre Leiden sich, warum denn folgte
Auf ihre Botschaft: tot ist Tybalt, nicht:
Dein Vater, deine Mutter, oder beide?
Das hätte sanftre Klage wohl erregt.
Allein dies Wort: verbannt ist Romeo,
Aus jenes Todes Hinterhalt gesprochen,
Bringt Vater, Mutter, Tybalt, Romeo
Und Julien um! Verbannt ist Romeo!
Nicht Maß noch Ziel kennt dieses Wortes Tod,
Und keine Zung erschöpfet meine Not.--
Wo mag mein Vater, meine Mutter sein?
WÄRTERIN
Bei Tybalts Leiche heulen sie und schrein.
Wollt Ihr zu ihnen gehn? Ich bring Euch hin.
JULIA
So waschen sie die Wunden ihm mit Tränen?
Ich spare meine für ein bängres Sehnen.
Nimm diese Seile auf.--Ach, armer Strick,
Getäuscht wie ich! Wer bringt ihn uns zurück?
Zum Steg der Liebe knüpft' er deine Bande,
Ich aber sterb als Braut im Witwenstande.
Komm, Amme, komm! Ich will ins Brautbett! Fort!
Nicht Romeo, den Tod umarm ich dort.
WÄRTERIN
Geht nur ins Schlafgemach! Zum Troste find ich
Euch Romeo: ich weiß wohl, wo er steckt.
Hört, Romeo soll Euch zur Nacht erfreuen;
Ich geh zu ihm; beim Pater wartet er.
JULIA
O such ihn auf! Gib diesen Ring dem Treuen;
Bescheid aufs letzte Lebewohl ihn her!
(Beide ab.)
DRITTE SZENE
(Bruder Lorenzos Zelle)
(Lorenzo und Romeo kommen.] Bruder Lorenzo tritt auf.)
LORENZO
Komm, Romeo! Hervor, du Mann der Furcht!
Bekümmernis hängt sich mit Lieb an dich,
Und mit dem Mißgeschick bist du vermählt.
(Romeo tritt auf.)
ROMEO
Vater, was gibts? Wie heißt des Prinzen Spruch?
Wie heißt der Kummer, der sich zu mir drängt
Und noch mir fremd ist?
LORENZO
Zu vertraut, mein Sohn,
Bist du mit solchen widrigen Gefährten.
Ich bring dir Nachricht von des Prinzen Spruch.
ROMEO
Und hat sein Spruch mir nicht den Stab gebrochen?
LORENZO
Ein mildres Urteil floß von seinen Lippen:
Nicht Leibes Tod, nur leibliche Verbannung.
ROMEO
Verbannung? Sei barmherzig! Sage: Tod!
Verbannung trägt der Schrecken mehr im Blick,
Weit mehr als Tod!--O sage nicht Verbannung!
LORENZO
Hier aus Verona bist du nur verbannt;
Sei ruhig, denn die Welt ist groß und weit.
ROMEO
Die Welt ist nirgends außer diesen Mauern;
Nur Fegefeuer, Qual, die Hölle selbst.
Von hier verbannt ist aus der Welt verbannt,
Und solcher Bann ist Tod. Drum gibst du ihm
Den falschen Namen.--Nennst du Tod Verbannung,
Enthauptest du mit goldnem Beile mich
Und lächelst zu dem Streich, der mich ermordet.
LORENZO
O schwere Sünd, o undankbarer Trotz!
Dein Fehltritt heißt nach unsrer Satzung Tod;
Doch dir zulieb hat sie der gütge Fürst
Beiseit gestoßen und Verbannung nur
Statt jenes schwarzen Wortes ausgesprochen.
Und diese teure Gnad erkennst du nicht?
ROMEO
Nein, Folter; Gnade nicht! Hier ist der Himmel,
Wo Julia lebt, und jeder Hund und Katze
Und kleine Maus, das schlechteste Geschöpf,
Lebt hier im Himmel, darf ihr Antlitz sehn;
Doch Romeo darf nicht. Mehr Würdigkeit,
Mehr Ansehn, mehr gefällge Sitte lebt
In Fliegen als in Romeo. Sie dürfen
Das Wunderwerk der weißen Hand berühren
Und Himmelswonne rauben ihren Lippen,
Die sittsam in Vestalenunschuld stets
Erröten, gleich als wäre Sünd ihr Kuß.
Dies dürfen Fliegen tun, ich muß entfliehn;
Sie sind ein freies Volk, ich bin verbannt.
Und sagst du noch, Verbannung sei nicht Tod?
So hattest du kein Gift gemischt, kein Messer
Geschärft, kein schmählich Mittel schnellen Todes,
Als dies "Verbannt", zu töten mich? Verbannt!
O Mönch! Verdammte sprechen in der Hölle
Dies Wort mit Heulen aus; hast du das Herz,
Da du ein heilger Mann, ein Beichtiger bist,
Ein Sündenlöser, mein erklärter Freund,
Mich zu zermalmen mit dem Wort Verbannung?
LORENZO
Du kindisch blöder Mann, hör doch ein Wort!
ROMEO
O du willst wieder von Verbannung sprechen!
LORENZO
Ich will dir eine Wehr dagegen leihn,
Der Trübsal süße Milch, Philosophie,
Um dich zu trösten, bist du gleich verbannt.
ROMEO
Und noch verbannt? Hängt die Philosophie!
Kann sie nicht schaffen eine Julia,
Aufheben eines Fürsten Urteilspruch,
Verpflanzen eine Stadt, so hilft sie nicht,
So taugt sie nicht, so rede länger nicht!
LORENZO
Nun seh ich wohl. Wahnsinnige sind taub.
ROMEO
Wärs anders möglich? Sind doch Weise blind.
LORENZO
Laß über deinen Fall mit dir mich rechten!
ROMEO
Du kannst von dem, was du nicht fühlst, nicht reden.
Wärst du so jung wie ich und Julia dein,
Vermählt seit einer Stund, erschlagen Tybalt,
Wie ich von Lieb entglüht, wie ich verbannt,
Dann möchtest du nur reden, möchtest nur
Das Haar dir raufen, dich zu Boden werfen
Wie ich und so dein künftges Grab dir messen.
([Er wirft sich an den Boden.] Man klopft draußen.)
LORENZO
Steh auf, man klopft; verbirg dich, lieber Freund!
ROMEO
O nein, wo nicht des bangen Stöhnens Hauch
Gleich Nebeln mich vor Späheraugen schirmt.
(Man klopft.)
LORENZO
Horch, wie man klopft!--Wer da?--Fort, Romeo!
Man wird dich fangen.--Wartet doch ein Weilchen!--
Steh auf
(Man klopft.)
und rett ins Lesezimmer dich!--
(Man klopft.)
Ja, ja! im Augenblick!--Gerechter Gott,
Was für ein starrer Sinn!--ehn und dich zurückzurufen
Mit zwanzighunderttausendmal mehr Freude,
Als du mit Jammer jetzt von hinnen ziehst.
Geh, Wärterin, voraus, grüß mir dein Fräulein;
Heiß sie das ganze Haus zu Bette treiben,
Wohin der schwere Gram von selbst sie treibt;
Denn Romeo soll kommen.
WÄRTERIN
O je, ich blieb hier gern die ganze Nacht
Und hörte gute Lehr. Da sieht man doch,
Was die Gelahrtheit ist!--Nun, gnädger Herr,
Ich will dem Fräulein sagen, daß Ihr kommt.
ROMEO
Tu das und sag der Holden, daß sie sich
Bereite, mich zu schelten.
WÄRTERIN
Gnädger Herr,
Hier ist ein Ring, den sie für Euch mir gab.
Eilt Euch, macht fort, sonst wird es gar zu spät.
(Ab.)
ROMEO
Wie ist mein Mut nun wieder neu belebt!
LORENZO
Geh! Gute Nacht! Und hieran hängt dein Los:
Entweder geh, bevor man Wachen stellt,
Wo nicht, verkleidet in der Frühe fort.
Verweil in Mantua; ich forsch indessen
Nach deinem Diener, und er meldet dir
Von Zeit zu Zeit ein jedes gute Glück,
Das hier begegnet. Gib mir deine Hand!
Es ist schon spät. Fahr wohl denn! Gute Nacht!
ROMEO
Mich rufen Freuden über alle Freuden,
Sonst wärs ein Leid, von dir so schnell zu scheiden.
Leb wohl!
(Beide ab.)
VIERTE SZENE
(Ein Zimmer in Capulets Hause)
(Capulet, Gräfin Capulet, Paris.)
CAPULET
Es ist so schlimm ergangen, Graf, daß wir
Nicht Zeit gehabt, die Tochter anzumahnen.
Denn seht, sie liebte herzlich ihren Vetter.
Das tat ich auch; nun, einmal stirbt man doch.--
Es ist schon spät, sie kommt nicht mehr herunter,
Ich sag Euch, wärs nicht der Gesellschaft wegen,
Seit einer Stunde läg ich schon im Bett.
PARIS
So trübe Zeit gewährt nicht Zeit zum Frein;
Gräfin, schlaft wohl, empfehlt mich Eurer Tochter!
GRÄFIN CAPULET
Ich tu's und forsche morgen früh sie aus.
Heut nacht verschloß sie sich mit ihrem Gram.
CAPULET
Graf Paris, ich vermesse mich zu stehn
Für meines Kindes Lieb; ich denke wohl,
Sie wird von mir in allen Stücken sich
Bedeuten lassen, ja ich zweifle nicht.--
Frau, geh noch zu ihr, eh du schlafen gehst,
Tu meines Sohnes Paris Lieb ihr kund
Und sag ihr, merk es wohl: auf nächsten Mittwoch!
Still, was ist heute?
PARIS
Montag, edler Herr.
CAPULET
Montag? So, so! Gut, Mittwoch ist zu früh.
Sei's Donnerstag!--Sag ihr: am Donnerstag
Wird sie vermählt mit diesem edlen Grafen.
Wollt Ihr bereit sein? Liebt Ihr diese Eil?
Wir tuns im stillen ab: nur ein paar Freunde;
Denn seht, weil Tybalt erst erschlagen ist,
So dächte man, er läg uns nicht am Herzen,
Als unser Blutsfreund, schwärmten wir zu viel.
Drum laßt uns ein halb Dutzend Freunde laden
Und damit gut. Wie dünkt Euch Donnerstag?
PARIS
Mein Graf, ich wollte, Donnerstag wär morgen.
CAPULET
Gut, geht nur heim! Sei's denn am Donnerstag.--
Geh, Frau, zu Julien, eh du schlafen gehst,
Bereite sie auf diesen Hochzeittag.--
Lebt wohl, mein Graf!
(Paris ab.)
He! Licht auf meine Kammer!
Nach meiner Weise ists so spät, daß wir
Bald früh es nennen können. Gute Nacht!
([Capulet und die Gräfin ab.] Alle ab.)
FÜNFTE SZENE
(Eine offene Galerie vor Juliens Zimmer mit Blick auf den Garten)
(Romeo und Julia.)
JULIA
Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang;
Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub, Lieber, mir: es war die Nachtigall.
ROMEO
Die Lerche wars, die Tagverkünderin,
Nicht Philomele; sieh den neidschen Streif,
Der dort im Ost der Frühe Wolken säumt.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der muntre Tag erklimmt die dunstgen Höhn;
Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.
JULIA
Trau mir, das Licht ist nicht des Tages Licht,
Die Sonne hauchte dieses Luftbild aus,
Dein Fackelträger diese Nacht zu sein,
Dir auf dem Weg nach Mantua zu leuchten.
Drum bleibe noch; zu gehn ist noch nicht not.
ROMEO
Laß sie mich greifen, ja, laß sie mich töten!
Ich gebe gern mich drein, wenn du es willst.
Nein, jenes Grau ist nicht des Morgens Auge,
Der bleiche Abglanz nur von Cynthias Stirn.
Das ist auch nicht die Lerche, deren Schlag
Hoch über uns des Himmels Wölbung trifft.
Ich bleibe gern; zum Gehn bin ich verdrossen.
Willkommen, Tod, hat Julia dich beschlossen!--
Nun, Herz? Noch tagt es nicht, noch plaudern wir.
JULIA
Es tagt, es tagt! Auf, eile, fort von hier!
Es ist die Lerche, die so heiser singt
Und falsche Weisen, rauhen Mißton gurgelt.
Man sagt, der Lerche Harmonie sei süß;
Nicht diese: sie zerreißt die unsre ja.
Die Lerche, sagt man, wechselt mit der Kröte
Die Augen; möchte sie doch auch die Stimme!
Die Stimm ists ja, die Arm aus Arm uns schreckt,
Dich von mir jagt, da sie den Tag erweckt.
Stets hell und heller wirds: wir müssen scheiden.
ROMEO
Hell? Dunkler stets und dunkler unsre Leiden!
(Die Wärterin kommt herein.)
WÄRTERIN
Fräulein!
JULIA
Amme?
WÄRTERIN
Die gnädge Gräfin kommt in Eure Kammer;
Seid auf der Hut; schon regt man sich im Haus.
(Wärterin ab.)
JULIA (das Fenster öffnend.)
Tag, schein herein, und Leben, flieh hinaus!
ROMEO
Ich steig hinab; laß dich noch einmal küssen!
(Er steigt [aus dem Fenster] herab.)
JULIA (aus dem Fenster ihm nachsehend.)
Freund! Gatte! Trauter! Bist du mir entrissen?
Gib Nachricht jeden Tag, zu jeder Stunde;
Schon die Minut enthält der Tage viel.
Ach, so zu rechnen bin ich hoch in Jahren,
Eh meinen Romeo ich wiederseh.
ROMEO (außerhalb.)
Leb wohl! Kein Mittel laß ich aus den Händen,
Um dir, du Liebe, meinen Gruß zu senden.
JULIA
O denkst du, daß wir je uns wiedersehn?
ROMEO
Ich zweifle nicht, und all dies Leiden dient
In Zukunft uns zu süßerem Geschwätz.
JULIA
O Gott, ich hab ein Unglück ahnend Herz,
Mir deucht, ich säh dich, da du unten bist,
Als lägst du tot in eines Grabes Tiefe.
Mein Auge trügt mich, oder du bist bleich.
ROMEO
So, Liebe, scheinst du meinen Augen auch.
Der Schmerz trinkt unser Blut. Leb wohl, leb wohl!
(Ab.)
JULIA
O Glück, ein jeder nennt dich unbeständig;
Wenn du es bist: was tust du mit dem Treuen?
Sei unbeständig. Glück! Dann hältst du ihn
Nicht lange, hoff ich, sendest ihn zurück.
GRÄFIN CAPULET (hinter der Szene.)
He, Tochter, bist du auf?
JULIA
Wer ruft mich? Ist es meine gnädge Mutter?
Wacht sie so spät noch, oder schon so früh?
Welch ungewohnter Anlaß bringt sie her?
(Gräfin Capulet kommt herein.)
GRÄFIN CAPULET
Nun, Julia, wie gehts?
JULIA
Mir ist nicht gut.
GRÄFIN CAPULET
Noch immer weinend um des Vetters Tod?
Willst du mit Tränen aus der Gruft ihn waschen?
Und könntest du's, das rief' ihn nicht ins Leben;
Drum laß das! Trauern zeugt von vieler Liebe,
Doch zu viel trauern zeugt von wenig Witz.
JULIA
Um einen Schlag, der so empfindlich traf,
Erlaubt zu weinen mir!
GRÄFIN CAPULET
So trifft er dich;
Der Freund empfindet nichts, den du beweinst.
JULIA
Doch ich empfind und muß den Freund beweinen.
GRÄFIN CAPULET
Mein Kind, nicht seinen Tod so sehr beweinst du,
Als daß der Schurke lebt, der ihn erschlug.
JULIA
Was für ein Schurke?
GRÄFIN CAPULET
Nun, der Romeo.
JULIA (beiseit.)
Er und ein Schurk sind himmelweit entfernt.--
(Laut.)
Vergeb ihm Gott! Ich tu's von ganzem Herzen;
Und dennoch kränkt kein Mann, wie er, mein Herz.
GRÄFIN CAPULET
Ja freilich, weil der Meuchelmörder lebt.
JULIA
Ja, wo ihn diese Hände nicht erreichen!--
O rächte niemand doch als ich den Vetter!
GRÄFIN CAPULET
Wir wollen Rache nehmen, sorge nicht;
Drum weine du nicht mehr. Ich send an jemand
Zu Mantua, wo der Verlaufne lebt,
Der soll ein kräftig Tränkchen ihm bereiten,
Das bald ihn zum Gefährten Tybalts macht.
Dann wirst du hoffentlich zufrieden sein.
JULIA
Fürwahr, ich werde nie mit Romeo
Zufrieden sein, erblick ich ihn nicht--tot--,
Wenn so mein Herz um einen Blutsfreund leidet.
Ach, fändet Ihr nur jemand, der ein Gift
Ihm reichte, gnädge Frau; ich wollt es mischen,
Daß Romeo, wenn ers genommen, bald
In Ruhe schliefe.--Wie mein Herz es haßt,
Ihn nennen hören--und nicht zu ihm können,
Die Liebe, die ich zu dem Vetter trug,
An dem, der ihn erschlagen hat, zu büßen!
GRÄFIN CAPULET
Findst du das Mittel, find ich wohl den Mann.
Doch bring ich jetzt dir frohe Zeitung, Mädchen.
JULIA
In so bedrängter Zeit kommt Freude recht.
Wie lautet sie, ich bitt Euch, gnädge Mutter?
GRÄFIN CAPULET
Nun Kind, du hast 'nen aufmerksamen Vater:
Um dich von deinem Trübsinn abzubringen,
Ersann er dir ein plötzlich Freudenfest,
Des ich so wenig mich versah wie du.
JULIA
Ei, wie erwünscht! Was wär das, gnädge Mutter?
GRÄFIN CAPULET
Ja, denk dir, Kind, am Donnerstag frühmorgens
Soll der hochedle, wackre junge Herr,
Graf Paris, in Sankt Peters Kirche dich
Als frohe Braut an den Altar geleiten.
JULIA
Nun, bei Sankt Peters Kirch und Petrus selbst,
Er soll mich nicht als frohe Braut geleiten!
Mich wundert diese Eil, daß ich vermählt
Muß werden, eh mein Freier kommt zu werben.
Ich bitt Euch, gnädge Frau, sagt meinem Vater
Und Herrn, ich wollte noch mich nicht vermählen,
Und wenn ichs tue, schwör ich: Romeo,
Von dem Ihr wißt, ich haß ihn, soll es lieber
Als Paris sein.--Fürwahr, das ist wohl Zeitung!
GRÄFIN CAPULET
Da kommt dein Vater, sag du selbst ihm das,
Sieh, wie er sichs von dir gefallen läßt.
(Capulet und die Wärterin kommen.)
CAPULET
Die Luft sprüht Tau beim Sonnenuntergang,
Doch bei dem Untergange meines Neffen,
Da gießt der Regen recht.
Was? Eine Traufe, Mädchen? Stets in Tränen?
Stets Regenschauer? In so kleinem Körper
Spielst du auf einmal See und Wind und Kahn,
Denn deine Augen ebben stets und fluten
Von Tränen wie die See; dein Körper ist der Kahn,
Der diese salzge Flut befährt; die Seufzer
Sind Winde, die, mit deinen Tränen tobend,
Wie die mit ihnen, wenn nicht Stille plötzlich
Erfolgt, den hin und her geworfnen Körper
Zertrümmern werden.--Nun, wie steht es, Frau?
Hast du ihr unsern Ratschluß hinterbracht?
GRÄFIN CAPULET
Ja, doch sie will es nicht, sie dankt Euch sehr.
Wär doch die Törin ihrem Grab vermählt!
CAPULET
Sacht, rede deutlich, rede deutlich, Frau!
Was? Will sie nicht? Weiß sie uns keinen Dank?
Ist sie nicht stolz? Schätzt sie sich nicht beglückt,
Daß wir solch einen würdgen Herrn vermocht,
Trotz ihrem Unwert, ihr Gemahl zu sein?
JULIA
Nicht stolz darauf, doch dankbar, daß Ihrs tatet.
Stolz kann ich nie auf das sein, was ich hasse,
Doch dankbar selbst für Haß, gemeint wie Liebe.
CAPULET
Ei seht mir, seht mir! Kramst du Weisheit aus?
Stolz--und ich dank Euch--ner Schleife hin.
Pfui, du bleichsüchtges Ding, du lose Dirne!
Du Talggesicht!
GRÄFIN CAPULET
O pfui! Seid Ihr von Sinnen?
JULIA
Ich fleh Euch auf den Knien, mein guter Vater,
Hört mit Geduld ein einzig Wort nur an!
CAPULET
Geh mir zum Henker, widerspenstge Dirne!
Ich sage dirs: zur Kirch auf Donnerstag,
Sonst komm mir niemals wieder vors Gesicht.
Sprich nicht! Erwidre nicht! Gib keine Antwort!
Die Finger jucken mir. O Weib, wir glaubten
Uns kaum genug gesegnet, weil uns Gott
Dies eine Kind nur sandte; doch nun seh ich,
Dies eine war um eines schon zuviel,
Und nur ein Fluch ward uns in ihr beschert.
Du Hexe!
WÄRTERIN
Gott im Himmel segne sie!
Eur Gnaden tun nicht wohl, sie so zu schelten.
CAPULET
Warum, Frau Weisheit? Haltet Euern Mund,
Prophetin! Schnattert mit Gevatterinnen!
WÄRTERIN
Ich sage keine Schelmstück!
CAPULET
Geht mit Gott!
WÄRTERIN
Darf man nicht sprechen?
CAPULET
Still doch, altes Waschmaul!
Spart Eure Predigt zum Gevatterschmaus;
Hier brauchen wir sie nicht.
GRÄFIN CAPULET
Ihr seid zu hitzig!
CAPULET
Gotts Sakrament, es macht mich toll! Bei Tag,
Bei Nacht, spät, früh, allein und in Gesellschaft,
Zu Hause, draußen, wachend und im Schlaf,
War meine Sorge stets, sie zu vermählen.
Nun, da ich einen Herrn ihr ausgemittelt,
Von fürstlicher Verwandtschaft, schönen Gütern,
Jung, edel auferzogen, ausstaffiert,
Wie man wohl sagt, mit ritterlichen Gaben,
Kurz, wie man einen Mann sich wünschen möchte,
Und dann ein albern, winselndes Geschöpf,
Ein weinerliches Püppchen da zu haben,
Die, wenn ihr Glück erscheint, zur Antwort gibt:
Heiraten will ich nicht, ich kann nicht lieben,
Ich bin zu jung, ich bitt, entschuldigt mich.--
Gut, willst du nicht, du sollst entschuldigt sein;
Gras', wo du willst, du sollst bei mir nicht hausen.
Sieh zu! Bedenk! Ich pflege nicht zu spaßen.
Der Donnerstag ist nah: die Hand aufs Herz!
Und bist du mein, so soll mein Freund dich haben;
Wo nicht, geh, bettle, hungre, stirb am Wege!
Denn nie, bei meiner Seel, erkenn ich dich,
Und nichts, was mein, soll dir zugute kommen.
Bedenk dich! Glaub, ich halte, was ich schwur!
(Ab.)
JULIA
Und wohnt kein Mitleid droben in den Wolken,
Das in die Tiefe meines Jammers schaut?
O süße Mutter, stoß mich doch nicht weg!
Nur einen Monat, eine Woche Frist!
Wo nicht, bereite mir das Hochzeitsbette
In jener düstern Gruft, wo Tybalt liegt!
GRÄFIN CAPULET
Sprich nicht zu mir, ich sage nicht ein Wort.
Tu, was du willst, denn ich bin mit dir fertig.
(Ab.)
JULIA
O Gott! Wie ist dem vorzubeugen, Amme?
Mein Gatt auf Erden, meine Treu im Himmel--
Wie soll die Treu zur Erde wiederkehren,
Wenn sie der Gatte nicht, der Erd entweichend,
Vom Himmel sendet? Tröste, rate, hilf!
Weh, weh mir, daß der Himmel solche Tücken
An einem sanften Wesen übt wie mir!
Was sagst du? Hast du kein erfreuend Wort,
Kein Wort des Trostes?