William Shakespear

Timon von Athen
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Sechste Scene.


Timon (zu Apemanthus.)
Wieder ein Mensch?  Pest!  Pest!

Apemanthus.
Ich bin hieher gewiesen worden.  Die Leute sagen, du massest dich an,
meine Lebensart nachzuahmen.

Timon.
So muß es deßwegen seyn, weil du keinen Hund hältst, den ich
nachahmen könnte.  Daß du die Schwindsucht kriegtest!

Apemanthus.
Es ist an dir nur etwas erzwungnes, eine arme unmännliche
Melancholey, die bloß aus dem Wechsel deines Glüks entsprungen ist.
Wozu dieses Grabscheit?  Warum in diesem Walde?  Warum dieser
sclavenmässige Aufzug?  Und diese kummervolle Blike?  Deine
Schmeichler tragen indessen Seide, trinken Wein, ligen weich,
schwimmen in lieblichen Gerüchen, und haben vergessen, daß jemals
ein Timon war.  Entehre diese Kleidung nicht, die dir das Ansehen
und die Vorrechte eines Censors geben soll.  Sey du izt ein
Schmeichler, versuch' es, dich nun durch eben dieses fortzubringen,
was dich zu Grunde gerichtet hat; beuge deine Knie, und laß den
blossen Athem dessen, dem du aufwartest, deine Müze vom Kopf
herabwehen; erhebe seine lasterhaftesten Ausschweiffungen, und
nenne sie vortreflich.  So redte man mit dir; und du gabst deine
Ohren dazu her, den Bierwirthen ähnlich, die Schelmen und alles was
zu ihnen kommt willkommen heissen.  Es ist höchst billig, daß du ein
Spizbube werdest; hättest du noch Vermögen, so würden Spizbuben es
haben.  Affectire keine Gleichheit mit mir, sag ich dir!

Timon.
Wenn ich dir gleich wäre, ich wollte mich selbst wegwerfen.

Apemanthus.
Du hast dich selbst weggeworffen, da du dir selbst gleich warst; so
lang' ein Unsinniger, izt ein Narr!  Wie?  denkst du, die kalte Luft,
dein ungestümer Kammerherr, werde dir ein warmes Hemde reichen?
Meynst du, diese bemooßten Bäume, die den Adler überlebt haben,
werden wie Pagen hinter dir hertreten, und dir auf einen Wink
zulauffen?  Wird der kalte, mit Eis candirte Bach dir ein Cordial
zum Frühstük geben, um die Unverdaulichkeit der gestrigen
Nachtmahlzeit zu verbessern?  Ruffe den nakten Geschöpfen, die der
rauhen Witterung, und den kämpfenden Elementen ihre unverwahrten
Rümpfe entgegen bieten; befiehl ihnen, dir zu schmeicheln; o, du
wirst finden --

Timon.
Daß du ein Narr bist; zieh' ab.

Apemanthus.
Du bist mir izt lieber als jemals.

Timon.
Und du mir desto verhaßter.

Apemanthus.
Warum?

Timon.
Du schmeichelst der Dürftigkeit.

Apemanthus.
Ich schmeichle nicht; ich sage nur, daß du ein elender Tropf bist.

Timon.
Warum suchst du mich auf?

Apemanthus.
Um dich zu scheeren.

Timon.
Das ist immer die Verrichtung eines Bösewichts, oder eines Narren.
Däucht sie dir kurzweilig?

Apemanthus.
Ja.

Timon.
Was für ein Schurke du bist!

Apemanthus.
Wenn du diesen schwermüthigen kalten Habit angezogen hättest,
deinen Stolz zu züchtigen, so hättest du wol daran gethan; aber du
thust es aus Noth; du würdest ein Stuzer seyn, wenn du nicht ein
Bettler wärest.  Freywillige Armuth überlebt ungewisses Wohlleben;
dieses wird immer gefüllt und doch nie voll, jene erreicht ihren
höchsten Wunsch auf einmal; der glüklichste Stand ist mißvergnügt,
der elendeste zufrieden.  (Du) solltest zu sterben wünschen, weil du
in einem so armseligen Zustand bist.

Timon.
Nicht weil mir's einer sagt, der noch armseliger ist.  Du bist ein
Sclave, den das Glük nie mit zärtlichen Armen an ihre Brust drükte;
sondern zu einem Hund gebohren.  Wärest du wie wir, von der ersten
Stuffe des Lebens an, durch alle die angenehmen Grade von
Glükseligkeit fortgeschritten, die diese kurze Welt denjenigen
gewährt, die sich nur besinnen dürfen, was sie von allen ihren
Waaren haben wollen: Du hättest dich in dem diksten Schlamm der
Lüderlichkeit herumgewälzt, deine Jugend in den schändlichsten
Ausschweiffungen verschwendet, und nimmermehr die kalten
Vorschriften der Mässigung und des Wohlstands beobachten gelernt,
sondern würdest dem verzükerten Spiel vor dir her blindlings
nachgeloffen seyn.  Aber daß ich, für dessen Vergnügen die ganze
Welt arbeitete, der die Zungen, die Augen, die Herzen der Menschen
zu seinem Gebot hatte, mehr als ich ihnen Verrichtungen erdenken
konnte, an dem unzähliche hiengen, wie die Blätter an einer Eiche;
die aber alle, von einem einzigen Winter-Anstoß, von ihren Zweigen
abgefallen sind, und mich entblößt und unbedekt jedem Sturm
ausgesezt gelassen haben: Daß ich, der nie etwas anders als bessers
gekannt hat, diß ertragen soll, ist etwas schwer.  Dein Wesen fieng
mit Elend an, und die Zeit hat dich dazu abgehärtet.  Warum solltest
du die Menschen hassen?  Sie haben dir nie geschmeichelt.  Was hast
du ihnen geben können?  Wenn du fluchen willt, so muß dein Vater,
der arme Lumpenhund, der Gegenstand seyn, der, in einem Anstoß von
Brunst, irgend eine Bettlerin überfallen, und dich armseligen Erb-
Lumpenhund zusammgeflikt hat--Hinweg, pake dich!--Wärest du nicht
zum untersten unter allen Menschen gebohren, so würdest du ein
Spizbube und Schmeichler gewesen seyn.

Apemanthus.
Bist du noch stolz?

Timon.
Ja, daß ich nicht du bin.

Apemanthus.
Und ich, daß ich kein Verschwender gewesen bin.

Timon.
Und ich, daß ich izt noch einer bin.  Wär' aller Reichthum, den ich
hatte, in dir aufgeschüttet, so wollt' ich dir Erlaubniß geben, ihn
aufzuhängen.  Geh deines Weges--O!  daß das Leben von ganz Athen in
dieser Wurzel wäre!  So wollt' ich es essen.

(Er ißt eine Wurzel.)

Apemanthus.
Hier, ich will deine Mahlzeit verbessern.

Timon.
Verbeßre erst meine Gesellschaft, und pake dich fort!

Apemanthus.
Was hättest du gern zu Athen--

Timon.
Dich, in einem Wirbelwind; wenn du willt, so sag ihnen, ich habe
Gold; siehst du, daß ich habe.

Apemanthus.
Hier hat es keinen Nuzen.

Timon.
Den besten und sichersten; denn hier schläft es, und thut keinen
gedungnen Schaden.

Apemanthus.
Wo ligst du des Nachts, Timon?

Timon.
Unter dem was über mir ist.  Wo futterst du des Tags, Apemanthus?

Apemanthus.
Wo mein Magen Speise findet, oder vielmehr wo ich sie esse.

Timon.
Ich wollte, das Gift müßte mir gehorchen, und wüßte meine Gedanken.

Apemanthus.
Wo wolltest du es hinschiken?

Timon.
Deine Schüsseln zu würzen.

Apemanthus.
Das Mittel der Menschlichkeit hast du nie gekannt, sondern nur das
äusserste von beyden Enden.  Wie du in deinen vergoldeten Zimmern,
und von ausgesuchten Specereyen umduftet warst, da trieben sie ihr
Gespötte über deine ausschweiffende Zärtlichkeit des Geschmaks; izt
da du in Lumpen bist, hast du gar keine, sondern wirst des
Gegentheils halben verabscheut.  Hier ist eine Mespel für dich, iß
sie.

Timon.
Ich esse von nichts, was ich nicht leiden kan.

Apemanthus.
Kanst du die Mespeln nicht leiden?

Timon.
Nein, ob sie schon dir gleich sehen.

Apemanthus.
Hättest du sie früher nicht leiden können, so würdest du izt besser
mit dir selbst zufrieden seyn.  Hast du jemals einen Verschwender
gekannt, den man noch geliebt hat, nachdem er um seine Mittel
gekommen ist?

Timon.
Wen hast du jemals ohne diese Mittel, wovon du redst, beliebt
gesehen?

Apemanthus.
Mich selbst.

Timon.
Ich verstehe dich, du hast einige Mittel, einen Hund zu halten.

Apemanthus.
Was für Dinge in der Welt findst du deinen Schmeichlern am
ähnlichsten?

Timon.
Weiber--Was wolltest du mit der Welt thun, Apemanthus, wenn sie in
deiner Gewalt wäre?

Apemanthus.
Sie den wilden Thieren vorwerfen, damit ich der Menschen los würde.

Timon.
Wolltest du selbst auch das Schiksal der Menschen haben, oder unter
den wilden Thieren ein wildes Thier werden?

Apemanthus.
Das lezte, Timon.

Timon.
Ein bestialischer Wunsch, den die Götter dir gewähren mögen!  Wenn
du ein Löwe wärst, so würde dich der Fuchs betrügen; wärst du ein
Lamm, so würde der Fuchs dich fressen; wärst du der Fuchs, so
würdest du dem Löwen verdächtig werden, wenn dich zufallsweis ein
Esel anklagte; wärst du der Esel, so würde dich deine Dummheit
plagen, und du lebtest immer als ein Frühstük für den Wolf.  Wärst
du der Wolf, so würde dir deine Gefressigkeit zur Quaal werden, und
du würdest oft dein Leben für dein Mittagessen wagen.  Wärst du das
Einhorn, so würde dich Stolz und Grimm verderben, und in Ermanglung
eines andern würdest du die Beute deiner eignen Wuth werden.  Wärst
du ein Bär, so würde dich das Roß tödten; wärst du ein Roß, so
würde dich der Leopard ergreiffen; wärst du ein Leopard, so wärst
du des Löwen Vetter, und deine Fleken würden deine eigne Verwandten
gegen dein Leben aufhezen.  Alle deine Sicherheit wär' in Entfernung,
und dein Schuz in der Abwesenheit eines Feindes.  Was für ein Thier
könntest du seyn, das nicht einem Thier unterworffen wäre?  Und was
für ein Stük Vieh bist du izt schon, daß du nicht siehst, wie viel
du bey der Verwandlung verliehren würdest?

Apemanthus.
Wenn du mir durch irgend ein Gespräch gefallen könntest, so hättest
du es izt getroffen.  Das gemeine Wesen von Athen ist ein Wald von
Thieren worden.

Timon.
Wie ist dann der Esel durch die Mauern gebrochen, daß du ausser der
Stadt bist?

Apemanthus.
Dort kommt ein Poet und ein Mahler; die Pest der menschlichen
Gesellschaft falle auf dich!  Ich besorge, daß sie mich ansteken
möchte, und will mich mit der Flucht retten.  Wenn ich sonst nichts
zu thun weiß, will ich dich wieder sehen.

Timon.
Wenn sonst nichts lebendiges mehr ist als du, sollt du mir
willkommen seyn.

Apemanthus.
Du bist das Oberhaupt von allen iztlebenden Narren.

Timon.
Ich wollte, du wärest sauber genug, daß ich auf dich speyen könnte.
Daß du die Kränke hättest!

Apemanthus.
Du bist ein zu schlechter Kerl, als daß du jemandem fluchen
könntest.

Timon.
Alle Galgenschwengel werden rein, wenn sie neben dir stehen.

Apemanthus.
Es ist sonst kein Aussaz, als was du redst.

Timon.
Wenn ich dich nenne--Prügeln will ich dich; doch, ich würde nur
meine Hände kräzicht machen.

Apemanthus.
Ich wollte, meine Zunge könnte machen, daß sie abfaulten.

Timon.
Weg, du Gezücht eines räudigen Hunds.  Ich sterbe vor Zorn, daß du
in der Welt bist; ich fall' in Unmacht, wenn ich dich ansehe.

Apemanthus.
Daß du bersten möchtest?

Timon.
Hinweg, du verabscheuter Raker; ich fürchte, du treibst mir einen
H*d*n ab.

Apemanthus.
Vieh!

Timon.
Sclave!

Apemanthus.
Kröte!

Timon.
Lumpenhund, Lumpenhund, etc.

(Apemanthus zieht sich zurük, als ob er gehe.)

Ich bin dieser falschen Welt überdrüssig, und will nichts in ihr
lieben, als ihre blossen Nothwendigkeiten.  So zögre dann nicht,
Timon, dir dein Grab zu machen, dort, wo der leichte Meerschaum
deinen Grabstein täglich schlagen soll; mache deine Grabschrift,
daß der Tod in mir über andrer Leben lache.

(Er sieht auf das Gold, das zu seinen Füssen ligt.)

O du angenehmer Königs-Mörder!  du werthe Scheidung zwischen dem
leiblichen Sohn und seinem Vater!  du schimmernder Besudler von
Hymens keuschestem Bette!  du dapfrer Mars!  du immer junger,
frischer, beliebter, und reizender Buhler, dessen Röthe den
geheiligten Schnee, der auf Dianens Schooß ligt, zerschmelzt!  Du
sichtbarer Gott, der Unmöglichkeiten zusammenfügt, und einander
küssen macht!  der jede Sprache zu jeder Absicht reden kan!  O du
Probstein der Herzen; denke, dein Sclave, der Mensch, empöre sich
wider dich, und seze sie durch deine Macht in eine so zerrüttende
Zwietracht, bis die Herrschaft über die Welt den Thieren bleibt.

Apemanthus.
Ich wollt' es wäre so, aber nicht eher, als bis ich todt bin!  Ich
will sagen, du habest Gold; was für einen Zulauff, du augenbliklich
bekommen wirst!

Timon.
Einen Zulauf?

Apemanthus.
Ja.

Timon.
Deinen Rüken, ich bitte dich.

Apemanthus.
Leb' und liebe dein Elend!

Timon.
Leb lange so und stirb so!  Ich bin quitt.

Apemanthus.
Schau, mehr Dinge die wie Menschen aussehen--iß, Timon, und
verabscheue sie.

(Apemanthus geht ab.)



Siebende Scene.
(Die Diebe treten auf.)


1. Dieb.
Wo mag er wol sein Geld haben?  Es wird irgend ein armseliges
Fragment, irgend ein übriges Bißchen sein, das er noch davon
gebracht hat.  Nichts anders, als der Mangel an Geld, und der Undank
seiner Freunde, hat ihn zu dieser Melancholey gebracht.

2. Dieb.
Das Gerücht geht, er hab' einen Schaz gefunden.

3. Dieb.
Wir wollen einen Versuch machen; wenn er nichts darnach fragt; wird
er's uns gutwillig geben; aber wenn er so geizig ist, daß er's für
sich allein behalten will, was ist dann zu thun?

2. Dieb.
Er wird den Schaz nicht bey sich tragen; er wird ihn verstekt haben.

1. Dieb.
Ist der nicht Timon?

Alle.
Wo?

2. Dieb.
Der Beschreibung nach ist er's.

3. Dieb.
Er ists, ich kenn' ihn.

Alle.
Grüß dich Gott, Timon.

Timon.
He, Diebe.

Alle.
Soldaten, keine Diebe.

Timon.
Beydes, und von Weibern gebohren.

Alle.
Diebe sind wir nicht, aber Leute, die sehr viel Bedürfnisse haben.

Timon.
Euer gröstes Bedürfniß ist, was ihr aller Orten finden könnet: Was
solltet ihr bedürfen?  Seht, die Erde hat Wurzeln; innert einer
Meile um uns her entspringen hundert Quellen; die Eichen tragen
Eicheln, die Gesträuche, Hambutten; die gutthätige Hausmutter,
Natur, legt auf jedem Busch ihren ganzen Kram vor euch aus--
Bedürfnisse?  Warum Bedürfnisse?

1. Dieb.
Wir können nicht von Gras, Beeren und Wasser leben; wie Thiere,
Vögel und Fische.

Timon.
Auch nicht von den Thieren, Vögeln und Fischen selbst; ihr müßt
Menschen essen.  Doch muß ich euch Dank dafür sagen, daß ihr
offenbare Diebe seyd, und euch nicht in heiligere Gestalten
einhüllet; denn es herrscht grenzenlose Dieberey auch in
gesezmässigen Lebensarten.  Galgenschwengel, Diebe, hier ist Gold!

(Er giebt ihnen Geld.)

Geht, saugt das flüchtige Blut der Traube, bis das hizige Fieber
euer Blut zu Schaum kocht, und entgeht dadurch dem Galgen.  Vertraut
euch keinem Arzt, seine Arzneyen sind Gift, er tödtet mehr Menschen
als ihr beraubt, und nimmt ihnen ihr Geld mit samt dem Leben.
Treibt eure Bubenstüke, treibt sie, weil ihr euch dazu bekennt, wie
ein andres Handwerk; ich will euch Beyspiele genug von Dieberey
geben.  Die Sonn' ist ein Dieb, und beraubt durch ihre starke
Anziehung das weite Welt-Meer.  Der Mond ist ein ausgemachter Dieb,
und maußt sein blasses Licht der Sonne.  Das Meer ist ein Dieb,
dessen schmelzende Wellen Dämme in salzichte Thränen auflösen.  Die
Erde ist ein Dieb, die uns das Futter, wovon sie lebt, aus dem
Unrath aller Dinge zusammenstiehlt; ein jedes Ding ist ein Dieb.
Die Geseze, die euch binden und mit Ruthen streichen, haben
ungestraften Diebstahl in ihrer rauhen Gewalt.  Liebt euch selbst
nicht, hinweg, beraubt einander, hier habt ihr mehr Gold; schneidet
Kehlen ab; alle die euch begegnen sind Diebe: Geht nach Athen,
brecht in offne Buden ein, denn ihr könnt nichts stehlen; das nicht
von Dieben verlohren wird; stehlt nichts desto minder, weil ich
euch Gold gebe, und Gold verderbe euch, Amen!

(Er geht ab.)

3. Dieb.
Er hat mir mein Handwerk schier erleidet, indem er mich dazu
aufmunterte.

1. Dieb.
Das ist die allgemeine Bosheit der Menschen; er giebt uns einen
Rath, in Hoffnung, daß er uns an den Galgen bringen werde.

2. Dieb.
So will ich ihm glauben wie einem Feind, und meine Profeßion
aufgeben.

1. Dieb.
Wir wollen erst warten, bis zu Athen Fried' ist.

2. Dieb.
Es ist kein so schlimmer Zustand, worinn ein Mensch nicht noch gut
werden kan.

(Sie gehen ab.)




Fünfter Aufzug.



Erste Scene.
(Der Wald und Timons Höle.)
(Flavius tritt auf.)


Flavius.
O ihr Götter, ist jener verworfne, zerstörte Mann mein Herr?  So
abgezehrt, so eingefallen!  O!  ein Denkmal, ein Wunder von
übelangewandten Gutthaten!  Was für eine Veränderung hat eine
verzweiflungsvolle Dürftigkeit in seiner Gemüthsart gemacht!  Was
für ein schändlicheres Ding ist auf der Erde als Freunde, die das
edelste Gemüth zu einem solchen Verfall bringen können!  Wie wohl
schikt sich das Gebott, daß wir unsre Feinde lieben sollen*, für
unsre Zeiten!  Wenn es mir auch frey stünde, wollt' ich sie doch
eher lieben als Schmeichler.--Er hat mich wahrgenommen; ich will
ihm meinen redlichen Kummer zeigen, und bis zum lezten Athemzug
sein treuer Diener bleiben.

{ed.-* Hier vergißt unser Autor, daß seine Personen keine Christen sind,
noch seyn können; kein Wunder, da er durch das ganze Stük
vergessen hat, daß sie Athenienser sind.}

(Timon kommt aus seiner Höle hervor.)

Mein theurester Herr.

Timon.
Weg!  Wer bist du?

Flavius.
Habt ihr mich vergessen, mein Herr?

Timon.
Wie magst du fragen?  Ich habe alle Menschen vergessen; wenn du also
gestehen mußt, das du ein Mensch bist, so hab ich dich vergessen.

Flavius.
Ein ehrlicher Diener--

Timon.
So kenn ich dich nicht: ich habe niemals ehrliche Leute um mich
gehabt; alle die ich hatte waren Spizbuben, um Galgenschwengeln
beym Essen aufzuwarten.

Flavius.
Die Götter sind Zeugen, daß niemals ein armer Verwalter einen
aufrichtigern Schmerz für seinen zu Grunde gerichteten Herrn
gefühlt hat, als meine Augen für euch.

(Er weint.)

Timon.
Wie?  weinst du?  Komm näher, so will ich dich denn lieben, weil du
ein Weib bist; du kanst aus Mitleiden weinen; das kan das
kieselsteinerne Herz des männlichen Geschlechts nicht; wenn ihre
Augen übergehen, so geschieht es vor Lachen oder böser Lust.

Flavius.
Ich bitte euch, mein gütiger Herr, mich nicht abzuweisen, und mir
zu verstatten, daß ich euern Kummer theile, und so lange dieser
arme Reichthum daurt,

(er zeigt ihm einen Beutel mit Geld,)

euer Verwalter bleibe.

Timon.
Hatt' ich einen Verwalter, der so getreu, so redlich, und nun so
hülfreich ist?  Diß könnte mein verwildertes Gemüth beynahe zahm
machen.  Laß mich dein Gesicht sehen; wahrlich, dieser Mann ist von
einem Weibe gebohren.  Verzeihet mir mein allgemeines, keine
Ausnahme machendes, zu rasches Urtheil, ihr unsterblichen, weisen
Götter!  Ich gestehe nun einen ehrlichen Mann zu; verstehet mich wol,
nur Einen; keinen mehr, ich bitte euch; und der einzige ist ein
Verwalter!  Wie gerne wollt' ich das ganze Menschen-Geschlecht
gehasset haben, und du kaufst dich los; doch alle andre, dich
ausgenommen, mögen meine Flüche treffen!  Mich däucht, du seyest
mehr ehrlich als klug; denn, wenn du mich betrogen und verrathen
hättest, so hättest du desto bälder eine andre Bedienstung erhalten
können; viele kommen auf diese Art zu ihren zweyten Herren, auf
ihres ersten Herrn Naken.  Aber sage mir aufrichtig, (denn ich muß
immer zweifeln, ob ich gleich niemals weniger Ursach dazu hatte;)
ist nicht diese deine Zärtlichkeit listig und eigennüzig, eine
wuchernde Zärtlichkeit, wie reiche Leute Geschenke machen, um
zwanzig mal so viel dafür zurük zu bekommen?

Flavius.
Nein, mein würdiger Herr, (in dessen Brust Zweifel und Argwohn, ach
leider!  zu spät Plaz nehmen;) ihr hättet falsche Freundschafts-
Versicherungen vermuthen sollen, da ihr Bankette gabt.  Das was ich
euch zeige, der Himmel weiß es, ist lauter Liebe, Pflicht und
Ergebenheit gegen ein Herz, das seines gleichen nicht hat, Sorge
für euern Unterhalt und euer Leben; und glaubt mir, es ist kein
Vortheil weder gegenwärtig, noch den ich hoffen könnte, den ich
nicht um diesen einzigen Wunsch vertauschen wollte, euch wieder in
Glük und Wohlstand zu sehen.

Timon.
Gut, ich glaube dir, es ist so; du einzelner ehrlicher Mann, hier,
nimm.

(Er giebt ihm einen Sak mit Gold.)

Die Götter haben dir aus meinem Elend einen Schaz zugeschikt.  Geh,
lebe reich und glüklich; aber mit dieser Bedingung, daß du von den
Menschen abgesondert wohnen sollst.  Haß' alle, verwünsch' alle,
thue keinem Gutes; laß einem Bettler eh sein verhungertes Fleisch
von den Knochen fallen, eh du ihm ein Almosen gäbest.  Gieb den
Hunden, was du den Menschen versagst.  Daß Gefängnisse sie
verschlingen, daß sie in Schulden verderben, daß die Menschen einem
verdorrten Walde gleich sehen, und verpestete Krankheiten ihr
falsches Blut aufleken!  Und hiemit lebe wohl, und gedeyhe!

Flavius.
O laßt mich bey euch bleiben, mein gütiger Herr, und euch
unterstüzen --

Timon.
Wenn du meinem Fluch ausweichen willst, so säume dich nicht, flieh;
flieh, weil du noch gesegnet und frey bist.  Sieh du keinen Menschen
mehr, und laß dich nimmer vor mir sehen.

(Sie gehen auf verschiedne Seiten ab.)



Zweyte Scene.
(Der Poet und der Makler treten auf.)


Mahler.
Nach der Erkundigung, die ich von dem Ort eingezogen habe, kan er
nicht weit von hier sich aufhalten.

Poet.
Was soll man von ihm denken?  bestättigt sich das Gerücht, daß er
soviel Gold haben soll?

Mahler.
Er hat; Alcibiades erzählt es, Phrynia und Timandra haben Gold von
ihm bekommen; er schenkt' auch etlichen armen verlaufenen Soldaten
eine grosse Menge davon.  Man sagt, er gab seinem Verwalter eine
starke Summe.

Poet.
So war folglich diese Bankrutt nur eine Prüfung seiner Freunde.

Mahler.
Nichts anders; ihr werdet ihn bald in Athen unter den Ersten wieder
glänzen sehen.  Es wird also nicht übel gethan seyn, wenn wir ihm in
dem Unglüks-Stand', worinn man ihn versunken glaubt, unsre
Freundschaft bezeugen; es wird uns das Ansehen eines edelmüthigen
Betragens geben; und es ist sehr wahrscheinlich, daß es uns zu
unserm Zwek führen wird, wenn es wahr ist, daß er so reich seyn
soll.

Poet.
Was habt ihr bey euch, womit ihr ihm aufwarten wollet?

Mahler.
Nichts für dißmal als meinen Besuch; allein ich will ihm ein
vortrefliches Stük versprechen.

Poet.
Ich will ihn auf die nemliche Art bedienen.

Mahler.
So ist's am besten.  Versprechen öffnet das Auge der Erwartung, und
macht sich oft für etwas, das niemals gehalten wird, zum voraus
bezahlt.  Halten ist allemal der Narr in seinem eignen Spiel; sobald
ein Versprechen gehalten ist, so nüzt es, ausser bey der
einfältigern Art von Leuten, dem Geber nichts mehr.  Versprechen ist
hofmännisch, und ein Stük von der feinen Lebensart; Halten ist eine
Art von leztem Willen oder Testament, welches bey dem, der es macht,
eine grosse Krankheit--am Verstand anzeigt.  (Timon kommt, ohne daß
ihn die vorigen Personen gewahr werden, aus der Höle hervor.)

Timon (vor sich.)
Vortreflicher Künstler!  du kanst keinen so schlechten Kerl mahlen
als du selbst bist.

Poet.
Ich besann' mich, was ich sagen will, das ich für ihn in der Arbeit
habe--Es muß eine Vorstellung von ihm selbst seyn; eine Satyre über
die Weichlichkeit, die eine Folge des Wohlstands zu seyn pflegt;
mit einer Entdekung der unendlichen Schmeicheleyen, die das Gefolge
von Jugend und Reichthum sind.

Timon.
Must du dich dann in deinem eignen Werk als einen Nichtswürdigen
abschildern?  Willt du deine eigne Laster auf andrer Leute Rüken
peitschen?  Thue es, ich habe Gold für dich.

Poet.
Wir wollen ihn aufsuchen.

Wer einen Vortheil einzuholen
Zu spät kommt, hat sich selbst bestohlen.

Mahler.
Ihr habt recht.

Poet.
Such', was dir fehlt, bey Tag, der unbezahlt dir scheint;
Die Nacht im schwarzen Flor ist niemands Freund.

Kommt!

Timon.
Ich will euch beym Umkehren entgegen kommen--Was für ein Gott ist
Gold, daß er in Tempeln verehrt wird, die verächtlicher sind als
die Oerter, wo Schweine ihre Speise suchen.  Du bist es der das
Schiff ausrehdet, und die beschäumten Wellen pflügt; du verschaffst
dem Sclaven Bewundrung und Ehrfurcht; niemals möge dein Dienst
abnehmen, und verderbliche Plagen sollen deine Anbeter umkränzen!--
Izt ist es Zeit, ihnen entgegen zu kommen.

Poet.
Heil dir, würdiger Timon.

Mahler.
Einst unser edler Gebieter.

Timon.
Wie, erleb' ich es, noch zween ehrliche Männer zu sehen?

Poet.
Mein Herr, da wir so viel Gutes von euch genossen haben, und
vernehmen mußten, daß ihr euch entfernt, und daß alle eure Freunde
abgefallen, für deren undankbare Gemüther--(oh,
verabscheuungswürdige Seelen!) alle Ruthen des Himmels nicht
hinreichend sind--Was?  von euch?  dessen Stern-gleiche Großmuth
Leben und Einflüsse ihrem ganzen Wesen gab?  Ich komme ganz ausser
mich, und kan keine Worte groß genug finden, die ungeheure Grösse
dieser Undankbarkeit darein zu kleiden.

Timon.
Laßt sie nakend gehen, so sehen die Leute sie desto besser; ihr,
die ihr ehrliche Männer seyd, macht durch das, was ihr seyd, das
was sie sind am besten sichtbar.

Mahler.
Er und ich haben in dem grossen Regen eurer Freygebigkeit gereißt,
und ihn auf eine angenehme Art empfunden.

Timon.
Ja, ihr seyd ehrliche Männer.

Mahler.
Wir sind hieher gekommen, euch unsre Dienste anzubieten.

Timon.
Sehr ehrliche Männer!  Wie kan ich's euch wett machen?  Könnt ihr
Wurzeln essen, und kaltes Wasser trinken?  Nein.

Beyde.
Wir wollen thun, was wir nur immer können, um euch Dienste zu
leisten.

Timon.
Ihr seyd ehrliche Männer; ihr habt gehört, daß ich Gold habe; ich
bin versichert, ihr habt's gehört; sagt die Wahrheit, ihr seyd
ehrliche Männer.

Mahler.
So sagt man, mein edler Lord; allein deßwegen kam ich und mein
Freund nicht hieher.

Timon.
Guter ehrlicher Mann; du mahlst das beste Portrait unter allen
Mahlern in Athen; du bist, in der That, der beste; du mahlst
vortreflich nach dem Leben.

Mahler.
So, so, Gnädiger Herr.

Timon.
Eben so, mein Herr, wie ich sagte.

(Zum Poet.)

Und was deine Gedichte betrift, deine Verse fliessen so voll und
lieblich, daß du in deiner Kunst eben so natürlich bist.  Allein
eben darum, meine ehrlich-gesinnten Freunde, muß ich euch sagen,
ihr habt einen kleinen Fehler; der aber in der That euch nicht sehr
entstellt; auch wünscht' ich nicht, daß ihr euch grosse Mühe gäbet,
ihn zu verbessern.

Beyde.
Wir bitten Euer Gnaden ihn uns bekannt zu machen.

Timon.
Ihr möchtet es übel aufnehmen.

Beyde.
Mit höchstem Dank, Gnädiger Herr.

Timon.
Ist das euer Ernst?

Beyde.
Zweifelt nicht daran, Milord.

Timon.
Es ist niemals einer von euch allein, ohne sich einem Spizbuben
anzuvertrauen, der euch gewaltig hinter's Licht führt.

Beyde.
Thun wir das, Gnädiger Herr?

Timon.
Das thut ihr, und ihr hört seine Schmeicheleyen; seht wie er sich
verstellt, kennt seine groben Schelmstüke, und doch liebt ihr ihn,
gebt ihm zu essen, und tragt ihn in euerm Busen; aber seyd
versichert, er ist ein ausgemachter Spizbube.

Mahler.
Ich kenne keinen solchen, Gnädiger Herr.

Poet.
Noch ich.

Timon.
Schaut ihr, ihr seyd mir lieb, ich will euch Gold geben, wenn ihr
mir diese Schelmen aus eurer Gesellschaft ausstossen wollt; hängt
sie oder erstecht sie, gebt ihnen Gift ein, oder schaft sie sonst
auf eine Art aus der Welt, und kommt wieder zu mir, so will ich
euch Gold genug geben.

Beyde.
Nennet sie, Gnädiger Herr, wir möchten sie kennen.

Timon.
Geht ihr auf diese Seite, und ihr auf diese--Aber es sollte jeder
allein seyn--wenn jeder von euch ganz allein und einzeln ist, so
hält ihm doch ein Erz-Spizbube Gesellschaft.

(Zum Mahler.)

Wenn da wo du bist, nicht zween Spizbuben seyn sollen, so komm ihm
nie zu nah--

(Zum Poet.)

Wenn du nirgends seyn willt, als wo nur ein Spizbube ist, so
verlaß ihn.  Fort, pakt euch, hier ist Gold;

(Er giebt ihnen Schläge.)

ihr kamet um Gold zu kriegen, ihr Sclaven; ihr habt Arbeit für
mich;--hier ist eure Bezahlung--Fort--Ihr seyd ein Alchymist, macht
Gold aus diesem; fort, ihr Lumpenhunde!

(Er prügelt sie, und jagt sie fort.)



Dritte Scene.
(Flavius und zween Senatoren treten auf.)


Flavius.
Es ist umsonst, wenn ihr den Timon sprechen wollt; denn er ist so
gänzlich auf sich allein eingeschränkt, daß er nichts was einem
Menschen gleich sieht, ausser sich selbst, um sich leiden kan.

1. Senator.
Führt uns zu seiner Höle; es ist unser Auftrag, und wir haben uns
den Atheniensern dazu verpflichtet, mit Timon zu reden.

2. Senator.
Die Menschen sind nicht zu allen Zeiten gleich; Umstände und Kummer
haben ihm diesen Humor gegeben; die Zeit, die ihm nun die
Glükseligkeiten seiner ehmaligen Tage wieder anbietet, kan ihn
wieder zu dem vorigen Mann machen; führt uns zu ihm, es mag gehen
wie es will.

Flavius.
Hier ist seine Höle!  Fried' und Zufriedenheit wohne hier, Lord
Timon!  Timon, schaue heraus, und rede mit Freunden; die Athenienser
grüssen dich durch zwey Mitglieder ihres höchst ehrwürdigen Senats;
rede mit ihnen, edler Timon.  (Timon kommt aus seiner Höle heraus.)

Timon.
Du Sonne, anstatt zu erquiken, brenne!--Redet, und dann geht an den
Galgen!  wenn ihr für jedes wahre Wort eine Blatter kriegtet, und
für jedes falsche bis auf die Wurzel eurer Zunge gebrannt würdet,
so würd' euer Vortrag nicht lange dauern.

1. Senator.
Würdiger Timon--

Timon.
Ja, solcher Leute würdig wie ihr seyd, und ihr des Timons.

2. Senator.
Die Senatoren von Athen grüssen dich, Timon.

Timon.
Ich dank' ihnen, und wollt' ihnen die Pest dafür zurük schiken,
wenn ich sie kriegen könnte.

1. Senator.
O vergiß dessen, an was wir selbst ohne Schaam und Kummer nicht
denken können; die Senatoren ruffen dich mit einhelliger
Freundschaft nach Athen zurük, und sind darauf bedacht, dich mit
den ansehnlichsten Ehrenstellen zu überhäuffen, die für dich
erledigt ligen.

2. Senator.
Sie bekennen, daß ihre Unachtsamkeit auf deine Verdienste zu
allgemein, zu groß gewesen; die ganze Republik, (die sonst selten
Palinodien zu singen pflegt,) hat durch das Gefühl, wie sehr ihr
Timon mangelt, eine lebhafte Empfindung von dem Unrecht bekommen,
das sie sich selbst angethan, indem sie dem Timon ihren Beystand
entzogen; und sendet uns nun, dir darüber ihre reuvolle Bekümmerniß
zu bezeugen, und dir zugleich einen Ersaz anzubieten, den ihr
Vergehen nicht um eine Drachme überwiegen soll; ja so überhäufte
Summen von Liebe, Ansehn und Reichthum, daß sie jede Spur der
vergangnen Kränkungen in deinem Andenken auslöschen, und die
Figuren ihrer Liebe so tief in dich eindrüken sollen, daß sie auf
ewig unauslöschlich dauern werden.

Timon.
Ihr bezaubert mich, überrascht mich durch eure Beredsamkeit beynahe
zu Thränen; leiht mir eines Narren Herz, und die Augen eines Weibs,
so will ich über diese tröstlichen Sachen weinen, würdige Senatoren.

1. Senator.
Laß dir also gefallen mit uns zurük zu kehren, und die Ober-
Befehlhabers-Stelle über unser Athen, dein und unser Athen,
anzunehmen: Du sollt mit allgemeinen Dankbezeugungen eingeholt, und
mit dem völligen Ansehn der höchsten Gewalt bekleidet werden; so
werden wir bald die wilden Anfälle des Alcibiades zurük getrieben
haben, der izt, wie ein ergrimmter Bär, den Frieden seines
Vaterlands aufwühlt,

2. Senator.
und sein dräuendes Schwerdt gegen die Mauern von Athen gezükt hält.

1. Senator.
Daher, Timon--

Timon.
Gut, mein Herr, ich will; daher will ich, mein Herr; so, nemlich--
Wenn Alcibiades meine Landsleute umbringt, so laßt den Alcibiades
vom Timon dieses wissen, daß Timon sich nichts darum bekümmert.
Wenn er das schöne Athen zu einem Steinhauffen macht, wenn er eure
wakern alten Männer bey den Bärten zieht, und eure keuschen
Jungfrauen der Beflekung des schaamlosen, viehischen, wüthenden
Kriegs Preiß giebt, so laßt ihn wissen--und sagt ihm, Timon hab' es
gesagt--Aus Mitleiden mit euern Alten und mit eurer Jugend kan ich
nicht anders als ihm sagen lassen, daß ich--nichts darnach frage.
Und laßt es ihn im schlimmsten Sinn nehmen als er will, denn ihre
Messer fragen auch nichts darnach, daß ihr Gurgeln zum Antworten
habt.  Was mich selbst betrift, so ist in seinem ganzen zaumlosen
Lager kein so kleines Taschen-Messer, das ich nicht höher schäze
und liebe, als die ehrwürdigste Gurgel in Athen.  Und hiemit überlaß
ich euch der Obhut der Götter, wie Diebe ihren Hütern.

Flavius.
Bleibet nicht länger, es ist alles umsonst.

Timon.
Wie, ich war eben im Begriff, meine Grabschrift zu schreiben;
morgen wird man sie sehen können.  Meine lange Krankheit an
Gesundheit und Leben fängt an sich zu bessern, und Nichts bringt
mir Alles.--Geht, lebt immerhin; Alcibiades sey eure Geissel, ihr
die seinige; und so daurt einander aus, so lang es möglich ist!

1. Senator.
Alles, was wir reden könnten ist umsonst.

Timon.
Und doch lieb' ich mein Vaterland noch; und bin keiner, der an dem
allgemeinen Schiffbruch seine Freude hat, wie die Sage von mir geht.

1. Senator.
Das ist wol gesprochen.

Timon.
Empfehlt mich meinen werthesten Mitbürgern.

1. Senator.
Das sind Worte, die euern Lippen wol anstehen!

2. Senator.
Und in unsre Ohren, wie triumphierende Sieger durch ihre
zujauchzenden Thore, eingehen.

Timon.
Empfehlt mich ihnen, und sagt ihnen, um ihnen in ihren bekümmerten
Umständen, ihrer Furcht vor feindlichen Streichen, ihren Drangsalen,
ihrem grossen Verlust, ihren Liebes-Aengsten, und andern
dergleichen zufälligen Wehen, die das zerbrechliche Gefäß der
menschlichen Natur in der ungewissen Reise des Lebens auszustehen
hat, einige Linderung zu verschaffen, woll' ich ihnen noch eine
Probe von meiner gütigen Gemüthsart geben, und ihnen ein Mittel
sagen, wodurch sie dem Grimm des Alcibiades zuvorkommen können.

2. Senator (leise.)
Das geht ganz gut; er wird mit uns zurük kommen.

Timon.
Ich habe einen Baum, der hier in meinem Einfang wächßt, und den ich
zu meinem eignen Gebrauch nächstens fällen muß.  Sagt meinen
Freunden, den Atheniensern, allen ohne Ausnahm, von dem Höchsten
bis zum Niedrigsten; daß ein jeder der Lust habe, allem seinem Leid
ein Ende zu machen, unverzüglich hieher kommen, und eh noch mein
Baum die Axt gefühlt hat, sich daran aufhängen soll--Ich bitte euch,
richtet es wohl aus.

Flavius.
Beunruhigt ihn nicht länger, ihr werdet ihn nie anders finden.

Timon.
Kommt nicht wieder zu mir, sondern sagt den Atheniensern: Timon
habe seine immerwährende Wohnung an dem äussersten Strande der
gesalznen Fluth genommen, wo die ungestümen Wellen sie alle Tage
einmal mit ihrem schwellenden Schaum bedeken werden.  Dahin kommt,
und laßt meinen Grabstein euer Orakel seyn.  Schliesset euch nun,
meine Lippen, und macht euern Verwünschungen ein Ende; Pest und
Verderben vollende, was ihr vergessen habt; Gräber allein seyen der
Menschen Arbeit, und Tod ihr Gewinn!  Sonne, verbirg deine Stralen!
Timon hat seinen Lauf vollbracht.

(Timon geht ab.)

1. Senator.
Sein Unwille und Gram ist auf eine unzertrennliche Art mit seinem
Wesen zusammengewachsen.

2. Senator.
Unsre Hoffnung auf ihn ist todt; laßt uns zurük kehren, und sehen,
was für andre Mittel uns in dieser äussersten Gefahr noch übrig
sind.

1. Senator.
Wir haben keinen Augenblik zu versäumen.



Vierte Scene.
(Die Mauern von Athen.)
(Zween andre Senatoren mit einem Boten treten auf.)


1. Senator (zum Bot.)
Du hast grosse Mühe bey deiner Auskundschaftung gehabt; sind denn
seine Linien so voll wie man sagt?

Bote.
Ich habe die geringste Zahl angegeben; zudem, so macht er Anstalten,
unmittelbar vor die Stadt anzurüken.

2. Senator.
Wir sind in grosser Gefahr, wenn sie den Timon nicht mit sich
bringen.

Bote.
Ich begegnete unterwegs einem Courier, einem alten guten Freund von
mir; wir sind zwar von entgegenstehenden Partheyen; allein unsre
alte Liebe hatte doch Stärke genug, zu machen, daß wir wie gute
Freunde mit einander sprachen.  Dieser Mann war in Eile von
Alcibiades nach Timons Höle abgeschikt mit Briefen, worinn er ihn
einlud, seine Parthey wider eure Stadt zu verstärken, um so mehr
als das Unrecht, so dem Timon angethan worden, eine von den
Ursachen sey, die ihn in Waffen gesezt habe.  (Andre Senatoren zu
den Vorigen.)

1. Senator.
Hier kommen unsre Brüder.

3. Senator.
Redet nicht von Timon, erwartet nichts von ihm; man hört schon die
Trummeln der Feinde, und das fürchterliche Stampfen ihrer Tritte
füllt die Luft mit Staub.  Hinein, und macht euch gefaßt; ich
besorge, unsre Gegenwehr werde wenig helfen.

(Sie gehen ab.)

(Ein Soldat geht in den Wald hinein, und sucht den Timon.)

Soldat.
Der Beschreibung nach muß dieses der Ort seyn.  Wer ist hier?
Antworte!  he!  Keine Antwort?--was ist diß?--ha!  Timon todt
ausgestrekt?  Irgend ein wildes Thier muß dieses Grabmal aufgewühlt
haben, denn hier lebt kein Mensch.  Er ist todt, so ist's, und diß
ist sein Grab--Was ist auf diesem Stein?  Ich kan nicht lesen; aber
ich will die Schrift in Wachs abdruken; unser General versteht
alles, er ist alt an Wissenschaft, obgleich jung an Tagen; anstatt
ihm seinen Freund zu bringen, bring ich ihm seine Grabschrift.

(Er geht ab.)



Fünfte Scene.
(Vor den Mauern von Athen.)
(Trompeten.  Alcibiades zieht mit seinem Heer auf.)


Alcibiades.
Verkündigt dieser feigen und von Wollust aufgelösten Stadt unsre
fürchterliche Ankunft.

(Man hört Schamade schlagen.
Die Senatoren lassen sich auf den Mauern sehen.)

Bis izt habt ihr ohne Scheu euerm ausschweiffenden Uebermuth den
Zügel gelassen, und eure Willkühr zum Zwek der Geseze gemacht.
Lange genug sind ich und andre, die im Schatten eurer Gewalt
schliefen, mit verkehrten Waffen, wie Nachtwandrer, herumgeirret,
und haben unsre Bedrükung umsonst in Klagen ausgehaucht.  Nun ist
die Zeit gekommen, da das überladne Mark unter der übermässigen
Last ausruft: Es ist genug*; nun soll die keuchende Beleidigung
sich in eure grosse Lehnstühle werfen, und ausschnauben; und der
aufgeschwollne Uebermuth vor Angst allen seinen Wind fahren lassen,
und mit emporsträubenden Haaren davon lauffen.

{ed.-* Das Mark wurde für die Quelle der Stärke gehalten.  Das Bild ist
von einem Cameel hergenommen, welches auf den Knien ligt, um seine
Last aufzunehmen; und gleich aufsteht, wenn man ihm mehr auflegen
will, als es tragen kan.  Warbürton.}

1. Senator.
Edler Jüngling, da deine ersten Beschwerden nur noch Gedanken waren,
eh du Macht hattest oder wir Ursache hatten dich zu fürchten;
sandten wir zu dir, deinen Zorn zu besänftigen, und versprachen,
unsre Undankbarkeit mit überschwänglicher Liebe auszulöschen.

2. Senator.
Wir hielten auch durch eine demüthige Gesandtschaft, und mit
versprochner Besserung, bey dem verwandelten Timon an, unsrer Stadt
seine Liebe wieder zu schenken; wir sind nicht alle undankbar, und
verdienen nicht alle unter dem allgemeinen Streich des Krieges zu
sinken.

1. Senator.
Diese unsre Mauern sind nicht von den Händen derjenigen aufgeführt
worden, von denen ihr Beleidigungen empfangen habt; und es wäre
nicht billig, daß diese schönen Thürme, diese Tropheen und diese
Schulen, um der Missethat etlicher Privatleute willen fallen
sollten.

2. Senator.
Diejenigen sind nicht einmal mehr am Leben, deren Bestraffung der
erste Beweggrund euers Auszugs war.  Schaam und Verdruß über die
Folgen ihrer Unbesonnenheit hat ihnen das Herz gebrochen.  Ziehe nur,
o edler Lord, mit fliegenden Fahnen in unsre Stadt ein; laß, wenn
deine Rache nach einer Nahrung hungert, wovor der Natur grauet, laß
durch das fatale Loos den zehnten Mann sterben, und schone der
übrigen.

1. Senator.
Nicht alle haben gesündiget; es ist nicht billig, an den
Unschuldigen die Rache zu nehmen, die nur die Schuldigen verdient
haben.  Verbrechen werden nicht mit den Gütern geerbt.  Führ' also,
theurer Mitbürger, deine Schaaren herein, aber laß deinen Zorn
voraussen; schone deiner Atheniensischen Wiege, und dieser
Geschlechter, die in dem Ungestüm deines Grimms mit denen, so
gesündigt haben, fallen müßten.  Komm, gleich einem Schäfer, in die
Hürden, um die angestekten auszusondern, nicht alle zusammen zu
erwürgen.

2. Senator.
Wozu willst du dein Schwerdt wieder uns ziehen, da du uns durch
dein Lächeln leichter zu allem was du willst, zwingen kanst?

1. Senator.
Seze nur deinen Fuß gegen unsre verrigelten Thore, und sie sollen
sich öffnen, wenn du dein gütiges Herz vorausschiken willst, uns zu
versichern, daß du als Freund einziehen werdest.

2. Senator.
Zieh deinen Handschuh, oder gieb uns ein andres Pfand deines
Ehrenworts, daß du deine Macht nur zu deiner eignen
Wiederherstellung, nicht zu unsrer Zerstörung, gebrauchen wollest;
alle deine Kriegsschaaren sollen so lange in unsern Mauern ligen
bleiben, biß deinen Fordrungen völlig genug geschehen seyn wird.

Alcibiades.
So ist dann hier mein Handschuh.  Steigt herab, und öffnet eure
wehrlosen Thore; diese Feinde des Timon und die meinige, deren
Verurtheilung euch selbst übergeben seyn soll, diese allein sollen
fallen; und euch zu zeigen, daß ihr von meinen edlern Gesinnungen
nichts zu besorgen habt, so soll keiner von meinen Leuten sein
angewiesenes Quartier überschreiten, oder den Lauf der bürgerlichen
Ordnung in den Bezirken eurer Stadt stören, ohne von den
öffentlichen Gesezen zur schärfsten Verantwortung gezogen zu werden.

Beyde.
Diß ist sehr edel gesprochen.

Alcibiades.
Kommet herab, und haltet euer Wort.  (Ein Soldat tritt auf.)

Soldat.
Mein edler Obrister, Timon ist todt; an dem äussersten Ufer des
Meers ist sein Grab, und auf dem Grabstein diese Aufschrift, die
ich in Wachs mit mir genommen habe, damit dieser Abdruk der
Dolmetscher meiner armen Unwissenheit sey.

Alcibiades (ließt die Grabschrift:)

Hier ligt ein unglüklicher Leichnam, von einer
unglüklichen Seele verlassen; sucht meinen Namen nicht!  Verderben
über euch Bösewichter alle, die ich hinter mir lasse!  Hier ligt
Timon, der alle Menschen hassete; geh' vorbey, und fluch' ihm bis
du genug hast, nur verweile dich nicht hier.  Dieses drükt die
lezten Bewegungen deiner Seele wohl aus; ob du gleich unser
menschliches Mitleid verabscheuet, und die Thränen verschmähest,
die der kargen Natur entfallen; so lehrte dich doch ein edler Stolz,
den ungeheuern Neptun für ewig auf dein niedriges Grab weinen zu
lassen--Wohlan--die Fehler sollen vergeben seyn--Der edle Timon ist
todt; und sein Gedächtniß soll eine unsrer Sorgen seyn--Führt mich
in eure Stadt, und ich will mein Schwerdt mit Oelzweigen umwinden!--
Rührt die Trummeln, und rükt ein--

(Sie ziehen ab.)


Timon von Athen, von William Shakespeare
(Übersetzt von Christoph Martin Wieland).
                
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