Lorenz.
Wahnwiziger, liebeskranker Thor, höre mich reden--
Romeo.
O du willst wieder von Verbannung anfangen--
Lorenz.
Ich will dir Waffen geben, wodurch du dieses Wort von dir abhalten
kanst; die süsse Milch der Wiederwärtigkeit--Philosophie, die dich
beruhigen wird, ob du gleich verbannt bist.
Romeo.
Immer noch verbannt? An den Galgen mit Philosophie; wenn
Philosophie nicht eine Juliette machen, eine Stadt versezen, die
Urthel eines Prinzen aufheben kan, so hilft sie nicht, so nüzt sie
nichts, sagt mir nichts mehr davon--
Lorenz.
Nun dann, tolle Leute haben keine Ohren, wie ich sehe.
Romeo.
Wie sollten sie, wenn kluge Leute keine Augen haben?
Lorenz.
Komm, laß uns vernünftig von deinen Umständen reden--
Romeo.
Du kanst von dem nicht reden was du nicht fühlst; wärest du so jung
wie ich, und wäre Juliette deine Liebste, wärst du vor einer Stunde
mit ihr verheurathet, und hättest in dieser Stunde Tybalten
umgebracht, und liebtest bis zum Wahnwiz wie ich, und wärest wie
ich verbannt--dann möchtest du reden, dann möchtest du dir die
Haare ausrauffen, und dich auf den Boden werfen, wie ich izt thue,
und das Maas zu deinem Grabe nemmen.
(Er wirft sich auf den Boden.)
Lorenz.
Steh auf--es klopft jemand:
(Man hört klopfen.)
Guter Romeo, verbirg dich.
Romeo.
Nein wahrhaftig, wenn nicht der Dampf Herzzersprengender Seufzer,
mich wie ein Nebel vor den Augen der Leute verbirgt.
Lorenz.
Horche! was das für ein Klopfen ist! wer ist da?--
(leise.)
Romeo steh auf, du wirst ergriffen werden--
(laut.)
--Nur einen Augenblik Geduld!--
(leise.)
Steh auf,
(Man klopft immer lauter.)
lauf in meine Celle--
(laut.)
Gleich, gleich--Um Gottes willen, was für eine Halsstarrigkeit ist
das!--
(Man klopft.)
Ich komme, ich komme. Wer klopft so stark? Wer seyd ihr? Was wollt
ihr?
Amme (hinter der Scene.)
Laßt mich nur ein, so sollt ihr gleich erfahren, worinn mein
Auftrag besteht--Ich komme von Fräulein Juliette--
Lorenz.
So seyd willkommen--
(Er macht auf.)
(Die Amme tritt auf.)
Amme.
O ehrwürdiger Herr, o sagt mir, ehrwürdiger Herr, wo ist meiner
Fräulein ihr Herr? Wo ist Romeo?
Bruder Lorenz.
Hier, auf dem Boden, den seine Thränen überschwemmen.
Amme.
O, so macht er's gerade wie mein Gnädiges Fräulein, sie macht's
gerade auch so; o trauervolle Sympathie! Gerade so ligt sie,
schluchzend und weinend, und weinend und schluchzend--Die Baken
sind ihr ganz davon aufgeschwollen--Steht auf, steht auf--Steht,
wenn ihr ein Mann seyd--Um Juliettens willen, um ihrentwillen, auf
vom Boden und steht! warum sollt ihr in ein so tiefes O!--fallen? --
Romeo.
Amme!--
Amme.
Ach, Gnädiger Herr, Gnädiger Herr!--Mit dem Tod hört alles auf.
Romeo.
Redst du von Julietten? Wie steht es um sie? Glaubt sie nicht, ich
sey ein verhärtetet Ruchloser, ein Mörder vom Handwerk, da ich die
Kindheit unsrer Freude mit ihr so nahverwandtem Blut beflekt habe?
Wo ist sie? Was macht sie? Was sagt meine neuangetraute Gemahlin zu
den unverhoften Hinternissen unsrer Liebe?
Amme.
O, sie sagt nichts, Gnädiger Herr; sie thut nichts als weinen und
weinen, und sinkt dann auf ihr Bett hin, und fährt dann wieder auf,
ruft Tybalt, und dann Romeo,--und sinkt dann wieder von neuem hin--
Romeo.
--Als ob dieser Name wie aus dem tödtlichen Canal einer Flinte
geschossen, sie ermorde, wie dieses Namens verfluchte Hand ihren
Verwandten ermordet hat--Sag mir, Vater, sag mir, in was für einem
verworfnen Theil dieses Körpers mein Name wohnt? Sag mir's, damit
ich die verhaßte Wohnung zerstören kan.
(Er zükt seinen Degen.)
Bruder Lorenz.
Halt deine verzweifelnde Hand. Deine Thränen sind unmännlich und
deine wilden Bewegungen die Ausbrüche der vernunftlosen Wuth eines
wilden Thiers--Unweibliches Weibsbild in Gestalt eines Manns,
wildes Thier in der schönen Gestalt eines vernünftigen Geschöpfs--
Du sezst mich in Erstaunen. Bey meinem heiligen Orden! Ich traute
dir mehr Muth, mehr geseztes Wesen zu. Du hast Tybalten erschlagen--
Willt du nun auch dich, auch deine Geliebte, die in dir lebt,
ermorden? Verachtest du so, was deine Geburt, was Himmel und Erde
für dich gethan haben; alle drey vereinigten sich, dich groß und
glüklich zu machen, und du willt alles durch einen Streich
verliehren? Fy, fy, du entehrst deine Gestalt, deine Liebe, deine
Vernunft, da du, wie ein Wucherer, an allen dreyen so reich bist,
und keines zu dem edeln Gebrauch anwendest wozu du es empfiengest.
Deine schöne Gestalt ist ohne den tapfern Muth eines Mannes, nur
ein wächsernes Bild--Deine heilig beschwohrne Liebe nur treuloser
Meineyd, da du eben diese Liebe tödten willst, die du zu ernähren
angelobet hast. Deine Vernunft, welche beyde regieren und
verschönern sollte, wird wie Pulver in eines unachtsamen Soldaten
Beutel, durch deine eigne Unbesonnenheit in Feuer gesezt, und du
durch dasjenige aufgerieben, was dich beschüzen sollte. Wie, stehe
auf, Mann, deine Julia lebt noch, um derentwillen du todt warest:
Hierinn bist du glüklich. Tybalt wollte dir das Leben nehmen, aber
du nahmst es ihm; hierinn bist du auch glüklich. Das Gesez, das dir
den Tod dräute, wurde dein Freund, und verwandelte ihn in
Verweisung; auch darinn bist du glüklich. Wie viel Glükseligkeiten--
und du erkennst sie nicht? Die Glükseligkeit kleidet dich in ihren
schönsten Puz, und wie ein unartiges verdrießliches Mädchen,
schielst du dein Glük und deine Liebe mit unzufriednen Bliken an.
Nimm dich in acht, nimm dich in acht, solche Leute nehmen meistens
ein elendes Ende. Geh, geh zu deiner Geliebten wie es abgeredet war,
steig in ihr Zimmer, weg, und tröste sie; aber siehe zu, daß du
dich nicht so lange verweilest, bis die Wache aufzieht; sonst
könntest du nicht nach Mantua entrinnen, wo du dich so lange
aufhalten sollst, bis wir die gelegne Zeit ersehen, eure Heyrath
bekannt zu machen, euch mit euern Freunden auszusöhnen, des Prinzen
Verzeihung zu erlangen, und dich mit zwanzigtausendmal mehr Freude
zurük zu beruffen, als izt der Schmerz ist mit dem du fortgehst.
Geh voran, Amme; grüsse mir dein Fräulein, und bitte sie, sie soll
machen, daß das ganze Haus fein bald zu Bette komme, wozu die
allgemeine Betrübniß sie ohnehin geneigt machen wird. Romeo wird
bald nachfolgen.
Amme.
O Herre, ich hätte die ganze Nacht hier stehen mögen, um so
gescheidte Sachen reden zu hören: O was das ist, wenn man
gestudiert ist! Gnädiger Herr, ich will meiner Fräulein sagen, daß
ihr kommen werdet.
Romeo.
Thu das, und bitte sie, sie soll sich gefaßt machen, mich
auszuschelten.
Amme.
Hier ist ein Ring, Gnädiger Herr, den sie mir für euch mitgab--
Eilet doch, macht hurtig, es ist schon sehr spät--
Romeo.
Wie schnell diese Erwartung meinen Muth wiederaufleben macht!
Bruder Lorenz.
Halte dich in Mantua auf; ich will einen zuverläßigen Mann für euch
ausfündig machen, der euch von Zeit zu Zeit berichten soll, was für
günstige Umstände sich hier für euch ereignen. Gieb mir deine Hand,
es ist späte, lebe wohl! Gute Nacht!
Romeo.
Rieffe mich nicht Freude über alle Freuden hinweg, wie schmerzlich
würde mir dieser schnelle Abschied seyn!
(Sie gehen ab.)
Sechste Scene.
(Verwandelt sich in Capulets Haus.)
(Capulet, Lady Capulet und Paris treten auf.)
Capulet.
Es sind so unglükliche Umstände eingefallen, mein Herr, daß wir
keine Zeit gehabt haben, unsrer Tochter zuzureden. Seht ihr, sie
liebte ihren Vetter Tybalt gar herzlich, und das that ich auch--
Wohl, wir werden gebohren, um wieder zu sterben--Es ist sehr spät,
sie wird diese Nacht nicht herunter kommen; ich versichre euch,
wenn mir eure Gesellschaft nicht so lieb wäre, ich würde schon eine
Stunde im Bette seyn.
Paris.
Ich bescheide mich gerne, daß diese Trauer-Tage keine Zeit zu
Liebes-Bewerbungen sind. Gute Nacht, Gnädige Frau--Empfehlt mich
eurer Tochter--
Lady Capulet.
Ich will, und morgen früh nachforschen, wie sie gesinnt ist--Für
diese Nacht ist sie zu ihrer Traurigkeit eingeschlossen.
Capulet.
Signor Paris, ich getrau es auf mich zu nehmen, euch meines Kindes
Liebe zu versprechen: Ich denke, sie wird sich in allen Stüken von
mir regieren lassen--nichts weiter, ich zweifle gar nicht, Frau,
geh du noch zu ihr, eh du zu Bette gehst, gieb ihr Nachricht von
Signor Paris Liebe, und sag ihr, hörst du, bis nächsten Mittwoch--
aber sachte--was ist heut für ein Tag? --
Paris.
Montag, Gnädiger Herr.
Capulet.
Montag? Ha, ha, gut, Mittwoch ist zu bald, laßt es den Donnerstag
seyn; nächsten Donnerstag, sag ihr, soll sie mit diesem edeln
Grafen vermählt werden--Wollt ihr bisdahin fertig seyn? Seyd ihr
mit dieser Eilfertigkeit zufrieden?--wir wollen kein grosses Wesen
nicht machen--Einen oder zween Freunde--Denn, seht ihr, da Tybalt
so kürzlich erst ermordet worden, so würde es so herauskommen, als
ob wir wenig Antheil an seinem Unfall nähmen, wenn wir grosse
Freuden-Bezeugungen anstellen wollten--Deßwegen wollen wir etwann
ein halb Duzend Freunde haben, und damit ist's aus. Aber was sagt
ihr zum Donnerstag?
Paris.
Gnädiger Herr, ich wollte der Donnerstag wäre Morgen.
Capulet.
Gut, gut, geht izt zu Bette--auf Donnerstag sey es also--
(Zu Lady Capulet.)
Du, geh zu Julietten eh du zu Bette gehst, Weib--Bereite sie auf
ihren Hochzeit-Tag vor. Lebt wohl, Graf--Licht in mein Zimmer, he!--
Geht zu, geht zu, es ist schon so spät, daß wir's bald früh heissen
dürften. Gute Nacht--
(Sie gehen ab.)
Siebende Scene.
(Juliettens Zimmer, von der Garten-Seite.)
(Romeo und Juliette, oben an einem Fenster; woran eine Strik-
Leiter befestigt ist.)
Juliette.
Willt du schon gehen? Es ist noch lange bis zum Tag: Es war die
Nachtigall und nicht die Lerche, die dich vorhin erschrekte--sie
pflegt alle Nacht auf jenem Granatbaum zu singen; glaube mir, mein
Herz, es war die Nachtigall.
Romeo.
Es war die Lerche, die Heroldin des Morgens, nicht die Nachtigall.
Siehst du, meine Liebe, die neidischen Streiffen, die dort im Osten
die sich scheidenden Wolken umwinden: Die Kerzen der Nacht sind
abgebrannt, und der fröliche Tag gukt auf den Zehen stehend über
die Spizen der neblichten Berge. Ich muß gehen und leben, oder
bleiben und sterben.
Juliette.
Jenes Licht ist nicht Tag-Licht, glaube mir's, es ist irgend ein
Meteor, das die Sonne ausdünstet, um in dieser Nacht deine Reise
nach Mantua zu beleuchten; bleibe noch ein wenig, du sollst nicht
so früh gehen.
Romeo.
Laß mich ergriffen, laß mich zum Tod verurtheilt werden; ich bin
zufrieden, wenn du es haben willst. Ich will sagen, jenes Grau sey
nicht des Morgens Auge, sondern nur der blasse Gegenschein von
Cynthia's Stirne; und es sey nicht die Lerche, deren Noten so hoch
über unserm Haupte zu den himmlischen Gewölben hinauftönen. Nichts
als die Sorge um unsre Sicherheit kan mich aus deinen Armen reissen;
aber Juliette will's, und der Tod soll mir willkommen seyn. Wie
ists, meine Seele? Laß uns schwazen, es ist noch nicht Tag.
Juliette.
Es ist, es ist; verlaß mich, fliehe, mein Geliebter; es ist die
Lerche, die so tonloß singt, ihr mißlautendes, unangenehm-scharfes
Gurgeln ruft dich weg--O gehe, gehe, es wird immer heller und
heller.
Romeo.
Sage, immer finstrer und finstrer, da ich in wenigen Augenbliken
dich nicht mehr sehen werde. (Die Amme kommt herein.)
Amme.
Gnädige Frau--
Juliette.
Amme?
Amme.
Euer Gnaden Frau Mutter ist im Begriff heraufzukommen: Der Tag
bricht an, nehmt euch in Acht, seht euch vor--
(ab.)
Juliette.
So muß ich dann von meinem Leben scheiden? --
Romeo.
Lebe wohl, lebe wohl; noch einen Kuß, und ich will gehen.
(Romeo steigt aus dem Fenster herab.)
Juliette.
Und gehst du dann so? O mein Liebster, mein Herr, mein Gemahl, mein
Freund! Ich muß alle Tage Nachricht von dir haben, alle Stunden,
denn in einer Minute ohne dich sind viele Tage. Ach! nach dieser
Rechnung werd' ich alt seyn, eh ich meinen Romeo wieder sehe.
Romeo.
Lebe wohl, meine Liebe: ich will keine Gelegenheit versäumen,
wodurch ich dir meinen Gruß übermachen kan.
Juliette.
Ach, denkst du, wir werden uns jemals wieder sehen?
Romeo.
Zweifle nicht; es wird eine Zeit kommen, wo alle diese
Wiederwärtigkeiten uns zum Stoff angenehmer Gespräche dienen werden.
Juliette.
O Gott! ich hab' eine Unglük-weissagende Seele--Mich dünkt, ich seh
dich, da ich so auf dich hinunter schaue, wie einen, der todt in
seinem Grabe ligt. Entweder werden meine Augen düster, oder du
siehst bleich--
Romeo.
Glaube mir, Liebe, du kommst mir eben so vor; der Kummer trinkt das
Blut in unsern Wangen auf--Lebe wohl, lebe wohl!--
(Romeo geht ab.)
Achte Scene.
Juliette.
O Glük, Glük, alle Leute nennen dich unbeständig; wenn du
unbeständig bist, was thust du mit dem, dessen Treue du kennen
solltest? Doch, sey immerhin unbeständig, denn so hab ich Hoffnung,
daß du ihn nicht lange behalten, sondern mir bald zurückschiken
wirst. (Lady Capulet tritt auf.)
Lady.
Wie, Tochter, seyd ihr schon auf?
Juliette.
Wer ist da, wer ruft? Ist es meine Gnädige Mamma? Was für eine
ungewöhnliche Ursache führt sie so früh hieher?
Lady.
Wie, Juliette, wie steht's um dich?
Juliette.
Ich bin nicht wohl, Gnädige Frau.
Lady.
Immer noch in Thränen um deines Vetters Tod? Wie, hofst du ihn mit
deinen Thränen aus seinem Grab herauszuwaschen? Wenn du es auch
könntest, so könntest du ihn doch nicht wieder lebendig machen.
Gieb dich also einmal zufrieden. Ein gemässigter Schmerz ist ein
Beweis der Liebe; aber zuviel Schmerz beweist allemal zu wenig
Verstand.
Juliette.
Ich kan einen so empfindlichen Verlust nicht zuviel beweinen.
Lady.
Auf diese Art verewigst du das Gefühl deines Verlusts, und kanst
doch den Freund nicht zurük bringen, dessen Verlust du beweinst.
Juliette.
So wie ich den Verlust meines Freundes fühle, kan ich nicht anders
als ihn immer beweinen.
Lady.
Gut, Mädchen, du weinst nicht so sehr um seinen Tod, als daß der
Bösewicht lebt, der ihn ermordet hat.
Juliette.
Was für ein Bösewicht, Gnädige Frau?
Lady.
Was für ein andrer als Romeo?
Juliette
(leise.)
Bösewicht, und er, sind manche Meilen von einander.
(laut.)
Gott verzeih' ihm! Ich thue es von ganzem Herzen--Und doch ist
niemand der meinem Herzen empfindlichere Schmerzen verursacht als
er.
Lady.
Du meynst, weil der Verräther lebt--
Juliette.
Ich, gnädige Frau,--
(leise.)
Ohne daß ihn diese meine Arme erreichen können--
(laut.)
Ich wollte nichts, als daß ich allein meines Vetters Tod rächen
dürfte.
Lady.
Wir wollen uns Rache verschaffen, sey du unbekümmert; höre nur auf
zu weinen. Ich will jemand nach Mantua, wo der verbannte Renegat
sich aufhält, senden, der ihn bald genug dem Tybalt nachschiken
soll; und dann, hoff ich, wirst du doch zufrieden seyn.
Juliette.
In der That, Gnädige Frau, ich werde nie mit Romeo zufrieden seyn,
ich seh' ihn dann--todt--ist mein armes Herz für meinen
unglüklichen Freund.* Gnädige Frau, wenn ihr mir nur einen Mann
finden könnt, der ihm einen Gift-Trank bringen wollte, ich wollte
ihn so mischen, daß Romeo, sobald er ihn eingenommen hätte, im
Frieden schlafen sollte--O! wie mein Herz es verabscheut, daß ich
ihn nennen höre--und nicht zu ihm kommen kan--um die Liebe, die ich
zu meinem ermordeten Vetter trug, an der Person desjenigen
auszulassen, der ihn ermordet hat.
{ed.-* Der Leser bemerkt ohne unsre Erinnerungen, den erkünstelten
Doppelsinn in den Reden der Juliette, womit der Autor ein ziemlich
kindisches Spiel treibt. Man hat sie, so gut es möglich war,
auszudrüken gesucht, obgleich die natürliche Wortfügung in unsrer
Sprache sich nicht recht dazu bequemen wollte.}
Lady.
Finde du nur das Mittel aus, und laß du mich für den Mann sorgen.
Aber nun will ich dir eine angenehme Zeitung sagen, Mädchen.
Juliette.
Sie kommt sehr zu gelegner Zeit, wenn sie angenehm ist. Und worinn
besteht sie dann, wenn ich Euer Gnaden bitten darf?
Lady.
Gut, gut, du hast einen sorgfältigen Vater, Kind; der, um dich von
deiner Schwermuth zu befreyen, einen unverhoften Freuden-Tag
angeordnet hat, an den keine von uns beyden dachte.
Juliette.
Und darf man fragen, was für ein Tag das ist, Gnädige Frau?
Lady.
Den nächsten Donnerstag, mein Kind, früh Morgens wird der junge,
edle, liebenswürdige Graf Paris in St. Peters Kirche dich zu einer
glüklichen Braut machen.
Juliette.
Nun, bey St. Peters Kirch, und bey St. Peter selbst, das soll er
nicht. Ich bin sehr verwundert, daß ich mit so grosser
Eilfertigkeit vermählt werden soll, eh mein bestimmter Gemahl sich
die mindeste Mühe um mich gegeben hat. Ich bitte Eu. Gnaden, sagt
meinem Herrn und Vater, daß ich noch nicht heurathen will; und wenn
ichs thue, so soll es eher Romeo seyn, den ich hasse, wie ihr wißt,
als Paris--das sind neue Zeitungen, in der That!
Lady.
Hier kommt euer Vater, sagt ihm das selbst, und seht wie wohl ers
von euch aufnehmen wird. (Capulet und Amme zu den Vorigen.)
Capulet.
Nun, wie gehts? was machst du, Mädchen? Wie, immer noch Thränen?
Immer regnerisch? Du stellst in deiner einzigen kleinen Person ein
Schiff, die See und den Wind vor; deine Augen, die eine immer
abwechselnde Ebbe und Fluth von Thränen machen, sind die See; dein
Leib ist das Schiff das in dieser salzichten See dahersegelt; und
die Winde deine Seufzer, die, mit deinen Thränen in die Wette
rasend, wenn nicht eine plözliche Stille erfolgt, deinen vom Sturm
herumgewälzten Leib endlich untergehen machen werden--Was ist's,
Frau? Habt ihr dem Mädchen unsern Entschluß bekannt gemacht?
Lady.
Ja, mein Herr; aber sie will nichts davon hören, sie bedankt sich
davor; ich wollte, die Närrin wäre mit ihrem Grabe verheurathet.
Capulet.
Sachte, nehmt mich mit, Frau, nehmt mich mit euch. Wie, sie will
nichts davon hören? Sie dankt uns nicht davor? Sie ist nicht stolz
darauf, sie schäzt sich nicht glüklich so unwürdig als sie ist, daß
wir ihr einen so würdigen Edelmann zum Bräutigam auserkohren haben?
Juliette.
Nicht stolz darauf, daß ihr es gethan habt, aber doch dankbar;
stolz kan ich nicht seyn auf etwas das ich hasse, aber dankbar,
selbst für etwas Böses das eure Liebe gut gemeynt hat.
Capulet.
Wie, was, wie, Distinctionen-Macherin? Was soll das bedeuten? Stolz!
und ich dank euch! und ich dank euch nicht! und doch nicht stolz!--
Wie, Fräulein Wunderlich, Ihr, schwazt mir nichts von Dank und
Stolz und Unstolz und Undank daher, sondern legt eure schönsten
Kleider auf Donnerstag Morgen zurechte, um mit Paris zur St. Peters
Kirche zu gehen, oder ich will dich auf einer Schleiffe hinziehen
lassen. Aus meinem Gesicht, du bleichsüchtiges Raben-Aas! Fort, du
Sausödel! du Talk-Gesicht!
Lady Capulet.
Fy, fy, wie, seyd ihr toll?
Juliette.
Liebster Herr Vater, ich bitte euch auf meinen Knien, hört mich nur
ein einziges Wort mit Geduld an.
Capulet.
An den Galgen, du junge Meze! Ungehorsame, leichtfertige Creatur!
Ich will dir was sagen, geh mir auf den Donnerstag in die Kirche,
oder komm mir nimmer vor mein Angesicht. Sag nichts, replicier
nicht, antworte mir nichts; meine Finger juken mir. Weib, wir
hielten uns kaum für glüklich, weil uns Gott nur dieses einzige
Kind gegeben hatte; aber nun seh ich, daß dieses einzige zuviel ist,
und daß wir sie zu einem Fluch bekommen haben--Aus meinem Gesicht,
Bastart!
Amme.
Gott im Himmel segne sie! Ihr habt unrecht, Gnädiger Herr, daß ihr
so hart mit ihr verfahrt.
Capulet.
Und wie, My Lady Weisheit? Haltet ihr euer Maul, und schnattert mit
euern Gevattrinnen--pakt euch--
Amme.
Ich rede nichts unrechtes;--O, Gott gebe euch einen guten Tag--Darf
eins nicht mehr reden?
Capulet.
Still, still, ihr murmelnde Närrin, spielt eure Gravität wenn ihr
mit euern Gevatterinnen zecht; hier haben wir ihrer nicht vonnöthen.
Lady.
Ihr seyd zu hizig.
Capulet.
Wie, Sakerlot! Soll einen das nicht wild machen? Tag und Nacht,
früh und spat, daheim und ausser dem Haus, allein und in
Gesellschaft, wachend und schlafend ist immer meine einzige Sorge
gewesen, wie ich sie wohl verheurathen wolle: und izt, da ich einen
wakern jungen Edelmann, von schönen Mitteln, von der ansehnlichsten
Verwandtschaft, für sie gefunden habe; der, wie alle Leute sagen,
Verdienste hat; kurz einen Mann, wie man sich einen wünschen mag,
soll ich eine heillose alberne Tröpfin, ein pinselndes Püpchen
haben, die, wenn das Glük sie anlacht, antwortet: Ich will noch
nicht heurathen--Ich kan nicht lieben--Ich bin noch zu jung--ich
bitte um Vergebung--Gut, wenn ihr nicht heurathen wollt, so will
ich euch vergeben; graßt wo ihr wollt, aber mit mir sollt ihr nicht
in einem Hause leben; Überlegts, denkt ihm nach, es ist mein
Brauch nicht, zu spassen. Es ist nicht mehr lange bis Donnerstag;
leg die Hand auf dein Herz, bedenk dich; wenn du mein bist, so will
ich dich meinem Freunde geben; und bist du's nicht, so häng dich,
bettle, verhungre, stirb auf der Strasse; bey meiner Seele, ich
will dich nicht für mein Kind erkennen, und du sollst von dem
meinigen nicht soviel bekommen, als du auf der Zunge spüren
könntest--Verlaß dich drauf, und bedenk dich, ich werde meinen Eyd
gewiß nicht brechen.
(Er geht ab.)
Juliette.
Ist denn hier kein mitleidiges Wesen, in den Wolken sizend, das in
den Grund meines Schmerzens hinabschaut?--O meine liebste Mutter,
werft mich nicht hinweg, verschiebt diese Heurath nur einen Monat--
nur eine Woche; oder, wenn ihr nicht wollt, so macht mein Braut-
Bette in das düstre Begräbniß, wo Tybalt ligt.
Lady Capulet.
Wende dich nicht an mich, ich will kein Wort reden: Thu, was du
willst, ich habe dir nichts mehr zu sagen.
(Sie geht ab.)
Juliette.
O Gott! O Amme, wie kan diesem vorgebaut werden? Mein Gemahl ist
auf Erden; meine Treue im Himmel; wie kan diese Treue wieder zurük
kommen, wenn nicht mein Gemahl sie mir zurükschikt, indem er die
Erde verläßt?--Tröste mich, gieb mir einen Rath. O Jammer, Jammer,
daß der Himmel so hart, so streng mit einem so sanften Geschöpf als
ich bin, verfahren soll! Was sagst du? Hast du kein einziges
tröstliches Wörtchen? Nur einen kleinen Trost, Amme! --
Amme.
Ey ja, und hier ist er; Romeo ist verbannt: Ich wette die ganze
Welt gegen nichts, daß er das Herz nicht hat, zurük zu kommen, und
Anspruch an euch zu machen; oder wenn ers thun wollte, so müßt er's
doch nur heimlich thun. Weil also die Umstände so beschaffen sind,
so wäre das beste, däucht mich, ihr nähmet den Grafen. Oh, er ist
ein liebenswürdiger junger Herr! Romeo ist nur ein Feg-Lumpen gegen
ihn; ein Adler hat kein so scharfes, so munteres, so schönes Aug
als Paris hat. Ich will nicht ehrlich seyn, wenn diese andre Partie
nicht besser ist als die erste; und wenn es auch nicht wäre, so ist
ja euer erster Mann gestorben, oder so viel als gestorben, da er
fern von hier lebt, und euch zu nichts gut ist.
Juliette.
Redst du aus deinem Herzen?
Amme.
Und aus meiner Seele dazu, oder ich will beyde verlohren haben!
Juliette.
Amen.
Amme.
Was?
Juliette.
Gut; du hast mir einen vortrefflichen Trost gegeben; geh hinein,
und sag der Gnädigen Frau, weil ich meinen Vater erzürnt habe, so
sey ich in Bruder Lorenzens Celle gegangen, um meine Beicht
abzulegen, und den Ablaß zu empfangen.
Amme.
Meiner Six, das will ich; und es ist auch wohl gethan.
(Sie geht ab.)
Juliette.
Alte Todsünde! böser verführischer Teufel! Es ist wol eine grössere
Sünde von dir, daß du mich treubrüchig machen willst, und daß du
meinen Gemahl mit eben dieser Zunge lästerst, mit der du ihn so
viel tausendmal über alles erhoben hast? Geh, Rathgeberin--du und
mein Busen sollen von nun an keine Gemeinschaft mehr mit einander
haben: Ich will zu dem Pater, um zu hören, ob er mir zu helfen weiß;
und fehlt alles andre, so hab ich Muth zum Sterben.
(Sie geht ab.)
Vierter Aufzug.
Erste Scene.
(Das Kloster.)
(Bruder Lorenz und Paris treten auf.)
Bruder Lorenz.
Auf den Donnerstag, Gnädiger Herr! Die Zeit ist sehr kurz.
Paris.
Mein Vater Capulet will es so haben, und seine Eilfertigkeit stimmt
zu sehr mit meinen Wünschen überein, als daß ich sie aufzuhalten
gedenken könnte.
Bruder Lorenz.
Ihr gesteht doch, daß ihr die Gesinnungen der jungen Dame noch
nicht wißt--Diese Sache geht nicht wie sie gehen soll; es gefällt
mir gar nicht.
Paris.
Sie überläßt sich einer ganz unmässigen Traurigkeit über Tybalts
Tod, und das war die Ursache, warum ich ihr noch wenig von Liebe
sagen konnte; denn Venus lächelt nicht in einem Trauer-Hause. Nun
hält es ihr Vater für gefährlich, daß sie ihrem Kummer so viel Plaz
geben solle, und beschleuniget unsre Vermählung, in der Absicht,
dem Lauf ihrer Thränen dadurch Einhalt zu thun; allein und sich
selbst überlassen, findet sie eine Art von Ergözung darinn, eine
Traurigkeit zu nähren, von der nichts als die Gesellschaft sie
zerstreuen kan. Begreift ihr nun die Ursache dieser Eilfertigkeit?
Bruder Lorenz (bey Seite.)
Ich wollt', ich wißte nicht, warum ihr Einhalt gethan werden muß--
Seht, Gnädiger Herr, hier kommt das Fräulein gegen meine Celle her.
(Juliette zu den Vorigen.)
Paris.
Willkommen, meine Liebe, meine Gebieterin, und mein Weib.
Juliette.
Das erste mag alsdann seyn, wenn das lezte seyn kan.
Paris.
Das wird, das muß nächsten Donnerstag seyn, meine Liebe.
Juliette.
Was seyn muß, das wird seyn.
Bruder Lorenz.
Das ist ein Text, über den kein Streit seyn kan.
Paris.
Kommt ihr, diesem Vater zu beichten?
Juliette.
Wenn ich diese Frage beantwortete, so würd' ich euch beichten.
Paris.
Läugnet ihm wenigstens nicht, daß ihr mich liebet.
Juliette.
Ich will euch hiemit gebeichtet haben, daß ich ihn liebe.
Paris.
Das will ich auch; ich bin gewiß, daß ihr mich liebt.
Juliette.
Wenn ich das thue, so würd' es von grösserm Werth seyn, es hinter
euerm Rüken, als es euch ins Gesicht zu sagen.
Paris.
Arme Seele, dein Gesicht ist ganz von Thränen entstellt.
Juliette.
Die Thränen haben nur einen kleinen Sieg dadurch erhalten, denn es
war vorhin schon schlecht genug.
Paris.
Du thust ihm mehr Unrecht, mein Kind, indem du das sagst, als alle
deine Thränen.
Juliette.
Was die blosse Wahrheit ist, mein Herr, ist keine Verläumdung; und
was ich da sagte, sagt' ich zu meinem Gesicht.
Paris.
Dein Gesicht ist mein, und du hast es verleumdet.
Juliette.
Es mag seyn, denn mein ist es in der That nicht--Ist es euch izt
gelegen, heiliger Vater, oder soll ich nach der Vesper wieder
kommen?
Bruder Lorenz.
Ich habe izt Musse, meine Gedanken-volle Tochter. Gnädiger Herr,
mit eurer Erlaubniß--
Paris.
Gott verhüte, daß ich eure Andacht stören wolle--Juliette, nächsten
Donnerstag will ich euch früh genug weken--bis dahin, adieu, mit
diesem unschuldigen Kuß.
(Paris geht ab.)
Juliette.
Geh, verschließ die Thür, und wenn du's gethan hast, so komm, und
weine mit mir--Mein Elend läßt keine Hoffnung, kein Mittel, keine
Rettung übrig.
Bruder Lorenz.
O Juliette, ich kenne deine Noth, und es ängstigt mich, daß ich
kein Mittel kenne dir zu helfen. Bis nächsten Donnerstag, hör' ich,
sollt ihr an diesen Grafen vermählt werden, und nichts kan es
hintertreiben.
Juliette.
Sage mir nichts davon, daß du das hörst, wenn du mir nicht sagen
kanst, wie ich's vermeiden kan. Wenn deine Weisheit dir kein Mittel
an die Hand geben kan, so billige du nur meinen Entschluß, und ich
will mir auf der Stelle durch diesen Dolch helfen. Gott vereinigte
mein Herz und Romeo's; du, unsre Hände; und eh diese Hand, die du
meinem Romeo versiegelt hast, eh dieses Herz, das ihn allein für
seinen Herrn erkennt, verräthrischer Weise sich einem andern
ergeben soll, eh soll dieser Stahl beyden die Bewegung rauben.
Suche also in der Wissenschaft, womit die graue Erfahrung eines
langen Lebens dich bereichert hat, einen schleunigen Rath; oder
gestatte, daß dieses blutige Messer der Schiedrichter zwischen mir
und meinem grausamen Schiksal sey--Antworte mir kurz--ein jeder
Augenblik den ich noch lebe, ist mir verhaßt, wenn das was du mir
sagen willst, kein Rettungs-Mittel ist.
Bruder Lorenz.
Halt ein, meine Tochter, ich entdeke eine Art von Hoffnung, die von
einem eben so verzweifelten Mittel abhängt, als dasjenige ist, was
wir vermeiden wollen. Wenn du entschlossen bist dir eher selbst das
Leben zu nehmen, als den Grafen Paris zu heurathen, so ist zu
vermuthen, du werdest dir kein Bedenken machen etwas zu wagen, das
dem Tod ähnlich ist, um einer Schande zu entgehen, der du dich
durch den Tod selbst zu entziehen bereit bist. Wofern du also Muth
genug dazu hast, will ich dir ein Mittel geben.
Juliette.
O, befiehl mir, eher als daß ich mich dem Paris überlasse, von den
Zinnen jenes Thurms herabzuspringen, oder feßle mich an die
felsichte Spize eines steilen Gebürgs, wo heulende Bären und Grimm-
volle Löwen schwärmen--Oder schließ mich eine ganze Nacht durch in
ein Beinhaus ein, bis an den Hals, mit morschen Todten-Knochen,
dürren Schien-Beinen, und kahlen gelben Schädeln bedekt--oder
befiehl mir in ein neugemachtes Grab zu gehen, und mich zu einem
Todten unter sein Leichen-Tuch zu verbergen--Dinge, wovon der
blosse Gedanke mich zittern macht--befiehl mir's, und ich will es
ohne Zögern thun, um meinem Geliebten eine unbeflekte Treue zu
erhalten.
Bruder Lorenz.
Wolan dann, so geh heim, sey aufgeräumt, und thu, als ob du in
deine Vermählung mit dem Paris einwilligest; morgen ist Mittwoch;
morgen Nachts siehe, daß du dich von deiner Amme erledigest, und
allein ligen könnest; und wann du dann in deinem Bette bist, so
nimm diese Phiole, und trinke sie rein aus, so wird augenbliklich
ein erkältender einschläfernder Dunst durch alle deine Adern
lauffen, und jeden deiner Lebens-Geister binden; der Kreislauf
deines Bluts wird stillstehen, keine Wärme, kein Athem wird
verrathen, daß du noch lebest; die Rosen auf deinen Lippen und
Wangen werden zu aschfarber Blässe verwelken; deine Auglieder sich
schliessen, als ob der Tod selbst sie vorm Licht des Tages
verriegelt hätte; jeder Theil, seiner elastischen Biegsamkeit
beraubt, wird steif, kalt und starr seyn; und in dieser
anscheinenden Todes-Gestalt wirst du zwo und vierzig Stunden
verharren, und dann wie aus einem süssen Schlaf erwachen. Wenn nun
der Bräutigam des Morgens kommt, dich aufzuweken, so bist du todt,
und wirst dann, nach dem Gebrauch unsers Landes, in deinem
schönsten Anzug in eine Baare ohne Dekel gelegt, und in das
Begräbniß deiner Familie gebracht--in eben diese alte Gruft, wo
alle Abkömmlinge der Capulets ligen. In der Zwischen-Zeit bis du
erwachst, will ich durch Briefe den Romeo von unserm Anschlag
benachrichtigen, und ihn hieher beruffen; er und ich wollen dein
Erwachen abwarten, und in der nemlichen Nacht soll Romeo dich von
hier nach Mantua bringen. Hier hast du das Mittel, das dich von der
vorschwebenden Schande, die du fürchtest, retten kan, wenn du frey
genug von weibischer Zagheit bist, es mit Entschlossenheit zu
gebrauchen.
Juliette.
Gieb mirs, o, gieb mir's, sag mir nichts von Furcht.
(Sie nimmt die Phiole.)
Bruder Lorenz.
Gut, geh izt, und bleibe standhaft bey diesem Entschluß; ich will
eilends einen vertrauten Ordensmann mit Briefen an deinen Gemahl
nach Mantua senden.
Juliette.
Liebe, gieb mir Stärke, und Stärke wird mir Hülfe geben--Lebet wohl,
mein theurer Vater!--
(Sie gehen ab.)
Zweyte Scene.
(Verwandelt sich in Capulets Haus.)
(Capulet, Lady Capulet, Amme, und zween oder drey Bediente treten
auf.)
Capulet.
Lade alle Gäste ein, deren Namen auf diesem Papier sind--Du, geh
und bestelle mir zwanzig gute Köche.
Bedienter.
Ihr sollt keinen schlechten kriegen, Gnädiger Herr, denn ich will
probieren, ob sie ihre Finger leken können.
Capulet.
Wie willst du das probieren?
Bedienter.
Sapperment, Gnädiger Herr, das muß ein schlechter Koch seyn, der
seine eigne Finger nicht leken kan; wenn also einer seine Finger
nicht leken kan, so soll er daheim bleiben.
Capulet.
Geh, geh--Wir werden schlecht genug auf einen solchen Anlaß
versehen seyn--He? ist meine Tochter zu Bruder Lorenzen gegangen?
Amme.
Ja, wahrlich.
Capulet.
Gut; vielleicht kan er etwas gutes bey ihr ausrichten: die unartige,
eigensinnige Beze, die sie ist! (Juliette zu den Vorigen.)
Amme.
Seht, da kommt sie von der Beichte; sie sieht ganz frölich aus--
Capulet.
Was giebts, Starr-Kopf? Wo seyd ihr herumgeschwärmt?
Juliette.
Ich war an einem Ort, wo ich die Sünde des Ungehorsams gegen euch
und eure Befehle bereuen lernte, und wo mir auferlegt wurde, auf
meine Knie zu fallen und euch um Vergebung zu bitten--Vergebet mir
also, ich bitte euch; von nun an soll euer Wille allezeit meine
Richtschnur seyn.
Capulet.
Schikt nach dem Grafen, geht, sagt ihm das; ich will diesen Knoten
gleich morgen zusammengeknüpft haben.
Juliette.
Ich traf ihn in Bruder Lorenzens Celle an, und begegnete ihm so
freundlich als ich konnte, ohne die Grenzen der Anständigkeit zu
überschreiten.
Capulet.
Gut, das hör' ich gerne, es ist gut, steh auf; es ist wie es seyn
soll; ich muß den Grafen sehen--He, zum Henker, geht, sag' ich, und
holt ihn her--Nun, bey Gott, dieser Pater ist in der That ein
ehrwürdiger heiliger Mann, und ein Mann, dem unsre ganze Stadt viel
zu danken hat.
Juliette.
Amme, wollt ihr mit mir in mein Zimmer gehen, und mir den Puz
aussuchen helfen, den ihr auf den morgenden Tag schiklich findet?
Lady Capulet.
Es ist noch Zeit genug bis Donnerstag.
Capulet.
Geh, Amme, geh mit ihr; morgen soll die Ceremonie vor sich gehen.
(Juliette und Amme gehen ab.)
Lady Capulet.
Aber wo sollen wir auf diese Weise Zeit zu den Vorbereitungen
hernehmen? Es ist schon beynahe Nacht.
Capulet.
Still, ich will selbst ausgehen, und es soll für alles gesorgt
werden, Frau, ich stehe dir davor. Geh du zu Julietten, hilf sie
aufpuzen; ich will heute nicht zu Bette gehen, laß mich allein: Ich
will einmal in meinem Leben die Hausmutter vorstellen--he! holla!--
Sie sind alle fort; gut, ich will selbst zu Graf Paris gehen, damit
er sich auf morgen gefaßt mache. Es ist mir recht leicht um's Herz,
seitdem sich das Hexen-Mädchen so zum Ziel gelegt hat.
(Sie gehen ab.)
Dritte Scene.
(Juliettens Zimmer.)
(Juliette und die Amme treten auf.)
Juliette.
Ja, dieser Anzug ist der beste; aber, liebe Amme, ich bitte, laß
mich heute Nacht allein; ich werde einen guten Theil davon mit
beten zubringen, um den Himmel zu bewegen, daß er mein Vorhaben
begünstige--Du kennst meine sündhaften Umstände, und weißst also
wol, daß ichs nöthig habe. (Lady Capulet zu den Vorigen.)
Lady.
Wie, so geschäftig? Kan ich euch was helfen?
Juliette.
Nein, Gnädige Mamma, wir haben alles zusammengesucht, was wir auf
unsern morgenden Umstand nöthig haben können; wenn ihr's erlauben
wolltet, so wünscht' ich izt allein gelassen zu werden, und daß ihr
die Amme bey euch aufbleiben liesset; denn ich bin gewiß, daß ihr
bey diesem unverhoften Vorfall alle Hände voll zu thun haben werdet.
Lady Capulet.
Gute Nacht, geh du zu Bette und schlafe; du hast es vonnöthen.
(Lady Capulet und Amme gehen ab.)
Juliette.
Gute Nacht--Gott weiß, wenn wir uns wieder sehen werden!--Ich weiß
nicht was für ein kalter schrekhafter Schauer durch meine Adern
fährt--Ich will sie zurükruffen, daß sie mir einen Muth einsprechen--
Amme!--Aber was soll sie hier? Ich muß meine schrekenvolle Scene
nothwendig allein spielen--Komm, Phiole--Wie wenn diese Tinctur
keine Würkung thäte? Soll ich mich dann mit Gewalt an den Grafen
verheurathen lassen? Nein, nein, diß soll es verwehren--Lig' du
hier--
(Sie weißt auf einen Dolch.)
Wie, wenn es ein Gift wäre, das mir der Pater auf eine feine Art
beybringen will, um mich aus dem Wege zu schaffen, aus Furcht seine
Ehre möchte unter dieser Heurath leiden, da er mich schon vorher
mit dem Romeo getrauet hat? Ich fürcht', es ist so, und doch,
däucht mich, kan es nicht seyn, denn er ist immer als ein heiliger
Mann befunden worden. Wie, wenn ich, nachdem man mich in die Gruft
geleget, eher erwache als Romeo gekommen ist, mich abzuholen? Das
ist ein fürchterlicher Umstand: Werd ich nicht in diesem Gewölbe,
dessen fauler Mund keine gesunde Luft einathmet, von dem
verpesteten Schwall erstikt werden, eh mein Romeo kommt? Und wenn
ich auch lebe, ist es nicht ganz natürlich, daß die grauenvolle
Scene von Tod und Nacht, die Vorstellung des Orts, wo ich bin--in
diesem uralten Gewölbe, wo seit so vielen hundert Jahren die
Gebeine aller meiner Vorfahren zusammengehäuft ligen--wo der
blutige Tybalt in gähnender Verwesung in seinen Grabtüchern ligt--
wo, wie man sagt, zu gewissen Stunden in der Nacht Geister gehen--O!
Himmel, ist es nicht wahrscheinlich, daß die scheuslichen
Ausdünstungen, das gräßliche Geheul der Gespenster, (gleich den
Alraunen, wenn sie aus der Erde gerissen werden,) Töne, von deren
Anhören lebende Menschen den Verstand verliehren--mich vor der Zeit
erweken werden; oder wenn ich erwache, werd' ich von allen diesen
Schreknissen umringt, von Sinnen kommen, wahnwiziger Weise mit
meiner Voreltern Gebeinen spielen, den halbverfaulten Tybalt aus
seinen Tüchern reissen, und in dieser Raserey, mit den Knochen
irgend eines grossen Ahnherrn, wie mit einer Keule, mir mein
verzweifelndes Gehirn ausschlagen?--O! Sieh, mich däucht ich sehe
meines Vetters Geist, der diesen Romeo bey mir sucht, seinen Mörder!
und meinen Gemahl!--Halt, Tybalt, halt! Romeo, ich komme! Diß
trink ich dir zu.
(Sie trinkt die Phiole aus, und wirft sich auf ihr Bette.)
Vierte Scene.
(Ein Vorsaal in Capulets Hause.)
(Lady Capulet und die Amme treten auf.)
Lady Capulet.
Warte, nimm diese Schlüssel, und hole mehr Gewürz, Amme.
Amme.
Sie ruffen um Datteln und Quitten in die Tarte? (Capulet zu den
Vorigen.)
Capulet.
Auf, munter, hurtig, regt euch, der Hahn hat schon zum andern mal
gekräht, die Morgen-Gloke ist schon geläutet worden, es ist drey
Uhr--Sieh zu dem Bakwerk, gute Angelica--Spar't nur nichts an den
Sachen--
Amme.
Geht, geht, und mengt euch nicht in Weiber-Sachen--geht in euer
Bett, ihr werdet morgen krank dafür seyn, daß ihr diese Nacht nicht
geschlaffen habt.
Capulet.
Nein, nichts weniger--was? Ich denke wol der Zeit, da ich ganze
Nächte durch um einer schlechtern Ursache willen gewacht habe, und
bin nie krank geworden.
Lady.
Ja, ja, ihr seyd ein feiner Mäuse-Jäger in eurer Jugend gewesen--
aber heutigs Tags will ich euch schon bewachen, daß ihr nicht so
wachen sollt.
(Lady Capulet und Amme gehen ab.)
Capulet.
Eifersucht, pure Eifersucht! Nun, Bursche, was giebt's hier zu
thun? (Drey oder viere mit Bratspiessen, Körben, Holz, u. s. w.
treten auf.)
Bedienter.
Sachen für den Koch, Gnädiger Herr, aber ich weiß nicht was.
Capulet.
Macht hurtig, macht hurtig; Schurke, hole trokneres Holz, ruf dem
Peter, er wird dir weisen wo es ligt.
Bedienter.
Gnädiger Herr, um Klöze zu finden, hab' ich selber Kopfs genug, ich
brauche keinen Peter dazu.
Capulet.
Sakerlot! wol gegeben,--du hast Wiz, Bursche, ha, ha--Aber bey
meiner Treue, es ist schon Tag--
(Man hört Musik von Ferne.)
Der Graf wird bald mit Musicanten hier seyn--er hat es versprochen--
Ich hör ihn schon kommen. Amme--Frau--wie, holla, he! Amme, sag
ich! (Die Amme kommt.) Geh, weke Julietten, geh und puze sie auf,
ich will gehn und indeß mit Paris schwazen: Fort, mach hurtig, mach
hurtig, der Bräutigam ist schon da--Mach hurtig, sag ich--
(Sie gehen ab.)
Fünfte Scene.
(Verwandelt sich in Juliettens Schlaf-Zimmer; Juliette ligt auf
dem Bette.)
(Die Amme tritt wieder auf.)
Amme.
Gnädiges Fräulein he! Fräulein! Juliette Das heißt geschlaffen, das
gesteh ich--he, Däubchen--he, Fräulein--fy, ihr Sieben-Schläferin--
he! Liebchen, sag ich--Fräulein--Herzchen--Braut--wie? nicht ein
Wort? Ich seh, ihr nehmt für eure drey Pfenninge zum Voraus; ihr
schlaft vor die ganze Woche; gut, in der nächsten Nacht, da bin ich
gut dafür, wird Graf Paris Mann dafür seyn, daß ihr wenig genug
schlafen sollt--Gott verzeih mir's--heilige Marie! und Amen!--was
für einen gesunden Schlaf sie hat! Ich muß sie aufschreyen--
Fräulein, Fräulein, Fräulein--Nun, wahrlich, laßt nur den Grafen
euch in sein Bette kriegen, er wird euch aufrütteln, mein Treu--
Kan's denn nicht seyn? Wie, angezogen, in euern Kleidern--und
wieder zurük!--Ich muß Ernst brauchen--Fräulein, Fräulein, Fräulein--
O Gott! o Gott! helft, helft, helft! Mein Fräulein ist todt! O
Herzenleid! O! warum mußt ich gebohren werden!--O, einen Schluk
Aquavit--he!--Gnädiger Herr! Gnädige Frau! (Lady Capulet.)
Lady Capulet.
Was ist hier für ein Geschrey?
Amme.
O unglükseliger Tag!
Lady Capulet.
Was ist's, was ist's?
Amme.
Da seht--O unglüklicher Tag!
Lady Capulet.
O Gott, o Gott! mein Kind, mein einziges Leben! leb wieder auf,
sieh mich an, oder laß mich mit dir sterben. Hülfe, Hülfe! schrey
um Hülfe! (Capulet zu den Vorigen.)
Capulet.
Schämt euch doch, warum bringt ihr Julietten so lange nicht; ihr
Gemahl ist gekommen.
Amme.
Sie ist todt, gestorben ist sie, sie ist todt: O! daß es Gott
erbarme!
Capulet.
Ha! laßt mich sehen--O Himmel! es ist aus, sie ist kalt, ihr Blut
ist gestockt und ihre Gelenke sind starr--ihre Lippen sind ohne
Leben, der Tod ligt auf ihr, wie ein frühzeitiger Frost auf der
angenehmsten Blume des ganzen Gefildes. Verfluchter Unfall!
Unglükseliger alter Mann!
Amme.
O des kläglichen Hochzeit-Tags!
Lady Capulet.
Arme trostlose Mutter!
Capulet.
Der Tod, der mir die Freude meines Alters geraubt hat, bindet meine
Zunge, und will mich nicht reden lassen. (Bruder Lorenz und Paris
mit Musicanten.)
Bruder Lorenz.
Kommt, ist die Braut fertig zum Kirchgang?
Capulet.
Zum Kirchgang, aber nicht zur Heimholung. O Sohn, in der Nacht vor
deinem Hochzeit-Tag ist der Tod bey deinem Weibe gelegen. Sieh,
hier ligt sie, die holde Blume die sie war, nun von ihm ihres
Schmuks beraubt: Der Tod ist mein Tochter-Mann.
Paris.
Hab ich so lange mich gesehnt, diesen Morgen zu sehen, und giebt er
mir nun einen solchen Anblik?
Lady Capulet.
Verfluchter, elender, unseliger, verhaßter Tag! Jammervolleste
Stunde, die jemals die Zeit auf ihrer immerwährenden Pilgrimschaft
erblikte! Nur ein einziges, ein armes, einziges, liebes, zärtliches
Kind; nur ein einziges, das mir zur Freude und zum Trost war, und
der unbarmherzige Tod hat es mir weggenommen.*
{ed.-* Paris hat hier im Original eine Rede, die vollkommner (Non-
Sense) ist, und durch die er die Amme ablößt, die sich mit
unaufhörlichen Ausruffungen "O weh, o weh; o Tag, o Tag," heiser
geschrien. Man hat beyde dem Genius des Shakespears aufgeopfert.}
Capulet.
Unseliger Zufall!--Mußte unsre Freude auf eine so meuchelmördrische
Art ermordet werden! O mein Kind, mein Kind! Meine Seele, nicht
mein Kind, sollst du todt seyn? O Gott, todt!--Mein Kind ist todt--
alle meine Hoffnungen sinken mit ihm ins Grab.
Bruder Lorenz.
Nun, so hemmt doch endlich diesen Ausbruch der Ungeduld und
Verzweiflung! Alle diese trostlosen Klagen können euer Weh nicht
heilen: Der Himmel und ihr hattet Antheil an diesem liebenswürdigen
Mädchen; nun hat der Himmel Alles, und desto besser ist es für sie.
Euern Antheil an ihr konntet ihr nicht vor dem Tode bewahren: Aber
der Himmel erhält den seinen bey ewigem Leben. Alles was ihr
suchtet, war ihre Erhebung--und ihr weint nun, sie über die Wolken,
so hoch als der Himmel selber ist, erhoben zu sehen? Was für eine
verkehrte Liebe zu euerm Kind ist das, daß ihr von Sinnen kommen
wollt, da ihr seht daß sie glüklich ist! Troknet eure Thränen,
umstekt diese schöne Leiche mit Rosmarin, und traget sie, wie es
der Gebrauch ist, in ihrem besten Anzug in die Kirche.
Capulet.
Alle Zurüstungen, die wir zu unserm Fest gemacht haben, verwandeln
sich nun in ein trauervolles Leichen-Gepränge. Unsre musicalischen
Instrumente in melancholische Todten-Gloken, unser hochzeitliches
Gastmahl in ein schwermüthiges Leichen-Mahl, unsre festlichen
Lobgesänge in bange Klaglieder, und unsre hochzeitlichen Blumen-
Kränze dienen nun eine Todten-Baare zu schmüken--O der kläglichen
Verwandlung!
Bruder Lorenz.
Gnädiger Herr, geht hinein, und ihr, Madam, geht mit ihm, und ihr,
Signor Paris; ein jedes bereite sich, diese schöne Leiche zu ihrem
Grabe zu begleiten; und hütet euch, durch murrende Ungeduld den
über euch schwebenden Zorn des Himmels noch mehr zu reizen.
(Sie gehen ab.)
Sechste Scene.
(Die Amme und die Musicanten bleiben, wie natürlich, zurük. Die
leztern sind so fein, es von sich selbst zu merken, daß sie hier zu
nichts mehr nuzen, und die weise Amme sagt es ihnen noch zum
Überfluß; sie steken also ihre Pfeiffen ein, und wollen gehen.
Aber zu grossem Vergnügen der Zuschauer in den obersten Gegenden
kommt Peter, und verlangt, daß sie ihm ein lustiges Stükchen
aufspielen sollen; dieses giebt dann den Anlaß zu einem kleinen)
Divertissement (von Wortspielen und Spässen im Geschmak des Wiener-
Harlequins; einer Abwechslung, die freylich, (wie der sinnreiche
Herr von Voltaire weislich bemerkt,) dem Geschmak unsers Autors und
seiner Zeitgenossen wenig Ehre macht, aber doch den Vortheil mit
sich führt, daß die Zuschauer, (welche ans Ende doch in die Comödie
gegangen sind, um sich einen Spaß zu machen,) durch die kläglichen
Scenen nicht gar zu sehr gerührt werden.)
Fünfter Aufzug.
Erste Scene.
(Mantua.)
(Romeo tritt auf.)
Romeo.
Wenn ich den schmeichelnden Eingebungen des Schlafs trauen dürfte,
so würden mir meine Träume angenehme Neuigkeiten vorbedeuten. Ein
ungewöhnlicher Geist der Frölichkeit erfüllt meinen Busen, und hebt
mich mit angenehmen Gedanken über den Boden empor: Ich träumte,
meine Geliebte käme und fände mich todt--(Was für ein seltsames
Ding ein Traum ist, daß er todten Leuten doch noch die Erlaubniß
giebt zu denken!)--und hauchte durch ihre Küsse ein solches Leben
in meine Lippen, daß ich wieder von den Todten auferstand und ein
Kayser wurde. O Himmel! wie süß ist der würkliche Genuß der Liebe,
da ihre Schatten schon so reich an Wonne sind! (Balthasar tritt auf.)
Neue Zeitungen von Verona--Wie steht's Balthasar? Bringst du mir
Briefe vom Pater? Was macht meine Geliebte? Ist mein Vater wohl?
Was macht meine Juliette? Das muß ich noch einmal fragen; denn wenn
sie wohl ist, so ist nichts übel.
Balthasar.
So ist sie denn wohl und nichts ist übel. Ihr Leichnam schläft in
dem Begräbniß der Capulets, und ihr unsterblicher Theil lebt mit
Engeln. Ich sah sie in das Gewölb ihrer Familie legen, und nahm
sogleich die Post es euch zu berichten. Vergebung, Gnädiger Herr,
daß mein Dienst mich nöthigt, euch eine so böse Zeitung zu bringen!
Romeo.
Ist es würklich so?--So biet' ich euch Troz, ihr Sterne!--Du kennst
meine Wohnung, geh, hole mir Dinte und Papier, und bestelle Post-
Pferde--Ich will diese Nacht noch fort.
Balthasar.
Um Vergebung, Gnädiger Herr, ich darf euch nicht so verlassen. Eure
Blike sind düster und wild, und bedeuten nichts Gutes.
Romeo.
Stille! du betrügst dich. Verlaß mich und thu was ich dir sage:
Hast du keine Briefe vom Pater an mich?
Balthasar.
Nein, gnädiger Herr.
Romeo.
Das hat nichts zu bedeuten: geh, und bestelle die Pferde; ich will
gleich bey dir seyn.
(Balthasar geht ab.)
Gut, Juliette, heute Nacht will ich bey dir ligen--Laß sehen, wie
machen wir das? Wie schnell findet Unheil den Eingang in ein
verzweifelndes Gemüth!--Ich erinnre mich eines Apothekers, der hier
irgend wohnt, und den ich lezthin in einem zerlumpten Kittel, mit
überhangenden Augbrauen, Kräuter suchend fand. Ich faßte den Mann
ins Auge; seine Blike sahen mager und verhungert aus, Kummer und
Elend schien ihn bis auf die Knochen abgenuzt zu haben; in seiner
armseligen Bude hieng eine Schildkröte, ein ausgestopfter Alligator,
und ein paar andre Häute von mißgeschaffnen Fischen; und rings um
auf dem Gestelle stuhnd ein bettelhaftes Gepränge von leeren
Büchsen, grünen irdnen Töpfen, Blasen, muffigen Saamen, Resten von
Pakfaden, und alte Rosen-Kuchen dünn genug zerstreut, damit es doch
etwas gleich sehen sollte. In dem Augenblik da mir dieser armselige
Zustand in die Augen fiel, dacht' ich bey mir selbst, wenn izt
einer Gift brauchte, dessen Verkauff in Mantua ohne Gnad' am Leben
gestraft wird, so lebt hier ein armseliger Tropf, der ihm's zu
kauffen gäbe. O! dieser Gedanke war eine Ahnung, daß ich diesen
Mann bald selber nöthig haben würde. So viel ich mich erinnere,
sollte diß das Haus seyn; weil heut ein Feyertag ist, so ist des
Bettlers Bude geschlossen. Holla! he! Apotheker. (Der Apotheker
kommt heraus.)
Apotheker.
Wer ruft so laut?
Romeo.
Komm hervor, Mann! Ich sehe, du bist arm; sieh, da sind vierzig
Ducaten, gieb mir eine Drachme Gift davor, von so schneller Würkung,
daß es sich in einem Augenblik durch alle Adern verbreite, und der
Lebens-überdrüssige, der es einnimmt, so plözlich und mit solcher
Gewalt des Athemholens entladen werde, als das unaufhaltsame Pulver,
sobald es sich entzündet, aus dem fatalen Bauch einer Canone
losbricht.
Apotheker.
Dergleichen tödtliche Präparata hab' ich; aber das Gesez ist Tod
für den, welcher sie hergiebt.
Romeo.
Bist du so nakend und mit Elend beladen, und fürchtest den Tod?
Hunger sizt auf deinen Wangen, Mangel und Kummer schauen aus deinen
holen Augen hervor, Verachtung und Betteley hangen auf deinem Rüken,
und du fürchtest den Tod? Die Welt ist nicht dein Freund, und ihr
Gesez auch nicht; die Welt giebt kein Gesez dich reich zu machen;
sey also klüger, brich es, und nimm mein Gold.
Apotheker.
Meine Dürftigkeit williget ein, nicht mein Wille.
Romeo.
Auch bezahl' ich nicht deinen Willen, sondern deine Dürftigkeit.
Apotheker.
Gießt dieses in was für einen Liquor ihr wollt, und trinkt es aus;
und wenn ihr die Stärke von zwanzig Männern hättet, so wird es euch
in die andre Welt schiken.
Romeo.
Hier ist dein Gold; ein schädlichers Gift für die Seelen der
Menschen, und welches mehr Mordthaten in dieser heillosen Welt
verursacht, als diese arme Quaksalbereyen, die du nicht verkauffen
kanst: Ich habe dir Gift verkauft, nicht du mir--fahre wohl, kauf
dir zu essen, und mach, daß du zu Fleisch kommst--Komm, Herz-
Stärkung, nicht Gift; komm mit mir, wo ich dich brauche, zu
Juliettens Grab.