Juliette.
Es reut mich, in so fern es ein Uebel ist, und ich ertrage die
Schmach mit Freuden.
Herzog.
Bleibet bey dieser Gesinnung. Euer Mitschuldiger muß, wie ich höre,
morgen sterben, und ich gehe izt zu ihm, ihn vorzubereiten. Also
geb ich euch meinen Segen.
(Er geht ab.)
Zehnte Scene.
(Der Palast.)
(Angelo tritt auf.)
Angelo.
Wenn ich beten oder mit geistlichen Gedanken mich unterhalten will,
so bete ich, und denke an verschiedne Gegenstände; aber der Himmel
hat nur meine leeren Worte, indeß mein Gemüth, ohne meine Zunge zu
hören, auf Isabellen ankert. Der Himmel ist auf meinen Lippen, und
der mächtige und schwellende Vorsaz der Sünde in meinem Herzen.
Der Staat, worinn ich studirte, ist mir wie ein gutes Buch, das man
so oft gelesen hat, bis man es überdrüßig worden ist; ja, diese
Ernsthaftigkeit, auf die ich (laß niemand es hören) stolz war,
könnt ich mit Aufgabe gegen eine leichte Feder vertauschen, die der
Wind hin und her treibt. O! Plaz, o äusserliches Ansehen! Wie
oft erzwingst du Ehrfurcht von den Thoren, und hintergehest selbst
die weisern Seelen durch deine betrügliche Gestalt! Wir brauchen
nur (guter Engel) auf des Teufels Horn zu schreiben, so ists nicht
mehr des Teufels Horn--
(Ein Bedienter kommt herein.) Was giebts, wer ist da?
Bedienter.
Eine gewisse Isabella, eine Nonne, verlangt vor Euer Gnaden
gelassen zu werden.
Angelo.
Führe sie herein--O Himmel! wie treibt mein Blut zu meinem Herzen,
und entsezt auf einmal alle meine andern Theile ihrer nöthigen
Stärke--So spielt der alberne Hauffe mit einem der in Ohnmacht
sinkt; alle lauffen ihm zu Hülfe, und verstopfen dadurch die Luft,
durch die er wieder aufleben könnte: Und so verlassen die
Unterthanen, einen geliebten König zu sehen, ihre eignen Geschäfte,
und drängen sich in dienstfertiger Zärtlichkeit zu seiner Gegenwart,
wo ihre unbescheidene Liebe einer Beleidigung gleich sehen muß--
(Isabella kommt herein.) Wie geht es, schönes Mädchen?
Eilfte Scene.
Isabella.
Ich komme zu hören, was Euer Gnaden beliebt--
Angelo.
Daß ihr es wissen möchtet, würde mir besser belieben, als daß ihr
darnach fragt. Euer Bruder kan nicht bey Leben bleiben.
Isabella.
Ist es dieses?--Der Himmel erhalte Eu. Gnaden.
(Sie will gehen.)
Angelo.
Und doch möcht' er noch eine Zeitlang leben, und das möchte seyn,
so lang als ihr oder ich; aber er muß sterben.
Isabella.
Durch euer Urtheil?
Angelo.
Ja.
Isabella.
Wenn, ich bitte euch? Laßt ihm wenigstens so viel Zeit als er
nöthig hat, damit seine Seele geheilt werden könne.
Angelo.
Ha? Pfui dieser garstigen Laster! Es wäre eben so gut denjenigen
zu begnadigen, der einen schon gemachten Menschen aus der Natur
weggestohlen hätte, als solchen Leuten, die das Bild des Himmels
auf verbotne Stempel graben, ihre unverschämte Ueppigkeit zu
verzeihen.
Isabella.
So wird im Himmel geurtheilt, aber nicht auf Erden.
Angelo.
Sagt ihr das? Nun will ich euch bald zum Stillschweigen bringen.
Was wolltet ihr lieber, daß das gerechteste Gesez euerm Bruder das
Leben nehme; oder daß ihr, um ihn zu retten, euern Leib eben so
behandeln lassen müßtet, wie diejenige, die er beflekt hat?
Isabella.
Gnädiger Herr, glaubt mir das, ich wollte lieber meinen Leib preiß
geben als meine Seele.
Angelo.
Ich rede nicht von eurer Seele; Sünden, wozu wir genöthiget werden,
stehen nicht auf unsrer Rechnung.
Isabella.
Wie sagt ihr?
Angelo.
Ich will nicht davor gut stehen; denn ich kan vieles gegen das was
ich gesagt habe, einwenden. Antwortet mir nur auf das: Ich, durch
dessen Mund nur das Gesez redet, spreche das Todes-Urtheil wider
euern Bruder aus: Wäre nicht Barmherzigkeit in einer Sünde, die ihr
nur darum begienget, um euers Bruders Leben zu retten?
Isabella.
Schenket ihm das Leben, ich will es auf die Gefahr meiner Seele
nehmen, dann ist gar keine Sünde darinn, sondern blosse
Barmherzigkeit.
Angelo.
Hört mich nur, ihr versteht mich nicht; entweder seyd ihr unwissend,
oder stellt euch so, und das ist nicht gut.
Isabella.
Laßt mich unwissend seyn, und in nichts gut, als in der demüthigen
Erkenntniß, daß ich nicht besser bin.
Angelo.
So wünscht die Weisheit nur desto glänzender zu scheinen, wenn sie
sich selbst tadelt; wie diese schwarze Tücher die eingehüllte
Schönheit zehnmal lauter ankündigen als die enthüllte Schönheit
selbst thun könnte. Aber höret mich, um besser verstanden zu
werden, will ich deutlicher reden; euer Bruder muß sterben.
Isabella.
So.
Angelo.
Und wegen eines Verbrechens, worauf das Gesez diese Strafe gelegt
hat.
Isabella.
Es ist wahr.
Angelo.
Gesezt, es wäre kein ander Mittel ihm das Leben zu retten (ich sage
nicht, daß ich es gelten lassen würde, sondern nur um den Fall zu
sezen) als daß ihr, seine Schwester, wofern jemand euer begehrte,
den sein eigner Plaz oder sein Ansehen bey dem Richter in den Stand
sezte, euern Bruder aus den Fesseln des Gesezes zu befreyen, und
daß kein andres Mittel ihn zu retten wäre, als ihr müßtet entweder
diesem vorausgesezten den Genuß eurer Schönheit überlassen, oder
euern Bruder leiden sehen, was würdet ihr thun?*
{ed.-* Die unrichtige Construction dieser Rede ist im Original,
und man hat sie beybehalten, weil sie die Verwirrung ausdrukt,
worinn sich Angelo in diesem Augenblik befinden mußte.}
Isabella.
Soviel für meinen armen Bruder, als für mich selbst; das ist, wär
ich zum Tode verurtheilt, so wollt ich die Striemen scharfer
Geisseln wie Rubinen tragen, und mich auf die Marterbank mit der
Sehnsucht eines Kranken wie auf ein Ruhbette werfen, eh ich meinen
Leib der Schande preiß geben wollte.
Angelo.
So müßte euer Bruder sterben.
Isabella.
Besser, daß ein Bruder einen einzigen Augenblik sterbe, als daß die
Schwester, um ihn zu retten, ewig sterbe.
Angelo.
Wäret ihr in diesem Falle nicht eben so grausam als das Urtheil,
das ihr so genennt habt?
Isabella.
So wie eine schändliche Ranzion, und eine freye Begnadigung von
zweyerley Häusern sind; so ist auch ganz gewiß nicht die mindeste
Verwandtschaft zwischen einer gesezmäßigen Barmherzigkeit, und
einer lasterhaften Erlösung.
Angelo.
Ihr schienet lezthin das Gesez für einen Tyrannen, und den
Fehltritt euers Bruders eher für eine Kurzweil als für ein
Verbrechen anzusehen.
Isabella.
Verzeihet mir Gnädiger Herr; um zu erhalten was wir suchen, sind
wir oft genöthiget nicht zu sagen, was wir denken. Aus Liebe zu
einem unglüklichen Bruder wünschte ich die That entschuldigen zu
können, die ich verabscheue.
Angelo.
Wir sind alle gebrechlich.
Isabella.
Wär' es nicht so, so möchte mein Bruder immerhin sterben.
Angelo.
Die Weiber sind auch gebrechlich.
Isabella.
Ja, wie die Spiegel, worinn sie sich beschauen; die Weiber! Der
Himmel stehe ihnen bey! Die Männer verderben ihre angebohrne
Unschuld zum Vortheil ihrer Leidenschaften; ja, nennet uns zehenmal
gebrechlich, denn wir sind sanft wie unsre Bildung, und weich genug
jeden fremden Eindruk anzunehmen.
Angelo.
So denke ich auch; und durch das Zeugniß euers eignen Geschlechts
laßt mich kühner werden. Ich halte euch bey euern Worten. Seyd
was ihr seyd, ein Weib; wenn ihr mehr seyd, seyd ihr keines. Seyd
ihr's, wie diese Gestalt auf eine so reizende Art es bezeuget, so
zeiget es izt, indem ihr diese geweyhte Liverey ableget.
Isabella.
Ich habe nur eine Zunge; ich bitte Euer Gnaden, deutlich zu
sprechen.
Angelo.
Ich liebe euch.
Isabella.
Mein Bruder liebte die Juliette, und ihr sagt mir, daß er dafür
sterben müsse.
Angelo.
Er soll nicht sterben, wenn ihr meine Liebe begünstiget.
Isabella.
Ich weiß daß eure Tugend die Freyheit hat, ein wenig schlimmer zu
scheinen als sie ist, um andre auf die Probe zu sezen.
Angelo.
Glaubt mir, auf meine Ehre, meine Worte erklären meine Absicht.
Isabella.
Ha! was für eine Ehre? und was für eine Absicht? O! Schein!
Schein! Ich will dich ausruffen, Angelo; siehe zu! Unterzeichne
mir diesen Augenblik die Begnadigung meines Bruders, oder ich will
so laut als ich schreyen kan, der Welt sagen, was für ein Mann du
bist.
Angelo.
Wer wird dir glauben, Isabella? Mein unbeflekter Name, mein
strenges Leben, mein Ansehen im Staat, mein blosses Zeugniß wider
dich, werden deine Anklage so sehr überwiegen, daß du in deiner
eignen Aussage erstiken und nach Verläumdung stinken wirst. Der
erste Schritt ist gethan, und nun will ich meinem sinnlichen Theil
den Zügel lassen. Bereite dich meiner erhizten Begierde
nachzugeben, lege alle Sprödigkeit, alle diese verzögernden
Erröthungen ab, die das verbannen warum sie bitten; erlöse deinen
Bruder, indem du deinen Leib meinem Willen überlassest; oder er muß
nicht nur den Tod sterben, sondern deine Sprödigkeit soll seinen
Tod durch langsame Martern verlängern. Bringe mir morgen die
Antwort, oder, bey der Leidenschaft, die mich izt beherrschst, ich
will ein Tyrann gegen ihn werden. Was euch betrift, sagt was ihr
könnt; meine Lügen überwiegen eure Wahrheiten.
(Er geht ab.)
Isabella.
Gegen wen soll ich mich beklagen? Würd' ich diß erzählen, wer
würde mir glauben? Ich will zu meinem Bruder gehen. Ob er gleich
durch Antrieb des wallenden Blutes gefallen ist, so hat er doch so
viel Empfindung von Ehre, daß wenn er auch zwanzig Häupter auf
zwanzig Blöke hinzustreken hätte, er eher sie alle hingeben würde,
eh seine Schwester ihren Leib zu einer so schändlichen Beflekung
mißbrauchen lassen sollte. Leb' also keusch, Isabella, und stirb
du, Bruder; unsre Keuschheit ist mehr als unser Bruder; inzwischen
will ich ihm das Zumuthen dieses Angelo kund machen, und ihn
sterben lehren, damit seine Seele leben möge.
Dritter Aufzug.
Erste Scene.
(Das Gefängniß.)
(Der Herzog, Claudio und Kerkermeister treten auf.)
Herzog.
Ihr hofft also Begnadigung von dem Stadthalter Angelo?
Claudio.
Die Unglüklichen haben keine andre Arzney als Hoffnung: Ich hoffe
zu leben, und bin bereitet zum Sterben.
Herzog.
Stellt euch als gewiß vor, daß ihr sterben müßt; Tod oder Leben
wird euch dadurch nur desto süsser werden. Redet so mit dem Leben:
Verliehr ich dich, so verliehr ich ein Ding, das nur von Thoren
hochgeachtet wird; was bist du als ein Hauch, allen Einflüssen der
Elemente unterwürffig, welche diese Wohnung, worinn du dich
aufhältst, stündlich beunruhigen; du bist nichts anders als des
Todes Narr,* du arbeitest, ihm durch deine Flucht zu entgehn, und
rennst ihm immer entgegen; du bist nicht edel, denn du nährst dich
von den verächtlichsten Dingen; du bist nicht dapfer, denn du
fürchtest die kleine und schwache Zange eines armen Wurms; dein
bester Theil ist der Schlaf, du liebest ihn, und fürchtest doch den
Tod, der nichts mehr ist. Du bist nichts Selbstbeständiges, denn
du bestehst durch viele tausend Körner, die aus einem Staub
hervorkeimen; glüklich bist du nicht, denn immer bestrebst du dich,
was du nicht hast zu gewinnen, und zu vergessen was du hast; du
bist nicht gewiß, denn dein Zustand wechselt, wie der Mond; wenn du
reich bist, bist du doch arm, denn du trägst gleich einem mit
Silberstangen beladnen Esel deinen schweren Reichthum nur eine
Tagreise, und der Tod ladet dich ab; Freunde hast du keine, denn
deine eigene Eingeweide, die dich Vater nennen, fluchen dem Podagra,
der Gicht und dem Aussaz, daß sie dir nicht bälder ein Ende machen.
Du hast weder Jugend noch Alter; beydes ist nur ein Traum in
einem nachmittäglichen Schlaf; denn kaum ist das Feuer deiner
Jugend verrochen, so steht sie ab, und bettelt Almosen von dem
gichtbrüchigen Alter; und wenn du alt und reich bist, so hast du
weder Güte, noch Hize, Trieb und Glieder, deines Reichthums froh zu
werden. Was ist denn in diesem allem, das den Namen des Lebens
trägt? Und doch ligen in diesem Leben zehentausend Tode verborgen;
und wir fürchten den Tod, der alle diese seltsamen Dinge eben macht?
{ed.-* Dieses ist eine Anspielung auf gewisse Schauspiele, die in den
barbarischen Zeiten unter dem Namen (Moralitys) in England üblich
waren, worinn die lustige Person und der Tod die Hauptpersonen
waren, und die erste alle nur ersinnliche Kunstgriffe anwenden
mußte, dem lezten, dem sie alle Augenblike in die Hände lief, zu
entgehen.}
Claudio.
Ich danke euch; nun find ich, daß ich, wenn ich zu leben wünsche,
zu sterben suche; und wenn ich den Tod suche, das Leben finde: Laß
es kommen. (Isabella zu den Vorigen.)
Isabella.
Wie? Friede sey mit dieser guten Gesellschaft.
Kerkermeister.
Wer ist da? herein--der Wunsch verdient einen Willkomm.
Herzog.
Mein lieber Herr, ich werde euch in kurzem wieder besuchen.
Claudio.
Ich danke euch, heiliger Vater.
Isabella.
Mein Geschäfte besteht in einem oder zwey Worten mit Claudio.
Kerkermeister.
Von Herzen willkommen. Sehet, mein Herr, hier ist eure Schwester.
Herzog.
Kerkermeister, ein Wort mit euch.
Kerkermeister.
Soviele als euch beliebt.
Herzog (leise.)
Bringet mich an einen Ort, wo ich sie hören kan, ohne daß sie mich
sehen.
(Herzog und Kerkermeister gehen ab.)
Zweyte Scene.
Claudio.
Nun, Schwester, was für einen Trost bringt ihr?
Isabella.
Wie sie alle zu seyn pflegen; einen sehr guten in der That; der
Freyherr Angelo, welcher Geschäfte im Himmel hat, ist entschlossen
euch zu seinem Abgesandten dahin zu machen; macht euch also ohne
Verzug reisefertig, morgen sollt ihr übersezen.
Claudio.
Ist denn kein Mittel?
Isabella.
Keines als solch ein Mittel, das, um einen Kopf zu retten, ein Herz
entzwey brechen würde.
Claudio.
Aber ist denn eines?
Isabella.
Ja, Bruder, ihr könnt bey Leben bleiben; es ist ein Mittel--Aber
eines, daß wenn ihr fähig wäret es zu billigen, eure Ehre sich von
diesem Rumpf, den ihr tragt, abstreifen, und euch nakend lassen
würde.
Claudio.
Und was ist es denn?
Isabella.
O, ich fürchte dich, Claudio, ich fürchte du möchtest, um ein
fieberhaftes Leben zu verlängern, sechs oder sieben Winter theurer
schäzen als eine immerwährende Ehre--Hast du den Muth zu sterben?
Die Empfindung des Todes ist das fürchterlichste an ihm; der arme
Käfer, auf den wir treten, leidet so viel als ein sterbender Riese.
Claudio.
Warum denkst du so schmählich von mir? Haltst du mich für so
schwach, daß ich keiner männlichen Entschliessung fähig seyn
sollte? Wenn ich sterben muß, so will ich der Finsterniß wie einer
Braut entgegen gehn, und sie in meine Arme drüken.
Isabella.
Izt sprach mein Bruder, und eine Stimme stieg aus meines Vaters
Grab empor. Ja, du mußt sterben; du bist zu edel, ein Leben durch
niederträchtige Gefälligkeiten zu erkauffen. Dieser, mit
Heiligkeit übertünchte Stadthalter, dessen gesezte Mine und
wohlbedächtliche Rede der Jugend die Klauen in den Kopf schlägt,
und ihre Thorheiten berupft, wie der Falke die Eule, ist doch nur
ein Teufel, dessen Herz einen Abgrund von Unrath, so tief als die
Hölle, in sich hat.
Claudio.
Der priesterliche Angelo?
Isabella.
O das ist die betrügerische Liverey der Hölle, den verdammtesten
Körper in priesterliches Gewand einzuhüllen. Kanst du glauben,
Claudio, daß wenn ich ihm meine Jungfrauschaft überlassen wollte,
du frey werden könntest?
Claudio.
O Himmel! das kan nicht seyn.
Isabella.
So ist es; diese Nacht ist die Zeit, da ich thun soll, was ich zu
nennen verabscheue, oder morgen stirbst du.
Claudio.
Du sollst es nicht thun.
Isabella.
O! wär' es nur mein Leben, ich wollt es für deine Befreyung so
willig hinwerfen, als eine Steknadel.
Claudio.
Ich danke dir, meine theurste Isabella.
Isabella.
Bereite dich also morgen zu sterben, Claudio.
Claudio.
Ja. So hat er auch solche Begierden, die das Gesez in die Nase
beissen, wenn er es übertreten will--Gewißlich, es ist keine Sünde,
oder es ist doch wenigstens von den sieben Todsünden die lezte.
Isabella.
Was ist die lezte?
Claudio.
Wenn es so verdammlich wäre, würde er, der ein so weiser Mann ist,
um die Lust eines Augenbliks ewig verdammt seyn wollen? O Isabella
--
Isabella.
Was sagt mein Bruder?
Claudio.
Tod ist ein fürchterliches Ding.
Isabella.
Und ein schändliches Leben ein hassenswürdiges.
Claudio.
Ja, aber sterben, und gehn wo man nicht weiß wohin; in kalter
Erstarrung da ligen und verfaulen; diese warme gefühlvolle Bewegung
zum starren Kloz werden, indeß daß der wollustgewohnte Geist sich
in feurigen Fluthen badet, oder in Gegenden von aufgehäuftem Eyß
erstarret, oder in unsichtbare Winde eingekerkert mit rastloser
Gewalt rund um die schwebende Welt getrieben wird; oder noch
unseliger ist als das unseligste, was zügellose und schwärmende
Gedanken heulend sich vorbilden--Das ist entsezlich! Das
armseligste Leben, mit allem Ungemach belastet, was Alter,
Krankheit, Dürftigkeit und Gefangenschaft der Natur auflegen können,
ist ein Paradies gegen das, was wir auf den Tod fürchten.
Isabella.
O weh!
Claudio.
Liebste Schwester, laß mich leben. Wenn das Sünde seyn kan,
wodurch du deines Bruders Leben erkaufst, so spricht die Natur so
nachdrüklich für eine solche That, daß sie zur Tugend wird.
Isabella.
O! du Thier! O! du ehrlose Memme! O! du schändlicher Elender!
Willt du durch mein Verbrechen zum Menschen gemacht werden? Ist es
nicht eine Art von Blutschande, dein Leben von deiner eignen
Schwester Schaam zu empfangen? Was muß ich denken? Möge der
Himmel verhütet haben, daß meine Mutter meinem Vater untreu gewesen;
ein so niederträchtiges Unkraut konnte nicht aus seinem Blut
entstehen. Stirb, vergeh Elender! Könnt ich dich durch einen
blassen Kniefall vom Tod erretten, ich wollt es nicht thun. Ich
will tausend Gebette für deinen Tod sprechen, und nicht ein Wort,
dich zu retten.
Claudio.
Nein, höre mich, Isabella.
Isabella.
O Pfui, Pfui, Pfui, deine Sünde, izt seh ichs, ist kein Fall,
sondern ein Handwerk; Gnade gegen dich würde selbst zur Kupplerin
werden; das beste ist, du sterbest ungesäumt.
Claudio.
O höre mich, Isabella.
Dritte Scene.
(Der Herzog und der Kerkermeister zu den Vorigen.)
Herzog.
Ein Wort mit euch, junge Schwester, nur ein Wort.
Isabella.
Was ist euer Begehren?
Herzog.
Wenn eure Zeit es zuliesse, so möcht ich eine kleine Unterredung
mit euch haben, deren Inhalt zu euerm eignen Besten abzielt.
Isabella.
Ich habe keine überflüßige Zeit; ich muß mein Verweilen andern
Geschäften stehlen; aber doch will ich noch eine Weile hier bleiben,
euch anzuhören.
Herzog.
Sohn, ich habe gehört was zwischen euch und eurer Schwester
vorgegangen ist. Angelo hat nie den Vorsaz gehabt sie zu verführen;
seine Absicht war nur, ihre Tugend auf die Probe zu stellen, und
er ist erfreut daß sie ihn so muthig abgewiesen hat. Ich bin des
Angelo Beichtiger, und weiß daß diß wahr ist; bereitet euch also
zum Tode. Entkräftet eure Entschlossenheit nicht durch betrügliche
Hoffnungen; morgen müßt ihr sterben; auf eure Knie nieder, und
bereitet euch zu!
Claudio.
Laßt mich meine Schwester um Verzeihung bitten. Die Liebe zum
Leben ist mir so vergangen, daß ich froh seyn werde, davon los zu
kommen.
(Claudio geht ab.)
Herzog.
Gehabt euch wohl. Kerkermeister, ein Wort mit euch.
Kerkermeister.
Was ist euer Wille, Vater?
Herzog.
Daß ihr euch ein wenig entfernen sollt; laßt mich eine Weile bey
dieser Schwester; mein Habit und mein Character sind euch Bürge,
daß sie von meiner Gesellschaft nichts zu besorgen hat.
Kerkermeister.
Das kan wohl geschehen.
(Geht ab.)
Herzog.
Das Glük hat es so gefügt, daß ich von dem Anfall, den Angelo auf
eure Tugend gethan hat, benachrichtiget worden bin; und wenn diese
Gebrechlichkeit nicht durch andre Beyspiele begreiflich gemacht
würde, so würde sie mich an Angelo wundern: aber was wollt ihr thun,
diesen Statthalter zu befriedigen, und euern Bruder zu retten?
Isabella.
Ich bin im Begriff ihm meinen Entschluß zu melden; ich will lieber,
mein Bruder sterbe durch das Gesez, als mein Sohn werde gegen das
Gesez gebohren. Aber, o! wie sehr hat sich der gute Herzog in
diesem Angelo betrogen! Wenn er jemals wieder zurük kömmt, und ich
vor ihn kommen kan, so will ich die Sprache verliehren, oder ihm
diese schändliche Regierung entdeken.
Herzog.
Das wird nicht übel gethan seyn; aber so wie die Sache izt steht,
wird Angelo eure Anklage unkräftig machen; er wird sagen, er habe
euch nur auf die Probe gesezt. Höret also meinen Rath; meine
Begierde Gutes zu thun, giebt mir ein Mittel ein: Mich däucht, ihr
könntet auf die unschuldigste Art und zu gleicher Zeit einem armen
beleidigten Frauenzimmer einen Dienst leisten den sie verdient,
euerm Bruder das Leben retten, und euch dem abwesenden Herzog nicht
wenig gefällig machen, wenn er jemals wiederkommen, und von dieser
Sache hören sollte.
Isabella.
Redet weiter; ich habe Muth genug alles zu unternehmen, wovon mein
Herz mir nicht sagt, daß es unrecht ist.
Herzog.
Die Tugend ist herzhaft, und die Güte niemals furchtsam. Habt ihr
nicht von einer gewissen Mariana gehört, einer Schwester des
Schiffhauptmann Friedrichs der auf dem Meer verunglükte?
Isabella.
Ich habe viel Gutes von diesem Frauenzimmer sagen gehört.
Herzog.
Sie sollte dieser Angelo geheurathet haben, er hatte sich mit ihr
versprochen, und der Hochzeit-Tag war schon angesezt: Allein
während der Zwischenzeit hatte Friedrich das Unglük, in einem
Schiffbruch sein Vermögen, seiner Schwester Erbtheil, und sein
Leben zu verliehren. Die arme Fräulein verlor dadurch einen edeln
und angesehnen Bruder der sie zärtlichst liebte, mit ihm ihr
Heurathgut, und mit beyden ihren Bräutigam, diesen scheinbaren
Angelo.
Isabella.
Ist das möglich? Angelo verließ sie?
Herzog.
Verließ sie in Thränen, und troknete nicht eine derselben mit
seinem Trost ab, brach sein Gelübde unter dem Vorwand einige Fleken
an ihrer Ehre entdekt zu haben; kurz, überließ sie ihrem Elend, und
den Schmerzen die sie um seinetwillen leidet--
Isabella.
Wie wohl würde der Tod thun, wenn er dieses arme Mädchen aus der
Welt nähme! Und wie ungerecht ist dieses Leben, daß es einen
solchen Mann leben läßt! Aber wie kan ihr geholfen werden?
Herzog.
Es ist ein Bruch, den ihr leicht heilen könnet; und die Heilung
desselben rettet nicht nur euern Bruder, sondern macht auch daß ihr
ihn ohne Verlezung eurer Ehre retten könnet.
Isabella.
Wie kan das geschehen, mein guter Vater?
Herzog.
Die vorbenannte Person hegt noch immer ihre erste Leidenschaft;
sein ungerechter Kaltsinn, der ihre Liebe billig ausgelöscht haben
sollte, hat sie, gleich einem Hinderniß das dem Lauf eines Stroms
entgegensieht, nur heftiger und unordentlicher gemacht. Geht ihr
zu Angelo, antwortet seinem Begehren durch den Verspruch eines
verstellten Gehorsams; gestehet ihm die Hauptsache zu, nur behaltet
euch diese Bedingungen vor, daß ihr euch nicht lange bey ihm
verweilen müsset, daß die Zeit von Dunkelheit und Stillschweigen
begleitet sey, und der Ort die Bequemlichkeiten habe, die ein
Geheimniß erfodert. Gesteht er euch dieses zu, so geht alles nach
unserm Wunsche; wir unterrichten alsdenn dieses beleidigte Mädchen,
sich zur gesezten Stunde an euern Plaz zu stehlen; dieses kan, wenn
die Wahrheit sich in der Folg' entdekt, ihn nöthigen ihr
Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, euer Bruder kommt dadurch in
Freyheit, eure Ehre bleibt unbeflekt, die arme Mariana wird
versorgt, und dem Stadthalter wird die Larve abgezogen. Ich nehm'
es über mich, das gute Mädchen dazu vorzubereiten; wenn euch dieser
Entwurf sonst gefällt, so braucht ihr euch kein Bedenken zu machen;
das dreyfache Gute das daraus entspringt, macht den Betrug
untadelhaft. Was dünkt euch hiezu?
Isabella.
Die Vorstellung davon beruhigt mich bereits und ich hoffe der
Ausgang werde erfreulich seyn.
Herzog.
Es kommt alles auf euern Beytrag an; eilet unverzüglich zu Angelo;
wenn er euch um diese Nacht bittet, so sagt es ihm zu, unter den
Bedingungen, die wir abgeredt haben. Ich will indessen zu Marianen
gehen; fraget mir bey St. Lucas wieder nach, und macht daß ihr von
Angelo bald zurükkommt.
Isabella.
Ich danke euch für diesen Beystand; lebet wohl indessen, mein guter
Vater.
(Sie gehen ab.)
Vierte Scene.
(Die Straasse.)
(Der Herzog als ein Mönch, Ellbogen, Harlequin, und Stadtbediente.)
Ellbogen.
Was wird noch aus der Welt werden, wenn man euch das Handwerk nicht
legt, Männer und Weiber wie das liebe Vieh zu verkauffen? Fort,
fort, euers Weges--He! Gott grüß euch, guter Pater Bruder.
Herzog.
Und euch, guter Bruder Vater, was hat dieser Mann begangen, mein
Herr?
Ellbogen.
Beym Sapperment, Herr, er hat wider das Gesez gesündiget, und, Herr,
wir glauben er sey ein Dieb dazu, Herr; denn wir haben einen
seltsamen Schlüssel-Haken bey ihm gefunden, Herr, den wir dem
Stadthalter geschikt haben.
Herzog.
Pfui, du Schurke, ein H** Wirth, ein schändlicher H** Wirth! Du
lebst von dem Bösen das du verursachst. Hast du auch einmal daran
gedacht, was das ist, von einem so unflätigen Laster den Magen zu
füllen, oder den Rüken zu kleiden? Sage zu dir selbst: Von ihren
abscheulichen viehischen Betastungen, eß' ich, trink' ich, kleid'
ich mich und lebe. Kanst du das für ein Leben halten, das von
einem so stinkenden Unterhalt abhängt? Geh, beßre dich, beßre dich!
Harlequin.
In der That, es stinkt in gewisser Maasse, Herr; aber doch, Herr,
wollt' ich beweisen können--
Herzog.
Was willt du beweisen? Du bist ein verstokter Bube. Führ ihn in
den Kerker, Commiß; Züchtigung und Unterricht müssen zugleich
würken, um ein so wildes Vieh zahm zu machen.
Ellbogen.
Er muß vor den Stadthalter, Herr; er ist gewarnet worden; der
Stadthalter kan einen H** Wirth nicht leiden. Wenn er ein H**
Wirth ist, und kommt vor den Stadthalter, so wär' es ihm eben so
gut, er wär' eine halbe Stunde weit von ihm.
Harlequin.
Hier kommt ein junger Herr von meinen guten Freunden.
Fünfte Scene.
(Lucio zu den Vorigen.)
Lucio.
Wie gehts, edler Pompey? Wie? in Cäsars Fesseln? Wirst du im
Triumph geführt? Wie? war keine von Pygmalions Statuen, die
kürzlich wieder zu einem Weib gemacht worden*, die man hätte dafür
beym Kopf kriegen können, daß sie die Hand in eine Tasche gestekt,
und eine Faust wieder herausgezogen? He! was sagst du zu dieser
neuen Methode? So gieng es nicht unter der lezten Regierung. Ha?
Was sagst du, Pflastertreter? wie gefällt dir diese neue Welt? Du
wanderst, däucht mich, ins Gefängniß?
{ed.-* Das ist: Die aus der Salivations-Cur gekommen. Warbürton.}
Harlequin.
Ihr habt's errathen, mein Herr.
Lucio.
Das läßt sich hören, Pompey, Glük zu; allenfalls kanst du sagen,
ich habe dich wegen einer Schuld dahin geschikt; oder warum--
Ellbogen.
Weil er ein H** Wirth ist, ein H** Wirth.
Lucio.
Gut, so sezt ihn immer ein; wenn das die Straffe ist die einem H**
Wirth gehört, so geht die Sache in ihrer Ordnung. Ein H** Wirth
ist er, das hat seine Richtigkeit, und das nicht erst von gestern
her; er ist ein gebohrner H** Wirth. Guten Abend, Pompey; mein
Compliment an das Gefängniß, Pompey; ihr werdet nun ein braver
Hausmann werden, Pompey, ihr werdet hübsch das Haus hüten.
Harlequin.
Ich hoffe Euer Gnaden werden Bürge für mich seyn.
Lucio.
Nein, wahrhaftig, das werd ich nicht, Pompey; es verlohnt sich der
Mühe nicht; ich will um die Verlängrung eurer Gefangenschaft bitten;
schikt ihr euch nicht geduldig drein, desto schlimmer für euch;
fahr wohl, ehrlicher Pompey. Guten Abend, Bruder!
Herzog.
Ebenfalls.
Lucio.
Mahlt sich Brigitte noch immer, Pompey? ha?
Ellbogen.
Fort euers Weges, Herr, fort.
Lucio.
Munter, Pompey, es muß schon seyn. Was giebts neues, Frater, was
Neues?
Ellbogen.
Fort, Herr, geht euers Weges.
Lucio.
Geh, in den Stall, Pompey, geh.
(Ellbogen, Harlequin und Bediente geben ab.)
Sechste Scene.
Lucio.
Was giebts neues, Frater, vom Herzog?
Herzog.
Ich weiß nichts; wißt ihr etwas?
Lucio.
Einige sagen, er sey bey dem Rußischen Kayser; andre, er sey in Rom;
aber wo meynt ihr, daß er ist?
Herzog.
Das weiß ich nicht, aber wo er auch seyn mag, wünsch' ich ihm Gutes.
Lucio.
Das war ein wunderlicher Einfall von ihm, sich aus dem Staat
wegzustehlen, und auf der Betteley herumzuziehen, die seines
Handwerks nicht ist. Der Herr Angelo hält indessen hübsch Haus, er
beunruhiget die Uebertretung, daß es nicht auszustehen ist.
Herzog.
Daran thut er wohl.
Lucio.
Ein wenig mehr Gelindigkeit gegen die Galanterie möchte nicht
schaden; in diesem Stük ist er ein wenig zu streng, Bruder.
Herzog.
Ein so verführisches Laster kan nur durch Strenge geheilt werden.
Lucio.
Frater, so lang essen und trinken nicht abgeschaft werden kan, wird
es unmöglich seyn, es ganz auszurotten. Man sagt, dieser Angelo
sey nicht durch den ordentlichen Weg der Natur von einem Mann und
einem Weib entstanden; ist es wahr, was däucht euch?
Herzog.
Wie soll er denn entstanden seyn?
Lucio.
Einige erzählen, eine Wassernixe habe ihn gebrutet; andre, er sey
von zwey Stokfischen gezeugt worden. Soviel ist gewiß, daß wenn er
das Wasser abschlägt, sein Urin gleich zu Eis gefriert; ich weiß
daß es wahr ist, und daß er zur Zeugung unfähig ist, daran ist auch
nicht zu zweifeln.
Herzog.
Ihr scherzet, mein Herr--
Lucio.
Zum Henker, was für eine Unbarmherzigkeit ist es von ihm, um der
Empörung eines H*s*nlazes willen einem ehrlichen Kerl das Leben zu
nehmen? Hätte der abwesende Herzog das gethan? Ehe er jemand, und
wenn es auch um hundert Bastarte willen gewesen wäre, hätte hängen
lassen, ehe hätte er für tausend das Kostgeld aus seinem Beutel
bezahlt. Er liebte das Spiel selbst ein wenig, und das machte ihn
gelinde.
Herzog.
Ich habe nie gehört, daß man den abwesenden Herzog mit Weibsleuten
im Verdacht gehabt hätte; seine Neigung gieng nicht dahin.
Lucio.
O mein Herr, ihr betrügt euch sehr.
Herzog.
Es ist nicht möglich.
Lucio.
Wie? der Herzog nicht? Das alte Mensch, das für euch bettelt,
könnte euch davon sagen; er warf ihr nicht umsonst allemal einen
Ducaten in ihre Büchse. Der Herzog hat seine Schliche. Er liebte
auch den Trunk, das könnt ihr mir glauben.
Herzog.
Gewißlich, ihr thut ihm unrecht.
Lucio.
Herr, ich war ein Vertrauter von ihm; ein schlauer Bursche ist der
Herzog, und ich glaube ich weiß warum er sich entfernt hat.
Herzog.
Ich bitte euch, was mag die Ursache seyn?
Lucio.
Um Vergebung, das ist ein Geheimniß, davon sich nicht reden läßt;
aber so viel kan ich euch zu verstehen geben; der gröste Theil
seiner Unterthanen hielt den Herzog für weise?
Herzog.
Weise? wie, es ist wohl keine Frage, ob er es war.
Lucio.
Ein sehr superficieller, unwissender, unbedächtlicher Geselle.
Herzog.
Entweder ist es Neid, oder Narrheit oder Irrthum daß ihr so redet.
Sein ganzes Leben, und alle seine öffentlichen Handlungen geben ihm
ein besseres Zeugniß; und der Neid selbst muß gestehen, daß er
gelehrt, ein Staatsmann und ein Soldat ist. Ihr sprecht also sehr
unbesonnen; oder wenn es nicht aus Mangel an Einsicht geschieht, so
verrathet ihr viel Bosheit.
Lucio.
Herr, ich kenn' ihn und ich lieb' ihn.
Herzog.
Ihr würdet ihn besser lieben wenn ihr in kenntet, und ihn besser
kennen wenn ihr ihn liebtet.
Lucio.
Gut, Herr, ich weiß was ich weiß.
Herzog.
Ich kan es schwerlich glauben, da ihr nicht wißt was ihr redet.
Wofern aber der Herzog wieder zurükkommt, so gestattet daß ich von
euch begehre, euch bey ihm zu verantworten. Habt ihr die Wahrheit
gesagt, so werdet ihr auch Herz haben, sie zu behaupten; meine
Schuldigkeit ist, euch dazu aufzufordern, und ich bitte euch
deßwegen um euern Namen.
Lucio.
Herr, mein Name ist Lucio, der Herzog kennt ihn wohl.
Herzog.
Er wird euch noch besser kennen lernen, wenn ich so lange lebe, ihm
Nachricht von euch geben zu können.
Lucio.
Ich fürchte euch nicht.
Herzog.
O! ihr hoft, der Herzog werde nicht wieder kommen, oder ihr bildet
euch ein ich sey ein Gegner, der euch nicht schaden könne; und in
der That, ich werde euch wenig schaden, denn ihr werdet alles was
ihr hier gesagt habt, wieder abschwören.
Lucio.
Erst will ich mich hängen lassen; du kennst mich nicht, Frater.
Doch nichts weiter hievon. Kanst du sagen, ob Claudio morgen
stirbt oder nicht?
Herzog.
Warum sollt' er sterben, mein Herr?
Lucio.
In der That ist es hart, einem darum den Kopf zu nehmen, weil er
die Hosen herunter gelassen hat; denn das ist doch zulezt alles,
was er gethan hat. Ich wollte, der Herzog von dem wir reden, wäre
wieder da; dieser unvermögende Statthalter wird das ganze Land
durch Enthaltsamkeit entvölkern. Er leidet nicht, daß die
Sperlinge in seinem Hause nisten, weil sie Liebhaber vom Paaren
sind. Der Herzog würde Dinge, die im Finstern geschehen, auch im
Finstern ausmachen; er würde sie gewiß nicht ans Licht ziehen. Ich
wollt' er wäre wieder da! Leb' wohl, mein guter Frater; ich bitte
um dein Gebet. Der Herzog, ich sag dir's noch einmal, macht sich
nichts daraus, an einem Freytag von einer Schöpskeule zu essen;
seine Zeit ist noch nicht vorbey; ich versichre dich, er würde eine
Bettlerin schnäbeln, wenn sie gleich nach schwarz Brot und
Knoblauch röche. Sag, ich hab' es gesagt, und gehab dich wohl.
(Lucio geht ab.)
Herzog.
Weder Macht noch Hoheit kan dem Tadel entgehen, und die hinterrüks
verwundende Verläumdung scheuet sich nicht, die weisseste Tugend
anzugeifern.
Siebende Scene.
(Escalus, Kerkermeister, Kupplerin, und Stadtbediente.)
Escalus.
Geht, führt sie ins Gefängniß.
Kupplerin.
Ach, Gnädiger Herr, schonet meiner; Euer Gnaden wird von jedermann
für einen so mitleidigen Herrn gehalten! Ach mein gütiger Herr!
Escalus.
Doppelt, dreyfach gewarnt werden, und doch immer in dem gleichen
Verbrechen fortzufahren--das könnte die Gnade selbst zum Tyrannen
machen.
Kerkermeister.
Eine H** Wirthin, die das Handwerk eilf ganzer Jahre hinter
einander treibt, mit Euer Gnaden Erlaubniß.
Kupplerin.
Gnädiger Herr, das geschieht alles auf Anstiften eines gewissen
Lucio; Jungfer Käthchen Legdich wurde schwanger von ihm, in des
Herzogs Zeiten; er versprach ihr die Ehe; sein Kind ist auf
nächsten Philippi und Jacobi fünf Virtheil Jahr alt; ich hab es
selbst unterhalten, und das ist nun der Dank den er mir davor giebt.
Escalus.
Dieser Lucio ist ein sehr ausgelassener Bursche; laßt ihn vor uns
ruffen. Weg mit ihr ins Gefängniß; fort, fort, keine Worte mehr.
(Sie gehen mit der Kupplerin ab.)
Kerkermeister, mein Bruder Angelo läßt sich nicht überreden;
Claudio muß morgen sterben, versorget ihn mit Geistlichen, und mit
allem was er zu seiner Vorbereitung nöthig hat. Wenn mein
Mitleiden ihm etwas helfen könnte, sollte es nicht so seyn.
Kerkermeister.
Dieser Franciscaner ist bey ihm gewesen, und hat ihn zum Tod
vorbereitet.
Escalus.
Guten Abend, Vater.
Herzog.
Heil und Segen sey mit euch!
Escalus.
Woher seyd ihr?
Herzog.
Nicht aus diesem Land, ob es mich gleich getroffen hat, eine
Zeitlang mich darinn aufzuhalten; ich bin ein Bruder aus einem
gesegneten Orden, und vor kurzem mit einem besondern Auftrag von
seiner Heiligkeit über das Meer gekommen.
Escalus.
Was giebt es Neues in der Welt?
Herzog.
Nichts, als eine Neuigkeit die so alt ist als die Welt, und die
doch die Neuigkeit jedes Tages ist, daß die Tugend siech und das
Laster munter, und daß es leichter ist, das Böse zu strafen als
selbst unverwerflich zu seyn. Ich bitte euch, mein Herr, von was
für einer Denkungsart war der Herzog?
Escalus.
Von einer, die sich nichts angelegner seyn läßt, als sich selbst zu
kennen.
Herzog.
Was für einem Vergnügen war er ergeben?
Escalus.
Wenn er sich über etwas freute, so war es mehr über die Freude
andrer Leute, als daß er an irgend etwas, das ihn belustigen wollte,
eine sonderliche Lust gehabt hätte. Doch wir wollen ihn seinen
Geschäften überlassen, und nur bitten, daß sie glüklich seyn mögen;
erlaubet mir euch zu fragen, wie findet ihr den Claudio
vorbereitet? Ich höre, daß ihr ihn besucht habt.
Herzog.
Er bekennt, daß ihm sein Richter nicht zuviel gethan habe, und
ergiebt sich mit gelaßner Demuth in den Willen der Gerechtigkeit;
doch hat er Schwachheit genug gehabt, sich allerley betrügliche
Hoffnungen zum Leben zu machen, die ich ihm aber so benommen habe,
daß er izt entschlossen ist zu sterben.
Escalus.
Ihr habt gegen den Himmel und den Gefangnen die Pflichten euers
Berufs erfüllt. Ich habe mir für den armen Edelmann so viel Mühe
gegeben, als es die Bescheidenheit zuließ; allein ich habe meinen
Collegen Angelo so strenge gefunden, daß er mich genöthiget hat ihm
zu sagen, er sey in der That die Gerechtigkeit selbst.
Herzog.
Wenn sein eignes Leben mit der Strenge seines Richter-Amts
übereinstimmt, wird es ihm wohl bekommen; wo nicht, so hat er sich
selbst das Urtheil gesprochen.
Escalus.
Ich gehe den Gefangnen zu besuchen; lebet wohl.
(Er geht ab.)
Achte Scene.
(Der Herzog allein.)
Herzog.
Wer das Schwerdt des Himmels tragen will, soll eben so heilig und
unverwerflich seyn als er streng ist. Schaam über den, dessen
tyrannische Hand die Verbrechen an andern bestraft, die er sich
selbst nachsieht; dreyfache Schaam über Angelo, der andrer Laster
ausreutet, und die seinigen wachsen läßt. O! was für Unrath kan
in einem Menschen verborgen seyn, wenn er von aussen gleich ein
Engel scheint! Wie leicht ist's dem Laster, unter dieser Gestalt,
die Welt und die Zeit selbst zu betrügen, und mit schwachen
Spinnenfaden die gewichtigsten Dinge, Reichthum, Macht und Ehre, an
sich zu ziehen. Ich muß List gegen Laster gebrauchen. Diese Nacht
soll seine ehmalige verlaßne und verschmähte Braut bey dem Angelo
ligen, um durch einen unschuldigen Betrug die keusche Unschuld zu
befreyen, und einen alten Eheverspruch gültig zu machen.
Vierter Aufzug.
Erste Scene.
(Eine Scheuer.)
(Mariane und ein kleiner Knabe treten singend auf.
Der Herzog als ein Franciscaner-Mönch kommt dazu.)
Mariane.
Hör auf zu singen, und begieb dich eilends hinweg. Hier kommt ein
Mann des Trostes, dessen Zuspruch schon oft meinen murrenden Kummer
gestillet hat--
(Zum Herzog.)
Ich bitte euch um Vergebung, mein ehrwürdiger Herr, und wünschte,
daß ihr mich hier nicht so musicalisch angetroffen hättet;
entschuldiget mich und glaubet mir, diese erzwungne Frölichkeit ist
nur ein schwaches Lindrungsmittel meines Schmerzens.
Herzog.
Es ist gut; obgleich die Musik oft eine so zaubrische Kraft hat,
daß sie das Böse gut und das Gute böse machen kan. Ich bitte euch,
hat niemand hier nach mir gefragt; es wird schon über die Zeit seyn,
da ich versprochen habe, mit jemand an diesem Orte zusammen zu
kommen.
Mariane.
Es hat niemand bey mir nach euch gefragt, ob ich gleich den ganzen
Tag hier gesessen bin. (Isabella kommt.)
Herzog.
Ich glaube euch in allen Sachen;--Die Zeit ist gekommen, eben izt--
Ich muß euch um ein wenig Geduld bitten; ich werde euch sogleich
wieder zurük rufen, um von einer Sache mit euch zu sprechen, die zu
euerm Besten abgezielt ist.
Mariane.
Ich werde euern Befehl erwarten.
(Sie geht ab.)
Zweyte Scene.
Herzog.
Willkommen, Isabella, ihr haltet euer Wort genau; was giebt es
Neues von dem ehrlichen Stadthalter?
Isabella.
Er hat einen Garten, der mit einer Mauer von Ziegelsteinen
eingeschlossen ist, und an der West-Seite an einen Weinberg stößt;
hier ist der Schlüssel, der das Thor in diesen Weinberg aufschließt;
und hier ein andrer, der eine kleine Thür öffnet, die aus dem
Weinberg in den Garten führt. Hier habe ich versprochen, in der
finstern Mitternacht ihm einen Besuch zu geben.
Herzog.
Aber seyd ihr auch gewiß, den Weg zu finden?
Isabella.
Er hat mir denselben mit einer so grossen Sorgfalt zu wiederholten
malen gezeigt, daß ich ihn ganz genau angeben kan.
Herzog.
Sind keine andre Verabredungen zwischen euch genommen worden, die
das Frauenzimmer wissen muß, das eure Stelle vertreten wird?
Isabella.
Keine andre, als daß die Zusammenkunft im Finstern geschehen soll;
und daß ich ihm beygebracht, mein Aufenthalt könne nur sehr kurz
seyn, indem ich mit einer Magd kommen werde, die, in der Meynung,
daß ich eine heimliche Zusammenkunft mit meinem Bruder habe, auf
mich warten solle.
Herzog.
Das ist wohl ausgesonnen. Aber ich habe Marianen noch kein Wort
von der Sache entdekt. Ha! kommt heraus, wenn es euch beliebt!
Dritte Scene.
(Mariane zu den Vorigen.)
Herzog (zu Isabella.)
Ich bitte euch, macht Bekanntschaft mit diesem jungen Frauenzimmer;
sie kommt, euch Gutes zu thun.
Isabella.
Ich wünsche, daß es zu ihrem eignen Besten ausschlage.
Herzog (zu Mariane.)
Seyd ihr überzeugt, daß ich euch hoch schäze?
Mariane.
Mein gütiger Vater, ich bin vollkommen überzeugt, und habe Proben
davon.
Herzog.
So nehmt dann diese eure Freundin bey der Hand, und höret die
Geschichte, die sie euch zu erzählen hat; ich will hier auf eure
Zurükkunft warten; aber beschleuniget euch; die Nacht bricht an.
(Mariane und Isabella gehen ab.)
Herzog (allein.)
* O Macht und Grösse. Millionen falscher Augen sind auf dich
geheftet; ganze Bände voll unächter und widersprechender
Nachrichten verfälschen deine Thaten; und tausend halbkluge
Wizlinge machen dich zum Vater ihrer müssigen Träume, und foltern
dich in ihrer Einbildung--Willkommen! Wie versteht ihr euch mit
einander?
{ed.-* Diese Rede, die augenscheinlicher Weise keinen
begreiflichen Zusammenhang mit dem Inhalt dieser Scene hat, gehört,
nach des Dr. Warbürtons Meynung, zum Schluß der Scene zwischen
Lucio und dem Herzog in dem vorigen Aufzug; und ist, wie er glaubt,
von den Schauspielern, die es nicht so genau zu nehmen pflegen,
hieher versezt worden, damit der Herzog in der Abwesenheit der
beyden Damen keine lange Weile habe.}
Vierte Scene.
(Mariane und Isabella kommen zurük.)
Isabella.
Sie will die Verrichtung auf sich nehmen, wenn ihr nichts dawider
einzuwenden habt, Vater.
Herzog.
Ich gebe nicht nur meine Einwilligung, sondern ich bitte euch darum.
Isabella.
Wenn ihr euch wieder wegbegebet, so braucht ihr ihm nichts zu sagen,
als mit leiser Stimme: ("Erinnert euch nun meines Bruders.")
Mariane.
Seyd unbekümmert--
Herzog.
Auch seyd ihr es nicht um euer selbst willen, meine liebe Tochter.
Ein gültiger Eheverspruch macht ihn zu euerm Gemahl, und es ist
also keine Sünde euch so zusammen zu bringen, indem die
Gerechtigkeit euers Anspruchs an ihn den Betrug unschuldig macht.
Kommt, laßt uns gehen; wir haben das wichtigste noch vor uns.
(Sie gehen ab.)
Fünfte Scene.
(Das Gefängniß.)
(Der Kerkermeister und Harlequin.)
Kerkermeister.
Hieher, Bursche, könnt ihr einem Mann den Kopf abschlagen?
Harlequin.
Wenn der Mann ein Junggeselle ist, Herr, so kan ich's; wenn er aber
ein Ehemann ist, so ist er seines Weibes Haupt; und ich kan
unmöglich einem Weibsbild den Kopf abschlagen.*
{ed.-* Der Spaß ligt hier in einem Wortspiel, das
sich nicht übersezen läßt.}
Kerkermeister.
Laßt eure Schäkereyen, Herr, und gebt mir eine gescheidte Antwort.
Morgen früh sollen Claudio und Bernardin sterben; wir haben hier in
diesem Gefängniß einen öffentlichen Scharfrichter, der einen
Gehülfen nöthig hat; wenn ihr euch entschliessen wollt, dieser
Gehülfe zu seyn, so wird es euch von euern Fesseln frey machen; wo
nicht, so macht euch gefaßt eure volle Zeit im Gefängniß
auszuhalten, und bey eurer Entlassung eine unbarmherzige Tracht
Prügel mit auf den Weg zu bekommen; denn ihr wißt, daß ihr ein
stadtkündiger H** Wirth gewesen seyd.
Harlequin.
Herr, ich bin ein unehrlicher H** Wirth gewesen; doch, das ist nun
vorbey, und man redt nicht gerne davon; ich bin es zufrieden, nun
ein ehrlicher Henker zu werden; es wird mir ein Vergnügen seyn,
einigen Unterricht von meinem Herrn Collegen zu erhalten.
Kerkermeister.
Holla, Abhorson! Wo ist Abhorson? (Abhorson kommt.)
Abhorson.
Ruft ihr mir, mein Herr?
Kerkermeister.
Hier ist ein Kerl, der euch morgen bey Hinrichtung der
Verurtheilten helfen will; wenn ihr es gut findet, so vergleicht
euch mit ihm für ein Jahr, und behaltet ihn hier bey euch; wo nicht,
so braucht ihn für diesesmal, und laßt ihn wieder seines Weges
gehen. Er kan sich nicht beschweren, daß er mit euch in die
gleiche Linie gestellt wird; er ist ein H** Wirth gewesen.
Abhorson.
Ein H** Wirth, mein Herr? Pfui, er wird unsre Kunst in einen bösen
Ruf bringen.
Kerkermeister.
Geht, geht, und macht euch keinen Scrupel; ihr wägt gleich viel;
eine Feder würde die Wagschalen verrüken.
(Er geht ab.)
Harlequin (zu Abhorson.)
Ich bitte euch, mein Herr, mit eurer Erlaubniß, nennt ihr eure
Beschäftigung eine Kunst?
Abhorson.
Ja, Herr, eine Kunst.
Harlequin.
Mahlen, Herr, hab ich sagen gehört, ist eine Kunst, und da eure H**,
welche sich sehr gut auf das Mahlen verstehen, Mitglieder meiner
Zunft sind, so ist also bewiesen, daß meine Beschäftigung eine
Kunst ist; aber was für eine Kunst--im Hängen seyn sollte, wenn ich
gehenkt würde, kan ich mir nicht vorstellen--
** (Der Kerkermeister kommt zurük.)
{ed.-** Hier ist, nach Herrn Warbürtons Anmerkung, eine ziemliche
Lüke im Original, welche auch die zwey Reden, die noch übrig sind,
ganz unverständlich macht. Es verlohnt sich der Mühe nicht, diese
Scene ergänzen zu wollen, da sie selbst nach Warbürtons darauf
übelangewandter Arbeit ein abgeschmaktes Gewebe von albernen
Wortspielen bleibt.}
Kerkermeister.
Seyd ihr mit einander übereingekommen?
Harlequin.
Herr, ich bin entschlossen, sein Knecht zu seyn; denn es däucht
mich, ein Henker zu seyn ist ein bußfertigeres Gewerbe als ein H**
Wirth zu seyn; er bittet öfter um Verzeihung.
Kerkermeister.
Macht euern Blok und euer Beil zu rechte, bis morgen um vier Uhr.
Abhorson.
Komme mit, H**bube, ich will dir zeigen wie du dich zu deinem neuen
Handwerk anschiken must; folge mir.
Harlequin.
Ich bin sehr lehrbegierig, Herr; und ich hoffe, wenn ihr etwann
Gelegenheit bekommen solltet, mich für euch selbst zu gebrauchen,
ihr werdet mich eifrig finden; Eure Gewogenheit für mich verdient
wahrhaftig keine geringere Dankbarkeit von meiner Seiten.
(Sie gehen ab.)
Kerkermeister.
Ruft Claudio und Bernardin hieher; mit dem einen hab' ich Mitleiden;
mit dem andren, der ein Mörder ist, nicht ein Jot, und wenn er
mein Bruder wäre.
Sechste Scene.
(Claudio kommt herein.)
Kerkermeister.
Siehe hier, Claudio, dein Todesurtheil; es ist izt Mitternacht, und
bis morgen um acht Uhr must du unsterblich gemacht werden. Wo ist
Bernardin?
Claudio.
So stark vom Schlaf gefesselt als ob er unschuldig wäre, und nichts
zu befürchten hätte. Er wird nicht aufzuweken seyn.
Kerkermeister.
Und was würd' es ihm auch helfen; er ist ein verhärteter Bube--Gut,
begebt euch wieder weg und bereitet euch.
(Claudio geht ab.)
Still! was für ein Getöse ist das?--der Himmel stärke euch!--Ich
komme--Hoffentlich ist es Begnadigung, oder doch einiger Aufschub
für den wakern Claudio--Willkommen, Vater. (Der Herzog kommt
herein.)
Herzog.
Die besten und heilsamsten Geister der Nacht steigen auf euch herab,
wakrer Kerkermeister! Wer klopfte seit einiger Zeit hier an?
Kerkermeister.
Niemand, seitdem die Nachtgloke geläutet worden.
Herzog.
Nicht Isabella?
Kerkermeister.
Nein.
Herzog.
So wird sie doch nicht lange mehr ausbleiben.
Kerkermeister.
Was für Hoffnung haben wir für den Claudio?
Herzog.
Es ist noch nicht alle verlohren.
Kerkermeister.
Der Statthalter ist ein harter Mann.
Herzog.
Nicht so, nicht so; sein Leben lauft mit seiner strengen
Gerechtigkeit in gleicher Linie: Mit der Enthaltung eines Heiligen
bezwingt er den Trieb in ihm selbst, dessen Ausschweiffungen sein
Amt an andern strafen muß. Ja, dann wenn er selbst ausübte, was er
an andern straft, dann wär' er tyrannisch; aber so wie er ist, ist
er gerecht--Nun kommen sie.
(Man hört an der Thüre klopfen. Der Kerkermeister geht hinaus.)
Dieser Kerkermeister ist ein wakrer Mann; es ist etwas seltnes an
einem Mann von seinem Beruf, ein Menschenfreund zu seyn. Aber was
giebts? Was für ein Getöse? Das muß ein hastiger Geist seyn, der
so ungestüm an der Thüre pocht. (Der Kerkermeister kommt zurük.)
Kerkermeister.
Er kan warten, bis der Wächter wieder kommt, der ihn hineinführen
soll; er ist abgeruffen worden.
Herzog.
Habt ihr noch keinen Gegenbefehl wegen des Claudio? Muß er morgen
sterben?
Kerkermeister.
Keinen, ehrwürdiger Herr, keinen.
Herzog.
Es fängt schon an zu dämmern, Kerkermeister; ihr werdet, eh es
Morgen seyn wird, mehr hören.
Kerkermeister.
Wie glüklich wär's, wenn ihr etwas wißtet; aber ich fürchte, es
kommt kein Gegenbefehl; wir haben kein solch Exempel; und zudem, so
hat der Stadthalter, auf dem Thron der Gerechtigkeit selbst, und
vor den Ohren des ganzen Volks das Gegentheil versichert.
Siebende Scene.
(Ein Bote zu den Vorigen.)
Herzog.
Dieses ist einer von Sr. Gnaden Bedienten.
Kerkermeister.
Und hier kommt Claudios Begnadigung.
Bote.
Mein Gnädiger Herr überschikt euch diesen schriftlichen Befehl, und
durch mich diesen mündlichen Zusaz, daß ihr nicht von dem kleinsten
Theil desselben abweichen sollt, weder was die Zeit, noch die
andern Umstände betrift. Guten Morgen, denn ich denke, es ist
beynahe Tag.
Kerkermeister.
Ich werde gehorchen.
(Der Bote geht.)
Herzog (für sich.)
Diß ist seine Begnadigung; Angelo findet billig eine Sünde zu
vergeben die er selbst begeht--Nun, mein Herr, was habt ihr Neues?
Kerkermeister.
Was ich euch sagte; Angelo, der mich vermuthlich für nachläßig in
meinem Dienst ansieht, erwekt mich durch dieses ungewöhnliche
Betreiben; ich begreiffe nicht was es zu bedeuten hat; denn er hat
es noch niemals so gemacht.
Herzog.
Ich bitte euch, laßt mich's hören.
Der Kerkermeister (lißt den Befehl.)
"Alles was ihr auch diesem meinem Befehl widersprechendes hören
möget, ungeachtet, lasset den Claudio morgen um vier Uhr hinrichten,
und des Nachmittags den Bernardin; und zu meiner bessern
Versicherung sorget dafür, daß mir der Kopf des Claudio um fünf Uhr
zugeschikt werde. Laßt dieses gehörig vollzogen werden, und
beobachtet hierinn eine noch grössere Sorgfalt als wir euch
anbefohlen. Eure eigne Gefahr soll uns für die Ausübung eurer
Pflicht Bürge seyn." Was sagt ihr hiezu, mein Herr?