William Shakespear

Das Leben und der Tod des Königs Lear
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Gloster.
Edmund, diese unnatürliche Begegnung gefällt mir gar nicht.  Wie
ich sie um Erlaubniß bat, Mitleiden mit ihm zu haben, so nahmen sie
mir den Gebrauch meines eigenen Hauses, und verboten mir bey
Straffe einer ewigen Ungnade, weder mit ihm zu reden, noch für ihn
zu bitten, noch ihn auf irgend eine Weise zu unterstüzen.

Edmund.
Das ist ja ganz barbarisch und unnatürlich.

Gloster.
Geht hinein, aber sagt nichts.  Es ist Zwiespalt zwischen den
Herzogen, und noch etwas schlimmers als das; ich habe diese Nacht
einen Brief bekommen, es ist gefährlich davon zu reden, (ich habe
den Brief in mein Cabinet verschlossen.) Diese Beleidigungen die
der König duldet, werden gerochen werden; es ist schon ein Theil
der Macht auf den Beinen; wir müssen uns zum Könige schlagen; ich
will zu ihm sehen, und ihm heimlich Beystand thun; geht ihr, und
unterhaltet ein Gespräch mit dem Herzog, damit er nicht merke was
ich für den König thun werde; wenn er nach mir fragt, so bin ich
nicht wohl und zu Bette gegangen.  Und wenn ich deßhalb sterben
müßte, (wie mir dann nicht weniger gedräut ist,) so muß der König,
mein alter Herr Hülfe haben.  Es sind wunderliche Dinge auf dem
Tapet, Edmund, ich bitte euch, geht und seyd sorgfältig.

(Geht ab.)

Edmund (allein.)
Diese Großmuth soll mit deiner Erlaubniß der Herzog diesen
Augenblik erfahren, und den Brief dazu.  Das hat das Ansehen eines
wichtigen Verdiensts, und muß mir geben was mein Vater verliehrt;
nicht weniger als Alles.  Der Jüngere steigt, wenn der Alte fällt.

(Geht ab.)



Fünfter Auftritt.
(Die Scene verwandelt sich in einen Theil der Heyde mit einer
 Hütte.)
(Lear, Kent und Narr.)


Kent.
Hier ist der Ort, Mylord; mein gütiger Lord, gehet hinein.  Es ist
der Natur unmöglich, die Strenge dieser Nacht im freyen Feld
auszuhalten.

Lear.
Laßt mich allein.

Kent.
Mein gütiger Lord, gehet doch hinein.

Lear.
Wird es mein Herz brechen?

Kent.
Ich wollte lieber mein eignes brechen; ich bitte euch, Mylord,
kommet herein.

Lear.
Du denkst es sey zuviel, daß dieser wüthende Sturm uns bis auf die
Haut anfällt; für dich ist es so; aber wenn ein grösserer Schmerz
tobet, wird der geringere kaum gefühlt.  Du würdest dich vor einem
Bären entsezen; wenn aber deine Flucht gegen das heulende Meer läge,
würdest du dem Bären in den Rachen lauffen.  Wenn das Gemüth frey
ist, so ist der Leib zärtlich; der Sturm in meinem Gemüth nimmt
meinen Sinnen alles andre Gefühl, als was hier schlägt.

(Er zeigt auf sein Herz.)

Kindliche Undankbarkeit!  Ist es nicht als ob dieser Mund diese
Hand zerreissen wollte, weil sie ihm Speise gereicht habe?--Doch
ich will sie abstraffen; Nein, ich will nicht mehr weinen--In einer
solchen Nacht mich auszustossen--Schütte nur zu, ich will es leiden,
--In einer Nacht wie diese?  O Regan, Gonerill, euern alten guten
Vater, dessen ehrliches Herz alles gab--O auf diesem Wege ligt
Wahnwiz; ich muß ihn ausweichen--Nichts mehr hievon--

Kent.
Mein gütiger Lord, gehet doch hinein.

Lear.
Ich bitte dich, geh du selbst hinein, sieh wie du dir helfen kanst,--
dieser Sturm will mir nicht erlauben an Dinge zu denken, die mich
noch stärker angreiffen würden.--Aber ich will hinein gehen--hinein,
Junge, geh zuerst.  Ihr Dürftigen, die ihr izt ohne Dach seyd--Nun,
geh doch hinein; ich will beten und dann will ich schlafen--Arme
nakende Unglükselige, wo ihr auch seyd, der Wuth dieses
unbarmherzigen Sturms ausgesezt!  Wie sollen eure unbedekten
Häupter, und ausgehungerten Seiten, eure zerlumpte, durchlöcherte
Blösse euch gegen ein Wetter wie dieses ist schüzen?--O! ich habe
zu wenig hieran gedacht!--Nimm Arzney ein, Pracht!--Seze dich in
die Umstände zu fühlen was diese Elenden fühlen, damit du ihnen
deinen Überfluß zuwerffest, und die Gerechtigkeit des Himmels
gerettet werde.

Edgar (in der Hütte.)
Einen Faden und einen halben!  Einen Faden und einen halben!  Armer
Tom!

Narr (indem er aus der Hütte herausläuft.)
Geh nicht hinein, Nonkel, es ist ein Geist drinn; Hülfe, Hülfe!

Kent.
Gieb mir deine Hand; was ists?

Narr.
Ein Geist, ein Geist!  er sagt, er heisse der arme Tom.

Kent.
Wer bist du, der hier im Stroh winselt?  Hervor!



Sechster Auftritt.
(Die vorigen, Edgar in einen tollen Menschen verkleidet.)


Edgar.
Aus dem Wege, der böse Feind folgt mir.  Durch den scharfen Hagdorn
bläßt der kalte Wind.  Hans, geh in dein Bett und wärme dich.

Lear.
Gabst du deinen Töchtern Alles, daß du in diesen Zustand gekommen
bist?

Edgar.
Wer giebt dem armen Tom etwas?  den der böse Feind durch Feuer und
Flammen, durch Furthen und Strudel, durch Sumpf und Pfuhl geführt
hat; der Messer unter sein Küssen und Strike unter seinen Siz
gelegt hat; der Mäusgift in seine Suppe gethan, und ihn übermüthig
gemacht hat, auf einem braunrothen Gaul zu trotten, über vier
zollbreite Brüken seinem eignen Schatten als einem Verräther
nachzujagen--Gott behüte deine fünf Sinnen; Tom friert.  O da, di,
da, di, da, di,--Gott behüte dich vor Wirbel-Winden, bösen Sternen
und Gefangenschaft; gebt dem armen Tom etwas Almosen, den der böse
Feind plagt--Hier möcht ich ihn izt haben, und da, und wieder hier
und dort.

Lear.
Wie?  Haben seine Töchter ihn dahin gebrach t?  Konntest du nichts
davon bringen?  gabst du ihnen Alles?

Narr.
Nein, er behielt sich eine Windel vor, sonst wären wir alle
beschämt worden.

Lear.
Nun, alle die rächenden Plagen, die in der schwebenden Luft über
den menschlichen Übelthaten hangen, blizen auf deine Töchter!

Kent.
Er hat keine Töchter, Mylord.

Lear.
Tod!  Verräther, nichts könnte die Natur zu einer solchen
Erniedrigung heruntergebracht haben, als undankbare Töchter.  Ist
es erhört, daß ausgetriebene Väter so wenig Erbarmung gegen ihr
eigen Fleisch tragen sollten?  Wohlausgesonnene Straffe!  Dieses
Fleisch war es, das diese Pelican-Töchter zeugte.

Edgar.
Pillicok saß auf Pillicoks Stein; holla, holla, la, la!

Narr.
Diese kalte Nacht wird uns noch alle zu Narren und Wahnwizigen
machen.

Edgar.
Hüte dich vor dem bösen Feind, gehorche deinen Eltern, halte dein
Versprechen, fluche nicht, halte nicht zu mit eines andern
geschwornen Weibe, seze dein Herz nicht auf Pracht und Üppigkeit.
Tom friert!

Lear.
Wer bist du gewesen?

Edgar.
Ein Sclave, stolz von Herz und Sinn, der sein Haar kräuselte,
Handschuh auf dem Hut trug, der bösen Lust seiner Buhlschaft
frohnte, und das Werk der Finsterniß mit ihr trieb; so viel Schwüre
that, als Worte aussprach, und sie vor dem milden Antliz des
Himmels brach.  Einer der in unzüchtigen Gedanken einschlief, und
erwachte um sie auszuüben; den Wein liebt' ich tief, die Karten
früh, und bey den Weibern übertraf ich den Türken.  Falsch von
Herzen, leicht von Ohr, blutig von Hand, ein Schwein an
Unreinigkeit, ein Fuchs an Schelmerey, ein Wolf an Gefrässigkeit,
ein Hund an Tollheit, und ein Löwe an Räuberey.  Laß nicht das
Knarren der Schuhe, und das Rauschen der Seide dein armes Herz an
Weibsbilder verrathen.  Halt deinen Fuß zurük von Hurenhäusern,
deine Hand von Unterröken, deine Feder von den Zins-Büchern der
Wucherer, und troze dem bösen Feind.  Immer bläßt durch den Hagdorn
der kalte Wind; sagt, Sum, Mun, Nonny, Delphin, mein Junge, Junge,
Sessey, laß ihn antraben.

(Der Sturm daurt immer fort.)

Lear.
Besser du wärst in deinem Grab, als deinen unbedekten Kopf diesem
Unwetter entgegen zu stellen.--Ist der Mensch nichts mehr als das?
Betracht ihn recht!  Du bist dem Wurm keine Seide schuldig, den
wilden Thieren keinen Pelz, dem Schaafe keine Wolle, der Bisam-Kaze
keinen guten Geruch.  Ha!  hier sind drey von uns solche Sophisten;
du bist das Ding selbst.  Der unaufgeschmükte Mensch ist nichts
mehr als ein solch armes, naktes, gabelförmiges Thier wie du bist.
Weg, weg, du geborgter Plunder, kommt, knöpft mich auf--

(Er reißt seine Kleider auf.)

Narr.
Ich bitte dich, Nonkel, sey ruhig; es ist keine hübsche Nacht zum
Schwimmen.  Ein kleines Feuer in einem Wald wäre izt gerade wie
eines alten Hurenjägers Herz, ein Fünkchen, und der ganze übrige
Leib kalt; sieh, hier kömmt ein feuriger Mann.

Edgar.
Es ist der böse Flibbertigibbet, er fängt an wenn die Nachtgloke
geläutet wird, und geht bis der Hahn kräht; er verursachet den
Staar, macht schielende Augen, und Hasen-Scharten, milthaut den
weissen Weizen, und stoßt die armen Geschöpfe auf der Erde.  Sanct
Withold u.s.w.*

{ed.-* Hier singt Edgar im Original etliche altenglische Reime,
davon ungefehr der Inhalt, daß Sanct Withold indem er bey Nacht
herumgespaziert, die Nachtfrau (Night-Mare) angetroffen, und
genöthiget habe, die Leute welche sie im Schlaf zu drüken pflegt,
in Ruhe zu lassen.  Diese Begebenheit ist aus der Legende dieses
Heiligen genommen, der deswegen als ein Schuzpatron wider den Alp
angeruffen zu werden verdiente, so wie diese Reime als eine Art
von Beschwörung wider die vermeynte Nachtfrau von dem gemeinen
Volke gebraucht wurden.



Siebender Auftritt.
(Gloster kömmt mit einer Fakel.)


Lear.
Wer ist der?

Kent.
Wer ist hier?  was sucht ihr?

Gloster.
Wer seyd ihr selbst?  wie heißt ihr?

Edgar.
Der arme Tom, der den schwimmenden Frosch ißt, die Kröte, die Mauer-
Eidexe, und die Wasser-Eidexe, der in der Wuth seines Herzens, wenn
der böse Feind raset, Kühfladen für Salat ißt, alte Razen und todte
Hunde verschlukt, und den grünen Mantel des stehenden Sumpfes
trinkt, der von Haus zu Haus gepeitscht, in den Stok gesezt und
eingesperrt wird; der drey Kleider für seinen Rüken gehabt hat,
sechs Hemder für seinen Leib, ein Pferd zum reiten, und einen Degen
zum tragen;

Aber Razen und Mäuse und solche Waar,
Sind nun Tom's Speise seit sieben Jahr.

Gloster.
Wie, hat Eure Hoheit keine bessere Gesellschaft?

Edgar.
Der Fürst der Finsterniß ist ein Edelmann; er heißt Modo und Mahu.

Gloster.
Unser Fleisch und Blut, Mylord, ist so sehr verdorben, daß es die
hasset, die es gezeugt haben.

Edgar.
Tom friert!

Gloster.
Kommet mit mir, Mylord; meine Treue kan mir nicht zulassen, eurer
Töchter grausamen Befehlen in allem zu gehorchen.  Ob sie mir
gleich eingeschärft haben, meine Thüren zu verrigeln, und euch der
Willkuhr dieser tyrannischen Nacht zu überlassen, so hab ich es
doch gewagt euch aufzusuchen, um euch an einen Ort zu bringen, wo
Feuer und etwas zu essen bereit ist.

Lear.
Zuerst laßt mich mit diesem Philosophen reden; was ist die Ursache
vom Donner?

Kent.
Mein gütiger Lord, nehmet sein Erbieten an, geht in das Haus.

Lear.
Ich will ein Wort mit diesem gelehrten Thebaner hier reden: Was ist
euer Studium?

Edgar.
Dem bösen Feind auszuweichen, und Ungeziefer zu tödten.

Lear.
Laßt uns euch ein Wort in Geheim fragen.

Kent.
Sezt ihm stärker zu mit euch zu gehen, Mylord; sein Verstand fängt
an in Unordnung zu kommen.

Gloster.
Kanst du ihn tadeln?  Seine Töchter suchen seinen Tod.--Ach!  der
gute Kent!  Er sagte, so würd' es gehen; der arme verbannte Mann!
Du sagst, der König wird wahnsinnig; ich kan dir sagen, Freund, ich
bin selbst wahnsinnig; ich hatte einen Sohn, (denn izt ist er aus
meinem Herzen verbannet) er stand mir nach dem Leben, erst kürzlich,
ganz neuerlich; ich liebte ihn, Freund, kein Vater hat jemals
seinen Sohn mehr geliebt; dir die Wahrheit zu sagen, der Schmerz
hat meinen Verstand angegriffen.  Was für eine Nacht ist diß!--

(zu Lear.)

Ich bitte eure Hoheit--

Lear.
O, ich bitte euch um Vergebung, Sir.

(zu Edgar)

Edler Philosoph, eure Gesellschaft.

Edgar.
Tom friert.

Gloster.
Hinein, Bursche, in die Hütte; wärme dich.

Lear.
Kommt, wir wollen alle hinein.

Kent.
Diesen Weg, Mylord.

Lear.
Mit ihm; ich will immer bey meinem Philosophen bleiben.

Kent (zu Gloster.)
Mein gütiger Lord, seyd ihm zu Willen, laßt ihn den Burschen
mitnehmen.

Gloster.
Nehmt ihr ihn mit.

Kent.
Komm mit, Bursche, mit uns.

Lear.
Komm, du guter Athenienser.

Gloster.
Keine Worte, keine Worte, husch!

Edgar.
Kind Roland kam zum finstern Thurm etc.*

{ed.-* Der Name (Infant) wurde in den alten ritterlichen Zeiten denen
jungen Leuten von Stande gegeben, eh sie zu würklichen Rittern
geschlagen wurden.  Das was Edgar hier sagt, ist vermuthlich der
Anfang einer ins alte Englische übersezten Romanze, wo der
Übersezer das Wort (Infant) durch Kind gegeben.}

(Sie gehen ab.)



Achter Auftritt.
(Die Scene verwandelt sich in Glosters Schloß.)
(Cornwall.  Edmund.)


Cornwall.
Ich will Rache haben, eh ich dieses Haus verlasse.

Edmund.
Ich darf kaum daran denken, Mylord, was man urtheilen wird, daß ich
die Natur der Treue gegen euch Plaz machen heisse.

Cornwall.
Nun merke ich, daß es nicht bloß euers Bruders schlimme Gemüthsart
war, was ihn seinen Tod suchen machte.--Es war vielleicht ein zur
Rache gereiztes Verdienst, welches nicht ausstehen konnte, von
einem niederträchtigen Vater vernachlässigst zu werden.

Edmund.
Wie unglüklich ist mein Stern, daß ich bereuen muß gerecht zu seyn.
Hier ist der Brief, wovon er mir sagte; er entdekt ihn als einen
heimlichen Anhänger der Französischen Parthey.  O Himmel!  möchte
entweder diese Verrätherey nicht seyn, oder ich nicht der Entdeker!

Cornwall.
Folget mir zu der Herzogin.

Edmund.
Wenn der Inhalt dieses Papiers wahr ist, so habt ihr sehr viel zu
thun.

Cornwall.
Er mag wahr oder falsch seyn, so hat er dich zum Grafen von Gloster
gemacht.  Suche deinen Vater auf, damit seine Bestraffung vollzogen
werden könne.

Edmund (vor sich.)
Wenn ich finde daß er dem König Vorschub thut, so wird der Verdacht
desto stärker--

(laut.)

Ich will fortfahren euch die Treue zu beweisen, Mylord, die ich
meinem Oberherrn schuldig bin, so schmerzlich auch der Kampf
zwischen Schuldigkeit und Natur ist.

Cornwall.
Ich bin von deiner Treue überzeugt, und du sollt in meiner Liebe
einen theurern Vater finden.

(Sie gehen ab.)



Neunter Auftritt.
(Eine Stube in einem Meyer-Hofe.)
(Kent und Gloster treten auf.)


Gloster.
Hier ist es besser als unter freyem Himmel, nehmt es mit Dank an;
ich will besorgt seyn euch so viel Vorschub zu thun, als ich kan--
ich werde bald wieder bey euch seyn.

(Geht ab.)

Kent.
Alle Kräfte seines Verstandes haben seiner Ungeduld weichen müssen;
die Götter belohnen euer mitleidiges Herz.  (Lear, Edgar und Narr.)

Edgar.
Frateretto ruft mir und erzählt mir, Nero sey ein Angel-Fischer im
Pfuhl der Finsterniß.  Betet in Unschuld und hütet euch vor dem
bösen Feind.

Narr.
Sey so gut, Nonkel, und sag mir, ist ein wahnwiziger Mann ein
Edelmann oder ein Bauer?

Lear.
Ein König, ein König.

Narr.
Nein, er ist ein Bauer, der einen Edelmann zum Sohn hat; denn das
ist ein wahnwiziger Bauer, der seinen Sohn für einen Edelmann
ansieht.

Lear*.
{ed.-* Hier folgen in der ersten Ausgabe etliche Reden im
tollhäusischen Geschmak, welche Shakespearevermuthlich selbst in
den folgenden weggelassen hat; und welche, wenn es auch möglich
wäre sie zu übersezen, den wenigsten Lesern dieser Mühe würdig
scheinen würden.  Die lezte, welche Lear sagt, ist die einzige, in
der man den Shakespearewieder erkennt.}

--Laßt sie Regan anatomiren--Seht, was in ihrem Herzen ausgebrütet
wird--Ist irgend eine Ursache in der Natur, die solche harte Herzen
macht?  Euch, Sir, unterhalt' ich für einen von meinen Hundert; nur
steht mir der Schnitt euerer Kleider nicht an; man sollte denken,
sie wären persianisch; aber laßt sie ändern.  (Gloster kommt zurük.)

Kent.
Nun, mein gütiger Lord, legt euch hier und ruhet eine Weile.

Lear.
Macht kein Getöse, macht kein Getöse, zieht die Vorhänge.  So, so,
wir wollen morgen früh zum Nacht-Essen gehen.

Narr.
Und ich will des Mittags zu Bette gehen.

Gloster.
Kommt hieher, Freund; wo ist der König, mein Herr?

Kent.
Hier, Sir, aber beunruhigt ihn nicht; sein Verstand ist dahin.

Gloster.
Guter Freund, ich bitte dich, nimm ihn in deine Arme; (ich habe
etwas von einem Anschlag wider sein Leben gehört;) es ist eine
Sänfte bereit, trag ihn hinein, und eile nach Dover, Freund, wo du
beydes, Aufnahm und Schuz, finden wirst.  Nimm deinen Herrn auf die
Schultern; wenn du nur eine halbe Stunde säumest, so ist sein Leben
und deines und eines jeden, der ihn vertheidigen wollte, unfehlbar
verlohren.  Fort, mache fort, nimm ihn auf deine Schultern, und
folge mir; ich will dir einen Wegweiser mitgeben--

Kent.
Die unterdrukte Natur schläft.  Diese Ruhe möchte ein Balsam für
deine verwundeten Sinnen gewesen seyn, die, wie ich besorge, ohne
eine günstige Veränderung der Umstände, unheilbar sind.  Komm,

(zum Narren)

hilf deinen Herrn hinweg tragen, du must nicht zurük bleiben.

Gloster.
Kommt, kommt, hinweg.

(Sie tragen den König fort.)

Edgar (bleibt allein.)
Wenn wir Bessere als wir sind mit unsern Übeln beladen sehen, so
vergessen wir beynahe unsers eignen Elends.  Wer allein leidet,
leidet am meisten am Gemüth, indem er mit Menschen umgeben ist, die
von seinen Übeln frey, durch den beleidigenden Anblik ihrer
Glükseligkeit seine Pein verdoppeln.  Wie leicht, wie erträglich
scheint mir mein Unglük zu seyn, da der König von gleichem Ungemach
gedrükt wird!  Er hat Kinder, wie ich einen Vater habe--Hinweg, Tom--
begegne diese Nacht was will, wenn nur der König unversehrt
entkömmt--

(Edgar geht ab.)



Zehnter Auftritt.
(Cornwall, Regan, Gonerill, Edmund und Bediente.)


Cornwall.
Eilet unverzüglich zu euerm Gemahl und zeigt ihm diesen Brief; die
französische Armee ist angeländet; sucht den Verräther Gloster.

Regan.
Laßt ihn auf der Stelle aufhängen.

Gonerill.
Reißt ihm die Augen aus.

Cornwall.
Überlasset ihn nur meinem Unwillen.  Edmund, leistet unsrer
Schwester Gesellschaft; die Rache die wir an euerm verräthrischen
Vater zu nehmen genöthiget sind, leidet eure Gegenwart nicht.
Überzeuget den Herzog zu dem ihr gehet, von der Nothwendigkeit
einer schleunigen Kriegs-Zurüstung--wir haben die gleiche
Obliegenheit; unsre Couriers sollen ein ununterbrochnes Verständniß
unter uns erhalten.  Lebet wohl, liebe Schwester; lebet wohl,
Mylord von Gloster.  (Der Haushofmeister kömmt.) Wie gehts?  wo ist
der König?

Hofmeister.
Mylord von Gloster hat ihn von hier hinweggebracht.  Fünf oder
sechs und dreissig von seinen Rittern, welche sehr hizig nach ihm
fragten, haben ihn vor der Pforte angetroffen, und sind nebst
einigen von des Lords Angehörigen mit ihm nach Dover abgegangen, wo
sie sich rühmen, wohlbewaffnete Freunde zu haben.

Cornwall.
Hohlet Pferde für eure Gebieterin.

Gonerill.
Lebet wohl, mein liebster Lord, und meine Schwester.

(Gonerill und Edmund gehen ab.)

Cornwall.
Edmund, lebe wohl--Geht, sucht den Verräther Gloster; bindet ihn
wie einen Dieb, und bringt ihn vor uns: Wir können ihm zwar ohne
die Förmlichkeiten der Justiz das Leben nicht nehmen; aber dennoch
soll unsre Macht unserm Zorn eine Gefälligkeit erweisen, welche die
Leute tadeln mögen ohne sie verhindern zu können.



Eilfter Auftritt.
(Gloster wird von einigen Bedienten hereingebracht.)


Cornwall.
Wer ist hier?  der Verräther?

Regan.
Der undankbare Fuchs!  Er ists.

Cornwall.
Bindet ihm seine hagern Arme fest zusammen.

Gloster.
Was meynen Euer Gnaden damit?  Meine guten Freunde, bedenket daß
ihr meine Gäste seyd; spielet mir keinen schlimmen Streich, Freunde.

Cornwall.
Bindet ihn, sag ich.

(Sie binden ihn.)

Regan.
Fester, fester!  du nichtswürdiger Verräther.

Gloster.
Unbarmherzige Lady, ich bin kein Verräther.

Cornwall.
An diesen Lehnstuhl bindet ihn.  Nichtswürdiger, du sollt finden--


Gloster.
Bey den mitleidigen Göttern, das ist höchst unwürdig gehandelt, mir
so den Bart auszurauffen.

Regan.
So weiß, und so ein Verräther!

Gloster.
Boshafte Lady, diese Haare, die du meinem Kinn raubest, werden
lebendig werden und dich anklagen; ich bin euer Wirth, ihr solltet
euch schämen, so mit räuberischen Händen mein gastfreundliches
Gesicht zu zerrauffen!  Was wollt ihr aus mir machen?

Cornwall.
Saget, Sir, was für Briefe hattet ihr lezthin aus Frankreich?

Regan.
Antwortet gerade zu, denn wir wissen die Wahrheit schon.

Cornwall.
Und was für ein Bündniß hattet ihr mit den Verräthern, die erst
kürzlich in dem Königreich angeländet sind?

Regan.
In wessen Hände schiktet ihr den mondsüchtigen König?  Redet!

Gloster.
Ich habe einen Brief, worinn von blossen Muthmassungen die Rede ist,
und der von jemanden kam, der neutral, und nicht von einer
feindlichen Parthey ist.

Cornwall.
Ausflüchte--

Regan.
Und falsch.

Cornwall.
Wo hast du den König hingeschikt?

Gloster.
Nach Dover.

Regan.
Warum nach Dover?  War dir nicht bey Gefahr deines Lebens verboten--

Cornwall.
Warum nach Dover?  Laßt ihn zuerst auf das antworten.

Gloster.
Ich bin an den Pfahl gebunden, und muß nun den Anfall aushalten.

Regan.
Warum nach Dover?

Gloster.
Weil ich nicht sehen wollte, daß deine grausamen Nägel seine alten
Augen auskrazten, noch daß deine grimmige Schwester ihre Bären-
Klauen in sein gesalbtes Fleisch einhakte.  Von einem solchen Sturm,
wie sein kahles Haupt in Hölle-schwarzer Nacht aushalten mußte,
hätte die kochende See bis an den Himmel aufbrausen, und die
gestirnten Feuer auslöschen mögen.  Und doch, das arme alte Herz!
half er dem Himmel regnen.  Hätten Wölfe in dieser entsezlichen
Nacht vor deinem Thor geheulet, du würdest dem Pförtner befohlen
haben, sie zu öffnen; die grausamsten Thiere wurden vor Schreken
mild--Aber ich werd es noch sehen, wie die geflügelte Rache solche
Kinder überfallen wird.

Cornwall.
Sehen sollt du es niemals.  Kerls, haltet den Stuhl; auf diese
deine Augen will ich meinen Fuß sezen.

(Gloster wird auf den Boden gelegt, und Cornwall tritt ihm das eine
von seinen Augen aus.)

Gloster.
Wer so lange zu leben gedenkt bis er alt wird, gebe mir einige
Hülfe--O grausam!  O! ihr Götter!

Regan.
Eine Seite möcht' es der andern vorrüken; das andere auch.

Cornwall.
Wenn ihr Rache sehet--

Ein Bedienter.
Haltet ein, Mylord, ich habe euch von meiner Kindheit an gedient,
aber keinen bessern Dienst hab ich euch nie gethan, als izt, da ich
euch bitte, einzuhalten.

Regan.
Was ist das, du Hund?

Bedienter.
Wenn ihr einen Bart an euerm Kinn trüget, so wollt' ich es mit euch
aufnehmen--

(indem er sieht, daß Cornwall den Degen gegen ihn zieht:)

Wie?  was habt ihr im Sinn?

Cornwall.
Nichtswürdiger Bube--

Bedienter.
Nun so kommt dann, weil ihr mich so herausfodert--

(Sie fechten, Cornwall wird verwundet.)

Regan.
Gieb mir dein Schwerdt--ein Sclave soll sich so auflehnen?

(Sie ersticht ihn.)

Bedienter.
O! ich bin erschlagen--Mylord, ihr habt noch ein Auge übrig, um
Unglük über ihm zu sehen--O! --

(Er stirbt.)

Cornwall.
Wir wollen ihm zuvorkommen; aus, nichtswürdige Sulz--

(Er tritt das andre Aug auch aus.)

Gloster.
Ganz finster und hülflos--Wo ist mein Sohn Edmund?  Edmund, fache
alle Funken der Natur an, diese greuliche That zu rächen.

Regan.
Hinaus, verräthrischer Hund!  du rufst einem, der dich verabscheuet;
Edmund war's, der uns deine Verräthereyen entdekte; er ist zu gut,
Mitleiden mit dir zu haben.

Gloster.
O meine Thorheiten!--So wurde Edgar fälschlich angeklagt!  Ihr
mitleidigen Götter, vergebet mir das, und segnet ihn!

Regan.
Geht, führt ihn vor das Thor hinaus, und laßt ihn seinen Weg nach
Dover durch den Geruch finden.

(Gloster wird weggeführt.)

Wie stehts, Mylord, wie seht ihr so übel aus?

Cornwall.
Ich habe einen Stoß bekommen; folget mir, Lady; Stosset diesen
auglosen Buben hinaus--werft diesen Sclaven auf den Mist--Regan,
ich verblute; dieser Stoß kommt sehr zur Unzeit--

Regan.
Gebt mir euern Arm--

(Sie gehen ab.)

1. Bedienter.
Wenn es diesem Mann wohl geht, so will ich mir um keines Bubenstüks
willen bange seyn lassen.

2. Bedienter.
Wenn Sie lange lebt, und am Ende so stirbt wie andre Leute, so
werden alle Weiber zu Ungeheuern werden.

1. Bedienter.
Wir wollen dem alten Grafen nachlaufen, und irgend einen Bettler
suchen, der ihn führe--

2. Bedienter.
Geh du, ich will etwas Flachs und Eyer-Weiß hohlen, es auf seine
blutenden Augen zu legen.  Nun, der Himmel helf ihm!

(Gehen ab.)




Vierter Aufzug.



Erster Auftritt.
(Ein freyes Feld.)


Edgar (tritt auf)
Immer besser so, und wissen daß man verachtet wird, als immer
verachtet und geschmeichelt werden.  Das ärmste, niedrigste,
verworrenste Geschöpf lebt immer in Hoffnung, und hat nichts zu
befürchten.  Klägliche Veränderungen treffen nur die Glüklichsten.
Wer nichts verliehren kan, kan immer lachen.  Willkommen dann, du
unkörperliche Luft, der Unglükliche, den du unter den Elendesten
hinunter geweht hast, ist deinen Stürmen nichts mehr schuldig.
(Gloster tritt auf, von einem alten Manne geführt.) Aber wer kommt
hier?  Mein Vater, von einem fremden Manne geführt?--Welt, Welt, o
Welt!--Und doch, wenn deine seltsamen Abwechslungen dich nicht
verhaßt machten, wo ist der Greiß welcher sterben wollte?

Der alte Mann.
O mein guter Lord, ich bin euer Pachter und euers Vaters Pachter
gewesen, diese achzig Jahre.

Gloster.
Gehe, gehe deinen Weg, guter Freund, geh, dein Beystand kan mir
nichts nüzen, und dir könnt' er schädlich seyn.

Der Alte.
Ihr könnt ja euern Weg nicht sehen.

Gloster.
Ich habe keinen Weg, und bedarf also keiner Augen; ich strauchelte,
da ich noch sah.  Wie wahr ist es, was uns die Erfahrung so oft
lehrt, unsre Mittelmässigkeit ist unsre Sicherheit, und selbst was
wir entbehren, beweißt, daß wir es nicht nöthig haben--O theurer
Sohn Edgar, unglüklicher Gegenstand des Zorns deines betrogenen
Vaters, möcht ich nur leben dich in meinen Armen zu fühlen, dann
wollt' ich sagen, ich habe wieder Augen.

Der Alte.
Wie?  wer ist der?

Edgar.
Ihr Götter, wer kan sagen, ich bin der Elendeste?  Ich bin elender
als ich jemals war.

Der Alte.
Es ist der arme tolle Tom.

Edgar.
Und doch kan ich noch elender werden; das Ärgste ist noch nicht,
so lang man noch sagen kan, das ist das Ärgste.

Der Alte.
Guter Freund, wo gehst du hin?

Gloster.
Ist es ein Bettelmann?

Der Alte.
Ein Thor und ein Bettler zugleich.

Gloster.
Er hat noch einige Vernunft, sonst könnt' er nicht betteln.  In dem
Sturm der lezten Nacht sah ich einen solchen Burschen, der mich
denken machte, der Mensch sey ein Wurm.  Mein Sohn kam mir dabey in
den Sinn; und doch war er damals fern von meinem Herzen.  Seitdem
hab ich mehr gehört.  Was Fliegen für muthwillige Knaben sind, sind
wir den Göttern; sie tödten uns zu ihrem Zeitvertreib.

Edgar.
Gott helf dir, Meister.

Gloster.
Ist das der nakende Bursche?

Der Alte.
Ja, Mylord.

Gloster.
Geh doch, oder wenn du mir zu lieb eine Meile oder zwoo uns nach
Dover zuvorlauffen willt, so thu es um der alten Liebe willen, und
bring etwas Kleidung für diese nakte Seele, die ich bitten will,
mich zu führen.

Der Alte.
Ach, Mylord, es ist wahnwizig.

Gloster.
Das ist eine böse Zeit, wenn Wahnwizige die Blinden führen; thu was
ich dir gesagt habe, oder vielmehr thu was du willst; alles
überlegt, geh deinen Weg.

Der Alte.
Ich will ihm den besten Anzug bringen, den ich habe; werde daraus
was will.

(Geht ab.)

Gloster.
Hieher, nakter Bursche.

Edgar.
Der arme Tom friert, ich kan es nicht länger verheelen.

Gloster.
Komm hieher, Bursche.

Edgar.
Und doch muß ich; Gott behüte deine lieben Augen, sie bluten.

Gloster.
Kennst du den Weg nach Dover?

Edgar.
Gatter und Zäune, Postweg und Fußsteg: Der arme Tom ist um seine
guten Sinnen gekommen.  Gott behüte dich vor dem bösen Feind, alter
Mann.  Fünf Feinde sind auf einmal in dem armen Tom gewesen;
Obidicut, der Hureteufel, Hobbididen, der Fürst der Taubheit; Mahu,
des Stehlens, Mohu, des Mordens, und Flibbertigibbet, der Grimassen-
Teufel, der seither die Kammer-Jungfern und Stuben-Mädchen besizt.*

{ed.-* Shakespeare läßt den Edgar in seinen phantastischen Reden
öfters auf eine niederträchtige Betrügerey etlicher Englischen
Jesuiten zielen, die um selbige Zeit in Gesellschaften Stoff zur
Unterredung gab, weil eben damals eine von dem nachmaligen
Erzbischof von York Dr. Harsenet mit grosser Kunst und Stärke
geschriebene Geschichte derselben zum Vorschein kam, unter dem
Titel: Entdekung merkwürdiger Papistischer Betrügereyen, um Ihrer
Majestät Unterthanen von ihrer Pflicht abzuziehen u.s.w. unter
dem Vorwand Teufel auszutreiben, gespielt von Edmunds sonst
Weston genannt, einem Jesuiten, und verschiedenen Römischen
Priestern, seinen boshaften Gesellen. 1603. Diese Jesuitische
Comödie wurde zur Zeit der berühmten Spanischen Armada gegen
England gespielt, und hatte zur Absicht, zu Beförderung des
Spanischen Vorhabens, Proselyten unter dem Pöbel zu machen.
Die vornehmste Scene war in der Familie eines Hrn. Edmund Pekham,
eines Catholiken, wo Marwood, ein Bedienter von Hrn. Anton
Babington, Trayford, ein Bedienter des Hrn. Pekham und drey
Kammer-Mädchen in diesem Hause für besessen ausgegeben, und von
gedachten Priestern in die Cur genommen wurden.  Die fünf
barbarischen Teufel, von denen Edgar spricht, sind eben die, von
denen ermeldte fünf dienstbare Personen besessen seyn sollten.
Auszug aus Warbürt.  Anmerk.}

Gloster.
Hier, nimm diesen Beutel, du den des Himmels Plagen allen Streichen
des Unglüks ausgesezt haben.  Daß ich elend bin, macht dich
glüklicher.  Theilet immer so, ihr Götter; Laßt den reichen, von
Überfluß und Wollust berauschten Mann, der euern Schiksalen Troz
bietet, und das Elend seiner Nebengeschöpfe nicht sehen kan, weil
er's nicht fühlt, laßt ihn schleunig eure Allmacht fühlen; so wird
Freygebigkeit den unmässigen Überfluß dämpfen, und ein jeder
Mensch genug haben.  Kennst du Dover?

Edgar.
Ja, Herr.

Gloster.
Es ist ein Hügel dort, dessen hoher und überhangender Gipfel
fürchterlich über die angrenzende Tieffe herabsieht.  Bring mich
auf die äusserste Spize desselben, und ich will dir etwas geben,
das deinem armseligen Zustand ein Ende machen wird; von dort aus
werd' ich keinen Führer mehr nöthig haben.

Edgar.
Gieb mir deinen Arm, der arme Tom soll dich führen.



Zweyter Auftritt.
(Des Herzogs von Albanien Palast.)
(Gonerill und Edmund.)


Gonerill.
Seyd willkommen, Mylord; mich wundert, daß mein sanftmüthiger Mann
uns nicht entgegen gegangen ist.  (Der Hofmeister kömmt.) Nun, wo
ist euer Herr?

Hofmeister.
Gnädige Frau, er ist drinnen; aber so verändert, daß es kaum
glaublich ist; ich sagte ihm, die Feinde seyen angeländet; er
lächelte dazu.  Ich sagte ihm, Euer Gnaden kommen wieder an; desto
schlimmer, war seine Antwort.  Als ich ihm von Glosters Verrätherey
und von der Treue seines Sohns Nachricht gab, nannte er mich einen
Dummkopf, und sagte mir, ich hätte die schlimme Seite herausgekehrt.
Was ihm am unangenehmsten seyn sollte, scheint ihm zu gefallen;
und was ihm gefallen sollte, beleidigt ihn.

Gonerill (zu Edmund.)
So sollt ihr nicht weiter gehen.  Es ist nichts, als die feige
Zaghaftigkeit seines Geistes, welcher nicht Muth genug hat etwas zu
unternehmen: Er wird keine Beleidigung fühlen, die ihn zu einer
Antwort nöthigte.  Auf diese Art können unsre Wünsche zur Erfüllung
kommen.  Zurük, Edmund, zu meinem Bruder; beschleunige dich, mustre
seine Völker und führe sie an.  Hier zu Hause muß ich die Waffen
wechseln, und meinem Manne die Spindel in die Hand geben.  Dieser
getreue Diener soll unser Verständniß unterhalten; ihr sollt in
kurzem von mir hören, wenn ihr Herz genug habt zu euerm eignen
Vortheil, den Befehl einer Geliebten zu wagen.  Traget diß

(sie giebt ihm ich weiß nicht was,)

sparet die Worte,

(leise)

drehet den Kopf ein wenig--Dieser Kuß, wenn er reden dürfte, würde
deine Lebensgeister in die Höhe treiben--Verstehe mich und lebe
wohl.

Edmund.
Der Eurige bis in den Tod.

Gonerill.
Mein allerliebstes Gloster.

(Edmund geht ab.)

Was für ein Unterscheid ist zwischen Mann und Mann!  Du verdienst
die Gunstbezeugungen einer Dame; mein Thor usurpiert meine Person.

Hofmeister.
Gnädige Frau, hier kömmt Mylord.  (Der Herzog von Albanien kömmt.)

Gonerill.
Bin ich nicht mehr werth gewesen, als meinem Bedienten zu pfeiffen,
wie ich ankam?

Albanien.
O, Gonerill, ihr seyd den Staub nicht werth, den euch der Wind ins
Gesicht bläßt.  Ich fürchte die Folgen eurer Gemüthsart; ein
Geschöpf das seinen Ursprung verachtet, kan sich nicht in seiner
eignen Natur erhalten; der Zweig, der sich selbst von seinem
väterlichen Stamm abreißt, muß verdorren, und zu einem tödtlichen
Gebrauch kommen.*

{ed.-* Eine Anspielung auf den Gebrauch, welchen, der Sage nach, die
Hexen und Zauberer von verdorreten Zweigen zu ihren Bezauberungen
machen sollen.  Warbürton.}

Gonerill.
Nichts mehr, welch ein närrisches Gewäsche!

Albanien.
Weisheit und Güte scheinen dem Nichtswürdigen verächtlich;
Tygerthiere, nicht Töchter, was habt ihr gethan?  Einen Vater,
einen höchstgütigen alten Mann habt ihr, auf eine höchst
barbarische, höchst unnatürliche Weise, zum Wahnwiz getrieben.
Konnte mein Bruder zulassen, daß ihr es thatet, ein Mann, ein Fürst,
der ihm soviel zu danken hatte?  Wahrlich, wenn die Himmel nicht
ungesäumt ihre sichtbar werdenden Geister herabsenden, so
schändliche Übelthaten zu straffen, so muß die Menschheit
nothwendig, gleich den Meer-Ungeheuern, sich selbst aufzehren.

Gonerill.
Du Milchleberichter Mann!  der eine Wange für Maulschellen und
einen Kopf für Beleidigungen trägt; der kein Auge hat, den
Unterschied zwischen deiner Ehre und deiner Beschimpfung zu sehen;
der nicht weiß, daß nur Thoren mit Bösewichtern Mitleiden haben,
wenn sie gestraft werden, eh sie ihre Übelthaten ausüben konnten.
Wo ist deine Trummel?  Frankreich spreitet seine Fahnen in unserm
ruhigen Land aus; in befiederten Helmen beginnst dein künftiger
Mörder seine Drohungen, während daß du, ein moralischer Narr, still
sizest und rufst: Ach!  warum thut er denn das? --

Albanien.
Sieh dich selbst, Teufel!  Seine ihm natürliche Häßlichkeit scheint
in einem Teufel nicht so abscheulich, als in einem Weibe.

Gonerill.
O eitler Thor!

Albanien.
Du verwandeltes, ausgeartetes Ding!  Schäme dich wenigstens, deine
Bildung mit so ungeheuern Gesinnungen zu schänden!  Wenn es sich
für mich schikte, diese Hände dem Trieb meines kochenden Blutes zu
überlassen, sie würden fertig genug seyn dein Fleisch von deinen
Knochen abzureissen--Ob du gleich ein Teufel bist, so schüzt dich
doch die Gestalt eines Weibes--

Gonerill.
Wahrhaftig, eine wolangebrachte Mannheit!  (Ein Bote kömmt.)

Bote.
O mein gnädigster Lord, der Herzog von Cornwall ist todt, von
seinem Bedienten erschlagen, da er im Begriff war, Glosters zweytes
Auge auszutreten.

Albanien.
Glosters Augen?

Bote.
Ein in seinem Haus erzogner Bedienter, von Reue durchbohrt,
widersezte sich der That, und zog sein Schwerdt gegen seinen Herrn,
welcher voll Wuth über eine solche Kühnheit, ihn auf der Stelle
tödtete, vorher aber eine Wunde bekam, die ihn nun das Leben
gekostet hat.

Albanien.
Diß zeigt, daß ihr dort oben nicht säumet, ihr himmlischen Richter,
diese unsre unter euern Augen begangne Verbrechen zu rächen.  Aber,
O! der arme Gloster!  Verlohr er das andre Aug auch?

Bote.
Beyde, beyde, Mylord.  Dieses Schreiben, Gnädigste Frau, fodert
eine schleunige Antwort; es ist von eurer Schwester.

Gonerill (vor sich.)
Von einer Seite gefällt mir diß ganz wol.  Und doch da sie izt
Wittwe, und mein Gloster bey ihr ist, so könnte leicht das ganze
Gebäude in meiner Phantasie über mein verhaßtes Leben einstürzen--
Auf einer andern Seite ist diese Neuigkeit nicht so reizend--Ich
will lesen und antworten.

(Geht ab.)

Albanien.
Wo war sein Sohn, als sie ihn seiner Augen beraubten?

Bote.
Er begleitete die Herzogin hieher.

Albanien.
Er ist nicht hier.

Bote.
Nein, Mylord, ich traf ihn unterwegs auf der Rükreise an.

Albanien.
Weiß er die schändliche That?

Bote.
Ja, Gnädigster Herr, er war es selbst der seinen Vater anklagte,
und er verließ das Haus, nur damit ihre Rache freyern Lauf hätte.

Albanien.
Gloster, ich lebe, dir für deine Liebe zu dem König zu danken, und
deine Augen zu rächen.  Komm mit mir, Freund, und sage mir was du
noch mehr weissest.

(Gehen ab.)



Dritter Auftritt.
(Dover.)
(Kent und ein Edelmann treten auf.)


Kent.
Der König von Frankreich so plözlich wieder umgekehrt!  Wißt ihr
die Ursache?

Edelmann.
Umstände, welche seine Abwesenheit in seinem Königreiche dem Staat
gefährlich machen, haben seine schleunige Rükreise nöthig gemacht.

Kent.
Wen hat er zum Feldherrn zurükgelassen?

Edelmann.
Den Marschall von Frankreich, Monsieur le Far.

Kent.
Brachten eure Briefe die Königin zu einiger Äusserung von
Bekümmerniß?

Edelmann.
Ja, Sir, sie nahm sie und laß sie in meiner Gegenwart, und zu
verschiednen malen rollte eine grosse Thräne über ihre sanften
Wangen; es schien, sie sey Königin über ihren Affect, der auf eine
ganz rebellische Weise König über sie zu seyn suchte.

Kent.
So rührte es sie also?

Edelmann.
Aber nicht zum Zorn.  Geduld und Schmerz stritten mit einander,
welches von beyden ihrem Gesicht den schönsten Ausdruk geben könnte;
ihr habt Sonnenschein und Regen zugleich gesehen--ihr Lächeln, und
ihre Thränen schienen wie ein nasser May.  Dieses anmuthsvolleste
Lächeln das um ihre reiffen Lippen spielt, schien nicht zu wissen,
was für Gäste in ihren Augen wären, die aus denselben wie Perlen
von Diamanten, herunter tröpfelten--Kurz, der Schmerz würde die
liebenswürdigste Sache von der Welt werden, wenn er allen so
anstünde wie ihr.

Kent.
Aber gab sie ihn nicht in Worten zu erkennen?

Edelmann.
Ein oder zweymal seufzte sie aus beklemmten, langsam emporathmender
Brust den Namen Vater hervor, rief zu verschiednen Malen--
Schwestern!  Schwestern!--Schandfleke euers Geschlechts!
Schwestern!  Kent!  Vater!  Schwestern!  wie?  Im Sturm?  in einer
solchen Nacht?  Laßt die Menschlichkeit es niemals glauben!--Hier
schüttelte sie das heilige Wasser aus ihren himmlischen Augen; und
in einer Bewegung, als ob es ihr unmöglich sey, den lautesten
Ausbruch des Schmerzens zurük zu halten, fuhr sie auf und eilte in
ihr Cabinet, ihrer Empfindung freyen Lauf zu lassen.

Kent.
Die Sterne sind's, die Sterne über uns, die unsre Zufälle bestimmen,
sonst könnte unmöglich eben dasselbige Paar so ungleiche Kinder
zeugen.  Sprach sie mit euch seit diesem?

Edelmann.
Nein.

Kent.
Geschah diß noch vor der Rükreise des Königs?

Edelmann.
Nein, erst hernach.

Kent.
Gut, Sir, der arme unglükliche Lear ist in der Stadt; in seinen
bessern Augenbliken erinnert er sich, warum wir hieher gekommen
sind, und dann will er sich schlechterdings nicht bereden lassen,
seine Tochter zu sehen.

Edelmann.
Warum, guter Sir?

Kent.
Eine demüthigende Schaam überwältigt ihn so; die Härte, mit der er
sie seines Segens beraubte, sie der Willkuhr fremder Zufälle
überließ, und ihre theuresten Rechte ihren hündischen Schwestern
zuwarf: Diese Dinge verwunden ihn mit so giftigen Stichen, daß
brennende Schaam ihn von seiner Cordelia zurük hält.

Edelmann.
Der arme alte Herr!

Kent.
Hörtet ihr nichts von Albaniens und Cornwalls Kriegs-Macht?

Edelmann.
Man sagt, sie sey auf den Beinen.

Kent.
Gut, Sir, ich will euch zu unserm Herrn führen, und ihn eurer
Sorgfalt überlassen.  Irgend eine wichtige Ursache wird mich eine
Weile verborgen halten.  Wenn ich euch recht bekannt seyn werde, so
wird es euch nicht gereuen, so genau mit mir bekannt worden zu seyn.
Ich bitte, kommt mit mir.

(Gehen ab.)



Vierter Auftritt.
(Ein Lager.)
(Cordelia, ein Medicus und Soldaten.)


Cordelia.
Ach!  es ist er selbst; man fand ihn eben izt so rasend als die von
Stürmen gepeitschte See; überlaut singend, mit rankichtem
Daubenkropf, mit Schierling, Nesseln, Kukuk-Blumen, Lülch und allem
dem Unkraut bekränzt, das in unsern Kornfeldern wächßt.  Schiket
eine Anzahl Leute aus, durchsuchet das ganze Feld, und bringt ihn
vor unsre Augen.  Was vermag die menschliche Weisheit seine
beraubten Sinnen wieder herzustellen?  Der, der ihm hilft, nehme
alles davor, was ich im Vermögen habe.

Medicus.
Es sind Mittel dazu da, Madame; der beste Arzt der Natur ist Ruhe;
diese mangelt ihm; sie ihm zu verschaffen, sind die Kräfte mancher
Simplicium geschikt, deren Macht das Auge des Kummers zuschliessen
wird.

Cordelia.
Möchten alle gesegneten noch unbekannten Heil-Kräfte der Erde, von
meinen Thränen begossen, hervorsprossen!--Wendet alles an, die
Krankheit des guten alten Mannes zu heben.--Suchet, suchet ihn auf,
eh seine unbezähmte Raserey aus Mangel an Mitteln sie zu dämpfen,
den Rest seines Lebens auflöset.  (Ein Bote kömmt.)

Bote.
Neue Zeitungen, Madame, die Brittischen Völker sind im Anzug hieher.

Cordelia.
Das wußten wir schon vorher; unsre Zurüstungen warten nur auf ihre
Ankunft.  O theurer Vater, es ist deine Sache die mich hieher
gebracht hat; für dich haben meine Klagen, meine heissen Thränen
den grossen Fürsten von Frankreich erweicht; kein aufgeblähter
Stolz sezt uns in Waffen, sondern Liebe, kindliche Liebe, und
unsers alten Vaters Recht.  O wie verlangt mich ihn zu hören und zu
sehen!

(Gehen ab.)



Fünfter Auftritt.
(Regans Pallast.)
(Regan und der Hofmeister.)


Regan.
Sind meines Bruders Völker ausgerükt?

Hofmeister.
Ja, Gnädige Frau.

Regan.
Und er ist selbst in Person dabey?

Hofmeister.
Ja und noch jemand, der mehr zu bedeuten hat; eure Schwester ist
ein beßrer Soldat als er.

Regan.
Lord Edmund sprach nicht mit eurer Lady, da sie zu Hause angekommen?

Hofmeister.
Nein, Madame.

Regan.
Was mag meiner Schwester Brief an ihn zu sagen haben?

Hofmeister.
Ich weiß es nicht, Gnädige Frau.

Regan.
Er ist in wichtigen Geschäften von hier abgegangen.  Es war ein
grosser Unverstand, dem Gloster nur die Augen, und nicht auch das
Leben zu nehmen; wohin er kömmt, empört er alle Herzen wider uns.
Edmund, denke ich, ist gegangen, aus Mitleiden über seinen elenden
Zustand, seinem nächtlichen Leben ein Ende zu machen; und zugleich
die Stärke der Feinde zu erkundigen.

Hofmeister.
Ich muß ihn nothwendig aufsuchen, Gnädige Frau; um ihm meinen Brief
einzuhändigen.

Regan.
Unsere Truppen rüken morgen vor; bleibet bey uns; die Wege sind so
unsicher--

Hofmeister.
Ich darf nicht, Madame; Mylady gab mir dieses Geschäfte auf meine
Pflicht.

Regan.
Was konnte sie dem Edmund zu schreiben haben?  Konntet ihr ihr
Geschäfte nicht etwann mündlich ausrichten?--Vielleicht, etwas--ich
weiß nicht was--Du sollt alle meine Gunst haben--laß mich den Brief
öffnen.

Hofmeister.
Gnädige Frau, ich wollte lieber--

Regan.
Ich weiß, eure Lady liebt ihren Gemahl nicht; und bey ihrem lezten
Hierseyn, warf sie zärtliche Blike, sehr deutlich redende Blike auf
den edeln Edmund.  Ich weiß, ihr seyd ihr Vertrauter--

Hofmeister.
Ich, Gnädige Frau?

Regan.
Ich weiß was ich sage--ihr seyd's--ich weiß es; merkt euch also,
was ich euch izt sagen will.  Mein Gemahl ist todt; Edmund und ich
haben uns miteinander besprochen; er schikt sich besser für meine
Hand, als für eure Lady.  Das übrige könnt ihr selbst schliessen.
Wenn ihr ihn findet, so gebt ihm dieses, ich ersuche euch; und wenn
ihr eurer Lady diese Nachrichten bringt, ich bitte, so rathet ihr,
ihre Weisheit zurük zu ruffen.  Hiemit lebet wohl.  Wenn ihr etwann
von diesem blinden Verräther hören solltet, so wißt, daß der eine
reiche Belohnung zu erwarten hat, der ihm den Kopf abschneiden wird.

Hofmeister.
Ich wollte ich träfe ihn an, Madame, ich wollte bald zeigen, was
für eine Parthey ich halte.

Regan.
Lebet wohl.

(Gehen ab.)



Sechster Auftritt.
(Die Gegend um Dover.)
(Gloster, und Edgar als ein Bauer.)


Gloster.
Wenn kommen wir dann zu dem Hügel, wovon ich sagte?

Edgar.
Eben izt steigen wir hinauf.  Sehet, wie wir arbeiten.

Gloster.
Mich däucht, der Grund ist eben.

Edgar.
Entsezlich steil.  Horcht, hört ihr das Meer?

Gloster.
Nein, wahrhaftig.

Edgar.
Wie denn, so greift die Verderbniß eurer Augen auch eure übrigen
Sinnen an.

Gloster.
In der That es kan wol seyn.  Mich däucht, deine Stimme ist
verändert, und du sprichst bessere Sachen, und in bessern Ausdrüken
als zuvor.

Edgar.
Ihr irret euch sehr, ich bin in nichts verändert als in meinem
Anzug.

Gloster.
Ganz gewiß, du sprichst besser.

Edgar.
Folget mir, das ist der Ort--Stehet still.  Wie entsezlich und
schwindlicht ist es, die Augen in eine solche Tieffe herab zu
senken!  Die Krähen und Wasser-Raben die in der mittlern Luft
fliegen, scheinen kaum so groß als die Schröter; an der Mitte des
Felsen hängt einer, der Meerfenchel sucht, ein fürchterliches
Handwerk; mich dünkt, er ist nicht diker als sein Kopf.  Die
Fischer die am Ufer herum gehen, kommen mir vor wie Mäuse, jene
lange vor Anker ligende Barke nicht grösser als ihr Hahn, und ihr
Hahn so klein, daß ihn das Auge nicht mehr fassen kan.  Die
murmelnde Welle, die um die unzählbaren nakten Kieselsteine keift,
kan in dieser Höhe nicht mehr gehört werden.  Ich will nicht mehr
hinab schauen, sonst möchte das schwindelnde Hirn und das
gebrechende Gesicht mich überwälzend in die Tieffe hinab stürzen.

Gloster.
Stelle mich dahin, wo du stehest.

Edgar.
Gebt mir eure Hand; izt seyd ihr nur eines Fusses Breite von der
äussersten Spize entfernt; um alles was unter dem Mond ligt, wollte
ich hier keinen Sprung vorwärts thun.

Gloster.
Laß meine Hand gehen; Hier, Freund, ist noch ein andrer Beutel, und
in demselben ein Juweel, das wol werth ist von einem armen Mann
angenommen zu werden.  Götter und Feen mögen es dir gedeyhen lassen.
Geh du izt weiter, sag mir Lebewohl, und laß mich hören, daß du
gehst.

Edgar (stellt sich als geh er fort.)
Nun, so lebet wohl, mein guter Sir.

Gloster.
Ich danke dir.

Edgar (vor sich.)
Warum treibe ich dieses Spiel mit seiner Verzweiflung?  Meine
Absicht ist, sie zu heilen.

Gloster.
O! ihr mächtigen Götter, dieser Welt entsag' ich hiemit, und
schüttle vor euern Augen mein schweres Leiden geduldig ab.  Könnte
ich es länger tragen, ohne über euere grossen unwidersezlichen
Schlüsse zu murren, so wollt' ich, bis der schwache Docht meines
grauenvollen Lebens sich vollends ausgebrannt hätte--Wenn Edgar
lebet, o so segnet ihn!--Nun, Camerade, lebe wohl!

(Er thut einen Sprung, und fällt der Länge nach vor sich hin.)

Edgar (in einiger Entfernung, und vor sich.)
Guter Alter, lebe wohl!  Wäre er da gewesen, wo er zu seyn gedachte,
so hätte er izt aufgehört zu denken.

(Er nähert sich dem Gloster, und verändert seine Stimme.)

Lebendig oder todt?  He, hört ihr, guter Freund!  Sir!  Sir!
Redet!--So könnt' er sterben, in der That--Doch er lebt wieder auf.
Wer seyd ihr, Sir?

Gloster.
Hinweg, und laß mich sterben.

Edgar.
Wärst du gleich nichts anders gewesen als Spinneweben, Federn und
Luft, du würdest durch einen Fall von so vielen Klaftern wie ein Ey
zersplittert seyn: Aber du athmest, bist noch ganz und blutest
nicht.  Rede, bist du unverwundet?  Zehen auf einandergesezte
Mastbäume machen die Höhe noch nicht aus, die du senkelrecht
herunter gefallen bist.  Dein Leben ist ein Wunderwerk.  Rede doch!

Gloster.
Bin ich gefallen oder nicht?

Edgar.
Von dem fürchterlichen Gipfel dieses kreideweissen Felsens.  Schau
in die Höhe, die hellgurgelnde Lerche kan aus dieser Höhe weder
gesehen noch gehört werden; sieh nur auf!

Gloster.
Ach, ich habe keine Augen--Ist das äusserste Elend so gar der
Wohlthat beraubt, sich durch den Tod zu enden?  Es wäre doch
einiger Trost gewesen, wenn mein Jammer die Wuth des Tyrannen
betrügen, und seinen trozigen Willen hätte vereiteln können.

Edgar.
Gebt mir euern Arm.  Auf, so--wie ists?  Fühlt ihr eure Beine noch?
Ihr steht doch?

Gloster.
Nur allzuwohl, nur allzuwohl.

Edgar.
Diß übertrift alles Wunderbare.  Was für ein Ding war das, das auf
der Spize des Felsen von euch weggieng?

Gloster.
Ein armer unglüklicher Bettler.

Edgar.
Wie ich hier unten stand, däuchte mich, seine Augen wären zween
Vollmonde, er hatte tausend Nasen, krumme Hörner, und bäumte sich
auf wie die aufschwellende See; Es war irgend ein böser Geist.
Zweifle also nicht, du glüklicher alter Vater, daß die Götter, die
sich aus dem was Menschen unmöglich ist, eine Ehre machen dich
sichtbarlich errettet haben.

Gloster.
Izt erinnere ich mich einiger Umstände.  Künftig will ich mein
Elend tragen, bis es sich zu tode schreyt, genug, genug, und stirbt.
Ich hielt das Ding wovon ihr redet, für einen Menschen--öfters
rief es aus, der Feind, der böse Feind--Es führte mich an diesen
Ort.

Edgar.
Unterhaltet euch mit geduldigen Gedanken--



Siebender Auftritt.
(Lear, auf eine phantastische Art mit Blumen geziert, tritt auf.)


Edgar.
Aber wer kömmt hier?  Ein nüchterner Verstand wird seinen Besizer
nimmermehr so ausstaffieren.

Lear.
Nein, sie können mir des Münzens wegen nichts thun, ich bin der
König selbst.

Edgar.
O herzdurchbohrender Anblik!

Lear.
In diesem Stük ist die Natur über die Kunst.  Hier ist euer
Handgeld.  Dieser Bursche trägt seinen Bogen, wie ein Krähen-Mann;
spannt mir einen Ellen-Stab--Schaut, schaut, eine Maus.  Still,
still!--dieses Stükchen von geröstetem Käse wird es thun--Hier ist
mein eiserner Handschuh, ich will ihn gegen einen Riesen probieren.
Bringt die Pfeile her--O! wohl geflogen, Kiel!  Im Schwarzen, im
Schwarzen!--Hey da; Gebt das Wortzeichen.

Edgar.
Der liebliche Majoran.

Lear.
Passiert.

Gloster.
Ich kenne diese Stimme.

Lear.
Ha!  Gonerill!  ha, Regan!  Sie streichelten mich wie einen Hund,
und sagten mir, ich hätte weisse Haare in meinem Bart, eh noch die
schwarzen da waren.--Ja und Nein zu allem zu sagen, was ich sagte--
Ja und Nein, aber es war unächte Münze.  Wie der Regen kam und mich
durch und durch nezte, wie der Wind mich schaudern machte, und der
Donner auf meinen Befehl nicht schweigen wollte; da fand ich sie,
da spürt' ich sie aus.  Geht, geht, sie sind keine Leute die auf
ihr Wort halten; Sie sagten mir, ich sey alles; es ist eine Lüge,
ich halte die Fieber-Probe nicht.

Gloster.
Ich erinnere mich des Tons dieser Stimme.  Ist es nicht der König?

Lear.
Ja, jeden Zolls lang ein König.  Wenn ich sauer sehe, seht wie
meine Unterthanen zittern.  Ich schenke diesem Mann das Leben.  Was
war seine Sache?  Ehebruch?  du sollt nicht sterben!  wegen
Ehebruchs sterben?  Nein, der Zaunschlupfer thut es, und die kleine
vergüldete Fliege buhlet unter meinen Augen.  Laßt das Vermehrungs-
Werk gehen wie es will; denn Glosters Bastard war zärtlicher gegen
seinen Vater, als meine ehlichgezeugte Töchter.  Nur zu, Üppigkeit,
alles durcheinander, ich brauche Soldaten.  Sehet jene lächelnde
Matrone, deren Gesicht hinter ihren ausgebreiteten Fingern Schnee
weissagt, die so tugendhafte Grimassen macht, und vor dem blossen
Namen der Wollust den Kopf schüttelt.  Die Meer-Kaze und die
brünstige Stutte bringt keinen so heißhungrigen Appetit dazu; von
der Hüfte herab sind sie Centauren, obgleich von obenher ganz
weiblich: Bis zum Gürtel wohnen lauter Götter; weiter unten ist
alles mit Teufeln angefüllt.  Hier ist die Hölle, hier ist
Finsterniß, hier ist der brennende, siedende Schwefelpfuhl--pfuy,
pfuy!  Gieb mir eine Unze Zibeth, guter Apotheker, meine
Imagination zu versüssen; hier hast du Geld.
                
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