William Shakespear

Leben und Tod Königs Richard des zweyten
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Bolingbroke.
Was sagt seine Majestät?

Northumberland.
Kummer und Sorgen machen ihn wunderlich, und wie ein Mann der nicht
recht bey sich selbst ist, reden.  Izt ist er da.

Bolingbroke (kniend.)
Tretet alle zurük, und bezeuget Sr.  Majestät eure schuldige
Ehrfurcht.  Mein Gnädigster Herr--

König Richard.
Mein edler Vetter, ihr demüthiget eure fürstlichen Knie zu tief,
indem ihr die niedrige Erde stolz macht sie zu berühren.  Mir wäre
lieber, wenn mein Herz eure Liebe fühlte, als daß mein
unbefriedigtes Aug' eure Höflichkeit sieht.  Auf, Vetter, auf; euer
Herz ist zum wenigsten so hoch,

(er deutet mit der Hand auf seine Crone)

wenn eure Knie schon so niedrig sind.

Bolingbroke.
Mein Gnädigster Herr, ich komme nur für das, was mein eigen ist.

König Richard.
Euer Eigenthum ist euer, ich bin euer, alles ist euer.

Bolingbroke.
In so fern möge Eure Majestät mein seyn, mein Gnädigster Souverain,
als meine getreuen Dienste eure Liebe verdienen werden.

König Richard.
Ihr verdienet alles; wer verdient mehr zu haben, als wer den
sichersten und kürzesten Weg kennt, zu gewinnen?  Oheim, gebt mir
eure Hand; nein, troknet eure Augen; Thränen sind nur hülflose
Zeichen der Liebe.  Vetter, ich bin zu jung euer Vater zu seyn, ob
ihr gleich alt genug seyd, mein Erbe zu seyn.  Ich will euch geben
was ihr haben wollt, und noch dazu mit Willen.  Denn warum sollen
wir nicht wollen, was wir müssen?  Ziehet fort nach London.  Ist
das nicht eure Absicht, Vetter?

Bolingbroke.
Ja, Gnädigster Herr.

König Richard.
So darf ich nicht nein sagen.

(Trompeten.  Sie gehen ab.)



Siebende Scene.
(Ein Garten im Hofe der Königin.)
(Die Königin tritt mit zwoen Damen auf.)


Königin.
Was für eine Kurzweil wollen wir uns in diesem Garten machen, um
unsre kummervolle Gedanken zu vertreiben?

Lady.
Gnädigste Frau, wir wollen mit Kugeln spielen.

Königin.
Das würde mich denken machen, daß die Welt voller Rauhigkeit und
Zaken ist, und daß mein Glük, wie eine Kugel, die ihre Kraft
verlohren hat, seitwärts rennt.

Lady.
Madam, so wollen wir tanzen.

Königin.
Meine Füsse können kein Maaß* im Vergnügen halten, wenn mein armes
Herz kein Maaß in seinem Kummer hält.  Also nichts vom Tanzen,
Mädchen; irgend ein andres Spiel.

{ed.-* Wortspiel mit dem Wort (measure), welches Cadenz, und Maaß
heißt.}

Lady.
So wollen wir Mährchen erzählen, Gnädigste Frau.

Königin.
Traurige oder lustige?

Lady.
Von beyderley Gattung, Madam.

Königin.
Von keiner von beyden, Mädchen.  Die Frölichen würden nur die
Erinnerung meiner Schmerzen desto lebhafter machen, weil sie mir
die Freude zeigten, die mir fehlt; und die Traurigen würden noch
mehr Bekümmerniß zu derjenigen hinzuthun, die ich schon habe.

Lady.
So wollen wir singen, Gnädigste Frau.

Königin.
Es ist gut, wenn du Ursache dazu hast; aber du würdest mir besser
gefallen, wenn du weinen würdest.

Lady.
Ich könnte wol weinen, Gnädigste Frau, wenn es euch besser machte.

Königin.
Und ich könnte weinen, wenn mir weinen besser machte, ohne daß ich
eine Thräne von dir entlehnen müßte.  Aber warte, hier kommen die
Gärtner.  Wir wollen uns in den Schatten dieser Bäume verbergen--
Sie werden vom Staat reden, wie alle Welt, wenn eine Veränderung im
Werk ist.  (Ein Gärtner mit zween Garten-Jungen tritt auf;
die Königin und ihre Damen treten bey Seite.)

Gärtner.
Geh, binde du jene hängenden Apricosen auf, die, wie ungerathene
Kinder, ihren Vater durch ihr verschwendrisches Gewicht zu Boden
ziehen; unterstüze ein wenig die neigenden Zweige.  Geh du, und
haue, gleich einem Nachrichter, die Köpfe der zu
hochaufschiessenden Stauden-Gewächse ab, die zu übermüthig in
unserm gemeinen Wesen aussehen.  In unsrer Regierung muß alles eben
seyn.  Unterdessen daß ihr so beschäftigst seyd, will ich gehen,
und das unnüze Unkraut ausjäten, das den gesunden Pflanzen die
Nahrung entzieht.

Junge.
Wie verlangt ihr von uns, daß wir in dem Bezirk eines Zauns, Geseze,
Form, und gehöriges Ebenmaaß beobachten, und wie in einem Model
einen wolgeordneten Staat zeigen?  Indeß daß unser vom Meer
eingeschloßner Garten, das ganze Land voller Unkraut ist, seine
schönsten Blumen zerknikt, seine fruchtbaren Bäume alle ungepuzt,
seine Zäune eingerissen, seine Knoten alle verwirrt sind, und seine
heilsamen Gewächse von Raupen wimmeln?

Gärtner.
Schweige du; derjenige, dessen Frühling so wild und zügellos war,
hat nun den Fall seiner Blätter erfahren.  Der Epheu, der unter dem
Schirm seiner weitverbreiteten Zweige emporwuchs, und ihn zu
unterstüzen schien, indem er ihn aussog, ist aller bis auf die
Wurzeln, von Bolingbroke ausgereutet worden; ich meyne den Grafen
von Wiltschire, Buschy, und Green.

Junge.
Was, sind sie todt?

Gärtner.
Das sind sie, und Bolingbroke hat sich des verunglükten Königs
bemächtiget.  Wie beklagenswerth ist es, daß er sein Land nicht so
gehalten hat, wie wir unsern Garten.  Wir verwunden die Rinde
unsrer Frucht-Bäume, weil der zu grosse Überfluß von Saft sie geil
und üppig machen, und durch zuviel Reichthum zu grund richten würde.
Hätte er es mit den Menschen so gemacht, die zu groß und üppig
wuchsen, sie möchten die Zeit erlebt haben daß sie ihm nüzliche
Früchte getragen, und er, daß er sie gekostet hätte.  Wir schneiden
alle überflüßigen Äste weg, damit die tragenden Zweige leben mögen;
hätt' er's auch so gemacht, so würd' er selbst die Crone getragen
haben, die ihm Verschwendung und Müßiggang so bald vom Haupte
gerissen.

Junge.
Was?  denkt ihr dann, der König werde abgesezt werden?

Gärtner.
Unterdrükt ist er schon, und abgesezt wird er ohne Zweifel werden.
Es sind in verwichner Nacht Briefe von einem Freund des Herzogs von
York angekommen, welche schlimme Zeitungen erzählen.

Königin.
O, ich werde zu todt gepreßt, wenn ich länger schweige--Du Ebenbild
Adams, in diesen Garten gesezt, seiner zu pflegen, wie untersteht
sich deine Zunge so leidige Zeitungen anzukündigen.  Was für eine
Eva, was für eine Schlange hat dir eingegeben, einen zweyten Fall
des verfluchten Menschen zu machen?  Wie, sagst du, König Richard
ist entsezt?  Darfst du, kaum ein bessers Ding als die Erde die du
gräbst, seinen Fall weissagen?  Sprich, wo, wenn und wie kamst du
zu dieser bösen Zeitung?  Sprich, du Unglükseliger!

Gärtner.
Verzeihet mir, Madam.  Ich habe wenig Freude davon, diese
Neuigkeiten zu sagen, aber man versichert, daß sie wahr seyen.
König Richard ist in Bolingbroks mächtiger Gewalt.  Ihr Glük wird
gegen einander abgewogen.  In euers Herrn Waagschale ist nichts als
er selbst, und etliche wenige Eitelkeiten, die ihn leicht machen;
aber in der Schaale des grossen Bolingbroks ligen, ausser ihm
selbst, alle Pairs von England, und mit diesen wiegt er den König
Richard zu Boden.  Eilet nur nach London, und ihr werdet es so
finden; ich sage nichts, als was jedermann weiß.

Königin.
Du behendes Unglük, das so leicht auf den Füssen ist, geht deine
Gesandtschaft nicht mich an?  Warum bin ich dann die lezte, die sie
erfährt?  O du denkst mich auf die Lezte zu sparen, damit ich deine
Schmerzen desto länger fühle.  [** Kommt, Lädies, wir wollen gehen,
um in London Londons König im Jammer aufzusuchen.  Wie, ward ich
hiezu gebohren, daß mein gedemüthigter Blik den Triumph des stolzen
Bolingbroks vermehren soll?  Gärtner, für diese Zeitung, die du mir
erzählt hast, wünsch' ich, daß die Pflanzen, die du pflanzest,
nimmer wachsen mögen.

{ed.-** Was in [ ] eingeschlossen ist, sind Reime im Original.}

(Sie geht ab.)

Gärtner.
Arme Königin, möchte, wenn es dir helfen könnte, dein Fluch an
meinem Fleisse wahr werden!--Hier ließ sie eine Thräne fallen;--
hier, an diesem Ort will ich einen Rautenstok sezen, zum Andenken,
daß eine Königin hier geweint hat.]

(Geht ab.)




Vierter Aufzug.



Erste Scene.
(Der Parlament-Saal in London.)
(Bolingbroke, Aumerle, Northumberland, Percy, Fizwater, Surrey,
 der Bischoff von Carlisle, der Abbt von Westmünster, Herolde,
 Officianten, Gerichtsdiener, und Bagot, treten auf.)


Bolingbroke.
Ruft den Bagot hervor--Sage nun ohne Scheu, was du von Glosters
Tode weißst; wer half dem Könige dazu, und wer vollbrachte diese
unglükselige That?

Bagot.
Wenn ihr das wissen wollt, so stellt mir den Lord Aumerle vor die
Augen.

Bolingbroke.
Vetter, tritt hervor, und sieh' diesem Mann in die Augen.

Bagot.
Milord Aumerle, ich weiß eure edelmüthige Zunge verschmäht es, zu
läugnen was sie einmal gesagt hat.  In jener Zeit, da Glosters Tod
angezettelt wurde, hörte ich euch sagen: Ist mein Arm nicht lang
genug, da er von dem ruhigen Englischen Hof bis nach Calais an
meines Oheims Kopf reicht?  Unter vielen andern Reden, hört ich
euch damals auch dieses sagen: Ihr wolltet eher hunderttausend
angebotne Cronen ausschlagen, als daß Bolingbroke nach England
zurük komme; und ihr seztet hinzu, wie glüklich dieses euers
Vetters Tod dieses Land machen würde.

Aumerle.
Prinzen und Milords, was für eine Antwort soll ich diesem
niederträchtigen Mann geben?  Soll ich meine schönen Sterne so sehr
entehren, und ihm wie einem der meines gleichen ist, antworten.
Und doch muß ich, oder ich muß es leiden, meine Ehre von dem Geifer
seiner verläumderischen Zunge beflekt zu sehen.  Hier ist mein
Pfand,

(er wirft seinen Handschuh hin,)

das Siegel des Todes, daß dich für die Hölle auszeichnet.  Du
liegst, und ich will, daß es falsch ist was du sagst, mit deinem
Herzens-Blut beweisen, so unwürdig es auch ist, den Stahl meines
ritterlichen Schwerdts zu besudeln.

Bolingbroke.
Bagot, nim dich in Acht; du sollt es nicht aufheben.

Aumerle.
Einen einzigen ausgenommen, wollt' ich, der Beste in dieser
Versammlung hätte mich so herausgefordert.

Fizwater.
Wenn du es zufrieden bist, daß ein andrer seinen Plaz nehme, so ist
hier mein Pfand gegen das Deinige.  Bey dieser schönen Sonne, die
mir zeigt, wo du stehst, ich hörte dich sagen, und du sprachst es
mit einem pralerischen Ton, du seyest die Ursach von des edlen
Glosters Tod gewesen.  Wenn du das läugnest, so lügst du eine
zwanzigfache Lüge, und mit diesem meinem Schwerdt will ich sie in
dein Herz zurük stossen, worinn sie ausgebrütet wurde.

Aumerle.
Feige Memme, du hast das Herz nicht, so lange zu leben, daß du
diesen Tag sehest.

Fizwater.
Bey meiner Seele, ich wollt' es wäre in dieser Stunde.

Aumerle.
Fizwater, diß verdammt dich zur Hölle.

Percy.
Aumerle, du lügst; o seine Ehre ist in dieser Anklage so rein, als
du ein Bösewicht bist.  Und daß du es bist, das will ich, hier ist
mein Pfand dafür, bis zum lezten Lebens-Athem an dir beweisen.
Heb' es auf, wenn du Muth hast.

Aumerle.
Und wenn ich es nicht thue, o dann verdorre meine Hand, und
schwinge niemals wieder den rächenden Stahl über den Helm meiner
Feinde!  Wer beschuldigt mich noch mehr?  Beym Himmel, ich nehm' es
mit allen auf Ich habe tausend Geister in meiner Brust, um
zwanzigtausend solchen wie ihr seyd, zu antworten.

Surrey.
Milord Fizwater, ich erinnre mich der Zeit sehr wol, da Aumerle und
ihr euch mit einander sprachet.

Fizwater.
Milord, es ist wahr; ihr waret dabey, und ihr könnt mir Zeugniß
geben, daß es wahr ist.

Surrey.
So falsch, beym Himmel, als der Himmel selbst wahrhaft ist.

Fizwater.
Surry, du lügst.

Surrey.
Ehrloser Bube, diese Lüge soll so schwer auf meinem Schwerdte ligen,
daß es Rache über Rache nehmen soll, bis du, der mich lügen hieß,
und deine Lüge, so ruhig in der Erde ligen als deines Vaters
Schädel.  Zu dessen Beweiß, ist hier das Pfand meiner Ehre;
verbinde dich zum Kampf, wenn du das Herz hast.

Fizwater.
Wie unnöthig spornst du ein feuriges Roß!  Wenn ich das Herz habe
zu essen, zu trinken, Athem zu holen, so hab' ich auch das Herz,
Surrey in einer Wildniß aufzusuchen, und ihn anzuspeyen, indem ich
ihm sage, daß er lügt, und lügt, und lügt: Hier ist mein Pfand, daß
ich dich zur Straffe ziehen will.  So wahr ich in dieser neuen Welt
zu gedeyhen wünsche, Aumerle ist meiner wahrhaften Anklage schuldig.
Überdem hörte ich den verbannten Norfolk sagen, du Aumerle,
habest zween von deinen Leuten abgeschikt, den Herzog zu Calais zu
ermorden.

Aumerle.
Ist kein ehrlicher Christ hier, der mir einen Handschuh leiht,
damit ich sagen kan, daß Norfolk lügt; hier zieh ich diesen ab, daß
ich es auf ihn beweisen will, wenn er zurükberuffen werden mag.

Bolingbroke.
Alle diese Händel sollen zur Entscheidung ausgesezt bleiben, bis
Norfolk zurükberuffen ist; und das soll er werden, und, ob er
gleich mein Feind ist, in alle seine Herrschaften wieder eingesezt;
wenn er wieder da ist, soll er gegen Aumerle seinen Beweis machen.

Carlile.
Dieser ehrenvolle Tag wird nie gesehen werden.  Eine lange Zeit hat
der verwiesne Norfolk für Jesum Christum, in glorreichen blutigen
Kämpfen für die Ehre des heiligen Creuzes, mit schwarzen Heiden,
Türken und Saracenen gefochten; hernach, von der kriegrischen
Arbeit abgemattet, nach Italien sich zurükgezogen, und endlich zu
Venedig seinen Leib dieser anmuthsvollen Erde, seine reine Seele
aber Christo, seinem Feldherrn, gegeben, unter dessen Fahne er so
lange gestritten hatte.

Bolingbroke.
Wie, Bischoff, ist Norfolk todt?

Carlile.
So gewiß ich lebe, Milord.

Bolingbroke.
Seliger Friede führe seine Seele in Abrahams Schooß!--Milords
Appellanten, eure Händel sollen alle auf den gewechselten Pfändern
beruhen, bis wir euch den Tag zu eurer Probe angesezt haben.



Zweyte Scene.
(York zu den Vorigen.)


York.
Grosser Herzog von Lancaster, ich komme zu dir von dem berupften
Richard abgeschikt, der mit williger Seele dich zu seinem Erben
annimmt, und seinen hohen Scepter in deine königliche Hand
übergiebt.  Besteige also seinen Thron, als nunmehr von ihm
abstammend, und lang lebe König Heinrich der vierte!

Bolingbroke.
In Gottes Namen, will ich den königlichen Thron besteigen.

Bischoff von Carlisle.
Das verhüte der Himmel!  So schlimm das scheinen oder aufgenommen
werden mag, was ich in dieser königlichen Gegenwart reden werde, so
anständig ist es mir, die Wahrheit zu sagen.  Wollte Gott, daß
einer in dieser edeln Versammlung edel genug wäre ein aufrichtiger
Richter des edeln Richards zu seyn; denn ein wahrer Edelmuth würde
ihn eine so ungerechte That verabscheuen lehren.  Welcher Unterthan
kan ein Urtheil über seinen König sprechen?  Und wer sizt hier, der
nicht Richards Unterthan ist?  Diebe, so sehr auch die Umstände
wider sie zeugen, werden nicht gerichtet, ohne daß man sie gehört
hat.  Und soll das Bild der Göttlichen Majestät, sein Hauptmann,
und selbsterwählter Statthalter, gesalbt, gekrönt, und eingethront,
von seinen Unterthanen verurtheilt werden, und er selbst nicht
dabey zugegen seyn?  O verhüt' es, gerechter Himmel!  daß in einem
Christlichen Lande, unter einem gesitteten Volk eine so scheußliche,
schwarze, unflätige That gesehen werde!  Ich rede zu Unterthanen,
und als ein Unterthan; vom Himmel angetrieben red' ich so kühn,
denn ich rede für meinen König.  Milord von Hereford hier, den ihr
König nennt, ist ein schändlicher Verräther an Herefords König.
Und wenn ihr ihn krönt, so laßt mich propheceyen, Englisches Blut
wird den Boden düngen, und künftige Zeitalter um dieser Schandthat
willen ächzen.  Der Friede wird zu den Türken und Ungläubigen
schlafen gehen, und in diesem Siz des Friedens, aufrührischer Krieg,
Brüder gegen Brüder, und Bürger gegen Bürger erhizen.  Unordnung,
ruchlose Gewalt, Mißtrauen und Aufruhr wird hier wohnen, und dieses
mit Menschen-Schädeln bedekte Land Golgatha genennt werden.  O wenn
ihr das königliche Haus gegen das königliche Haus empört, so wird
die jammervolleste Zwietracht daraus entstehen, die jemals auf
diesem verfluchten Erdboden gewüthet hat.  O!  vermeidet sie,
widerstehet, laßt es nicht so seyn, oder die Kinder eurer Kinder
werden Weh über euch schreyen.

Northumberland.
Ihr habt vortrefflich gesprochen, Herr, und für eure Mühe nehmen
wir euch hier wegen Hochverraths in Verhaft.  Milord von
Westmünster, laßt es eure Sorge seyn, ihn bis zum Tag seines
Verhörs wol zu verwahren.  Gefällt es euch, Milords, die Bitte der
Gemeinen zu bewilligen?

Bolingbroke.
Bringet Richarden hieher, damit er vor allen Augen das Reich
übergebe: auf diese Art wird aller Verdacht gehoben.

York.
Ich will sein Führer seyn.

(Er geht ab.)



Bolingbroke.
Diejenigen von euch, Milords, die hier unter unserm Arrest sind,
mögen für ihre Sicherheit auf den Tag ihrer Antwort besorgt seyn.
Wir sind ihrer Liebe wenig schuldig, und haben uns wenig Beystand
von ihnen zu versehen gehabt.



Dritte Scene.
(König Richard und York zu den Vorigen.)


König Richard.
Himmel, warum werde ich vor einen König vorgefordert, eh ich die
königlichen Gedanken abgeschüttelt habe, womit ich regierte?  Ich
habe noch nicht lernen können, mich einzuschwazen, zu schmeicheln,
zu büken und die Knie zu beugen.  Lasset meinem Kummer noch Zeit
mich zu dieser Unterwürfigkeit anzugewöhnen.  Und doch will ich
mich der Zeit erinnern, da mir diese Männer günstiger waren.  Waren
sie nicht einmal mein?  Rieffen sie mir nicht einmal lauter Heil
und Leben zu?  Das that Judas auch gegen Christum: Aber Christus
fand unter zwölfen Treue bey allen bis auf einen, ich unter
zwölftausend gar keine.  Gott erhalte den König!--Will niemand
sagen, Amen?  Bin ich Priester und Küster zugleich?  Wol dann, Amen!
Gott erhalte den König, ob ich's gleich nicht bin, und auch Amen!
Wenn der Himmel mich dafür erkennt.  Was für Dienste fordert man
von mir, daß man nach mir geschikt hat?

York.
Eine Handlung deines eignen freyen Willens, wozu du, der Majestät
überdrüßig, dich selbst erboten hast, die Übergabe deines Staats
und deiner Crone.

König Richard.
Gebt mir die Crone--hier, Vetter, nimm die Crone, hier auf dieser
Seite, meine Hand; und auf dieser deine.  Izt ist diese goldne
Crone wie ein tiefer Brunnen mit zween Kübeln, wovon einer den
andern füllt; der leere tanzt immer in der Luft, indem der andre in
der Tiefe, ungesehn und voll Wassers ist; dieser erniedrigte und
mit Thränen angefüllte Kübel bin ich, der nun seinen Kummer wie
Wasser in sich schluken muß, indeß daß ihr in die Höhe steigt.

Bolingbroke.
Ich dachte, ihr wäret willig, die Crone niederzulegen?

König Richard.
Die Crone, ja; aber doch bleibt mein Schmerz mein, ihr könnt mich
meiner Majestät und meines Staats entsezen, aber nicht meiner
Schmerzen; darüber bleib ich immer König.

Bolingbroke.
Seyd ihr's zufrieden, die Crone zu übergeben?

König Richard.
Ja, nein--Nein, ja,--Denn ich muß nichts seyn--also nein, nein;
denn ich übergebe sie dir.  Nun, gebt acht wie ich mich selbst
vernichte; ich gebe diese schwere Bürde von meinem Haupte weg,
diesen unbehülflichen Scepter aus meiner Hand, und den Stolz der
Königs-Würde aus meinem Herzen; mit meinen eignen Thränen wasch ich
meine Salbung weg; mit meinen eignen Händen geb ich meine Crone von
mir; mit meiner eignen Zunge verläugne ich meinen geheiligten Stand,
und mit meinem eignen Athem entlasse ich alle ihrer mir
geschwornen Pflichten.  Ich verschwöre alle Majestät und Hoheit,
ich vergesse alle meine Domainen, Renten und Einkünfte, ich
vernichte alle meine Handlungen, Edicte und Verordnungen.  Gott
verzeihe alle die Eidschwüre, die an mir gebrochen werden!  Gott
erhalte alle diejenigen ungebrochen, die dir gethan werden.  Mögest
du lange leben, um auf Richards Stuhl zu sizen, und Richard bald im
Grabe Ruhe finden.  Gott erhalte den König Heinrich, sagt der
entkönigte Richard, und sende ihm viele Jahre von glüklichen Tagen!--
Was ist noch mehr zu thun?

Northumberland.
Nichts mehr, als daß ihr diese Anklagen und dieses Verzeichniß von
abscheulichen Verbrechen leset, die von euch selbst und euern
Anhängern gegen den Staat und das Beste dieses Landes begangen
worden; damit durch euer Geständniß alle Welt überzeugt werde, daß
ihr mit Recht entsezt worden seyd.

König Richard.
Muß ich das thun?  muß ich das Gewebe meiner Thorheiten Faden vor
Faden ausfäseln?  Lieber Northumberland, wenn deine Sünden alle
aufgeschrieben wären, würdest du nicht beschämt seyn, sie in einer
so schönen Gesellschaft abzulesen?  Thätest du es, du würdest einen
scheuslichen Artikel, die Absezung eines Königs, darinn finden, den
gewaltthätigen Bruch eines geheiligten Eides, mit einem Strich der
Verdammniß im Buch des Himmels bezeichnet.  O, ihr alle die ihr
hier steht und mich anseht, wie mein Unglük mich nöthigt, mich
selbst aufzureiben, wenn gleich einige von euch wie Pilatus ihre
Hände mit heuchlerischen Thränen waschen; so seyd ihr's dennoch,
ihr Pilatusse, die mich hier zu meinem bittern Creuz ausliefern,
und Wasser kan eure Sünde nicht abwaschen.

Northumberland.
Milord, beschleunigst euch, überleset diese Artikel.

König Richard.
Meine Augen sind voll Thränen; ich kan nicht sehen, und doch
blendet ihr Salz-Wasser sie nicht so sehr daß ich nicht einen Pak
Verräther hier beysammen sehe.  Doch was sag ich?  ich bin selbst
ein Verräther wie die übrigen; denn ich habe die Einwilligung
meiner Seele zur Entsezung eines Königs gegeben; ich habe die
Majestät entweiht, und einen Monarchen zu einem Sclaven gemacht;
ich bin ein Verräther!

Northumberland.
Milord--

König Richard.
Kein Lord von dir, du hohnsprechender Mann, niemands Lord; ich habe
keinen Namen, keinen Titel mehr; nein, sogar der Name der mir über
dem Taufstein gegeben wurde, ist usurpirt.  O!  des unglüklichen
Tags!  daß ich so manche Winter überlebt haben, und meinen eignen
Namen nicht mehr wissen soll!  O!  daß ich ein zum Scherz aus
Schnee zusammengeballter König wäre, und hier, vor Bolingbroks
Sonne stehend, in Wassertropfen wegschmelzen möchte!--Guter König,--
Grosser König--wenn anders mein Wort noch gangbare Münze in England
ist, so laßt es diesen Augenblik einen Spiegel hieher befehlen,
damit ich sehe, wie mein Gesicht aussieht, seitdem es seine
Majestät verlohren hat.

Bolingbroke.
Gehe jemand, und hole einen Spiegel.

Northumberland.
Überleset indessen dieses Papier, bis der Spiegel kommt.

König Richard.
Teufel, du peinigst mich, eh ich noch in der Hölle bin.

Bolingbroke.
Sezt ihm nicht weiter zu, Milord von Northumberland.

Northumberland.
Die Gemeinen werden so nicht zufrieden seyn.

König Richard.
Sie sollen es werden; ich will genug lesen, wenn ich das Buch sehe,
worinn, in der That, alle meine Sünden geschrieben sind, und das
bin ich selbst.

(Man bringt einen Spiegel.)

Gieb mir den Spiegel, hierinn will ich lesen--Noch keine tiefere
Runzeln!  Hat der Kummer so manche Streiche auf dieses mein Gesicht
geführt, und keine tiefere Wunden gemacht?  O!  schmeichelndes Glas!
Du betrügst mich wie die Freunde meines glüklichen Zustands--War
dieses das Gesicht, das täglich zehntausend Menschen unter seinem
Haus-Dach hielt?  War diß das Gesicht, das gleich der Sonne,
diejenigen die es ansahen, blinzen machte?  und nun von Bolingbrok
überglänzt wird?  Eine zerbrechliche Majestät leuchtet in diesem
Gesicht,

(er schmeißt den Spiegel auf den Boden,)

und so zerbrechlich wie die Majestät, ist auch das Gesicht; denn
hier ligt es, in hundert Scherben zerbrochen.  Gieb Acht,
stillschweigender König, auf die Moral dieses Kinderspiels; wie
schnell mein Kummer mein Gesicht zerstört hat.

Bolingbroke.
Der Schatten euers Kummers hat den Schatten euers Gesichts zerstört.

König Richard.
Sagt das noch einmal.  Der Schatten meines Kummers!  Ha, laßt
einmal sehen--es ist in der That so, mein Schmerz ligt ganz in
meinem Innern, und alle diese äusserlichen Zeichen von Jammer sind
blosse Schatten des unsichtbaren Grams, der in geheim in der
gepeinigten Seele schwellt.  Ich danke dir, König, daß du mir nicht
nur Ursache zum Wehklagen giebst, sondern mich auch noch lehrst,
wie ich die Ursache bejammern soll.  Ich will nur noch um eine
einzige Gefälligkeit gebeten haben, und dann gehen und euch nicht
mehr beunruhigen.  Werd' ich sie erhalten?

Bolingbroke.
Nennet sie, geliebter Vetter.

König Richard.
Geliebter Vetter!  Ah!  ich bin grösser als ein König; denn wie ich
ein König war, waren meine Schmeichler meine Unterthanen; nun da
ich ein Unterthan bin, hab ich einen König zum Schmeichler.  Da ich
ein so grosser Mann bin, so hab ich nicht nöthig zu bitten.

Bolingbroke.
So fordert.

König Richard.
Und soll ich's haben?

Bolingbroke.
Ihr sollt.

König Richard.
So erlaubt mir wegzugehen.

Bolingbroke.
Wohin?

König Richard.
Wohin ihr wollt, wenn es nur aus euerm Gesicht ist.

Bolingbroke.
Einige von euch sollen ihn nach dem Tower begleiten--Auf nächsten
Mitwoch sezen wir unsre Krönung fest: Milords, haltet euch dazu
gefaßt.

(Alle gehen ab, bis auf den Abbt von Westmünster, den Bischoff und
Aumerle.)



Vierte Scene.


Abbt.
Welch ein jammervolles Schauspiel, das wir hier gesehen haben!

Bischoff.
Der Jammer wird erst kommen; die noch ungebohrne Nachwelt wird
diesen Tag so scharf wie einen Dorn in ihrem Fleische fühlen.

Aumerle.
Ihr heiligen Priester, ist denn kein Mittel, das Reich vor diesem
verderblichen Unwesen zu retten?

Abbt.
Eh ich euch hierüber mein Innerstes entdeke, sollt ihr das
Sacrament darauf empfangen, daß ihr nicht nur mein Vorhaben
verschwiegen halten, sondern auch alles vollziehen wollet, was ich
euch nur immer auftragen werde.  Ich sehe eure Stirne voll
Mißvergnügen, euer Herz voll Gram, und eure Augen voll Thränen.
Kommt mit mir heim zum Nacht-Essen, und da wollen wir den Grund zu
einem Entwurf legen, der uns einen glüklichen Tag sehen lassen soll.

(Sie gehen ab.)




Fünfter Aufzug.



Erste Scene.
(Eine Strasse in London.)
(Die Königin mit ihren Damen tritt auf.)


Königin.
Diesen Weg wird der König kommen: Diß ist der Weg zu jenem fatalen
Thurm, den Julius Cäsar aufführte, und worein der stolze
Bolingbroke meinen Herrn zur Gefangenschaft verurtheilt hat.  Hier
wollen wir ausruhen; wenn diese aufrührische Erde anders noch eine
Ruhe für ihres rechtmäßigen Königs Gemalin hat.--
(König Richard tritt mit seiner Wache auf.) Aber stille!  aber
seht, doch seht lieber nicht, wie verwelkt meine schöne Rose ist--
Nein, seht auf, schaut und zerfließt aus Mitleiden in Thau, um ihn
mit den Thränen einer getreuen Liebe wieder frisch zu waschen.  O
du, der Trümmer, wo das alte Troja stand, du Ruin der Majestät, du
Grabmal von König Richard, und nicht König Richard selbst!  Du
schöner Gasthof, soll Gram und Jammer in dir herbergen, indeß daß
Triumph der Gast in einer Bierschenke worden ist?

König Richard.
Vereinige dich nicht mit meinem Kummer, schönes Weib, mein Ende zu
sehr zu beschleunigen.  Lerne, gute Seele!  unsern vorigen Zustand
als einen glüklichen Traum ansehen, von dem wir nun erwacht sind,
und uns in der That in keinen bessern Umständen finden, als worinn
wir sind.  Meine Liebe, ich bin ein geschworner Bruder der
unerbittlichen Nothwendigkeit, und wir beyde werden im Bündniß
stehen bis zum Tode.  Eile du nach Frankreich, und verbirg dich in
irgend eine andächtige Freystätte.  Es ist uns nichts übrig, als
durch ein heiliges Leben die Crone in einer bessern Welt wieder zu
gewinnen, die wir durch unheilige Stunden verlohren haben.

Königin.
Wie?  Ist mein Richard an Gestalt und Gemüth verwandelt?  Hat
Bolingbroke auch deinen Geist abgesezt?  Ist er bis in dein Herz
eingedrungen?  Ein sterbender Löwe sträubt sich, und verwundet, aus
Wuth überwältigt zu seyn, wenigstens die Erde, wo er fiel; und du,
willt wie ein unmündiger Knabe deine Züchtigung mit Sanftmuth
empfangen, die Ruthe küssen, und deinem Feind mit schaamwürdiger
Demuth die Füsse lecken, du, der ein Löwe, ein König der Thiere war?

König Richard.
Ein König von Thieren, in der That; und wenn es nichts als Thiere
gewesen wären, so wär' ich noch ein glüklicher König von Menschen.
Meine gute ehmalige Königin, mache dich reisefertig nach Frankreich.
Denk, ich sey todt, und daß du eben hier, als bey meinem Todbette,
den lezten Abschied von mir nimmst.  In verdrieslichen
Winternächten size mit guten alten Leuten zum Feuer, und laß dir
Geschichten von Jammer und Unglük erzählen, die längst begegnet
sind; und ehe du ihnen gute Nacht giebst, erzähl' ihnen hinwieder
meinen kläglichen Fall, und schike die hörenden weinend zu Bette--



Zweyte Scene.
(Northumberland und Gefolge zu den Vorigen.)


Northumberland.
Milord, Bolingbrok hat seine Gedanken geändert, ihr sollt nach
Pomfret, nicht nach dem Tower--Madam, es sind schon Anstalten
euertwegen gemacht; ihr müßt in möglichstes Eile nach Frankreich.

König Richard.
Northumberland, du Leiter, auf welcher Bolingbroke an meinen Thron
hinaufgestiegen ist; die Zeit wird nicht lange aussenbleiben, da
dein schwährendes Verbrechen von faulem Eyter aufbrechen wird.  Du
wirst denken, wenn er gleich das Reich theilt, und dir die Hälfte
giebt, es sey zu wenig, weil du ihm alles gegeben habest; und er
wird denken, du, der den Weg kennt unrechtmäßige Könige zu sezen,
werdest, auf die kleinste Veranlassung, auch wissen, ihn wieder, so
lang er ist, von seinem angemaßten Thron herab zu stürzen.  Die
Liebe lasterhafter Freunde verwandelt sich in Mißtrauen, und diß
Mißtrauen in Haß; und der Haß wird einen oder beyde dem verdienten
Untergang überliefern.

Northumberland.
Mein Verbrechen sey über meinem Haupt, und soviel hievon!  Nehmt
Abschied von einander, ihr müßt scheiden.

König Richard.
Doppelt geschieden?  Gottlose Leute, ihr entheiligt eine zweyfache
Ehe; zwischen mir und meiner Crone, und zwischen mir und meinem
vermählten Weib.  Laß mich den Eid hinwegküssen, der dich und mich
vereinigt; und doch, nicht so, denn mit einem Kuß ward er gemacht.
Scheid' uns, Northumberland; ich, nach Norden, wo schauernde Kälte
das kranke Clima verzehrt; meine Königin nach Frankreich, von
wannen sie im Pomp herübergesandt wurde, geschmükt wie der holde
May, nun zurük geschikt, verdüstert und traurig wie der kürzeste
Tag.

Königin.
Und müssen wir denn getrennt seyn?  Müssen wir denn scheiden?

König Richard.
Ja, Hand von Hand, meine Liebe, und Herz von Herz.

Königin.
Verbannet uns beyde, und schikt den König mit mir.

Northumberland.
Das wäre gütig, aber sehr unpolitisch.

Königin.
So laßt mich mit ihm gehen.

König Richard.
Weine du in Frankreich für mich, und ich will hier für dich weinen;
es ist besser entfernt, als näher geschieden zu seyn.  Geh, zähle
deinen Weg mit Seufzern ab, ich mit Ächzen den meinigen.

Königin.
So wird der längste Weg die meisten Seufzer haben.

König Richard.
Ich will bey jedem Schritt zweymal ächzen, weil mein Weg der
kürzere ist.  Komm, komm, ein Kuß soll uns den Mund schliessen, und
dann fahr' wohl; so geb' ich dir mein Herz, und so nehm' ich deines.

(Sie küssen sich.)

Königin.
Nein, gieb mir das meinige zurük; es wäre kein schöner Abschied,
wenn ich dein Herz mit mir nehmen wollte, um es zu tödten.

(Sie küssen sich wieder.)

So, nun hab' ich das Meinige wieder, damit ich mich bestreben kan,
es mit einem Seufzer zu tödten.

König Richard.
Wir vermehren nur unsern Schmerz mit diesen zärtlichen
Verzögerungen; noch einmal, leb' wohl; das übrige laß unsre Thränen
sagen.--

(Sie gehen ab.)



Dritte Scene.
(Des Herzogs von York Palast.)
(York und seine Herzogin treten auf.)


Herzogin.
Milord, ihr wolltet fortfahren, mir den Einzug unsrer beyden
Vettern in London zu erzählen, als ihr durch Thränen genöthigt
wurdet, eure Geschichte zu unterbrechen.

York.
Wo blieb ich stehen?

Herzogin.
Bey dem kläglichen Absaz, Milord, da ruchlose unmenschliche Hände
aus einem Fenster Staub und Auskehricht auf König Richard herunter
schütteten.

York.
Der Herzog, der grosse Bolingbroke, von einem heissen feurigen
Hengst getragen, der, als ob er seinen emporstrebenden Reuter kenne,
mit langsamem aber stolzem Schritt dahergieng, sezte also, wie ich
sagte, seinen Zug fort, indem alle Zungen ihm entgegenriefen: Gott
erhalte dich, Bolingbroke!  Unzähliche weitoffne Augen schossen
ihre verlangende Blike nach ihm, und das Zujauchzen war so groß,
daß ihr gedacht hättet, die Mauren selbst mit den Bildern womit sie
übermahlt sind, hätten auf einmal zu ruffen angefangen: Gott
erhalte dich, willkommen, Bolingbroke!  Indeß daß er, sich immer
von einer Seite zur andern drehend, mit entblößtem Haupt, und alle
Augenblike bis unter seines stolzen Rosses Kopf sich bükend, ihnen
antwortete: Ich danke euch, meine Mitbürger; und so zog er langsam
die Strasse durch.

Herzogin.
O Jammer!  Armer Richard!  Wie gieng es ihm indessen?

York.
Wie in einem Schauspiel die Augen der Leute, wenn ein beliebter
Schauspieler die Scene verläßt, sich unachtsam von demjenigen
wegwenden, der zunächst auftritt, in der Einbildung, daß sie nichts
als ein langweiliges Gewäsche von ihm zu erwarten haben; eben so,
oder noch verächtlicher, runzelte sich jede Stirne, da Richard kam;
niemand rief.  Gott erhalte ihn!  Keine erfreute Zunge hieß ihn in
seiner Hauptstadt willkommen; sondern Staub wurde auf sein
geheiligtes Haupt geschüttet, den er mit einem so sanftmüthigen
Schmerz und mit einem Gesicht, worinn Thränen und Lächeln, auf eine
so herzrührende Art kämpften, von sich abschüttelte, daß, hätte
nicht Gott, aus irgend einer furchtbaren Ursache, die Herzen der
Menschen verhärtet, sie nothwendig hätten schmelzen, und Barbarey
selbst ihn hätte beweinen müssen.  (Aber der Himmel hat seine Hand
in diesen Begebenheiten, und in seinen hohen Willen müssen wir den
unsrigen ergeben.  Wir sind nun Bolingbroks Unterthanen, und ihm
hab' ich nun auf ewig meine Treue angelobt.)



Vierte Scene.
(Aumerle zu den Vorigen.)


Herzogin.
Hier kommt mein Sohn, Aumerle.

York.
Der Aumerle war, und es nicht mehr ist, weil er Richards Freund war.
Ihr müßt ihn nunmehr Rutland nennen, Madam; ich bin Bürge im
Parlament für seine Treue gegen den neuen König worden.

Herzogin.
Willkommen, Sohn; wo sind nun die Veilchen, die den grünen Schooß
des jungen Frühlings bestreuen?

Aumerle.
Madam, ich weiß es nicht, und bekümmre mich wenig darum.  Gott weiß,
daß es mir gleichgültig ist, ob ich bin, oder ob ich nicht bin.

York.
Gut, betragt euch wohl in diesem Frühling einer neuen Zeit, sonst
möchtet ihr abgeschnitten werden, eh ihr geblüht habt.  Was giebts
neues von Oxford?  Dauren diese Lustbarkeiten und Ritterspiele noch
immer fort?

Aumerle.
So viel ich weiß, noch immer.

York.
Geht ihr auch dahin?

Aumerle.
Wenn Gott es nicht verhindert, so ist es mein Vorsaz.

York.
Was für ein Siegel ist das, so aus deinem Busen heraushängt--Wie,
du erblassest?  Laß mich die Schrift sehen.

Aumerle.
Es ist nichts, Milord.

York.
So ist auch nichts daran gelegen, daß ichs sehe.  Ich will
befriedigt seyn, laß mich die Schrift sehen.

Aumerle.
Ich bitte Euer Gnaden um Vergebung; es ist eine Kleinigkeit, die
ich aus gewissen Ursachen nicht gerne sehen lassen möchte.

York.
Die ich aus gewissen Ursachen sehen will, Herr.  Ich fürchte, ich
fürchte--


Herzogin.
Was könnt ihr fürchten, Milord?  Es wird nichts als irgend eine
Handschrift seyn, die er wegen seiner Equipage zum Einzug
ausgestellt haben wird.

York.
Ich glaube du bist nicht klug, Weib--Jung, laß mich die Schrift
sehen.

Aumerle.
Ich bitte euch, haltet mir's zu Gnaden; ich kan es nicht sehen
lassen.

York.
Ich will es aber sehen, sag ich--

(Er reißt ihms weg und ließt es.)

Verrath!  Schändlicher Hochverrath!  Nichtswürdiger!  Verräther!
Sclave!

Herzogin.
Was ist es dann, Milord?

York.
He!  wer ist da drinn?  Sattlet mein Pferd.  Himmel, was für eine
Verrätherey ist das!

Herzogin.
Wie, was ist es, Milord?

York.
Meine Stiefel her, sag ich; sattlet mein Pferd.  Nun bey meiner
Ehre, bey meinem Leben, ich will dein Ankläger seyn, Bösewicht.

Herzogin.
Was ist es dann?

York.
Still, närrisches Weibsbild.

Herzogin.
Ich will nicht still seyn; was ist es, Sohn?

Aumerle.
Meine gute Mutter, gebt euch zufrieden, es ist nichts mehr, als
wovor mein armes Leben gut stehen muß.

Herzogin.
Dein Leben!




Fünfte Scene
(Ein Bedienter kommt mit Stiefeln herein.)


York.
Gieb mir die Stiefel her; ich will zum Könige.

Herzogin.
Schlag ihn zu Boden, Aumerle--(Armer Junge, du bist betäubt.) Weg,
Schurke, und komm mir nicht mehr vor die Augen.

(Zum Bedienten.)

York.
Meine Stiefel!

Herzogin.
Wie, York, was willt du thun?  Du willt den Tod deines eignen Kinds
befördern?  Haben wir noch mehr Söhne?  Oder können wir noch mehr
bekommen?  Willt du meinen einzigen Sohn in meinem Alter von mir
reissen, und mich des glükseligen Namens einer Mutter berauben?
Ist er nicht dein eigen?

York.
Du zärtliche Thörin!  Wolltest du diese schwarze
Zusammenverschwörung verheeren?  Ihrer Zwölfe haben das Sacrament
empfangen, und sich die Hände darauf gegeben, den König zu Oxford
zu ermorden.

Herzogin.
Das soll er nicht; wir wollen ihn hier behalten.

York.
Weg, närrisches Weib.  Wär' er zwanzigmal mein Sohn, so wollt' ich
ihn angeben.

Herzogin.
Hättest du seinetwegen ächzen müssen wie ich, du würdest
mitleidiger seyn.  Aber nun merke ich deine Gedanken; du argwöhnest,
daß ich deinem Bette ungetreu gewesen sey, und daß er ein Bastard
sey, nicht dein Sohn; liebster York, liebster Gemal, denke nicht so;
er ist dir so gleich als man seyn kan; er ist weder mir noch
irgend jemand aus meiner Verwandtschaft ähnlich, und doch lieb ich
ihn.

York.
Aus dem Weg, widerspenstiges Weibsbild.

(Er geht ab.)

Herzogin.
Geh ihm nach, Aumerle; besteig' sein Pferd, sporn' es so gut, daß
du vor ihm zum König kommst, und bitt' um Gnade, eh er dich
anklagen kan.  Ich will nicht lange dahinten bleiben; wenn ich
schon alt bin, so will ich doch noch wol so schnell reiten als York;
und nimmer will ich vom Boden aufstehen, bis Bolingbroke dich
begnadigt hat.  Hinweg.

(Sie gehen ab.)



Sechste Scene.
(Verwandelt sich in den Hof zu Windsor.)
(Bolingbroke, Percy, und andre Lords treten auf.)


Bolingbroke.
Kan mir niemand Nachricht von meinem ungerathnen Sohne geben?  Es
sind volle drey Monate, seitdem ich ihn das leztemal sah.  Wenn ja
eine Plage über uns hängt, so ist es er; ich wollte zu Gott,
Milords, daß er gefunden würde.  Fragt zu London in den
Weinschenken nach ihm, denn dort sagt man, hält er sich täglich in
Gesellschaft zügelloser lüderlicher Leute auf, sogar mit solchen,
die in holen Wegen lauren und die Reisenden berauben, indeß daß der
junge ausgelassene Bube eine Ehre darinn sucht, eine so schändliche
Rotte zu beschüzen.

Percy.
Gnädigster Herr, es sind etwann zween Tage, daß ich den Prinzen sah,
und ihm von den Ritterspielen zu Oxford erzählte.

Bolingbroke.
Und was antwortete der Busch-Klöpfer?

Percy.
Er sagte, er wolle in ein Bordel, und der gemeinsten Meze einen
Handschuh abziehen, ihn ihr zu Ehren auf den Hut steken, und damit
den herzhaftesten Ritter aus dem Sattel heben.

Bolingbroke.
So lüderlich als wild; und doch seh' ich durch beydes einige Funken
von Hoffnung schimmern, welche mit zunehmenden Jahren glüklich
ausschlagen mögen.  Aber wer kommt hier?  (Aumerle zu den Vorigen.)

Aumerle.
Wo ist der König?

Bolingbroke.
Was hat unser Vetter, daß er so starr und wild aussieht?

Aumerle.
Gott erhalte Euer Majestät.  Ich bitte euch, etliche Augenblike mit
Euer Majestät allein sprechen zu dürfen.

Bolingbroke.
Entfernet euch, und laßt uns hier allein; was ist dann nun die
Sache, Vetter?

Aumerle (kniend.)
Auf ewig mögen meine Knie in die Erde wachsen, und meine Zunge an
meinen Gaumen, oder Euer Majestät ertheile mir Gnade, eh ich rede!

Bolingbroke.
Was ist dein Fehler, vorgesezt, oder würklich begangen?  Wenn nur
das erste, so groß er seyn mag, so vergeb' ich ihn dir, um deine
künftige Liebe zu gewinnen.

Aumerle.
So erlaubet mir, Gnädigster Herr, daß ich den Schlüssel umdrehen
darf, damit niemand herein komme, bis meine Erzählung zu ende ist.

Bolingbroke.
Das magst du.

York (hinter der Scene.)
Gnädigster Herr, nehmt euch in Acht, seht euch vor, ihr habt einen
Verräther bey euch.

Bolingbroke (zu Aumerle.)
Nichtswürdiger, ich will bald mit dir fertig seyn--

Aumerle.
Halt deine rächende Hand zurük, du hast keine Ursache zu fürchten.

York.
Mach die Thür auf, sichrer, unbesonnener König; öffne die Thür,
oder ich werde sie einstossen.



Siebende Scene.
(York zu den Vorigen.)


Bolingbroke.
Was giebt es, mein Oheim?  Sprich, komm erst zu Athem; sag uns, wie
nah ist die Gefahr, damit wir uns waffnen können, ihr entgegen zu
gehen?

York.
Überlies diese Schrift, so wirst du die Verrätherey kennen, von
der ich, athemloß wie ich bin, noch nicht reden kan.

Aumerle.
Erinnre dich, indem du liesest, deines gegebnen Versprechens.  Es
reuet mich, lies meinen Namen nicht, mein Herz ist kein
Bundsgenosse meiner Hand.

York.
Nichtswürdiger, dein Herz war ein Verräther, eh deine Hand es war--
ich riß es aus des Verräthers Busen, König.  Furcht, nicht Liebe
zeugt seine Reue; habe kein Mitleiden mit ihm, oder dein Mitleiden
möchte eine Schlange werden, und dein Herz durchstechen.

Bolingbroke.
O grauliche, verwegne und mächtige Verschwörung!  O rechtschaffner
Vater eines verrätherischen Sohns, du reine, unbeflekte
Silberquelle, aus welcher dieser Strom durch sumpfige Örter
geflossen, und so sich selbst verunreinigt hat.  Der Überfluß
deiner Verdienste soll diesen tödtlichen Fleken von deinem
verbrecherischen Sohn abwaschen.

York.
So würde meine Tugend die Kupplerin seines Lasters seyn; und wie
verschwendrische Söhne ihrer kargen Väter Gold, so würde er durch
seine schändliche Thaten meine Ehre verprassen.* Meine Ehre lebt
nur, wenn seine Schande stirbt; du tödtest mich, du tödtest den
rechtschaffnen Mann, wenn du den Verräther leben lässest.

{ed.-* Von hier bis zur 9ten Scene lauter Reime im Original.}

Die Herzogin (hinter der Scene.)
O!  Gnädigster Herr, um Gottes willen, laßt mich ein.

Bolingbroke.
Was für ein hellstimmiger Supplicant macht dieses ängstliche
Geschrey?

Herzogin.
Ein Weib, und deine Tante, grosser König, ich bin's.  O lasset mich
vor, habet Mitleiden mit mir, laßt die Thür öffnen.  Eine Bettlerin
bettelt, die zuvor noch nie gebettelt hat.

Bolingbroke.
Unsre Scene hat ihre ernsthafte Gestalt verlohren, und hat sich in
den Bettler und den König verwandelt; mein gefährlicher Vetter,
laßt eure Mutter herein, sie kommt ohne Zweifel für euch zu bitten.

York.
Wenn du vergiebst, wer es auch sey, der dich um Gnade bittet, so
wird deine Gnade die Aufmuntrung zu neuen Verbrechen seyn.
Schneide dieses eyternde Gelenk ab, so bleibt das übrige gesund; wo
nicht, so wird der ganze Leib angestekt werden.



Achte Scene.
(Die Herzogin von York zu den Vorigen.)


Herzogin.
O König, glaube nicht diesem hartherzigen Mann; wer kan jemand
andern lieben, der sich selbst nicht liebt?

York.
Du aberwiziges Weibsbild, was machst du hier?--

Herzogin.
Geduld, lieber York; höret mich, Gnädigster Herr.

(Sie kniet.)

Bolingbroke.
Steht auf, meine Tante.

Herzogin.
Noch nicht, ich bitte euch; ewig will ich hier auf meinen Knien
ligen, bis du durch die Begnadigung meines armen Sohns mir das
Leben giebst.

Aumerle.
Kniend füg' ich zu meiner Mutter Bitte die meinige.

York.
Und kniend heißt mich meine Treue wider beyde bitten; nimmer wirst
du gedeyhen, wenn du Gnade widerfahren lässest.

Herzogin.
Bittet er im Ernst?  O betrachtet sein Gesicht; seine Augen lassen
keine Thränen fallen, sein Bitten ist nur Verstellung, seine Worte
kommen nur aus seinem Mund, unsre aus dem Herzen; er bittet nur, um
nicht erhört zu werden, wir bitten mit Herz und Seele; seine müden
Knie, ich weiß es, hoffen freudig aufzustehen; die unsrige sollen
knien, bis sie in den Boden wachsen.  O so laßt dann unser
aufrichtiges Flehen seine heuchlerische Bitte überschreyen!

Bolingbroke.
Meine liebe Tante, steht auf.

Herzogin.
Nein, sagt nicht, daß ich aufstehen soll, ihr habt dann zuvor seine
Begnadigung ausgesprochen.  O wär ich deine Amme, und sollte dich
reden lehren, Gnade sollte das erste Wort seyn, das deine Zunge
aussprechen lernte.  Noch nie verlangte ich mit Ungeduld ein Wort
zu hören als izt, o König, sprich Gnade, so erhältst du zwey Leben
mit einem Wort.

Bolingbroke.
Steht auf, meine gute Tante.

Herzogin.
Ich bitte nicht, um Erlaubniß, zu stehen; Vergebung ist alles,
warum ich bitte.

Bolingbroke.
Ich vergebe ihm, wie der Himmel mir vergeben soll!

Herzogin.
O!  du bist ein Gott auf Erden!  Wo ist ein Wort, das aus einem
königlichen Munde schöner tönt?  O!  Sag es noch einmal, mein
ängstlich-zweifelndes Herz gewiß zu machen.

Bolingbroke.
Von ganzem Herzen vergeb' ich ihm.  Aber was unsern getreuen
Schwager, den Abbt, betrift--und alle übrige von dieser zusammen-
verschwornen Rotte, die soll unerbittliches Verderben an den Fersen
ereilen!--Mein geliebter Oheim, sorget dafür, daß eine hinlängliche
Anzahl von Truppen nach Oxford, oder wo diese Verräther immer seyn
mögen, abgeordnet werde.  Ich will sie haben, sobald ich weiß wo
sie sind, und ich schwöre sie sollen in dieser Welt nicht leben!
Lebet wohl, Oheim; und ihr, Vetter, Adieu; eure Mutter hat euch
gute Dienste gethan; es ist nun an euch, einen guten Gebrauch davon
zu machen.

Herzogin.
Komm, mein alter Sohn; ich bitte den Himmel, daß er dich neu mache.

(Sie gehen ab.)



Neunte Scene.
(Exton und ein Bedienter treten auf.)


Exton.
Hörtest du die Worte nicht, die dem König entfuhren: "Hab ich denn
keinen Freund, der mich von diesen unaufhörlichen Besorgnissen
befreyen mag?" Sagte er nicht so?

Bedienter.
Das waren würklich seine Worte.

Exton.
"Hab' ich keinen Freund?"--sagte er; er sagte es zweymal, und
zweymal mit einer gewissen Heftigkeit.  That er's nicht?

Bedienter.
Er that es.

Exton.
Und indem er's sagte, sah' er mir starr ins Gesicht, als wollt' er
sagen--Ich wünsche, du wär'st der Mann, der mein Herz dieser
Besorgnisse erledigen möchte--er meynte den König zu Pomfret.  Komm,
wir wollen gehen--Ich bin des Königs Freund, und will ihm von
seinem Feinde helfen.

(Sie gehen ab.)



Zehnte Scene.
(Verwandelt sich in das Gefängniß zu Pomfret-Castle.)
(König Richard tritt auf.)


König Richard.
Ich studiere schon lange, wie ich dieses Gefängniß, worinn ich lebe,
mit der Welt vergleichen wolle; und weil die Welt volkreich ist,
und hier kein anders Geschöpf als ich selbst, so kan ich nicht
damit zurecht kommen.  Und doch will ich's versuchen--Mein Gehirn
soll das Weib meiner Seele werden, und meine Seele, der Vater; und
diese zwey sollen ein Geschlecht von Gedanken mit einander zeugen,
und diese Gedanken sollen diese kleine Welt bevölkern, humorisirt,
wie die Einwohner der grossen Welt, denn kein Gedank' ist zufrieden.
Sogar die besten (die Gedanken von göttlichen Dingen) sind mit
Zweifeln untermischt, und sezen das Wort selbst dem Wort entgegen;
zum Exempel: Kommt, ihr Kleinen; und dann wieder: Es ist so schwer
zu kommen, als einem Cameel durch ein Nadelöhr zu gehen.--Gedanken,
die nach Unabhänglichkeit streben, brüten unmögliche Wunder aus,--
wie diese schwachen Nägel mir eine Öffnung durch die steinernen
Rippen dieser Kerker-Mauren krazen könnten, und weil sie es nicht
können, so zerplazen sie an ihrem eignen schwellenden Stolz.
Gedanken, die nach Vergnügen streben, schmeicheln sich selbst, "sie
seyen nicht die ersten Sclaven des Glüks, und werden nicht die
lezten seyn," (wie schelmisches Bettelvolk, wenn sie im Stok sizen,
sich damit trösten, daß schon viele da gesessen sind, und noch
viele sizen werden.) Und in diesem Gedanken finden sie eine Art von
Erleichterung, indem sie ihr eignes Elend auf dem Rüken derer
tragen, die ehmals das nemliche ausgestanden haben.  So spiel ich,
in einem Gefängniß, mancherley Personen, wovon keine mit sich
selbst zufrieden ist.  Zuweilen bin ich ein Fürst; dann macht
Verrätherey, daß ich mich zu einem Bettler wünsche, und das bin ich.
Alsdann überredet mich die Dürftigkeit, es sey mir besser gewesen,
da ich ein Fürst war, und dann werd' ich wieder gefürstet; und
unvermerkt besinn' ich mich, daß mich Bolingbroke entfürstet hat,
und da bin ich wieder nichts--Was ich aber seyn mag, so ist doch
dieses gewiß, weder ich noch irgend ein andrer, wer er seyn mag,
wird eher nicht zur Ruhe kommen, bis er nicht mehr ist--Hör' ich
nicht Musik?

(Eine Musik.)

Ha, ha!  Haltet den Tact; wie widrig die anmuthigste Musik ist,
wenn das Zeitmaaß gebrochen, und die Proportion nicht gehalten wird!
So ist es auch mit der Musik des menschlichen Lebens--Wie kommt
es, daß ich ein so feines Ohr habe, von dem kleinsten Mißklang
einer verstimmten Sayte, oder eines verspäteten Tons beleidigt zu
werden; und daß ich kein Ohr hatte, die schlechte Zusammenstimmung
in meinem Staat, das gebrochne Zeitmaaß in meiner Regierung zu
bemerken?  Ich verderbte die Zeit; nun verderbt die Zeit mich.  Die
Zeit hat nun ihre Stunden-Uhr aus mir gemacht; meine Gedanken sind
die Minuten, und meine jammernden Seufzer die Töne, die an mein
Herz anschlagen, und so die Stunden anzeigen--Diese Musik macht
mich närrisch--laßt sie schweigen; wenn sie gleich schon öfters
närrischen Leuten wieder zu ihrem Verstand geholfen hat, so scheint
es doch an mir, daß sie kluge Leute närrisch mache.  Und doch
gesegnet sey der, so sie mir giebt; es ist immer ein Zeichen seiner
Liebe, und Liebe zu Richard ist ein seltnes Kleinod in einer Welt,
wo der Haß allezeit den Fall begleitet.



Eilfte Scene.
(Ein Stallknecht kommt herein.)


Stalknecht.
Heil, königlicher Herr!

König Richard.
Grossen Dank, edler Pair.  Der Wohlfeilste von uns beyden ist um
zehn Groschen zu theuer.  Wer bist du?  Wie kommst du hieher?
Wohin niemand kommt, als ein schwermüthiger Sclave, der mir zu
essen bringt; um mein Unglük zu verlängern.

Stalknecht.
Ich war ein armer Stallknecht in deinem Marstall, König, wie du
noch ein König warst; und da ich unlängst nach York reisen mußte,
so hab' ich um die Erlaubniß angesucht, meinen ehmaligen Herrn
sehen zu dürfen.  O wie weh that mir's im Herzen, wie ich in den
Strassen von London, an dem Krönungs-Tag zusehen mußte, wie
Bolingbroke auf dem weiß- und roth getüpfelten Barber, euerm
Leibpferd, ritt; auf diesem Pferd das ihr so oft geritten, und das
ich mit so grosser Sorgfalt abgerichtet hatte.
                
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