Bernard Shaw

Der Mann des Schicksals Komödie in einem Akt
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(Napoleon.)  Selbstverständlich!  (Sich plötzlich besinnend:)
Halt--nein!  (Er rafft sich ehrfürchtig zusammen und sagt wie ein Mann,
der einen frommen Dienst verrichtet:)  Ich bin nur ein Diener der
französischen Republik.  Ich folge demütig den Fußtapfen der Helden
des klassischen Altertums.  Ich gewinne Schlachten für die
Menschheit--für mein Vaterland--nicht für mich!

(Dame enttäuscht:)  Oh, dann sind Sie doch auch nur ein weibischer Held.
(Sie setzt sich wieder, den Ellbogen auf die Lehne des Sofas, die
Wange in die Hand gestützt; alle ihre Begeisterung ist gewichen.)

(Napoleon höchst erstaunt:)  Weibisch?!

(Dame teilnahmslos:)  Ja, wie ich.  (Mit tiefer Melancholie:)  Glauben
Sie, wenn ich jene Depeschen nur für mich brauchte, daß ich mich dann
ihretwegen in eine Schlacht wagen würde?  Nein! wenn das alles wäre,
würde ich nicht einmal den Mut finden, Sie in Ihrem Hotel aufzusuchen.
Mein Mut ist bloß Sklaverei.  Ich weiß damit für meine eigenen Zwecke
nichts anzufangen.  Nur aus Liebe, aus Mitleid, aus dem Instinkt
heraus, einen andern zu retten und zu beschützen, kann ich Dinge tun,
die mich entsetzen.

(Napoleon verachtungsvoll:)  Pah!  (Er wendet sich geringschätzig von
ihr fort.)

(Dame.)  Aha! nun begreifen Sie, daß ich nicht wirklich mutig bin.
(Fällt wieder in ärgerliche Teilnahmslosigkeit zurück.)  Aber was für
ein Recht haben Sie, mich zu verachten, wenn Sie Ihre Schlachten auch
nur für andere gewinnen?  Für Ihr Land, aus Patriotismus--das ist es,
was ich weibisch nenne: das ist der echte Franzose.

(Napoleon wütend:)  Ich bin kein Franzose!

(Dame unschuldig:)  Ich glaubte zu hören, daß Sie sagten, Sie hätten
die Schlacht bei Lodi für Ihr Land gewonnen, General Bu... soll ich es
französisch oder italienisch aussprechen?

(Napoleon.)  Sie verlassen sich auf meine Geduld, Madame.  Ich wurde
als französischer Untertan geboren, aber nicht in Frankreich.

(Dame kreuzt ihre Arme am Rande des Sofas und stützt sich darauf mit
einem deutlich aufflammenden Interesse:)  Ich glaube, Sie sind
überhaupt nicht als Untertan geboren.

(Napoleon hocherfreut, beginnt einen neuen Spaziergang:)  Sieh da!  Das
meinen Sie also?

(Dame.)  Ich bin davon durchdrungen!

(Napoleon.)  Nun, nun, Sie mögen vielleicht recht haben.  (Die
Selbstgefälligkeit seiner Beipflichtung fällt ihm selbst auf.  Er hält
errötend inne und begibt sich in eine feierliche, den Helden des
klassischen Altertums nachgeahmte Pose und nimmt einen höchst
moralischen Ton an.)  Aber wir dürfen niemals ausschließlich für uns
leben, liebes Kind.  Vergessen Sie nie, daß wir immer an andere denken
sollen, für andere arbeiten, sie zu ihrem Besten lenken und regieren.
Selbstaufopferung ist die Grundlage aller echten Charaktergröße.

(Dame gibt mit einem Seufzer ihre Stellung wieder auf:)  Daran sieht
man leicht, daß Sie sie selbst nie versucht haben, Herr General.

(Napoleon entrüstet, vergißt alles über Brutus und Scipio:)  Was wollen
Sie mit diesen Worten sagen, Madame?

(Dame.)  Haben Sie nicht beobachtet, daß die Menschen den Wert der
Dinge, die sie nicht besitzen, immer überschätzen?  Die Armen glauben,
daß sie nichts als Reichtümer brauchten, um vollkommen glücklich und
gut zu sein.  Jedermann betet Wahrheit, Reinheit, Selbstlosigkeit aus
demselben Grunde an,--weil er auf diesen Gebieten keine Erfahrung hat.
Oh, wenn Sie nur wüßten!

(Napoleon mit ärgerlichem Hohn:)  Wenn Sie nur wüßten--?  Ich bitte Sie,
haben (Sie) vielleicht Erfahrung darin?

(Dame läßt die Arme fallen und faltet die Hände über den Knien, gerade
vor sich hinblickend:)  Ja, ich hatte das Unglück, gut auf die Welt zu
kommen.  (Einen Augenblick zu ihm aufschauend:)  Und ich kann Ihnen
versichern, es (ist) ein Unglück, Herr General.  Ich bin wirklich
wahrheitsliebend und selbstlos und alles, was dazu gehört, aber das
ist nichts als Feigheit, Mangel an Charakter, Mangel an dem Mut,
wirklich mit aller Kraft und unbedingt sich selbst treu zu sein.

(Napoleon.)  Ha!  (Wendet sich rasch zu ihr um, mit einem Aufleuchten
starken Interesses:)

(Dame ernst, mit wachsendem Enthusiasmus:)  Was ist das Geheimnis Ihrer
Macht?  Nur, daß Sie an sich selbst glauben.  Sie können nur für sich
kämpfen und siegen--für niemand sonst.  Sie haben keine Angst vor
Ihrem eigenen Schicksal, Sie zeigen uns, was wir (alle) erreichen
könnten, wenn wir den Willen und den Mut dazu hätten, und das
(plötzlich vor ihm auf die Knie fallend:)  ist der Grund, warum wir Sie
alle anzubeten beginnen.  (Sie küßt seine Hände.)

(Napoleon in Verlegenheit:)  Aber--aber--bitte, erheben Sie sich,
Madame!

(Dame.)  Weisen Sie meine Huldigung nicht zurück.  Sie haben ein Recht
darauf--Sie werden einst als Kaiser über Frankreich herrschen----

(Napoleon rasch:)  Nehmen Sie sich in acht, das ist Hochverrat!

(Dame darauf bestehend:)  Jawohl--als Kaiser über Frankreich--dann über
Europa--vielleicht über die ganze Welt...  Ich bin nur der erste
Untertan, der Ihnen Treue schwört.  (Küßt wieder seine Hand.)  Mein
Kaiser!

(Napoleon hebt sie überwältigt auf:)  Ich bitte Sie--nein, nein, Kind,
das ist Wahnsinn!  Gehen Sie, beruhigen Sie sich!  (Sie streichelnd:)
So, so, liebes Kind!

(Dame mit Glückstränen kämpfend:)  Ja, ich weiß, daß es unverschämt ist,
Ihnen Dinge zu sagen, die Sie viel besser als ich wissen müssen.
Aber Sie sind mir nicht böse--nicht wahr, nein?

(Napoleon.)  Böse?  Nein, nein, nicht im geringsten, nicht im
geringsten!  Gehen Sie, Sie sind eine sehr gescheite, vernünftige und
interessante kleine Frau.  (Er streichelt ihre Wangen:)  Wollen wir
Freunde sein?

(Dame hingerissen:)  Ihre Freundin!  Sie wollen mir gestatten, Ihre
Freundin zu sein?  Oh!  (Sie reicht ihm ihre beiden Hände mit einem
strahlenden Lächeln.)  Sie sehen, ich beweise Ihnen mein Vertrauen.

(Napoleon mit einem Wutschrei und blitzenden Augen:)  Was?!

(Dame.)  Was ist geschehen?

(Napoleon.)  Ihr Vertrauen! damit ich Ihnen dafür mein Vertrauen
schenken und Ihnen gestatte, mir mit meinen Depeschen davonzugehen--was?
Ah, Delila, Delila!  Sie haben Ihre Künste an mir versucht, und ich war
ein ebenso großer Einfaltspinsel wie mein Esel von einem Leutnant.  (Er
geht drohend auf sie los.)  Geben Sie die Depeschen--schnell!  Ich lasse
jetzt nicht mehr mit mir spaßen!

(Dame um das Sofa herumfliehend:)  Herr General--

(Napoleon.)  Ich sage Ihnen--rasch!  (Er geht rasch durch die Mitte des
Zimmers und vertritt ihr den Weg, als sie sich gegen den Weingarten
wenden will.)

(Dame bietet ihm die Stirne wie ein gehetztes Tier:)  Wie können Sie es
wagen, in diesem Tone mit mir zu sprechen?

(Napoleon.)  Wagen?!

(Dame.)  Ja--wagen!  Wer sind Sie, daß Sie sich herausnehmen dürfen,
mit mir auf so grobe Weise zu sprechen?  Oh, der niedrig geborene,
gemeine, korsische Abenteurer tritt sehr leicht bei Ihnen zutage.

(Napoleon außer sich:)  Sie Teufelin, Sie--(Wild:)  Zum letztenmal:
Wollen Sie mir die Papiere geben oder soll ich sie Ihnen
entreißen?--mit Gewalt!  (Dame läßt die Hände sinken:)  Ja, entreißen
Sie sie mir--mit Gewalt!  (Während er sie anstarrt wie ein
sprungbereiter Tiger, kreuzt sie in Märtyrerstellung ihre Arme über
der Brust.  Diese Geste und Pose wecken augenblicklich Napoleons
theatralischen Instinkt.  Er vergißt seine Wut, um ihr zu zeigen, daß
er ihr auch im Komödienspielen gewachsen ist.  Er läßt sie einen
Augenblick in Erwartung, dann hellt sich sein Gesicht plötzlich auf,
er legt die Hände mit herausfordernder Kälte auf den Rücken, sieht an
ihr ein paarmal hinauf und hinab, nimmt eine Prise Schnupftabak,
wischt seine Finger sorgfältig ab und steckt sein Taschentuch ein.
Ihre heroische Pose wird dadurch immer lächerlicher.)

(Napoleon endlich:)  Nun?

(Dame verlegen, aber die Arme noch immer in Ergebung gekreuzt:)  Nun,
was wollen Sie beginnen?

(Napoleon.)  Ihre Pose verderben!

(Dame.)  Sie roher Patron!  (Ihre Stellung aufgebend, geht sie an das
Sofaende, wendet sich mit dem Rücken dagegen, lehnt sich an und steht
ihm, mit den Händen auf dem Rücken, gegenüber.)

(Napoleon.)  So ist's besser.  Nun hören Sie mir zu.  Sie gefallen
mir--und was mehr ist, ich schätze Ihre Achtung.

(Dame.)  Dann schätzen Sie, was Sie nicht besitzen.

(Napoleon.)  Ich werde sie gleich besitzen.  Hören Sie: gesetzt den
Fall, ich würde mich von der Achtung, die ich Ihrem Geschlecht, Ihrer
Schönheit, Ihrem Heldentum und allem übrigen schuldig bin, bestimmen
lassen.  Nehmen Sie an, daß ich, obwohl nichts als solch sentimentaler
Kram zwischen diesen meinen Muskeln und jenen mir so wichtigen
Papieren stünde, die Sie bei sich haben und die ich haben will and
auch bekommen werde, nehmen Sie an, daß ich mit der Beute vor mir
schwankend werden und mit leeren Händen mich hinwegschleichen würde,
--oder, was noch ärger wäre, daß ich meine Schwäche zu verdecken
suchte, indem ich den großen Helden spielte und Ihnen den Gewaltakt
ersparte, den ich nicht anzuwenden wagte--würden Sie mich nicht aus
der tiefsten Tiefe Ihrer weiblichen Seele verachten?  Würde irgendeine
Frau so dumm sein?  Nun,--Bonaparte kann zeigen, daß er auch dieser
Lage gewachsen ist und, wenn nötig, unmännlich handeln darf.
Verstehen Sie mich?  (Ohne ein Wort au sprechen, richtet sich die Dame
auf und nimmt ein Paket mit Briefen aus den Brustfalten ihres Kleides.
Einen Moment fühlt sie sich versucht, sie ihm ins Gesicht zu werfen,
aber ihre gute Erziehung hält sie davon ab, ihrem Herzen auf gemeine
Weise Luft zu machen.  Sie überreicht sie ihm höflich und wendet bloß
den Kopf dabei ab.  Im Augenblick, als er sie nimmt, eilt sie nach der
entgegengesetzten Seite des Zimmers, bedeckt ihr Gesicht mit den
Händen und setzt sich, indem sie sich umwendet und das Gesicht der
Stuhllehne zukehrt.)

(Napoleon sich an den Papieren weidend:)  Ah, so ist's recht!  (Bevor
er sie öffnet, blickt er nach ihr hin und sagt:)  Sie entschuldigen...
(Er bemerkt, daß sie ihr Gesicht verdeckt hat.)  Sehr böse auf
mich--wie?  (Er bindet das Paket auf, dessen Siegel schon erbrochen
sind und legt es auf den Tisch, um seinen Inhalt zu untersuchen.)

(Dame ruhig, nimmt ihre Hände herab und zeigt, daß sie nicht weint,
sondern bloß nachdenkt:)  Nein, Sie hatten recht--aber Sie tun mir leid.

(Napoleon hält in der Tätigkeit, den obersten Brief aus dem Paket zu
nehmen, inne:)  Ich tue Ihnen leid--warum?

(Dame.)  Ich werde sehen müssen, wie Sie Ihre Ehre verlieren.

(Napoleon.)  Hm... ist das alles?  (Er nimmt den Brief in die Hand.)

(Dame.)  Und Ihr Glück.

(Napoleon.)  Glück, meine Liebe, ist mir das langweiligste Ding von der
Welt.  Wäre ich, was ich bin, wenn ich mich um Glück scherte?  Sonst
noch etwas?

(Dame.)  Nichts--(Er unterbricht sie mit einem Ausruf der Befriedignng;
sie fährt ruhig fort:)  als daß Sie eine sehr komische Figur in den
Augen Frankreichs abgeben werden.

(Napoleon rasch:)  Was?!  (Die Hand, die den Brief hält, fällt
unwillkürlich herab.  Die Dame blickt ihn rätselhaft an und verharrt
in ruhigem Schweigen.  Er wirft den Brief hin und bricht in einen
Strom von Schmähungen aus:)  Was meinen Sie damit, wie?  Beginnen Sie
Ihre Kunststücke von neuem?  Glauben Sie, daß ich nicht weiß, was
diese Papiere enthalten?...  Ich will es Ihnen sagen.  Erstens die
Verständigung über Beaulieus Rückzug... er hat ja nur die Wahl
zwischen zwei Dingen, die er tun kann, dieser dickköpfige Idiot!
Entweder sich in Mantua einschließen oder die Neutralität Venedigs
durch die Einnahme von Peschiera verletzen.  Sie sind einer von den
Spionen des alten Idioten.  Er hat entdeckt, daß er verraten wurde,
und hat Sie ausgesandt, um diese Nachricht um jeden Preis zu vereiteln.
Als wenn ihn das vor mir retten könnte, den alten Narren!  Die
andern Papiere enthalten nur meine gewöhnliche Pariser Korrespondenz,
über die Sie nichts wissen.

(Dame rasch und geschäftsmäßig:)  Herr General, lassen Sie uns ehrlich
teilen: nehmen Sie die Nachrichten, die Ihnen Ihre Spione über die
österreichische Armee gesandt haben, und geben Sie mir die Pariser
Korrespondenz--das soll mir genügen.

(Napoleon ganz atemlos über die Ruhe, mit der sie diesen Vorschlag
macht:)  Ehrlich tei...  (Er schnappt nach Luft.)  Mir scheint, Madame,
daß Sie meine Briefe als Ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten, dessen
ich Sie zu berauben versuche!

(Dame ernst:)  Nein, bei meiner Ehre, ich verlange keinen Ihrer
Briefe--nicht ein Wort, das von Ihnen oder an Sie geschrieben wurde.
Dieses Paket enthält einen gestohlenen Brief: einen Brief, den eine
Frau einem Manne geschrieben hat, einem Manne, der nicht ihr Gatte ist,
--einen Brief, der Schande, Infamie bedeutet--

(Napoleon.)  Einen Liebesbrief?

(Dame bitter-süß:)  Was sonst als ein Liebesbrief könnte so viel Haß
aufrühren?

(Napoleon.)  Warum wurde er an mich gesandt?  Um den Gatten in meine
Gewalt zu geben--was?

(Dame.)  Nein, nein--er kann Ihnen in keiner Weise nützlich sein.  Ich
schwöre Ihnen, daß es Sie nichts kosten wird, wenn Sie ihn mir geben.
Er wurde Ihnen aus reiner Bosheit zugesandt--einzig und allein, um die
Frau, die ihn geschrieben hat, zu kompromittieren.

(Napoleon.)  Warum hat man ihn nicht ihrem Manne geschickt?  Was soll
ich damit?

(Dame vollkommen aus dem Text gebracht:)  Oh!  (Sie sinkt in den Stuhl
zurück:)  Ich... weiß es nicht.  (Sie bricht zusammen.)

(Napoleon.)  Aha! ich dacht' es gleich,--ein kleiner Roman, um die
Papiere zurückzubekommen.  (Er wirft das Paket auf den Tisch und tritt
vor sie hin, in zynisch guter Laune,) Per Bacco, kleine Frau! ich kann
nicht umhin, Sie zu bewundern!  Wenn ich so zu lügen verstünde wie Sie,
ich könnte, mir viele Mühe ersparen.

(Dame die Hände ringend:)  Oh, wie ich wünschte, daß ich Ihnen wirklich
bloß eine Lüge erzählt hätte!  Dann würden Sie mir geglaubt haben!
Das einzige, was niemand glauben will, ist die Wahrheit.

(Napoleon mit roher Vertraulichkeit, behandelt sie, als ob sie eine
Marketenderin wäre:)  Ausgezeichnet, ausgezeichnet!  (Er legt seine
Hände hinter sich auf den Tisch und setzt sich mit in die Seite
gestemmten Armen und weit auseinander gestreckten Beinen auf den Tisch.)
Gehen Sie!  Ich bin ein echter Korse in meiner Vorliebe für
Geschichten!  Aber ich könnte sie besser erzählen als Sie, wenn ich
mir's angelegen sein ließe.  Wenn man Sie wieder einmal fragen sollte,
warum man einen Brief, der eine Frau kompromittiert, nicht ihrem
Gatten schicken soll, dann antworten Sie einfach: Weil ihn der Gatte
nicht lesen würde.--Oder bilden Sie sich ein, Sie kleine Unschuld, daß
ein Ehemann von der öffentlichen Meinung gezwungen werden will, eine
Szene zu machen, ein Duell auszufechten, infolge eines Skandales
seinen Haushalt aufzugeben, seine Karriere zu zerstören, wenn er all
das verhindern kann, indem er sich hütet, etwas zu wissen?

(Dame empört:)  Und wenn dieses Paket einen Brief über Ihre eigene Frau
enthielte?

(Napoleon beleidigt, den Tisch verlassend:)  Sie werden unverschämt,
Madame!

(Dame demütig:)  Verzeihen Sie mir--Cäsars Frau ist über jeden Argwohn
erhaben.

(Napoleon mit wohlerwogener Überlegenheit:)  Sie haben eine
Indiskretion begangen--ich verzeihe Ihnen.  In Zukunft erlauben Sie
sich aber nicht, wirkliche Personen in Ihre Romane einzuführen.

(Dame höflich eine Rede überhörend, die ihr nur eine Vernachlässigung
der guten Manieren bedeutet, erhebt sie sich, um an den Tisch zu gehen:)
Herr General,--es ist wirklich der Brief einer Frau darunter.  (Auf
das Paket zeigend:)  Geben Sie ihn mir.

(Napoleon grob und kurz, mit einer Bewegung, die verhindern soll, daß
sie den Briefen zu nahe kommt:)  Warum?

(Dame.)  Er ist von einer alten Freundin, wir waren zusammen in der
Schule; sie hat mir geschrieben und mich angefleht, zu verhindern, daß
der Brief in Ihre Hände falle.

(Napoleon.)  Warum wurde er mir geschickt?

(Dame.)  Weil er den Direktor Barras kompromittiert.

(Napoleon die Stirne runzelnd, sichtlich erregt:)  Barras?  (Hochmütig:)
Nehmen Sie sich in acht, Madame.  Der Direktor Barras ist mein
treuer, persönlicher Freund.

(Dame nickt gelassen:)  Ja--Sie wurden durch Ihre Frau mit ihm
befreundet.

(Napoleon.)  Schon wieder!  Habe ich Ihnen nicht verboten, von meiner
Frau zu sprechen?  (Sie fährt fort, ihn neugierig anzublicken, ohne
diese Zurechtweisung zu beachten.  Mehr und mehr erregt, läßt er seine
hochmütige Art fallen, die ihm selbst etwas lästig wird, und sagt
argwöhnisch, mit leiser Stimme:)  Wer ist diese Frau, mit der Sie so
tief sympathisieren?

(Dame.)  Oh, Herr General, wie könnte ich Ihnen das sagen?!

(Napoleon übellaunig, beginnt er wieder ärgerlich verwundert auf und
ab zu gehen:)  Ja, ja--die eine hilft der andern--Ihr Weiber seid alle
gleich!

(Dame entrüstet:)  Wir sind nicht alle gleich--nicht mehr, als Ihr es
seid!  Glauben Sie, daß, wenn ich einen andern Mann liebte, ich
vorgeben würde, meinen Mann weiter zu lieben, oder mich fürchten würde,
ihm oder der ganzen Welt alles zu sagen?  Aber diese Frau ist nicht
aus solchem Stoff geschaffen--sie beherrscht die Männer, indem sie sie
betrügt, und (verachtungsvoll:)  sie lieben das und lassen sich von ihr
beherrschen.  (Sie setzt sich wieder nieder, mit dem Rücken gegen ihn.)

(Napoleon sich um sie nicht bekümmernd:)  Barras!  Barras!  (Wendet
sich drohend gegen sie, sein Gesicht verfinstert sich.)  Nehmen Sie
sich in acht! nehmen Sie sich in acht!--hören Sie!  Sie könnten zu
weit gehen!

(Dame wendet ihm unschuldig ihr Gesicht zu:)  Was haben Sie?

(Napoleon.)  Auf was spielen Sie an?  Wer ist diese Frau?

(Dame begegnet seinem ärgerlich forschenden Blick mit ruhiger
Gleichgültigkeit und bleibt, zu ihm aufsehend, mit übergeschlagenen
Beinen sitzen und läßt den rechten Arm leicht auf der Lehne des
Stuhles ruhen:)  Ein eitles, dummes, verschwenderisches Geschöpf, das
einen sehr fähigen und ehrgeizigen Mann hat, der sie durch und durch
kennt--der weiß, daß sie ihn über ihr Alter, ihr Einkommen, ihre
soziale Stellung, über alles, worüber dumme Frauen Lügen erzählen,
belogen hat,--der weiß, daß sie unfähig ist, irgendeinem Prinzip oder
irgendeinem Menschen treu zu sein, und doch nicht umhin kann, sie zu
lieben,--dessen männlicher Instinkt ihm sogar erlaubt, sie zu benützen,
um mit ihrer Hilfe bei Barras etwas zu erreichen.

(Napoleon mit einem leisen, kalt wilden Flüstern:)  Das ist Ihre Rache,
Sie Katze, weil Sie mir die Briefe herausgeben mußten!

(Dame.)  Unsinn!  Oder halten Sie sich selbst für so einen Menschen?

(Napoleon außer sich, schlingt die Hände auf dem Rücken ineinander,
seine Finger zucken, und er sagt, während er aufgeregt von ihr fort
zum Kamin geht:)  Dieses Weib wird mich noch um den Verstand bringen!
(Zu ihr:)  Gehen Sie!

(Dame bleibt unbeweglich sitzen:)  Nicht ohne jenen Brief.

(Napoleon.)  Hinaus, sage ich Ihnen!  (Er geht vom Kamin bis gegen den
Weingarten und wieder zurück an den Tisch.)  Sie werden keinen Brief
bekommen--Sie gefallen mir nicht!  Sie sind ein unausstehliches
Frauenzimmer and häßlich wie der leibhaftige Satan!  Ich lasse mich
nicht von fremden Weibern belästigen!  Machen Sie, daß Sie fortkommen!
(Er wendet ihr den Rücken zu.  Sie stützt ihre Wange in die Hand und
lacht in stillem Vergnügen über ihn.  Er wendet sich wieder um, ihr
ärgerlich nachahmend:)  Hahaha!  Worüber lachen Sie?

(Dame.)  Über Sie, Herr General.  Ich habe schon oft Menschen Ihres
Geschlechtes aufgebracht und sich wie Kinder benehmen sehen, aber ich
habe das noch nie zuvor an einem wirklich großen Manne beobachtet.

(Napoleon brutal, ihr die Worte ins Gesicht schleudernd:)  Pah!
Schmeichelei!  Schmeichelei! plumpe, unverschämte Schmeichelei!

(Dame springt mit jähem Erröten auf:)  Oh, Sie gehen zu weit!  Behalten
Sie Ihre Briefe, lesen Sie darin die Geschichte Ihrer eigenen Schande,
und möge sie Ihnen gut bekommen!  Leben Sie wohl!  (Sie geht entrüstet
zur inneren Türe.)

(Napoleon.)  Meine eigene--!  Bleiben Sie!  Kommen Sie zurück!  Ich
befehle Ihnen zu bleiben!  (Sie mißachtet stolz seinen wilden
befehlshaberischen Ton und setzt den Weg zur Tür fort.  Er springt auf
sie zu, faßt sie beim Handgelenk and zerrt sie zurück.)  Jetzt werden
Sie mir sagen, was Sie meinen... erklären Sie sich!  Erklären Sie,
sage ich Ihnen, sonst--!  (Bedroht sie.  Sie sieht ihn mit furchtlosem
Trotz an.)  Brr!  Sie hartnäckiger Teufel, Sie! warum wollen Sie eine
höfliche Frage nicht beantworten?

(Dame durch seine Heftigkeit tief verletzt:)  Warum fragen Sie mich?
Sie haben ja die Erklärung.

(Napoleon.)  Wo?

(Dame zeigt auf den Tisch mit den Briefen:)  Dort!  Sie brauchen nur zu
lesen.  (Er nimmt das Paket auf, zögert, sieht sie argwöhnisch an und
wirft es wieder hin.)

(Napoleon.)  Sie scheinen die Sorge um die Ehre Ihrer alten Freundin
vergessen zu haben?

(Dame.)  Jetzt läuft sie keine Gefahr mehr: sie versteht ihren Mann
nicht ganz.

(Napoleon.)  Soll ich den Brief also lesen?  (Er streckt seine Hand aus,
als ob er das Paket wieder aufgreifen wollte, den Blick auf sie
gerichtet.)

(Dame.)  Ich sehe nicht, wie Sie jetzt noch vermeiden könnten, ihn zu
lesen.  (Er zieht seine Hand sofort zurück.)  Oh, fürchten Sie sich
nicht.  Sie werden mancherlei interessante Dinge darin finden.

(Napoleon.)  Zum Beispiel?

(Dame.)  Zum Beispiel: ein Duell--mit Barras, eine häusliche Szene,
einen aufgelösten Haushalt, einen öffentlichen Skandal, eine zerstörte
Karriere--allerlei interessante Dinge--

(Napoleon.)  Hm!  (Er sieht sie an, nimmt das Paket und betrachtet es,
spitzt die Lippen und wiegt es in der Hand, sieht sie dann wieder an,
nimmt das Paket in seine linke Hand und stellt es hinter seinen Rücken;
seine rechte Hand erhebt er, um sich am Hinterkopf zu kratzen, indem
er sich umwendet und an die Schwelle des Weingartens geht, wo er einen
Augenblick stehen bleibt und, in tiefe Gedanken versunken, nach den
Weinreben blickt.  Die Dame beobachtet ihn schweigend, mit einiger
Geringschätzung.  Plötzlich kommt er wieder zurück, voll Kraft und
Entschlossenheit:)  Ich will Ihre Bitte erfüllen, Madame.  Ihr Mut und
Ihre Entschlossenheit verdienen einen Erfolg.  Nehmen Sie die Briefe,
für die Sie so gut gekämpft haben, und erinnern Sie sich hinfort daran,
daß Sie den niedrig geborenen, gemeinen, korsischen Abenteurer nach
der gewonnenen Schlacht dem Besiegten gegenüber ebenso großmütig
gefunden haben, wie er vorher im Angesichte des Feindes unerbittlich
war.  (Er bietet ihr das Paket an.)

(Dame ohne es zu nehmen, ihn hart anblickend:)  Ich frage mich, was Sie
wohl jetzt im Schilde führen.  (Er wirft das Paket wütend auf den
Boden.)  Aha!  Mir scheint, diesmal habe ich eine Pose verdorben.  (Sie
macht ihm eine hübsche, spöttische Verbeugung.)

(Napoleon hebt die Briefe wieder auf:)  Wollen Sie die Briefe nehmen
und dann gehen?  (Geht auf sie los und will sie ihr aufdrängen.)

(Dame um den Tisch herum entwischend:)  Nein! ich will Ihre Briefe
nicht.

(Napoleon.)  Vor zehn Minuten wollte Ihnen nichts anderes genügen.

(Dame den Tisch sorgfältig zwischen ihm und sich haltend:)  Vor zehn
Minuten hatten Sie mich noch nicht über alles Ertragen beleidigt.

(Napoleon.)  Dann... (seine Wut hinunterwürgend:)  dann bitte ich Sie um
Verzeihung.

(Dame kühl:)  Ich danke.  (Er bietet ihr mit erzwungener Höflichkeit
das Paket über den Tisch an; sie tritt einen Schritt zurück, aus
seinem Bereich, und sagt:)  Aber wollen Sie denn nicht mehr wissen, ob
die Österreicher in Mantua oder in Peschiera stehen?

(Napoleon.)  Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich meine Feinde ohne die
Mithilfe von Spionen zu besiegen weiß, Madame!

(Dame.)  Und den Brief--wollen Sie den nicht lesen?

(Napoleon.)  Sie haben gesagt, daß er nicht an mich adressiert ist--ich
habe nicht die Gewohnheit, anderer Leute Briefe zu lesen.  (Er bietet
ihr das Paket abermals an.)

(Dame.)  Wenn dem so ist, dann ist dagegen, daß Sie ihn behalten, gewiß
nichts einzuwenden.  Alles, was ich wollte, war: zu verhindern, daß
Sie ihn lesen.  (Heiter:)  Guten Abend, Herr General!  (Sie wendet sich
kühl nach der inneren Türe.)

(Napoleon wirft das Paket ärgerlich auf das Sofa:)  Himmel, gib mir
Geduld!  (Er pflanzt sich entschlossen vor der Tür auf und verstellt
ihr so den Weg.)  Fehlt Ihnen jeder Sinn für persönliche Gefahr, oder
gehören Sie zu den Frauen, die es lieben, schwarz und blau geschlagen
zu werden?

(Dame.)  Ich danke schön, Herr General--das müßte zweifellos eine sehr
reizvolle Sensation sein, aber ich verzichte lieber darauf.  Ich will
einfach nach Hause gehn, weiter nichts.  Ich war arglistig genug, Ihre
Depeschen zu stehlen, aber Sie haben sie zurückbekommen und haben mir
verziehen, weil (seinen rhetorischen Tonfall liebenswürdig
wiederholend:)  Sie nach der gewonnenen Schlacht ebenso großmütig gegen
den Besiegten sind, wie Sie vorher im Angesicht des Feindes
unerbittlich waren.  Wollen Sie mir nicht Lebewohl sagen?  (Sie reicht
ihm freundlich die Hand.)

(Napoleon das Entgegenkommen mit einer Gebärde maßloser Wut
zurückweisend, öffnet die Tür und ruft wütend:)  Giuseppe!  (Lauter:)
Giuseppe!  (Er schlägt die Tür zu und kommt in die Mitte des Zimmers.
Die Dame geht etwas gegen den Weingarten zu, um ihm auszuweichen.)

(Giuseppe erscheint an den Tür:)  Exzellenz befehlen?

(Napoleon.)  Wo ist der Narr?

(Giuseppe.)  Der Herr Leutnant hat, wie Exzellenz befohlen haben, ein
gutes Essen bekommen und erweist mir nun die Ehre, mit mir zu würfeln,
um sich die Zeit zu vertreiben.

(Napoleon.)  Schick' ihn her--bring ihn herein and komm mit ihm.

(Giuseppe läuft mit unentwegter Bereitwilligkeit hinaus.  Napoleon
wendet sich zu der Dame und sagt dabei barsch:)  Ich muß Sie bitten,
noch einige Augenblicke hierzubleiben, Madame.  (Er geht zum Sofa.
Sie schreitet vom Weingarten an der entgegengesetzten Seite des
Zimmers an das Büfett, lehnt sich dagegen und beobachtet ihn.  Er
nimmt das Paket vom Sofa und knöpft es langsam und sorgfältig in seine
Brusttasche, während er sie dabei mit einem Ausdruck betrachtet, der
besagen soll, daß sie den Zweck seines Vorgehens bald herausfinden und
über diesen Zweck nicht erfreut sein wird.  Es wird nichts mehr gesagt,
bis der Leutnant hereinkommt.  Giuseppe folgt ihm und bleibt
bescheiden in Bereitschaft vor dem Tische stehn.  Der Leutnant ohne
Mütze, ohne Degen und ohne Handschuhe und infolge seiner Mahlzeit in
viel besserer Laune und besserer Geistesverfassung wählt die Seite des
Zimmers, auf der die Dame steht, und wartet sehr behaglich, bis
Napoleon beginnt.)

(Napoleon.)  Herr Leutnant!

(Leutnant ermutigend:)  Herr General!

(Napoleon.)  Ich kann diese Dame nicht dazu bewegen, mir viele
Aufklärungen zu geben; aber es besteht kein Zweifel mehr darüber, daß
der Mann, der Sie durch seine List dahin brachte, Ihre Pflicht zu
verletzen, wie sie es bereits zugab, ihr Bruder ist.

(Leutnant triumphierend:)  Was habe ich Ihnen gesagt, Herr General?

(Napoleon.)  Sie müssen diesen Menschen finden, Ihre Ehre steht auf dem
Spiel, und der Ausgang des Feldzuges, das Schicksal Frankreichs--Europas
--der Menschheit vielleicht mag von den Mitteilungen abhängen, die jene
Depeschen enthalten.

(Leutnant.)  Ja, mir scheint, sie sind wirklich ziemlich wichtig.  (Als
ob er vorher kaum daran gedacht hätte.)

(Napoleon energisch:)  Sie sind so wichtig, Herr Leutnant, daß ich Sie
in Gegenwart Ihres Regiments degradieren werde, wenn Sie diese
Depeschen nicht wiederfinden.

(Leutnant.)  Hu!  Ich kann Ihnen versichern, daß dem Regimente das
wenig Spaß machen wird.

(Napoleon.)  Persönlich bedaure ich Sie; ich würde die Sache, wenn das
möglich wäre, gerne unterdrücken.  Aber ich werde zur Rechenschaft
gezogen werden, wenn ich nicht nach den Depeschen handle--ich werde
der ganzen Welt beweisen müssen, daß ich sie niemals bekommen habe,
was für Folgen das auch immer für Sie haben mag--es tut mir leid, aber
Sie sehen, ich kann mir nicht anders helfen.

(Leutnant gutmütig:)  Oh, nehmen Sie sich die Sache nicht zu Herzen,
Herr General, Sie sind wirklich zu gütig.  Was mir auch zustoßen
sollte, ich werde schon irgendwie durchkommen, und wir werden die
Österreicher für Sie schlagen--mit oder ohne Depeschen!  Ich hoffe,
Sie werden nicht darauf bestehen, daß ich ganz umsonst sofort Jagd
nach diesem Burschen mache.  Ich habe ja keine Ahnung, wo ich ihn
suchen soll.

(Giuseppe ehrerbietig:)  Sie vergessen, Herr Leutnant,--er hat Ihr
Pferd.

(Leutnant auffahrend:)  Das hab' ich ganz vergessen.  (Entschlossen:)
Ich werde nach ihm fahnden, Herr General, ich werde dieses Pferd, wenn
es irgendwo in Italien noch am Leben ist, aufstöbern, und ich werde
die Depeschen nicht vergessen--seien Sie unbesorgt.  Geh', Giuseppe,
und sattle eines von deinen schäbigen alten Postkutschpferden, während
ich meine Mütze, meinen Degen und die übrigen Sachen hole,--schnell,
marsch! fort mit dir!  (Drängt ihn hinaus.)

(Giuseppe.)  Sofort, Herr Leutnant, sofort!  (Er verschwindet im
Weingarten, den der Sonnenuntergang rötet.)

(Leutnant auf dem Wege nach der inneren Tür um sich blickend:)  Da
fällt mir ein, Herr General, habe ich Ihnen meinen Degen gegeben oder
nicht?  Oh, ich erinnere mich jetzt--(verdrießlich:)  Das kommt davon,
wenn man einen Menschen in Arrest setzt!  Man weiß dann nie, wo man
seine sieben Sachen gelassen...  (Er schwätzt sich aus dem Zimmer.)

(Dame noch vor dem Büfett:)  Was soll das alles bedeuten, Herr General?

(Napoleon.)  Er wird Ihren Bruder nicht finden.

(Dame.)  Selbstverständlich nicht; weil ich keinen habe.

(Napoleon.)  Die Depeschen werden unwiederbringlich verloren sein.

(Dame.)  Unsinn!  Sie sind in Ihrer Rocktasche.

(Napoleon.)  Sie werden einsehen, daß es schwerhalten wird, diese
abenteuerliche Behauptung zu beweisen.

(Die Dame fährt auf; er fügt mit treffendem Nachdruck hinzu:)  Diese
Papiere sind verloren.

(Dame ängstlich, an die Ecke des Tisches vorwärtsschreitend:)  Und
deshalb soll die Karriere dieses unglücklichen Menschen geopfert
werden?

(Napoleon.)  Seine Karriere?!  Der Bursche ist das Schießpulver nicht
wert, das er kosten würde, wenn ich ihn niederknallen ließe!  (Er
wendet sich verachtungsvoll ab und geht zum Kamin, wo er der Dame den
Rücken kehrt.)

(Dame gedankenvoll:)  Sie sind sehr hart.  Männer und Frauen sind Ihnen
nichts als Dinge, dazu da, von Ihnen gebraucht zu werden, selbst wenn
sie bei dem Gebrauch zugrunde gehn.

(Napoleon wendet sich zu ihr:)  Wer von uns beiden hat diesen Burschen
zugrunde gerichtet--ich oder Sie?  Wer hat ihm die Depeschen
abgelockt?  Haben Sie dabei an seine Karriere gedacht?

(Dame naiv bekümmert um den Leutnant:)  Oh, daran habe ich nicht
gedacht!  Es war brutal von mir--aber ich konnte nicht anders, nicht
wahr?  Wie hätte ich sonst die Papiere bekommen sollen?  (Flehentlich:)
Herr General, Sie werden ihm die Schande ersparen!

(Napoleon bitter lachend:)  Retten Sie ihn, da Sie so gescheit sind!
Sie waren es ja, die ihn ruiniert hat!  (Mit wilder Betonung:)  Ich
hasse einen schlechten Soldaten!  (Er geht entschlossen durch den
Weingarten hinaus; sie folgt ihm einige Schritte mit einer
beschwörenden Gebärde, wird aber durch die Rückkehr des Leutnants
aufgehalten, der mit Handschuhen und Mütze und umgürtetem Degen
marschbereit ist.  Er durchschreitet das Zimmer nach der äußeren Tür
zu, als sie ihm in den Weg tritt.)

(Dame.)  Herr Leutnant!

(Leutnant wichtig:)  Sie dürfen mich nicht aufhalten,--Dienst ist
Dienst, gnädige Frau.

(Dame flehentlich:)  O Herr Leutnant, was wollen Sie meinem armen
Bruder tun?

(Leutnant.)  Lieben Sie ihn sehr?

(Dame.)  Ich würde sterben, wenn ihm etwas zustieße--Sie müssen ihn
verschonen!  (Der Leutnant schüttelt düster den Kopf.)  Ja, ja, Sie
müssen--Sie werden...  Er darf noch nicht sterben!  Hören Sie mich!
Wenn ich Ihnen sage, wo er zu finden ist--wenn ich es unternehme, ihn
als Gefangenen in Ihre Hände zu liefern, damit Sie ihn dem General
Bonaparte übergeben können--wollen Sie mir dann als Offizier und
Edelmann bei Ihrer Ehre schwören, nicht mit ihm zu kämpfen oder ihn
auf irgendeine Weise schlecht zu behandeln?

(Leutnant.)  Aber gesetzt den Fall, daß er mich angreift... er hat
meine Pistolen!

(Dame.)  Dazu ist er viel zu feige.

(Leutnant.)  Davon bin ich durchaus nicht so überzeugt--der ist zu
allem fähig.

(Dame.)  Für den Fall, daß er Sie angreifen oder den leisesten
Widerstand leisten sollte, gebe ich Ihnen Ihr Versprechen zurück.

(Leutnant.)  Mein Versprechen?  Ich habe ja noch nichts versprochen.
--Schauen Sie!  Sie sind genau so gerieben wie Ihr Bruder.--Sie haben
mich auch mittels der besseren Seite meiner Natur übervorteilen wollen.
Und wie steht es mit meinem Pferd?

(Dame.)  Es ist in unsere Abmachung eingeschlossen, daß Sie Ihr Pferd
und Ihre Pistolen zurückbekommen sollen.

(Leutnant.)  Bei Ihrer Ehre?

(Dame.)  Bei meiner Ehre!  (Sie reicht ihm die Hand.)

(Leutnant erfaßt sie und hält sie fest:)  Abgemacht!  Ich werde mit ihm
sanft wie ein Lamm umgehen.--Seine Schwester ist eine sehr hübsche
Frau.  (Er versucht, sie zu küssen.)

(Dame ihm entschlüpfend:)  O Herr Leutnant, Sie vergessen,--es geht um
Ihre Karriere--um das Schicksal Europas--der Menschheit vielleicht...

(Leutnant.)  Was schert mich das Schicksal der Menschheit!  (Ihr
nachsetzend:)  Nur einen Kuß!

(Dame zieht sich hinter den Tisch zurück:)  Nicht, bevor Sie Ihre
Offiziersehre wiedergewonnen haben.  Bedenken Sie--noch ist mein
Bruder nicht Ihr Gefangener!

(Leutnant verführerisch:)  Sie werden mir sagen, wo er ist--nicht wahr?

(Dame.)  Ich brauche ihm nur ein vereinbartes Zeichen zu senden, und er
wird in einer Viertelstunde hier sein.

(Leutnant.)  Dann ist er also gar nicht weit?

(Dame.)  Nein--sogar ganz nahe.  Warten Sie hier auf ihn; sobald er
meine Botschaft bekommt, wird er sofort hierhereilen, um sich Ihnen zu
ergeben--verstehen Sie jetzt?

(Leutnant an dessen Verstand zu hohe Anforderungen gestellt werden:)
Nun, die Sache ist zwar ein wenig kompliziert, aber ich hoffe, es wird
schon alles in Ordnung sein.

(Dame.)  Und jetzt, während Sie auf den Gefangenen warten, glauben Sie
nicht, daß es besser wäre, Sie würden mit dem General die Bedingungen
der Übergabe vereinbaren?

(Leutnant.)  Sehen Sie, wie fürchterlich verwickelt die Sache ist!  Was
für Bedingungen?

(Dame.)  Lassen Sie sich von ihm zusichern, daß er Ihre Soldatenehre
als wiederhergestellt betrachtet, sobald Sie meinen Bruder gefangen
haben.  Unter dieser Bedingung wird er alles versprechen, was Sie
verlangen.

(Leutnant.)  Das ist keine schlechte Idee, ich danke Ihnen.  Ich glaube,
das werde ich doch versuchen.

(Dame.)  Tun Sie das.  Und vor allem eins: lassen Sie ihn ja nicht
merken, wie gescheit Sie sind.

(Leutnant.)  Ich verstehe:--er könnte neidisch werden.

(Dame.)  Sagen Sie ihm nichts anderes, als daß Sie entschlossen sind,
meinen Bruder gefangenzunehmen oder bei dem Versuche zugrunde zu gehn.
Er wird Ihnen nicht glauben wollen--dann werden Sie meinen Bruder
vorführen...

(Leutnant unterbrechend, da er nun endlich das Komplott begreift:)  Und
ihn auslachen!  Nein, was für eine gescheite kleine Frau Sie sind!
(Rufend:)  Giuseppe!

(Dame.)  Sch!  Kein Wort zu Giuseppe über mich! (sie legt ihren Finger
auf die Lippen, er tut dasselbe; sie blicken einander warnend an; dann
ändert sie mit einem entzückenden Lächeln die Gebärde dahin, daß sie
ihm einen Kuß zuwirft, und läuft durch die innere Tür hinaus.
Elektrisiert, bricht er in ein kicherndes Frohlocken aus.  Giuseppe
kommt durch die äußere Tür zurück.)

(Giuseppe.)  Das Pferd ist bereit, Herr Leutnant.

(Leutnant.)  Ich gehe noch nicht gleich.  Lauf! suche den General und
sag ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.

(Giuseppe den Kopf schüttelnd:)  Das ist ganz unmöglich, Herr Leutnant.

(Leututnant.)  Warum?

(Giuseppe.)  In dieser bösen Welt kann ein General zwar nach einem
Leutnant schicken, aber ein Leutnant darf niemals nach einem General
schicken.

(Leutnant.)  Ah, du meinst, das würde ihm nicht passen.  Nun, du hast
vielleicht recht.  Man muß in diesen Dingen jetzt ungemein vorsichtig
sein, seit wir eine Republik haben.  (Da erscheint, vom Weingarten
kommend, Napoleon, seinen Rock auf der Brust zuknöpfend, bleich und
voll nagender Gedanken.)

(Giuseppe der sich der Nähe Napoleons nicht bewußt ist:)  Sehr richtig,
Herr Leutnant, sehr richtig!  Ihr seid jetzt in Frankreich alle wie
die Wirte.  Ihr müßt gegen jedermann höflich sein.

(Napoleon seine Hand auf Giuseppes Schulter legend:)  Und das nimmt der
Höflichkeit ihren ganzen Wert--nicht wahr?

(Leutnant.)  Ah, da ist mein Mann!--Herr General, gesetzt den Fall, daß
ich Ihnen den Burschen stelle--

(Napoleon mit ironischem Ernst:)  Sie werden ihn mir nicht stellen,
mein Freund!

(Leutnant.)  Aha! das glauben Sie--aber Sie werden schon sehen, warten
Sie nur ab!  Wenn ich ihn aber doch fangen und Ihnen übergeben sollte,
werden Sie dann sagen: wir sind quitt!?  Werden Sie dann die
Geschichte von der Degradierung in Gegenwart meines Regiments fallen
lassen?  Nicht meinetwegen, wissen Sie!--aber kein Regiment läßt sich
gerne dem Gelächter der andern Regimenter preisgeben.

(Napoleon ein kalter Schimmer von Humor huscht über sein düsteres
Gesicht:)  Was sollen wir mit diesem Offizier beginnen, Giuseppe,
--alles, was er sagt, ist falsch.

(Giuseppe schlagfertig:)  Machen Sie ihn zum General, Exzellenz; dann
wird alles, was er sagt, richtig sein.

(Leutnant triumphierend:)  Haha!  (Er wirft sich in Ekstase auf das
Sofa, um den Witz auszukosten.)

(Napoleon lacht und nimmt Giuseppe bei einem Ohr:)  In diesem Wirtshaus
kommst du nicht zur Geltung, Giuseppe.  (Er setzt sich und stellt
Giuseppe vor sich hin, wie ein Schulmeister seinen Schüler:)  Soll ich
dich mit mir nehmen und einen Mann aus dir machen?

(Giuseppe schüttelt wiederholt rasch den Kopf:)  Nein, ich danke Ihnen,
Herr General.  Mein ganzes Leben lang haben Leute versucht, aus mir
einen Mann zu machen.

Als ich ein Knabe war, wollte unser guter Pastor einen Mann aus mir
machen, indem er mich lesen und schreiben lehrte; dann wollte der
Organist zu Melegnano einen Mann aus mir machen, indem er mich im
Notenlesen unterwies.  Später würde der rekrutierende Korporal einen
Mann aus mir gemacht haben, wenn ich ein paar Zoll größer gewesen wäre,
--aber immer hätte das für mich Arbeit bedeutet; dazu bin ich aber zu
faul, dem Himmel sei Dank!  So lernte ich statt alldem kochen und
wurde Wirt, und nun halte ich Dienerschaft für die Arbeit und habe
selber nichts zu tun, als zu schwatzen, was mir ausgezeichnet bekommt.

(Napoleon ihn gedankenvoll anblickend:)  Bist du zufrieden?

(Giuseppe in froher Überzeugung:)  Vollkommen, Exzellenz!

(Napoleon.)  Und du hast keinen verzehrenden Teufel im Leibe, der Tag
und Nacht mit Taten und Siegen gefüttert werden muß--der dich mit dem
Schweiße deines Körpers und deines Gehirnes, mit Wochen von
Herkulesarbeiten zehn Minuten des Genusses bezahlen läßt, der
gleichzeitig dein Sklave und dein Tyrann ist, dein Genius und dein
Verhängnis--der dir mit der einen Hand eine Krone reicht und das Ruder
eines Galeerensklaven mit der andern--der dir alle Königreiche der
Erde zeigt und dich zu ihrem Herrn zu machen verspricht unter der
Bedingung, daß du ihr Diener wirst?--Von alledem hast du nichts im
Leibe?

(Giuseppe.)  Nichts dergleichen.  Aber ich versichere Ihnen, Exzellenz,
mein verzehrender Teufel ist weit schlimmer; er bietet mir weder
Kronen noch Königreiche: er erwartet alles umsonst von mir zu
bekommen--Würste, Omeletten, Trauben, Käse, Polenta, Wein--täglich
dreimal, Exzellenz, nichts Geringeres will ihm genügen.

(Leutnant.)  Hör' auf, Giuseppe!--Deine Worte machen mich wieder
hungrig.  (Giuseppe verbeugt sich, sich entschuldigend und zieht sich
von dem Gespräche zurück.  Er macht sich am Tische zu schaffen, staubt
ihn ab, legt die Landkarte zurecht and rückt Napoleons Stuhl, den die
Dame zurückgestoßen hat, wieder an seinen richtigen Platz.)

(Napoleon wendet sich zum Leutnant mit sardonischer Feierlichkeit:)
Ich hoffe, daß ich nicht ehrgeizige Gefühle in Ihnen erweckt habe.

(Leutnant.)  Durchaus nicht.  Ich fliege nicht so hoch,--überdies ist
es besser, daß ich so bleibe wie ich bin.  Männer wie ich werden
gerade jetzt in der Armee gebraucht.  Die Revolution paßte nämlich
ganz gut für Zivilisten, aber für die Armee taugt sie nichts.  Sie
wissen, wie Soldaten sind, Herr General: sie bestehen darauf, Männer
von Rang zu Ihren Offizieren zu haben.  Ein Leutnant muß ein Edelmann
sein, weil er mit den Soldaten soviel in Berührung kommt; aber ein
General oder selbst ein Oberst kann aus dem schlechtesten Ausschuß
entnommen werden, wenn er sein Geschäft gut genug versteht.  Ein
Leutnant ist ein Edelmann, alles andere ist Zufall.  Was glauben Sie,
wer hat die Schlacht bei Lodi gewonnen?  Ich will es Ihnen sagen: mein
Pferd.

(Napoleon erhebt sich:)  Ihre Dummheit führt Sie zu weit,--nehmen Sie
sich in acht!

(Leutnant.)  Durchaus nicht.  Sie erinnern sich doch an die heftige
Kanonade von einem Flußufer zum andern: die Österreicher bombardierten
Sie, um Ihren Übergang zu verhindern, und Sie bombardierten die
Österreicher, um sie davon abzuhalten, daß Sie die Brücke in Brand
setzten.  Haben Sie bemerkt, wo ich während dieser Zeit gewesen bin?

(Napoleon mit drohender Höflichkeit:)  Ich bedaure--ich glaube, ich war
in diesem Augenblick zu sehr beschäftigt.

(Giuseppe mit eifriger Bewunderung:)  Man erzählt sich, daß Sie von
Ihrem Pferde abgesprungen sind und die großen Kanonen mit eigenen
Händen abgeprotzt haben, Herr General!

(Leutnant.)  Das war ein Mißgriff: ein Offizier sollte sich nie dazu
hergeben, die Arbeit seiner Untergebenen zu verrichten.  (Napoleon
sieht ihn gefahrdrohend an und beginnt wie ein Tiger auf und ab zu
gehen.)  Aber Sie könnten noch jetzt ganz zwecklos auf die Österreicher
feuern, wenn wir Kavalleristen nicht die Furt gefunden hätten, über
den Fluß gesetzt wären und Sie dadurch unterstützt hätten, daß wir
Beaulieus Flanke von Ihnen abwendeten.  Sie würden es nicht gewagt
haben--und Sie wissen das selbst sehr genau--den Befehl zu geben, die
Brücke stürmen zu lassen, wenn Sie uns nicht auf dem jenseitigen Ufer
gesehen hätten.  Deshalb sage ich, daß nur der Entdecker jener Furt
die Schlacht bei Lodi gewonnen hat.--Nun, und wer hat sie
entdeckt?--Ich war der erste Mann, der sie überschritt, und ich weiß
es--mein Pferd hat sie gefunden.  (Mit Überzeugung, während er sich
vom Sofa erhebt:)  Eigentlich hat mein Pferd die Österreicher besiegt.

(Napoleon zornig:)  Sie Idiot, ich werde Sie erschießen lassen, weil
Sie die Depeschen verloren haben!  Ich werde Sie vor die Mündung einer
Kanone binden and in die Luft sprengen lassen!  Andere Maßregeln sind
ja nicht imstande, Eindruck auf Sie zu machen.  (Ihn anbrüllend:)
Hören Sie! verstehen Sie!  (Ein französischer Offizier tritt
unbeachtet ein, seinen in der Scheide befindlichen Degen in der Hand.)

(Leutnant uneingeschüchtert:)  Wenn ich ihn nicht erwischen werde, Herr
General, nur dann!  Bedenken Sie das Wenn!

(Napoleon.)  Wenn! wenn!...  Esel! dieser Mann existiert überhaupt
nicht!

(Der Offizier tritt plötzlich zwischen sie und spricht mit der
unverkennbaren Stimme der fremden Dame:)  Herr Leutnant, ich bin Ihr
Gefangener!  (Sie bietet ihm ihren Degen.--Sie sind sprachlos vor
Erstaunen.  Napoleon start sie einen Augenblick, wie vom Donner
gerührt, an, reißt sie dann am Handgelenk rauh zu sich hin, betrachtet
sie wild aus der Nähe, um ihre Identität selbst festzustellen, denn es
beginnt rasch zu dunkeln und der rote Schein über dem Weingarten
weicht einem hellen Sternenlicht.)

(Napoleon.)  Pah!  (Er läßt mit einem Ausruf des Widerwillens ihre Hand
fahren und wendet ihr düster blickend den Rücken zu, seine Hand in den
Brustfalten des Waffenrockes.)

(Leutnant nimmt triumphierend den Degen:)  Dieser Mann existiert
überhaupt nicht--was, Herr General?  (Zu der Dame:)  Ich frage Sie: wo
ist mein Pferd?

(Dame.)  Es wartet gesund in Borghetto auf Sie, Herr Leutnant.

(Napoleon sich zu ihnen wendend:)  Wo sind die Depeschen?

(Dame.)  Das würden Sie niemals erraten--die sind an dem
unwahrscheinlichsten Orte von der Welt.  Hat jemand von Ihnen meine
Schwester hier gesehen?

(Leutnant.)  Ja! sehr hübsche Dame!  Sie sieht Ihnen ganz wunderbar
ähnlich, aber natürlich ist sie viel hübscher.

(Dame geheimnisvoll:)  Nun--wissen Sie aber auch, daß sie eine
gefährliche Hexe ist?

(Giuseppe läuft auf sie zu und bekreuzigt sich:)  O nein, nein, nein!
Es ist gefährlich, mit solchen Dingen zu scherzen!  Ich kann das in
meinem Hause nicht dulden, Exzellenz!

(Leutnant.)  Ja, lassen Sie das.  Sie sind mein Gefangener, das wissen
Sie.  Selbstverständlich glaube ich nicht an so einen Unsinn; aber es
ist doch kein Ding, mit dem man spaßen sollte.

(Dame.)  Es ist aber so, ich spreche vollkommen ernst.  Meine Schwester
hat den Herrn General behext.  (Giuseppe und der Leutnant weichen von
Napoleon zurück.)  Herr General, öffnen Sie Ihren Rock, und Sie werden
die Depeschen in Ihrer Brusttasche finden.  (Sie legt ihre Hand rasch
auf seine Brust.)  Ja, hier sind sie--ich kann sie fühlen...  Nun?
(Sie sieht ihm ins Gesicht, halb schmeichlerisch, halb spöttisch.)
Wollen Sie mir gestatten, Herr General--?  (Sie faßt einen Knopf, als
ob sie seinen Rock aufknöpfen wollte, und wartet auf Erlaubnis.)

(Napoleon unergründlich:)  Wenn Sie es wagen.

(Dame.)  Ich danke Ihnen.  (Sie öffnet seinen Rock und nimmt die
Depeschen heraus.)  Da sind sie!  (Zu Giuseppe, ihm die Depeschen
zeigend:)  Sehen Sie?

(Giuseppe zur äußeren Tür fliehend:)  Nein--um Gottes willen; Sie sind
behext!

(Dame sich zu dem Leutnant wendend:)  Hier, Herr Leutnant, Sie fürchten
sich doch nicht vor den Papieren.

(Leutnant zurückweichend:)  Zehn Schritt vom Leibe!  (Den Knauf des
Degens erfassend:)  Ich sage Ihnen, zehn Schritt vom Leibe!

(Dame zu Napoleon:)  Die Schriftstücke gehören Ihnen, Herr General,
nehmen Sie sie!

(Giuseppe.) Berühren Sie sie nicht, Exzellenz!  Machen Sie sich damit
nicht zu schaffen!

(Leutnant.)  Seien Sie vorsichtig, Herr General,--seien Sie vorsichtig!

(Giuseppe.)  Verbrennen Sie sie--und verbrennen Sie die Hexe dazu!

(Dame zu Napoleon:)  Soll ich sie verbrennen?

(Napoleon gedankenvoll:)  Ja... verbrennen Sie sie.--Giuseppe, geh' und
hole ein Licht.

(Giuseppe zitternd und stammelnd:)  Muten Sie mir wirklich zu, daß ich
allein gehen soll... im Dunkeln... wo eine Hexe im Hause ist...

(Napoleon.)  Pah!  Du bist ein Feigling!  (Zum Leutnant:)  Sie werden
mich verbinden, wenn Sie gehen wollen, Herr Leutnant.

(Leutnant sich verwahrend:)  Oh! gestatten Sie mir zu bemerken, Herr
General... nein, Sie wissen... niemand kann nach Lodi sagen, daß ich
ein Feigling bin... aber von mir zu verlangen, daß ich allein im
Dunkeln gehen soll... ohne eine Kerze... nach so einer schauerlichen
Unterhaltung... das ist ein bißchen zuviel!--Würden Sie selbst so
etwas gerne tun?

(Napoleon gereitzt:)  Sie weigern sich also, meinem Befehle zu
gehorchen?

(Leutnant entschlossen:)  Ja, das tu' ich.  Es ist unbillig, so was zu
verlangen--aber ich will Ihnen sagen, wozu ich bereit bin: wenn
Giuseppe geht, dann will ich mit ihm gehn und ihn beschützen.

(Napoleon zu Giuseppe:)  Du hörst...  Wird dir das genügen?  Macht, daß
ihr fortkommt, alle beide!

(Giuseppe demütig mit zitternden Lippen:)  Sehr gerne--wie Sie befehlen,
Exzellenz!  (Er geht widerstrebend nach der inneren Türe.)  Der Himmel
schütze mich!  (Zum Leutnant:)  Nach Ihnen, Herr Leutnant!

(Leutnant.)  Es wäre besser, du gingest voraus--ich weiß den Weg nicht.

(Giuseppe.)  Er ist nicht zu verfehlen.  Überdies (flehentlich die
Hand auf seinen Armel legend:)  ich bin nur ein armer Wirt, und Sie
sind ein Edelmann!

(Leutnant.)  Da hast du nicht so unrecht.  Da--du brauchst keine solche
Angst zu haben--nimm meinen Arm.  (Giuseppe tut es.)  So ist's recht...
(Sie gehen Arm in Arm hinaus.  Jetzt ist es sternenhelle Nacht.  Die
Dame wirft das Paket auf den Tisch, setzt sich behaglich auf das Sofa
und genießt die Freude, von ihren Unterröcken befreit zu sein.)

(Dame.)  Nun, Herr General--ich habe Sie doch besiegt!

(Napoleon geht auf und ab:)  Sie haben sich der Unzartheit, der
Unweiblichkeit schuldig gemacht.  Halten Sie dieses Kleid, das Sie da
tragen, für schicklich?

(Dame.)  Es scheint mir dem Ihrigen sehr ähnlich zu sein.

(Napoleon.)  Pfui! ich erröte für Sie!

(Dame naiv:)  Ja?...  Soldaten erröten so leicht!  (Er brummt und
wendet sich ab.  Sie blickt ihn schelmisch an, die Depeschen in ihrer
Hand wiegend.)  Wollen Sie diese da nicht lesen, bevor wir sie
verbrennen, General?  Sie müssen vor Neugierde sterben.  Werfen Sie
einen Blick hinein.  (Sie wirft das Paket auf den Tisch und wendet das
Gesicht davon ab.)  Ich will nicht hinsehen.--

(Napoleon.)  Ich habe keinerlei Neugierde, Madame.  Aber da Sie selbst
augenscheinlich darauf brennen, sie zu lesen, erlaube ich Ihnen, es zu
tun.

(Dame.)  Oh! ich hab' sie schon gelesen.

(Napoleon auffabrend:)  Was?!

(Dame.)  Das war das erste, was ich getan habe, als ich auf dem Pferde
dieses armen Leutnants davongeritten bin.  Sie sehen also: ich weiß,
was darin steht; aber Sie wissen es nicht.

(Napoleon.)  Sie entschuldigen--ich habe sie auch gelesen, als ich vor
zehn Minuten draußen im Weingarten spazieren ging.

(Dame aufspringend:)  Oh, Herr General! ich habe Sie nicht besiegt!
Ich bewundere Sie unendlich!  (Er lacht und streichelt ihre Wangen.)
Diesmal wirklich und wahrhaftig, ohne Hintergedanken.  Ich huldige
Ihnen!  (Küßt seine Hand.)

(Napoleon sie rasch zurückziehend:)  Brrr! tun Sie das nicht.  Genug
der Hexerei!

(Dame.)  Ich möchte Ihnen etwas sagen--doch Sie würden es
mißverstehen.
                
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