Bernard Shaw

Der Mann des Schicksals Komödie in einem Akt
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DER MANN DES SCHICKSALS

Komödie in einem Akt

Bernard Shaw

(Übersetztung von Siegfried Trabitsch)


Diese Komödie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker"
veröffentlicht und aufgeführt.







PERSONEN

Napoleon
Ein Leutnant
Eine fremde Dame
Giuseppe
Grandi, Gastwirt


Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von
Mailand nach Lodi.

(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Straße
von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die
Ebenen der Lombardei.  Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die
Ameisenhügel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden
Schweine und Ochsen in den Dörfern belästigt, noch verletzt durch das
kühle Verhalten der Kirchen gegenüber ihrem Licht.  Verachtungsvoll
lacht sie jedoch über zwei Horden schädlicher Insekten, nämlich der
österreichischen und der französischen Armee.  Vor zwei Tagen, bei
Lodi, hatten die Österreicher die Franzosen zu hindern versucht, den
Fluß auf der dort befindlichen schmalen Brücke zu überschreiten.  Aber
die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjährigen General,
Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, überschritten
dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Brücke, unterstützt von
einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand
anlegte.  Das Schießen mit Kanonen ist seine technische Spezialität.
Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein
Meister in den militärischen Künsten, sich von seinen Pflichten zu
drücken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den
Krieg mit dem Lärm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf
allen militärischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist.  Er ist
jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des
Schießpulvers als erster herausgefunden, daß eine Kanonenkugel den
Mann, den sie trifft, unfehlbar töten muß.  Dem gründlichen Erfassen
dieser bemerkenswerten Entdeckung fügte er eine höchst entwickelte
Fähigkeit für physikalische Geographie und für die Berechnung von Zeit
und Entfernungen hinzu.  Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und
eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf
öffentliche Angelegenheiten, die er während der französischen
Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat.  Er hat
Einbildungskraft ohne Illusionen, und schöpferischen Geist ohne
Religion, Loyalität, Patriotismus oder irgendeines der landläufigen
Ideale, obwohl er dieser nicht unfähig ware; im Gegenteil: er hat sie
alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine
dramatische Fähigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines
Schauspielers und Bühnenleiters äußerst geschickt auszuspielen.  Dabei
ist er durchaus kein verzogenes Kind.  Armut, Mißgeschick, die Kniffe
einer ärmlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfälle als
Autor, die Demütigungen eines zurückgestoßenen Strebers, die Verweise
und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu
ertragen hat, haben das verhindert.  Er entging sogar nur mit knapper
Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden.  Wenn recht
Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants
zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert hätte, würde er mit
Verachtung aus dem Heere ausgestoßen worden sein.  Alle diese
Schicksale haben ihm jede Selbstüberschätzung ausgetrieben und ihn
gezwungen, genügsam zu sein und zu begreifen, daß die Welt einem Manne
seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann.
Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit.  Denn ein
erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es
war, ist der Welt von Nutzen.  Man kann sogar heute nicht in England
leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, daß
es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Cäsar erobert wurde.)

(An jenem Mainachmittag des Jahres 1796 jedoch ist es noch früh in
seinem Leben.  Er ist erst sechsundzwanzig Jahre alt und erst kürzlich
General geworden, teilweise mit Hilfe seiner Frau, die er dazu benutzt
hat, das Direktorium (das damals Frankreich regierte) zu verführen,
und teilweise durch den bereits erwähnten, infolge der Auswanderung
entstandenen Mangel an Offizieren.  Aber auch dank seiner Fähigkeit,
ein Land mit all seinen Straßen, Flüssen, Hügeln und Tälern wie die
Fläche seiner eigenen Hand zu kennen, und vor allem dank seinem neuen
Glauben an die Wirkung der Kanonen auf Menschen.  Seine Armee war, was
die Disziplin betrifft, in einem Zustand, der moderne Historiker, vor
denen das folgende Stück aufgeführt worden ist, so sehr entsetzt hat,
daß sie, eingeschüchtert von dem späteren Ruhme des "Empereur", sich
geweigert haben, an solche Vorkommnisse zu glauben.  Aber Napoleon ist
noch nicht "l'Empereur", es wurde ihm eben erst der Titel "le petit
caporal" verliehen, und er ist im Begriff, durch renommistische
Tapferkeit Einfluß auf seine Leute zu gewinnen.  Er ist nicht in der
Lage, seinen Willen nach orthodoxer militärischer Art mit Hilfe der
neunschwänzigen Katze bei ihnen durchzusetzen.  Die französische
Revolution, die nur durch die monarchische Gewohnheit, den Soldaten
den Lohn wenigstens vier Jahre lang schuldig zu bleiben, dem Schicksal,
unterdrückt zu werden, entging, hat, wo es irgend anging, diesen
Brauch durch die Gewohnheit ersetzt, überhaupt keinen zu zahlen.
Statt dessen werden die Leute mit Versprechungen und patriotischen
Schmeicheleien abgespeist, die mit dem Militärgeist preußischer Art
unvereinbar gewesen wären.  Napoleon hat sich daher als ein
Befehlshaber von zerlumpten Leuten ohne Geld, die nicht aufgelegt sind,
sich viel Disziplin gefallen zu lassen, namentlich nicht von
emporgekommenen Generälen, den Alpen genähert.  Dieser Umstand, der
einen idealistischen Soldaten in Verlegenheit gebracht hätte, ersetzte
Napoleon tausend Kanonen.  Er sprach zu seinen Soldaten: "Ihr habt
Patriotismus und Mut; aber ihr habt kein Geld, keine Kleidung und kaum
etwas zu essen.  In Italien gibt es all diese Dinge und Ruhm noch dazu
für eine ergebene Armee, die von einem General geführt wird, der
Plünderung als das natürliche Recht des Soldaten betrachtet.  Ich bin
ein solcher General.  En avant, mes enfants!"--Das Resultat hat ihm
vollkommen recht gegeben.  Seine Soldaten eroberten Italien, wie die
Wanderheuschrecken Cypern erobert haben.  Sie kämpften den ganzen Tag
und marschierten die ganze Nacht, legten unmögliche Entfernungen
zurück, tauchten an unmöglichen Orten auf,--aber nicht etwa, weil
jeder Soldat wußte, daß er den Marschallstab in seinem Tornister trage,
sondern weil jeder hoffte, am nächsten Tage wenigstens ein halbes
Dutzend silberner Gabeln fort zu tragen.  Zugleich muß man sich
darüber klar sein, daß die französische Armee nicht mit der
italienischen Krieg führt.  Sie ist nur da, um Italien von der
Tyrannei seiner österreichischen Eroberer zu befreien und
republikanische Einrichtungen herzustellen, so daß sie, wenn sie
gelegentlich plündert, nur ein wenig frei mit dem Eigentum ihrer
Freunde umgeht, wofür Italien sogar hätte dankbar sein sollen, wenn
Undankbarkeit nicht die sprichwörtliche Schwäche der Italiener wäre.
Die Österreicher, die sie bekämpfen, haben eine recht ansehnliche
reguläre, gut disziplinierte Armee, von Herren kommandiert, die in der
bisher geübten Kriegskunst erfahren sind, an ihrer Spitze Beaulieu,
der die klassische Kriegskunst ausübt, nach Befehlen von Wien aus, und
von Napoleon fürchterlich geschlagen wird, der auf eigene Faust
handelt, ohne Rücksicht auf militärisches Herkommen und Befehle aus
Paris.  Selbst wenn die Österreicher eine Schlacht gewannen, brauchte
man nur zu warten, bis sie nach ihrer Gewohnheit in ihre
Hauptquartiere heimgekehrt waren, sozusagen zum Nachmittagstee, um sie
dann zurückzugewinnen, ein Verfahren, das Napoleon später mit
glänzendem Erfolge bei Marengo anzuwenden wußte.  Mit einem Wort,
Napoleon versteht es, ohne heroische Wunder zu vollbringen, einem
Feinde gegenüber unwiderstehlich zu sein, der den Nachteil hat, von
österreichischer Staatsmannschaft, klassischer Generalsweisheit und
den Forderungen der aristokratischen Wiener Gesellschaft geleitet zu
werden.  Die Welt jedoch liebt Wunder und Helden und ist ganz unfähig,
die Handlungsweise solcher Mächte, wie akademischer Militarismus und
Wiener Boudoirunwesen sind, zu begreifen.  Daher hat sie schon
begonnen, das Wort "l'Empereur" zu prägen, und es dadurch hundert
Jahre später den Romantikern erschwert, die folgende bis dahin
unaufgezeichnete kleine Szene zu glauben, die sich in Tavazzano
ereignet hat.  Das beste Quartier in Tavazzano ist ein kleines
Gasthaus, das erste, das der Wanderer antrifft, der auf dem Wege von
Mailand noch Lodi den Ort berührt.  Es steht in einem Weingarten, und
sein größtes Zimmer, ein angenehmer Zufluchtsort vor der Sommerhitze,
ist gegen diesen Weingarten nach rückwärts so weit geöffnet, daß es
beinahe einer großen Veranda gleicht.  Die mutigeren unter den Kindern,
die durch Alarmsignale und die Ausfälle der letzten Tage und durch
den Einmarsch französischer Truppen um sechs Uhr in großer Aufregung
sind, wissen, daß der französische Kommandeur sich in dieses Zimmer
einquartiert hat, und schwanken zwischen dem Verlangen, durch das
Vorderfenster verstohlene Blicke hineinzuwerfen, und einer tödlichen
Angst vor der Schildwache, einem jungen Soldaten aus vornehmer Familie,
der keinen natürlichen Schnurrbart besitzt und sich deshalb einen
sehr martialischen mit Stiefelwichse von seinem Feldwebel hat ins
Gesicht hineinmalen lassen.  Da seine schwere Uniform, wie alle
Uniformen seiner Zeit, ohne die leiseste Rücksichtnahme auf seine
Gesundheit oder seine Bequemlichkeit, lediglich für die Parade
bestimmt ist, schwitzt er fürchterlich in der Sonne; sein gemalter
Schnurrbart ist in kleinen Streifen sein Kinn und seinen Hals
herabgelaufen, mit Ausnahme von jenen Stellen, wo er zu einer Kruste
wie von japanischem Lack getrocknet ist, und wo seine schön
geschweifte Linie durch groteske kleine Buchten und Landzungen
unterbrochen wird.  Alles dies macht ihn unsagbar lächerlich in den
Augen der Geschichte hundert Jahre später, aber fürchterlich und
schrecklich in den Augen der zeitgenössischen norditalienischen Kinder,
denen es ganz natürlich erscheinen würde, wenn die Wache die
Eintönigkeit des Postenstehens dadurch zu beleben versuchte, daß sie
ein verlaufenes Kind auf ihr Bajonett spießte, um es ungekocht zu
verspeisen.  Trotzdem hat ein Mädchen von schlechtem Charakter, an dem
schon der Sinn für ein gewisses Vorrecht, das sie bei den Soldaten hat,
erwacht ist, sich für einen Augenblick verstohlen an das sicherste
Fenster geschlichen, bis ein Blick und ein Klirren der Wache es
davonjagt.  Was die Kleine zumeist sieht, das hat sie schon früher
gesehen: den Weingarten mit der alten Kelter dahinter und einen Karren
bei den Weinstöcken; die Türe dicht zu ihrer Rechten, die nach dem
Eingange des Gasthauses führt, wo des Wirtes bester Schenktisch weiter
hinten an derselben Seite nun in voller Tätigkeit für das Mittagessen
steht; auf der anderen Seite den Kamin mit einem Sofa in der Nähe und
eine andere Tür, die zwischen Kamin und Weingarten in die inneren
Räume führt; in der Mitte einen Tisch mit seiner Mahlzeit von
Mailänder Risotto, Käse, Trauben, Brot, Oliven und einer großen, mit
Weidenzweigen umflochtenen Flasche Rotwein.  Der Wirt, Giuseppe Grandi,
ist auch nichts Neues für sie; er ist ein dunkelfarbiger, lebhafter,
gehörig heiterer, schwarzlockiger, kugelköpfiger, grinsender kleiner
Mann von vierzig Jahren.  Schon von Natur ein guter Wirt, ist er heute
abend in extra guter Laune über sein Glück, den französischen
Kommandeur als Gast unter seinem Dache zu haben, dessen Gegenwart ihn
vor den Übergriffen der Soldaten schützt.  Er trägt sogar ein Paar
goldener Ohrringe zur Schau, die er sonst mit seinem kleinen Besitz an
Silbergeschirr sorgfältig unter der Kelter versteckt haben würde.)

(Napoleon jedoch, der ihm gegenüber an der hinteren Seite des Tisches
sitzt, und seinen Hut, seinen Degen und seine Reitpeitsche, die auf
dem Sofa liegen, sieht das Mädchen zum erstenmal.  Er arbeitet hart,
teils an seiner Mahlzeit, die er in zehn Minuten zu verschlingen weiß,
indem er alle Gerichte gleichzeitig in Angriff nimmt (diese Gewohnheit
ist der erste Schritt zu seinem späteren Untergange), und teils an
einer Landkarte, die er aus dem Gedächtnis verbessert, wobei er
gelegentlich die Stellungen seiner Streitkräfte kennzeichnet, indem er
eine Traubenschale aus dem Munde nimmt und sie mit seinem Daumen wie
eine Oblate auf die Landkarte drückt.  Er hat Schreibmaterial vor sich
liegen, unordentlich mit den Gerichten und Flaschen vermengt, und sein
langes Haar fällt bald in die Risottobrühe herab, bald in die Tinte.)



(Giuseppe.)  Wollen Exzellenz....

(Napoleon blickt gespannt auf seine Karte, stopft sich aber mit der
linken Hand mechanisch den Mund dabei voll): Schwatz' nicht, ich habe
zu tun.

(Giuseppe in ungetrübt guter Laune:) Wie Sie befehlen, Exzellenz.

(Napoleon.)  Bring mir rote Tinte!

(Giuseppe.)  Leider habe ich keine, Exzellenz.

(Napoleon mit korsischem Humor:) Töte etwas und bring' mir das Blut.

(Giuseppe grinsend:) Es ist nichts im Hause, als das Pferd Eurer
Exzellenz, die Schildwache, die Dame im ersten Stock und meine Frau.

(Napoleon.)  Töte deine Frau.

(Giuseppe.)  Mit größtem Vergnügen, Exzellenz.  Aber
unglücklicherweise ist sie stärker als ich--sie würde mich töten.

(Napoleon.)  Das wäre ebenso gut.

(Giuseppe.)  Exzellenz erweisen mir zu viel Ehre.  (Seine Hand nach
der Flasche ausstreckend:)  Vielleicht kann etwas Wein den Zweck
erfüllen.

(Napoleon beschützt die Flasche schnell und wird ganz ernst:)  Wein?
Nein--das wäre Verschwendung.  Ihr seid alle gleich--Verschwendung!
Verschwendung!  Verschwendung!  (Er markiert die Landkarte mit Sauce,
wobei er die Gabel als Feder benützt.)  Räum' ab!  (Er leert sein
Weinglas, stößt seinen Stuhl zurück und benützt seine Serviette,
streckt dann die Beine aus und lehnt sich zurück, aber noch immer die
Stirn runzelnd und in Gedanken.)

(Giuseppe räumt den Tisch ab und stellt die Sachen auf ein Tablett,
das auf dem Büfett steht:)  Ein jeder denkt, wie es für sein Geschäft
taugt, Exzellenz.  Wir Gastwirte verfügen über eine Menge billigen
Wein; wir finden nichts dabei, ihn zu vergießen,--Ihr großen Generale
verfügt über eine Menge billiges Blut: Ihr findet nichts dabei, es zu
vergießen.  Hab' ich recht, Exzellenz?

(Napoleon.)  Blut kostet nichts, Wein kostet Geld.  (Er erhebt sich und
geht an den Kamin.)

(Giuseppe.)  Man sagt, daß Sie mit allem sparen, außer mit
Menschenleben, Exzellenz.

(Napoleon.)  Ein Menschenleben, mein Freund, ist das einzige Ding, das
sparsam mit sich selbst umgeht.  (Er wirft sich behaglich auf das Sofa.)

(Giuseppe ihn bewundernd:)  O Exzellenz, wie dumm sind wir alle, mit
Ihnen verglichen!  Wenn ich nur das Geheimnis Ihrer Erfolge erraten
könnte!

(Napoleon.)  Dann würdest du dich zum Kaiser von Italien machen, was?

(Giuseppe.)  Das wäre für mich zu mühsam, Exzellenz, ich überlasse es
lieber Ihnen.  Überdies, was sollte aus meiner Wirtschaft werden,
wenn ich Kaiser würde?  Sie sehen mir gerne zu, wie ich mein Gasthaus
für Sie verwalte und Sie bediene.  Nun, ich will Ihnen gerne zusehen,
wie Sie Kaiser von Europa werden und Italien für mich regieren.
(Während er schwätzt, nimmt er das Tischtuch ab, ohne die Landkarte
und das Tintenfaß wegzunehmen.  Er nimmt die Ecken des Tuches in die
Hände und die Mitte in den Mund, um es zusammenzufalten.)

(Napoleon.)  Kaiser von Europa?  Was?  Warum bloß von Europa?

(Giuseppe.)  Sie haben wahrhaftig recht, Exzellenz, warum nicht Kaiser
der Welt?  (Er faltet und rollt das Tischtuch zusammen, und bekräftigt
seine Sätze mit den einzelnen Phasen dieses Vorgangs:)  Ein Mensch ist
wie der andre--(er faltet es:)  ein Land ist wie das andre, (faltet:)
eine Schlacht ist wie die andre.  (Als er das letzte Stück gefaltet
hat, schlägt er das Tischtuch auf den Tisch, rollt es geschickt
zusammen and schließt seinen Redefluß:)  Gewinnt man eine, so gewinnt
man alle.  (Er geht mit dem Tischtuch an das Büfett und legt es in
eine Schublade.)

(Napoleon.)  Und für alle regieren, für alle kämpfen, jedermanns Knecht
sein unter dem Vorwande, jedermanns Herr zu sein, Giuseppe!

(Giuseppe vor dem Büfett:)  Exzellenz--?

(Napoleon.)  Ich verbiete dir, mit mir über mich zu sprechen.

(Giuseppe geht an das Fußende des Sofas:)  Pardon, Exzellenz sind darin
so ganz verschieden von andren großen Männern, die lieben gerade
dieses Thema am meisten.

(Napoleon.)  Gut, sprich mit mir über das, was große Männer als
zweitbestes lieben, was es auch sein mag.

(Giuseppe ohne in Verlegenheit zu geraten:)  Zu Befehl, Exzellenz.
Haben Exzellenz durch irgendeinen Zufall etwas von der Dame da oben zu
sehen bekommen?

(Napoleon setzt sich sofort auf und sieht ihn mit einem Interesse an,
das die Frage vollkommen angebracht erscheinen läßt:)  Wie alt ist sie?

(Giuseppe.)  Sie hat das richtige Alter, Exzellenz.

(Napoleon.)  Meinst du siebzehn oder dreißig?

(Giuseppe.)  Dreißig, Exzellenz.

(Napoleon.)  Ist sie schön?

(Giuseppe.)  Ich kann nicht mit Ihren Augen sehn, Exzellenz!  Jeder
Mann muß das selbst beurteilen.  Meiner Meinung nach ist sie eine
schöne Dame.  (Schlau:)  Soll ich ihr hier den Tisch für das Frühstück
decken?

(Napoleon erhebt sich heftig:)  Nein!  Deck hier nicht mehr, bevor der
Offizier, auf den ich warte, zurückkommt.  (Er sieht auf seine Uhr und
fängt an, zwischen dem Kamin und dem Weingarten auf und ab zu gehn.)

(Giuseppe mit Überzeugung:)  Exzellenz, glauben Sie mir, er ist von den
verfluchten Österreichern gefangen worden; er würde es nicht wagen,
Sie warten zu lassen, wenn er frei wäre.

(Napoleon kehrt sich beim Schatten der Veranda um:)  Giuseppe! wenn
sich herausstellen sollte, daß du recht hast, so wird mich das in eine
Laune versetzen, daß mich nichts anderes besänftigen kann, als dich
und deinen ganzen Haushalt--die Dame dort oben inbegriffen--aufhängen
zu lassen!

(Giuseppe.)  Wir stehen Ihnen alle gerne zur Verfügung, Exzellenz! mit
Ausnahme der Dame.  Ich kann für sie nicht bürgen; aber welche Frau
könnte Ihnen widerstehen?!

(Napoleon setzt seine Wanderung düster fort:)  Hm, du wirst niemals am
Galgen enden.  Es ist kein Vergnügen dabei, einen Mann zu hängen, der
nichts dagegen einzuwenden hat.

(Giuseppe liebenswürdig:)  Nicht das geringste, Exzellenz, nicht wahr?
(Napoleon blickt wieder auf seine Uhr und wird sichtlich unruhig:)  Oh,
man sieht, daß Sie ein großer Mann sind, Exzellenz!  Sie verstehen zu
warten.  Wenn ein Korporal oder ein junger Leutnant an Ihrer Stelle
wäre--nach drei Minuten würde er fluchen, toben, drohen und das Haus
von oben nach unten kehren.

(Napoleon.)  Giuseppe, deine Schmeicheleien sind unerträglich.  Geh und
schwatz draußen.  (Er setzt sich wieder an den Tisch, sein Kinn auf
die Hände, seine Ellbogen auf die Landkarte gestützt, und starrt mit
unruhigem Ausdruck auf sie hin.)

(Giuseppe.)  Zu Befehl, Exzellenz, Sie sollen nicht gestört werden.
(Er nimmt das Tablett und ist im Begriff, sich zurückzuziehen.)

(Napoleon.)  Sobald er da ist, schick' ihn zu mir herein.

(Giuseppe.)  Augenblicklich, Exzellenz.

(Die Stimme einer Dame ruft von irgendeinem entfernten Teil des
Gasthauses:)  Giuseppe!  (Die Stimme ist sehr melodisch, und die zwei
letzten Buchstaben werden in aufsteigender Skala gesungen.)

(Napoleon stutzig:)  Was ist das?...

(Giuseppe stützt das Ende seines Servierbrettes auf den Tisch und
beugt sich vertraulich vor:)  Die Dame, Exzellenz.

(Napoleon zerstreut:)  Ja... was für eine Dame... wessen Dame?...

(Giuseppe.)  Die fremde Dame, Exzellenz.

(Napoleon.)  Was für eine fremde Dame?

(Giuseppe achselzuckend:)  Wer kann es wissen!  Sie ist eine halbe
Stunde vor Ihnen hier angekommen, in einem Mietwagen, der dem
"Goldenen Adler" in Borghetto gehört.  Tatsächlich: sie ganz allein,
Exzellenz,--ohne Dienerschaft!  Eine Handtasche und ein Koffer, das
war alles.  Der Postillon sagte mir, daß sie im "Goldenen Adler" ein
Pferd gelassen habe, ein Chargenpferd mit militärischem Sattelschmuck.

(Napoleon.)  Eine Frau mit einem Chargenpferd?--Das ist ungewöhnlich.

(Die Stimme der Dame.  Die zwei letzten Buchstaben werden jetzt in
herabsteigender Skala gesungen:)  Giuseppe!

(Napoleon springt auf, um zu horchen:)  Das ist eine interessante
Stimme.

(Giuseppe.)  Oh es ist eine interessante Dame, Exzellenz.  (Ruft:)  Ich
komme schon! ich komme schon, meine Gnädige!  (Er eilt zur inneren Tür.)

(Napoleon hält ihn mit starker Hand an der Schulter fest:)  Halt!  Sie
soll hierher kommen.

(Die Stimme ungeduldig:)  Giuseppe!

(Giuseppe flehentlich:)  Lassen Sie mich gehn, Exzellenz.  Es ist meine
Ehrenpflicht als Wirt, zu kommen, wenn man mich ruft.  Ich wende mich
an den Soldaten in Ihnen!

(Eines Mannes Stimme ruft draußen vor der Tür des Wirtshauses:)  Ist
jemand da?  Hallo!  Wirt! wo sind Sie?  (Es wird heftig mit dem Knopf
einer Peitsche auf eine Bank in der Einfahrt geschlagen.  Napoleon der
plötzlich wieder kommandierender Offizier wird, stößt Giuseppe fort:)
Da ist er endlich!  (Auf die innere Tür weisend:) Geh, kümmere dich um
dein Geschäft.  Die Dame ruft nach dir.  (Er geht zum Kamin und steht
mit dem Rücken dagegen, mit entschlossenem militärischem
Gesichtsausdruck.)

(Giuseppe atemlos, reißt sein Tablett an sich:)  Gerne, Exzellenz!  (Er
eilt durch die innere Tür hinaus.)

(Die Stimme des Mannes ungeduldig:)  Schläft hier alles?  (Die dem
Kamin gegenüberliegende Tür wird heftig mit dem Fuße aufgestoßen, and
ein staubbedeckter Leutnant stürzt in das Zimmer.  Er ist ein
törichter, junger Bursche von vierundzwanzig Jahren mit der hellen,
zarten, reinen Haut des vornehmen Mannes und mit jener Selbstsicherheit
des Aristokraten, welche die französische Revolution nicht im geringsten
erschüttern konnte.  Er hat eine dicke, dumme Lippe, ein eifriges,
leichtgläubiges Auge, eine eigensinnige Nase und eine laute selbstbewußte
Stimme.--Ein junger Mensch ohne Furcht, obne Ehrfurcht, ohne
Einbildungskraft, ohne Verstand und hoffnungslos unempfänglich für die
napoleonische oder irgendeine andere Idee.  Fabelhaft egoistisch, im
höchsten Grade dazu geeignet, dort geräuschvoll hereinzustürmen, wo
selbst ein Engel sich fürchten würde, nur den Fuß aufzusetzen, doch von
einer starken geschwätzigen Lebenskraft, die ihn mitten in das tollste
Gewirr der Dinge hetzt.  Er kocht eben vor Wut, anscheinend, weil er
empört ist, nicht schnell vom Gesinde des Gasthauses bedient zu werden,
aber ein schärfer beobachtendes Auge kann eine gewisse moralische
Niedergeschlagenheit in ihm entdecken, welche andeutet, daß er unter
einem anhaltenderen und wichtigeren Verdruß leidet.  Als er Napoleon
bemerkt, kommt er genügend zu sich, um sich zusammenzuraffen und zu
salutieren.  Aber er verrät auf keine Weise durch sein Benehmen etwas
von jener prophetischen Voraussicht von Marengo und Austerlitz, Waterloo
und St. Helena oder der Napoleonbilder von Delaroche und Meissonier, die
die moderne Kultur instinktiv bei ihm voraussetzen würde.)

(Napoleon scharf:)  Nun, Herr, sind Sie endlich angekommen?  Ihr Befehl
lautete, daß ich um sechs Uhr hier sein würde, und daß Sie mich mit
meiner Pariser Post and meinen Depeschen erwarten sollten!  Und jetzt
fehlen nur noch zwanzig Minuten an acht.  Sie wurden als guter Reiter
für diesen Dienst ausersehen, mit dem schnellsten Pferde, das wir im
Lager haben.  Sie kommen hundert Minuten zu spät und kommen zu Fuß--wo
ist Ihr Pferd?

(Leutnant zieht verdrießlich seine Handschuhe aus und wirft sie mit
seiner Mütze und Peitsche auf den Tisch:)  Ja, wo ist es?  Das gerade
wüßte ich selber gern, Herr General.  (Mit Bewegung:)  Sie wissen nicht,
wie ich dies Pferd geliebt habe.

(Napoleon ärgerlich, sarkastisch:)  Wirklich!  (Mit plötzlicher
Besorgnis:)  Wo sind die Briefe und Depeschen?

(Leutnant wichtig, eher froh, daß er ganz besondere Nachrichten hat,
als bekümmert:)  Das weiß ich nicht.

(Napoleon traut seinen Ohren nicht:)  Das wissen Sie nicht?!

(Leutnant.)  Nicht besser als Sie, Herr General.  Nun werde ich wohl
vor ein Kriegsgericht kommen.  Schön! ich habe nichts dagegen,
standrechtlich behandelt zu werden, aber (mit feierlichem Entschluß:)
ich sage Ihnen, Herr General, wenn ich diesen unschuldig aussehenden
Burschen jemals erwischen sollte,--diesen verschmitzten, kleinen
Lügner!--dann werde ich seine Schönheit zurichten... eine Fratze will
ich aus ihm machen... ich werde---

(Napoleon kommt vom Kamin an den Tisch vor:)  Was für einen unschuldig
aussehenden Burschen?  Raffen Sie sich zusammen, Mensch--ja?--und
berichten Sie militärisch!

(Leutnant steht ihm gegenüber an der anderen Seite des Tisches und
stützt sich mit den Fäusten auf:)  Oh ich bin ganz gefaßt, Herr
General--ich bin vollkommen bereit, Rede zu stehen.  Ich werde dem
Kriegsgericht gründlich klarmachen, daß ich unschuldig bin.  Die
bessere Seite meiner Natur wurde schändlich ausgenützt, und ich schäme
mich dessen nicht.  Aber mit allem Respekt vor Ihnen, als meinem
Vorgesetzten, wiederhole ich, Herr General, daß, wenn ich diesem
Satanssohne jemals wieder begegnen sollte, ich ihn--

(Napoleon ärgerlich:)  Das haben Sie schon einmal gesagt!

Leutnant richtet sich auf: Und ich wiederhole es: warten Sie nur so
lange, bis ich ihn erwischt habe!--weiter nichts!  (Er kreuzt
entschlossen die Arme und atmet schwer mit aufeinandergepreßten Lippen.)

(Napoleon.)  Ich warte, Herr--auf Ihre Aufklärungen!

(Leutnant zuversichtlich:)  Sie werden Ihren Ton ändern, Herr General,
wenn Sie hören, was mir zugestoßen ist.

(Napoleon.)  Nichts ist Ihnen zugestoßen, Mensch!  Sie leben und sind
nicht kampfunfähig.  Wo sind die Papiere, die Ihnen anvertraut wurden?

(Leutnant.)  Mir ist nichts zugestoßen--nichts?  Oho!  (Wirft sich in
Positur, um Napoleon mit seinen Nachrichten zu überwältigen.)  Er hat
mir ewige Bruderschaft geschworen, war das nichts?  Er hat gesagt, daß
meine Augen ihn an die Augen seiner Schwester erinnerten--war das
nichts?  Er hat geweint--wirkliche Tränen--über die Geschichte meiner
Trennung von Angelica--war das nichts?!  Er hat beide Flaschen Wein
bezahlt, obwohl er selbst nur Brot und Trauben gegessen
hatte--vielleicht nennen Sie das auch nichts!  Er hat mir seine
Pistolen und sein Pferd und seine Depeschen gegeben--äußerst wichtige
Depeschen--und hat mich damit fortgehen lassen--(triumphierend, da er
sieht, daß er Napoleon in sprachloses Erstaunen versetzt hat:)  war das
nichts?!

(Napoleon schwach vor Erstaunen:)  Warum hat er das getan?

(Leutnant als ob der Grund ganz klar wäre:)  Um mir sein Vertrauen zu
beweisen.  (Napoleons Kiefer fällt nicht gerade herunter, aber seine
Gelenkbänder werden schlaff.  Der Leutnant fährt mit ehrlicher
Entrüstung fort:)  Und ich habe sein Vertrauen auch verdient: ich habe
ihm alles ehrlich zurückgegeben.  Aber würden Sie es glauben, Herr
General,--als ich ihm meine Pistolen und mein Pferd and meine
Depeschen anvertraut hatte...

(Napoleon wütend:)  Warum, zum Teufel, haben Sie das getan?

(Leutnant.)  Warum?...  Um ihm auch meinerseits mein Vertrauen zu
beweisen, natürlich.  Und er hat mich betrogen, ausgenützt, ist nicht
wiedergekommen--der Dieb--der Schwindler--der herzlose, verräterische,
kleine Schuft!  Und das--das nennen Sie wahrscheinlich "nichts
zugestoßen"!  Aber sehen Sie, Herr General--(hält sich wieder mit der
Faust am Tische, um mit größerer Emphase zu sprechen.)  Sie mögen
diesen Schimpf von den Österreichern hinnehmen, wenn Sie wollen; aber
was mich persönlich anbelangt--ich sage Ihnen, wenn ich ihn jemals
erwische--

(Napoleon wendet sich angewidert auf dem Absatz herum, um seine
Wanderung wieder aufzunehmen:)  Ja, ja, das haben Sie schon oft genug
gesagt.

(Leutnant äußerst erregt:)  Oft genug?...  Ich werde es hundertmal
sagen--und mehr als das: ich werde es tun!  Ich werde ihm mein
Vertrauen zeigen--das werde ich!  Ich werde---

(Napoleon.)  Ja, ja, Herr Leutnant--gewiß werden Sie das.  Was für eine
Art Mensch war er?

(Leutnant.)  Nun, ich glaube, nach seinem Benehmen sollten Sie
schließen können, was für eine Art Mensch das war.

(Napoleon.)  Pah--Wie sah er aus?

(Leutnant.)  Ausgesehen...  Er sah aus wie... nun...  Sie hätten den
Burschen bloß mal sehen müssen, dann würden Sie einen Begriff davon
haben, wie er aussieht.  Fünf Minuten, nachdem ich ihn erwischt habe,
wird er nicht mehr so aussehen.  Ich wiederhole Ihnen: wenn ich ihn
jemals--

(Napoleon ruft wütend nach dem Wirt:)  Giuseppe!  (Zum Leutnant, am
Ende seiner Geduld:)  Halten Sie jetzt Ihren Mund, wenn Sie können!

(Leutnant.)  Ich mache Sie im voraus darauf aufmerksam, daß es umsonst
ist, zu versuchen, mir die Schuld aufzuhalsen.  (Klagend:)  Wie hätte
ich wissen sollen, was für eine Art Mensch das ist.  (Er nimmt einen
Sessel, der zwischen der äußeren Tür und dem Büfett steht, stellt ihn
an den Tisch und setzt sich.)  Wenn Sie eine Ahnung hätten, wie hungrig
und müde ich bin, würden Sie mehr Rücksicht nehmen.

(Giuseppe zurückkommend:)  Was befehlen Exzellenz?

(Napoleon mit seinem Temperament kämpfend:)  Nimm diesen... diesen
Offizier; gib' ihm zu essen; wenn nötig, bring ihn zu Bett; und wenn
er dann wieder bei Trost ist, trachte herauszubringen, was ihm
passiert ist, und laß mich es wissen.  (Zum Leutnant.)  Betrachten Sie
sich als Arrestanten, Herr Leutnant.--

(Leutnant ärgerlich mit Steifheit:)  Darauf war ich vorbereitet.  Nur
ein Edelmann kann einen Edelmann verstehen.  (Er wirft seinen Degen
auf den Tisch, Giuseppe nimmt ihn und bietet ihn Napoleon höflich an,
der ihn heftig auf das Sofa wirft.)

(Giuseppe mit Teilnahme:)  Sind Sie von den Österreichern überfallen
worden, Herr Leutnant?  O weh, o weh!

(Leutnant verachtungsvoll:)  Überfallen!  Ich hätte sein Rückgrat
zwischen meinem Zeigefinger und Daumen zerbrechen können!  Wenn ich es
nur getan hätte!  Nein! ich bin hineingefallen, weil er an die bessere
Seite meiner Natur appelliert hat--und darüber kann ich nicht
hinwegkommen!  Er sagte, daß ihm noch nie ein Mensch so gefallen hätte
wie ich, er schlang sein Taschentuch um meinen Nacken, weil mich eine
Mücke gestochen hatte und mein Kragen mich wund rieb--sehen Sie!  (Er
zieht ein Taschentuch unter seinem Kragen bervor; Giuseppe nimmt und
untersucht es.)

(Giuseppe zu Napoleon:)  Das Taschentuch einer Dame, Exzellenz!  (Er
riecht daran:)  Parfümiert!

(Napoleon.)  Wie?  (Er nimmt es und betrachtet es aufmerksam:)  Hm!  (Er
riecht daran:)  Ha!  (Er geht, das Taschentuch betrachtend,
nachdenklich durch das Zimmer und steckt es schließlich in seine
Brusttasche.)

(Leutnant.)  Jedenfalls paßt es zu ihm.  Ich bemerkte, daß er
Weiberhände hatte, als er mein Genick berührte in seiner
schmeichlerisch tändelnden Art--dieser gemeine, weibische, kleine Hund!
(Leiser, aber mit schauerlicher Heftigkeit:)  Aber glauben Sie meinen
Worten, Herr General: wenn ich ihn jemals---

(Die Stimme einer Dame draußen wie zuvor:)  Giuseppe!

(Leutnant erstarrt:)  Was war das?

(Giuseppe.)  Nur eine Dame über uns, Herr Leutnant, die mich ruft.

(Leutnant.)  Eine Dame!

(Stimme.)  Giuseppe!  Giuseppe! wo bleiben Sie!?

(Leutnant mordlustig:)  Wo ist mein Degen?  (Er stürzt an das Sofa,
ergreift seinen Degen und zieht ihn.)

(Giuseppe springt vor und faßt seinen rechten Arm:)  Was fällt Ihnen
denn ein, Herr Leutnant!  Es ist eine Dame: hören Sie nicht, daß es
eine weibliche Stimme ist?

(Leutnant.)  Ich sage Ihnen, daß es seine Stimme ist--lassen Sie mich
los!  (Er stürzt fort und will zur inneren Türe; da öffnet sich diese
vor seiner Nase, und die fremde Dame tritt ein.  Sie ist eine sehr
anziehende Erscheinung, groß und ungewöhnlich graziös, mit einem zart
intelligenten, empfindsamen, fragenden Gesicht.  Auffassungskraft
liegt auf ihrer Stirn, Empfindlichkeit in ihren Nasenflügeln,
Charakter in ihrem Kinn: im ganzen sieht sie scharfsinnig, vornehm und
originell aus.  Sie ist sehr weiblich, aber durchaus nicht schwach.
Die geschmeidige, schlanke Gestalt ist kräftig gebaut, die Hände und
Füße, Hals und Schultern sind keine zerbrechlichen Schmuckstücke,
sondern stehen im richtigen Größenverhältnis zu der ganzen Gestalt,
die die Napoleons und des Wirtes beträchtlich überragt und der des
Leutnants vollkommen gleichkommt; ihre Eleganz und ihr strahlender
Reiz verdecken indessen ihre Größe und Kraft.  Nach ihrem Kleide zu
schließen, ist sie keine Bewunderin der neuesten Mode des Direktoriums,
oder sie verträgt vielleicht auf der Reise ihre alten Kleider,
jedenfalls trägt sie keine Jacke mit auffallenden Aufschlägen, kein
nachgemacht griechisches Unterkleid à la Madame Tallien,--nichts,
wahrhaftig nichts, das die Prinzessin von Lamballe nicht hätte tragen
können.  Ihr Kleid von geblümter Seide mit langer Taille ist am Rücken
mit einer Watteaufalte versehen, aber die Puffen sind, da sie für
diese zu groß ist, zu bloßen Rudimenten verkürzt.  Es ist im Nacken
ein wenig ausgeschnitten und dort mit einem cremefarbenen Fichu
geschmückt.  Sie ist von heller Hautfarbe und hat goldbraune Haare und
graue Augen.  Sie tritt mit der Selbstsicherheit einer Frau ein, die
an die Vorrechte von Rang und Schönheit gewöhnt ist.  Der Wirt, der
von Natur sehr gute Manieren hat, ist von ihr höchst eingenommen.
Napoleon, auf den ihre Augen zuerst fallen, wird sofort verlegen.
Sein Gesicht rötet sich, er wird steifer und fühlt sich unsicherer als
zuvor.  Sie bemerkt dies augenblicklich, und, um ihn nicht in
Verlegenheit zu bringen, wendet sie sich mit einer unendlich
wohlerzogenen Art--um auch ihm die Ehre eines Blickes zu gewähren--zu
dem andern Herrn, der mit Gefühlen, die ganz unaussprechlich und
unbeschreiblich sind, auf ihr Kleid starrt, als ob es der Erde erstes
Meisterwerk an Verräterei und Verstellung wäre.  Als sie ihn erkennt,
wird sie totenblaß; ihr Ausdruck kann nicht mißverstanden werden.  Die
Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gänzlich unerwarteten Irrtums
hat sie jäh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und
Siegesgewißheit.  Im nächsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter
dem cremefarbenen Fichu auf und ergießt sich über ihr ganzes Gesicht.
Man sieht, daß sie am ganzen Leibe errötet.  Selbst der Leutnant, der
für gewöhnlich ganz unfähig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr
seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man
es ihm rot anstreicht.  Da er das Erröten als das unfreiwillige
Eingeständnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verräterei
auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf
sie--dann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich
her in das Zimmer, schlägt die Türe zu und pflanzt sich mit dem Rücken
davor auf.)

(Leutnant.)  Habe ich dich erwischt, Bursche!  Du hast dich also
verkleidet--was?  (Mit Donnerstimme:)  Zieh diesen Rock aus!

(Giuseppe Verwahrung einlegend:)  Aber, Herr Leutnant!

(Dame erschrocken, aber höchst entrüstet, daß er es gewagt hat, sie
anzurühren:)  Meine Herren, ich wende mich an Sie!  Giuseppe!  (Macht
eine Bewegung, als ob sie zu Giuseppe laufen wollte.)

(Leutnant stellt sich dazwischen, den Degen in der Faust:)  Nicht von
der Stelle!

(Dame zu Napoleon flüchtend:)  O Herr, Sie sind Offizier--General--Sie
werden mich beschützen--nicht wahr?

(Leutnant.)  Kümmern Sie sich nicht um ihn, Herr General.
Überlassen Sie ihn mir.

(Napoleon.)  Ihn?  Wen, Mensch?  Warum behandeln Sie diese Dame in
solcher Weise?

(Leutnant.)  Dame?...  Er ist ein Mann--der Mann, dem ich mein
Vertrauen geschenkt habe!  (Geht drohend vor:)  Hierher--du--

(Dame läuft hinter Napoleon und umklammert in ihrer Aufregung seinen
Arm, den er instinktiv vor ihr ausstreckt, um sie zu schützen:)  Oh,
ich danke Ihnen, Herr General!  Halten Sie ihn fern!

(Napoleon.)  Unsinn!  Das ist ganz bestimmt eine Frau!  (Sie läßt
seinen Arm plötzlich los und errötet wieder:)  Und Sie sind im Arrest!
Legen Sie augenblicklich Ihren Degen nieder, Herr Leutnant!

(Leutnant.)  Herr General, ich sage Ihnen, er ist ein österreichischer
Spion!  Heute nachmittag hat er sich mir gegenüber aufgespielt, als
gehörte er zum Stabe General Massenas--und nun spielt er sich Ihnen
gegenüber als Frau auf.  Darf ich meinen eigenen Augen glauben oder
nicht?

(Dame.)  Herr General--das muß mein Bruder gewesen sein--der ist beim
Stabe General Massenas und sieht mir sehr ähnlich.

(Leutnant den Verstand verlierend:)  Wollen Sie damit sagen, daß Sie
nicht Ihr Bruder, sondern Ihre Schwester sind... die Schwester, die
mir so ähnlich sieht... die meine schönen blauen Augen hat?  Es war
eine Lüge,--Ihre Augen sind nicht wie die meinen--sie sind genau wie
Ihre eigenen!  Welche Perfidie!

(Napoleon.)  Herr Leutnant, wollen Sie meinen Befehlen gehorchen und
dieses Zimmer verlassen, da Sie endlich überzeugt sind, daß diese Dame
kein Mann ist?

(Leutnant.)  Kein Mann, das will ich meinen!  Ein Mann würde mein
Vertrauen nie so getäuscht haben--

(Napoleon am Ende seiner Geduld:)  Genug, Mensch, genug!  Verlassen Sie
dieses Zimmer!  Ich befehle Ihnen, dieses Zimmer zu verlassen!

(Dame.)  O, bitte, ich will lieber gehen.

(Napoleon trocken:)  Entschuldigen Sie, Madame--bei aller Achtung vor
Ihrem Bruder, begreife ich doch nicht, was für ein Interesse ein
Offizier aus dem Stabe General Massenas an meinen Briefen haben kann.
Ich habe einige Fragen an Sie zu richten.

(Giuseppe diskret:)  Kommen Sie, Herr Leutnant.  (Er öffnet die Türe.)

(Leutnant.)  Ich gehe, Herr General--aber lassen Sie sich warnen.
Hüten Sie sich vor der besseren Seite Ihrer Natur.  (Zur Dame:)  Madame,
Sie entschuldigen, ich hielt Sie für dieselbe Person, nur von
entgegengesetztem Geschlecht--und das hat mich natürlich irregeführt.

(Dame süß:)  Es war doch nicht Ihre Schuld!  Ich freue mich, daß Sie
mir nicht länger böse sind, Herr Leutnant.  (Sie reicht ihm die Hand.)

(Leutnant beugt sich galant, um die Hand zu küssen:)  Oh, meine Gnädige,
nicht im gering... (fährt zurück und starrt auf ihre Hand:)  Sie haben
die Hand Ihres Bruders und denselben Ring wie er.

(Dame freundlich:)  Wir sind Zwillinge.

(Leutnant.)  Das erklärt alles.  (Er küßt ihre Hand:)  Bitte tausendmal
um Verzeihung.  Um die Depeschen war mir's gar nicht so zu tun--das
ist mehr Sache des Generals--aber es war der Mißbrauch meines
Vertrauens, der besseren Seite meiner Natur.  (Er nimmt seine Mütze,
Handschuhe und Peitsche vom Tisch und sagt gehend:)  Ich hoffe, Sie
entschuldigen, daß ich Sie verlasse, Herr General--ich bedaure
unendlich.  (Er schwätzt sich aus dem Zimmer hinaus.  Giuseppe folgt
ihm und schließt die Tür.)

(Napoleon sieht ihnen mit heftiger Erregung nach:)  Idiot!

(Dame lächelt liebenswürdig.  Er geht stirnrunzelnd zwischen dem Tisch
und dem Kamin auf und ab; jetzt, wo er allein mit ihr ist, ist alle
seine Verlegenheit geschwunden:)  Wie kann ich Ihnen für Ihren Schutz
danken, Herr General?

(Napoleon wendet sich plötzlich zu ihr um:)  Meine Depeschen! schnell!
(Er streckt die Hand danach aus.)

(Dame.)  Herr General!  (Unwillkürlich greift sie mit den Händen nach
dem Fichu, als wolle sie dort etwas beschützen.)

(Napoleon.)  Sie haben sie diesem Dummkopf abgeschwindelt!  Sie haben
sich als Mann verkleidet!  Ich will meine Depeschen haben; sie sind da
in den Brustfalten Ihres Kleides--unter Ihren Händen...

(Dame zieht ihre Hände rasch weg:)  Oh, wie unliebenswürdig Sie mit mir
sprechen!  (Sie zieht ihr Taschentuch aus dem Fichu:)  Sie ängstigen
mich!  (Sie berührt ihre Augen, als wollte sie eine Träne wegwischen.)

(Napoleon.)  Ich sehe, daß Sie mich nicht kennen, Madame--oder Sie
würden sich die Mühe ersparen, so zu tun, als ob Sie weinten.

(Dame tut so, als ob sie zwischen Tränen lächeln wollte:)  Doch, ich
kenne Sie--Sie sind der berühmte General Buonaparte.  (Sie gibt dem
Namen eine deutlich italienische Aussprache: Buo-na-par-te.)

(Napoleon ärgerlich, mit französischer Aussprache:)  Bonaparte, Madame,
--Bonaparte!...  Die Papiere, wenn's gefällig ist!

(Dame.)  Aber ich versichere Ihnen--(Er reißt ihr das Taschentuch
heftig aus der Hand:)  Herr General!  (Entrüstet.)

(Napoleon nimmt das andere Taschentuch aus seiner Brusttasche:)  Sie
waren so liebenswürdig, meinem Leutnant eines Ihrer Taschentücher zu
leihen, als Sie ihn beraubten.  (Er betrachtet die beiden
Taschentücher.)  Sie sind einander vollständig gleich.  (Er riecht
daran:)  Derselbe Duft!  (Er wirft beide auf den Tisch.)  Ich warte auf
die Depeschen!  Ich werde sie Ihnen, wenn Sie mich dazu zwingen, mit
ebenso wenig Umständen wegnehmen, wie dieses Taschentuch.  (Das
duftende Taschentuch taucht achtzig Jahre später in Victorien Sardous
Drama "Dora" wieder auf.)

(Dame mit würdevollem Vorwurf:)  Herr General, bedrohen Sie wehrlose
Frauen?

(Napoleon grob:)  Ja!

(Dame verblüfft, sucht Zeit zu gewinnen:)  Aber ich begreife
nicht--ich ...

(Napoleon.)  Sie begreifen sehr gut.  Sie sind hierhergekommen, weil
Ihre österreichischen Auftraggeber darauf gerechnet haben, daß ich
sechs Meilen weit von hier entfernt sei.  Ich bin immer dort zu finden,
wo meine Feinde mich nicht erwarten.  Sie sind in die Höhle des Löwen
geraten.  Gehen Sie, Sie sind eine tapfere Frau--seien Sie auch eine
vernünftige--ich habe keine Zeit zu verlieren--die Papiere!  (Er geht
drohend einen Schritt vor.)

(Dame bricht in kindischer, ohnmächtiger Wut zusammen und wirft sich
in Tränen auf den Stuhl, der vom Leutnant neben dem Tisch stehen
gelassen wurde:)  Ich--und tapfer!  Wie wenig Sie mich kennen.  Ich
habe den Tag in Todesfurcht verbracht!  Ich bekomme Brustschmerzen vor
Herzklopfen bei jedem argwöhnischen Blick und jeder drohenden Bewegung.
Halten Sie jeden Menschen für so tapfer, wie Sie es sind?  Oh, warum
vollbringt ihr tapferen Männer nicht die tapferen Taten?  Warum
überlaßt ihr sie uns, die wir gar keinen Mut haben?  Ich bin nicht
tapfer--ich schrecke vor Gewalt zurück--die Gefahr macht mich elend.

(Napoleon mit Interesse:)  Warum haben Sie sich dann in Gefahr begeben?

(Dame.)  Weil es keinen andern Ausweg gab--ich konnte niemandem
vertrauen.  Und nun ist alles umsonst gewesen--alles, Ihretwegen, der
keine Furcht kennt, weil er kein Herz hat, kein Gefühl, kein...  (Sie
hält inne und wirft sich auf die Knie.)  Oh, Herr General, lassen Sie
mich gehn!  Lassen Sie mich gehn, ohne weitere Fragen an mich zu
stellen--Sie sollen Ihre Depeschen und Briefe haben--ich schwöre es!

(Napoleon seine Hand ausstreckend:)  Ja--ich warte darauf.  (Sie
schnappt nach Luft.  Von seiner unbarmherzigen Schlagfertigkeit zur
Verzweiflung gebracht, gibt sie es auf, ihn durch Schmeicheleien und
ihr Gerede zu rühren, aber wie sie starr zu ibm aufblickt, sieht man
klar, daß sie ihr Gehirn zermartert, einen Ausweg zu finden und ihn zu
überlisten.  Er begegnet ihrem Blick mit unbeugsamer Entschlossenheit.)

(Dame erhebt sich endlich mit einem stillen kleinen Seufzer:)  Ich will
sie Ihnen holen, sie sind in meinem Zimmer.  (Sie wendet sich zur Türe.)

(Napoleon.)  Ich werde Sie begleiten, Madame.

(Dame richtet sich mit einer edlen Gebärde beleidigten Zartgefühls auf:)
Ich kann Ihnen nicht gestatten, mein Zimmer zu betreten, Herr
General.

(Napoleon.)  Dann werden Sie hierbleiben, Madame, während ich Ihr
Zimmer nach meinen Papieren durchsuchen lasse.

(Dame boshaft, ihren Plan offenbar aufgebend:)  Sie können sich die
Mühe ersparen: sie sind nicht dort.

(Napoleon.)  Nein.  Ich habe Ihnen schon gesagt, wo sie sind.  (Zeigt
auf ihre Brust.)

(Dame mit niedlicher Kläglichkeit:)  Herr General, ich möchte nur einen
kleinen Privatbrief behalten, nur einen einzigen--lassen Sie mir
wenigstens den!

(Napoleon kalt und finster:)  Ist das eine vernünftige Bitte, Madame?

(Dame weil er nicht kurzweg abschlägt, ermutigt:)  Nein--aber gerade
deshalb müssen Sie mir sie bewilligen.  Sind Ihre eigenen Wünsche
vernünftig?  Sie verlangen Tausende von Menschenleben für Ihre Siege,
Ihren Ehrgeiz, Ihr Schicksal... und was ich verlange, ist eine solche
Kleinigkeit!  Und ich bin nur ein schwaches Weib, und Sie sind ein
tapferer Mann.  (Sie sieht ihn mit Augen voll zarter Bitte an und ist
im Begriff, ihm wieder zu Füßen zu fallen.)

(Napoleon heftig:)  Lassen Sie das, lassen Sie das!  (Er wendet sich
ärgerlich ab und durchkreuzt das Zimmer, hält einen Augenblick inne
und sagt über seine Schulter hinweg:)  Sie sprechen Unsinn und Sie
wissen es.  (Sie erhebt sich und setzt sich, in beinahe teilnahmsloser
Verzweiflung, auf das Sofa.  Als er sich umwendet und sie dort
erblickt, fühlt er, daß sein Sieg vollständig ist und daß er sich
jetzt zu einem kleinen Spiel mit seinem Opfer herbeilassen kann.  Er
kommt zurück und setzt sich neben sie.  Sie sieht geängstigt auf und
rückt ein wenig fort von ihm, aber ein Strahl wiederkehrender Hoffnung
erglänzt in ihren Augen.  Er beginnt wie einer, der sich über einen
heimlichen Scherz freut:)  Woher wissen Sie, daß ich tapfer bin?

(Dame erstaunt:)  Sie!  General Buonaparte!  (Italienische Aussprache.)

(Napoleon.)  Ja, ich--General Bonaparte!  (Die französische Aussprache
betonend.)

(Dame.)  Oh, wie können Sie nur so fragen--Sie, der erst vor zwei Tagen
an der Brücke bei Lodi stand, um ein Kanonenduell über den Fluß hinweg
auszufechten, während der Tod durch die Lüfte sauste!  (Schaudernd:)
Oh, Sie vollbringen Heldentaten!

(Napoleon.)  So wie Sie.

(Dame.)  Ich?  (Mit einem plötzlichen seltsamen Gedanken:)  Oh, Sie sind
also ein Feigling?

(Napoleon lacht grimmig und schlägt auf seine Knie:)  Das ist die
einzige Frage, die Sie an einen Soldaten nie stellen dürfen.  Der
Feldwebel fragt den Rekruten nach seiner Länge, seinem Alter, seinem
Atem, seinen Knochen--aber niemals nach seinem Mut.  (Er steht auf und
geht, in sich hineinkichernd, mit den Händen auf dem Rücken und
vorgeneigtem Kopf, auf und ab.)

(Dame als ob sie nichts Lächerliches dabei finden könnte:)  Ah, Sie
können sich über die Furcht lustig machen... dann wissen Sie nicht,
was Furcht ist.

(Napoleon hinter das Sofa tretend:)  Sagen Sie mir eines: Nehmen Sie an,
daß Sie diesen Brief nur hätten bekommen können, wenn Sie vorgestern
über die Brücke bei Lodi zu mir gekommen wären,--nehmen Sie an, daß
Sie keinen andern Weg gehabt hätten und daß dies ein sicherer Weg
war--vorausgesetzt, daß die Kanonenkugeln Sie verschonten.  (Sie
schaudert und bedeckt ihre Augen einen Moment mit den Händen.)  Würden
Sie Angst gehabt haben?

(Dame.)  Oh, fürchterliche Angst! tödliche Angst!  (Sie preßt ihre
Hände aufs Herz.)  Die bloße Vorstellung schmerzt schon!

(Napoleon unbeugsam:)  Würden Sie wegen der Depeschen gekommen sein?

(Dame überwältigt von dieser entsetzlichen Vorstellung:)  Fragen Sie
mich nicht!  Ich hätte kommen müssen!

(Napoleon.)  Warum?

(Dame.)  Weil ich gezwungen gewesen wäre.  Weil es keinen andern Ausweg
gegeben hätte!

(Napoleon mit Überzeugung:)  Weil es Sie nach diesem Brief so sehr
verlangt hätte, daß Sie, um ihn zu erlangen, jede Angst würden
ertragen haben.  Es gibt nur einen Trieb, der allgemein ist: die
Furcht.  Von all den tausend Eigenschaften, die ein Mann haben mag,
ist die einzige, die Sie sowohl beim jüngsten Tambour als auch bei mir
finden werden, die Furcht.  Sie ist es, die die Menschen in den Kampf
treibt: Gleichgültigkeit macht, daß sie davonlaufen.  Furcht ist die
Haupttriebfeder des Krieges--Furcht!--Ich kenne die Furcht wohl,
besser als Sie, besser als irgend ein Weib.  Ich sah einst, wie ein
Regiment guter Schweizer Soldaten vom Pariser Mob massakriert wurde,
weil ich mich fürchtete einzugreifen.  Ich fühlte mich als Feigling
bis in die Fußspitzen, als ich dabei zusah.  Vor sieben Monaten rächte
ich meine Feigheit, indem ich diesen Mob mit Kanonenkugeln zu Tode
knallte.  Nun--was ist dabei?  Hat die Furcht jemals einen Mann von
irgend etwas, das er wirklich wollte, zurückgehalten, oder auch nur
eine Frau?  Niemals!--Kommen Sie mit mir, und ich will Ihnen
zwanzigtausend Feiglinge zeigen, die jeden Tag dem Tod ins Auge
schauen um den Preis eines Glases Branntwein.  Und glauben Sie, daß es
keine Frauen in der Armee gibt, die tapferer sind als die Männer, weil
ihr Leben weniger wert ist?  Pah, ich halte gar nichts--weder von
Ihrer Furcht noch von Ihrem Mut.  Wenn Sie bei Lodi zu mir hätten
kommen müssen, Sie würden keine Furcht gehabt haben: einmal auf der
Brücke wäre vor der Notwendigkeit jedes andere Gefühl geschwunden--
vor der Notwendigkeit, Ihren Weg an meine Seite zu finden, um zu
bekommen, was Sie haben wollten.  Und nun nehmen Sie an, daß Sie
davongekommen wären mit jenem Brief in Ihrer Hand und um die Erfahrung
reicher, daß in der Stunde der Not Ihre Furcht Ihnen nicht das Herz
zusammenschnürte, sondern die Ausführung Ihres Planes unterstützte,
daß sie aufgehört hätte, "Furcht" zu sein, und sich in Stärke,
Scharfsinn, verdoppelte Aufmerksamkeit und eiserne Entschlossenheit
verwandelt hätte,--wie würden Sie dann antworten, wenn Sie gefragt
würden, ob Sie ein Feigling sind?

(Dame sich erhebend:)  Ah, Sie sind ein Held--ein wirklicher Held!

(Napoleon.)  Pah! wirkliche Helden gibt es nicht.  (Er schlendert durch
das Zimmer, ihren Enthusiasmus leicht nehmend, aber durchaus nicht
unzufrieden mit sich, ihn hervorgerufen zu haben.)

(Dame.)  O ja--es gibt welche.  Es ist ein Unterschied zwischen dem,
was Sie meinen Mut nennen, und dem Ihrigen.  Sie wollten die Schlacht
bei Lodi für niemand andern, als für sich selbst gewinnen--nicht wahr?
                
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