Bernard Shaw

Man kann nie wissen Komödie in vier Akten
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(Philip.) Zwei kleine Lager für uns Kinder, wie gewöhnlich, und ein
großes für diesen Herrn (er zeigt auf Dr. Valentine), eine große
Flasche Apollinaris für Herrn McComas.

(Der Kellner.) Zu dienen.

(Dolly.) Nehmen Sie etwas Whisky dazu, Finch?

(McComas entrüstet:) Nein, nein, ich danke!

(Philip.) Nummer vierhundertdreizehn, wie immer für meine Mutter und
Fräulein Gloria, und--(wendet sich fragend zu McNaughtan:) was nehmen
Sie?

(McNaughtan mürrisch und im Begriff, beleidigend zu antworten:) Ich--

(Der Kellner honigsüß dazwischentretend:) Es ist schon gut, junger
Herr.  Wir wissen hier, was Herr McNaughtan liebt.  (Er geht ins Hotel.)

(Philip seinen Vater ernst betrachtend:) Sie haben also die schlechte
Gewohnheit, Wirtshäuser zu besuchen!

(Der Koch, dem ein Kellner mit übereinandergetürmten heißen Tellern
folgt, bringt den Fisch aus der Küche und beginnt, ihn auf dem
Serviertisch zu zerlegen.)

(McNaughtan.) Du hast deine Lektion von deiner Mutter gut gelernt.

(Frau Clandon.) Phil! bedenke gefälligst, daß deine Scherze Leute, die
nicht daran gewöhnt sind, auf-* zubringen imstande sind und daß dein
Vater heute unser Gast ist.

(McNaughtan bitter:) Ja, ein Gast an der Spitze meines eigenen Tisches!
(Die Suppenteller werden weggenommen.)

(Dolly teilnahmsvoll:) Ja, das ist peinlich, nicht wahr?  Aber uns ist
es ebenso peinlich.

(Philip.) Sch!  Wir sind beide taktlos.  (Zu McNaughtan:) Wir meinen
es gut, Herr McNaughtan, aber wir sind noch nicht sehr geübt in
unseren Rollen als Kinder.  (Der Kellner kommt aus dem Hotel mit den
Getränken:) William, kommen Sie und stellen Sie das gute Einvernehmen
wieder her.

(Der Kellner ermunternd:) Mit größtem Vergnügen, junger Herr.  (Setzt
die Getränke vor:) Ihr kleines Lager; (zu McNaughtan:) Ihr Whisky und
Soda, (zu McComas:) Ihr Apollinaris; (zu Dolly:) ein kleines Lager,
(zu Frau Clandon, Wein einschenkend.) vierhundertdreizehn, gnädige
Frau; (zu Dr. Valentine:) Ihr großes Lager; (zu Gloria:)
vierhundertdreizehn, gnädiges Fräulein.

(Dolly trinkend:) Auf das Wohl der Familie!

(Philip trinkend:) Auf Heim und Herd!  (Der Fisch wird herumgereicht.)

(McComas mit einem sichtlich erzwungenen Versuch,
Familiengemütlichkeit anzuregen:) Na, nun geht's ja eigentlich doch
ganz gut.

(Dolly kritisierend:) Eigentlich...?  Warum "eigentlich", Finch?

(McNaughtan sarkastisch:) Er meint, daß es trotz eures Vaters
Anwesenheit doch ganz gut geht.--Habe ich Sie richtig verstanden, Herr
McComas?

(McComas aus dem Text gebracht:) Nein, nein--ich habe nur "eigentlich"
gesagt, um den Satz abzurunden.  Ich--ich--

(Der Kellner taktvoll:) Turbot?

(McComas überaus dankbar für die Unterbrechung:) Bitte, Kellner, bitte.

(Der Kellner halblaut:) Bitte, bitte.  (Er geht an den Serviertisch
zurück.)

(McNaughtan zu Philip:) Hast du schon an die Wahl einen Berufes
gedacht?

(Philip.) Ich sehe mich danach um.--William!

(Der Kellner.) Zu Befehl?

(Philip.) Was glauben Sie: wie lange müßte ich in die Lehre gehen, um
ein wirklich tüchtiger Kellner zu werden?

(Der Kellner.) Das kann nicht gelernt werden, junger Herr.  Das liegt
im Charakter.  (Vertraulich zu Dr. Valentine, der etwas zu suchen
scheint:) Brot für das gnädige Fräulein?...  Hier, bitte.  (Er reicht
Gloria Brot und fährt im bisherigen Tonfall wieder fort:) Sehr wenige
sind dazu geboren, junger Herr!

(Philip.) Sie haben wohl nicht selbst so etwas wie einen Sohn--was?

(Der Kellner.) Jawohl, junger Herr.  O ja.  (Zu Gloria, seine Stimme
wieder senkend:) Noch etwas Fisch, gnädiges Fräulein?  Sie dürften
sich nicht viel aus Braten machen zum Frühstück.

(Gloria.) Nein, ich danke.  (Die Fischteller werden weggenommen.)

(Dolly.) Ist Ihr Sohn ebenfalls Kellner, William?

(Der Kellner bedient Gloria mit Geflügel:) O nein, gnädiges Fräulein.
Dafür ist er zu heftig.  Er ist vor den Schranken tätig.

(McComas gönnerhaft:) Schenkkellner--was?

(Der Kellner mit einem Anflug von Melancholie; als wenn er sich an
eine durch die Zeit gelinderte Enttäuschung erinnerte:) Nein, gnädiger
Herr--andere Schranken, Gerichtsschranken.  Ihr Gewerbe, Herr
Rechtsanwalt.  Königlicher Anwalt.

(McComas verlegen:) Oh, entschuldigen Sie.

(Der Kellner.) Es hat nichts zu bedeuten, gnädiger Herr.  Ein sehr
begreiflicher Irrtum!--Ich habe schon manchmal gewünscht, es wäre ein
Schenkkellner aus ihm geworden!  Dann hätte er mir nicht halb so lange
auf der Tasche gelegen.  (Beiseite zu Dr. Valentine, der wieder etwas
zu suchen scheint:) Hier ist das Salz, Herr Doktor.

(Fährt wieder fort:) Ja, ich mußte ihn bis zu seinem
siebenunddreißigsten Jahr erhalten.  Aber jetzt geht es ihm gut--recht
zufriedenstellend, wirklich!  Er plaidiert nicht unter fünfzig Guineen.

(McComas.) Das ist die Demokratie, McNaughtan, die moderne Demokratie!

(Der Kellner ruhig:) Nein, nicht die Demokratie, bloß Erziehung,
gnädiger Herr--Stipendien, Cambridge, Sidney-Sussex Collegium,
gnädiger Herr.  (Dolly sieht ihn am Armel; er neigt sich zu ihr, und
sie flüstert ihm etwas ins Ohr:) Ingwerbier im Steinkrug, gnädiges
Fräulein?  Sofort!  (Zu McComas:) Für ihn war es ein Glück, er hatte
nie Lust zu wirklicher Arbeit.  (Er geht ins Hotel und läßt die
Gesellschaft etwas übermannt von dem vornehmen Stande seines Sohnes
zurück.)

(Dr. Valentine.) Wer von uns darf es wagen, diesem Manne noch einen
Befehl zu erteilen?

(Dolly.) Ich hoffe, er nimmt es mir nicht übel, daß ich ihn um
Ingwerbier geschickt habe.

(McNaughtan halsstarrig:) Solange er Kellner ist, ist Aufwarten sein
Geschäft!  Wenn ihr ihn behandelt hättet, wie ein Kellner behandelt
werden soll, so würde er geschwiegen haben.

(Dolly.) Das wäre jammerschade gewesen!  Vielleicht gibt er uns eine
Empfehlung an seinen Sohn, der könnte uns doch in die Londoner
Gesellschaft einführen.

(Der Kellner erscheint wieder mit dem Ingwerbier.)

(McNaughtan brummt wütend:) Londoner Gesellschaft,...  Londoner
Gesellschaft!...  Du passest in gar keine Gesellschaft, Kind!

(Dolly ihren Gleichmut verlierend:) Wissen Sie, Herr McNaughtan, wenn
Sie glauben--

(Der Kellner leise an ihrer Seite.) Ingwerbier, gnädiges Fräulein.

(Dolly abgelenkt, findet ihre gute Laune nach einem tiefen Atemzug
wieder und entgegnet sanft:) Ich danke Ihnen, *lieber* William.  Sie
sind gerade im rechten Augenblick gekommen.  (Sie trinkt.)

(McComas, macht eine neuerliche Anstrengung, die Unterhaltung in
leidenschaftslose Bahnen zu lenken:) Gestatten Sie, daß ich das Thema
wechsle, Fräulein Clandon: welches ist die Landesreligion Madeiras?

(Gloria.) Ich glaube, die portugiesische Religion.  Ich habe nie
danach gefragt.

(Dolly.) Zur Fastenzeit kommen die Diener und knien vor der Herrschaft
nieder und beichten alles, was sie begangen haben, und die
Herrschaften müssen so tun, als ob sie ihnen verziehen.--Geschieht das
auch in England, William?

(Der Kellner.) Für gewöhnlich nicht, gnädiges Fräulein.  Vielleicht in
einigen Teilen Englands; aber ich habe noch nichts davon gehört.  (Er
fängt einen Blick der Frau Clandon auf, als der Kellnerjunge ihr die
Salatschüssel reicht.) Sie wollen ihn unangemacht, gnädige Frau?--Ja,
ja, ich habe welchen für Sie.  (Zu seinem jungen Kollegen, ihn
anweisend, Gloria zu bedienen:) Hier herüber, Joe.  (Er nimmt eine
Extraportion Salat vom Serviertisch und setzt sie neben Frau Clandons
Teller.  Während er das tut, bemerkt er, daß Dolly ein saures Gesicht
macht.) Nur etwas Brunnenkresse ist irrtümlicherweise hineingekommen,
gnädiges Fräulein.  (Er nimmt ihr den Salat fort:) Entschuldigen Sie.
(Zum Kellnerjungen, ihn anweisend, Dolly noch einmal zu bedienen:) Joe!
(nimmt das frühere Thema wieder auf:) Die meisten sind Mitglieder der
anglikanischen Kirche, gnädiges Fräulein.

(Dolly.) Mitglieder der anglikanischen Kirche?  Wie hoch ist der
Jahresbeitrag?

(McNaughtan springt zum allgemeinen Entsetzen empört auf:) Sie sehen,
wie meine Kinder erzogen worden sind... da sehen Sie es...  Sie hören
es!  Ich rufe Sie alle zu Zeugen auf--(Er wird unverständlich und ist
im Begriff, mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, ohne die Folgen
zu berücksichtigen, als der Kellner ihm rücksichtsvoll den Teller
fortnimmt.)

(Frau Clandon fest:) Setze dich, Fergus.  Es ist gar kein Anlaß zu
diesem Auftritt.  Du mußt bedenken, daß Dolly hier wie eine
Ausländerin ist.--Bitte, setze dich!

(McNaughtan unwillig nachgebend:) Ich bin im Zweifel, ob ich mich noch
an diesen Tisch setzen soll, wo ich all das mit anhören muß.  Ich bin
wirklich im Zweifel.

(Der Kellner.) Käse, gnädiger Herr?...  Oder wünschen Sie eine kalte
süße Speise?

(McNaughtan verwirrt:) Was?...  O Käse--Käse!

(Dolly.) Bringen Sie Zigaretten, William.

(Der Kellner.) Hier, gnädiges Fräulein.  (Er nimmt eine
Zigarettenschachtel vom Serviertisch und setzt sie neben Dolly, die
eine auswählt und sich zu rauchen anschickt.  Dann gebt er an den
Serviertisch zurück, um Wachshölzer zu holen.)

(McNaughtan starrt Dolly entsetzt an:) Sie raucht?!...

(Dolly am Ende ihrer Geduld:) Wahrhaftig, Herr McNaughtan, ich fürchte,
ich verderbe Ihnen das Essen; ich werde meine Zigarette am Strand
rauchen.  (Sie verläßt plötzlich den Tisch und läuft ärgerlich die
Stufen hinunter.  Der Kellner will ihr die Wachshölzer geben, aber sie
ist fort, bevor er sie erreichen kann.)

(McNaughtan wütend:) Margarete, rufe das Mädel zurück!... rufe sie
zurück, sag' ich!

(McComas versucht Frieden zu stiften:) Gehen Sie, McNaughtan, machen
Sie sich nichts daraus!  Sie ist die Tochter ihres Vaters, weiter
nichts.

(Frau Clandon mit tiefem Groll:) Das hoffe ich nicht, Finch.  (Sie
erhebt sich.  Alle erheben sich ein wenig.) Herr Doktor, nicht wahr,
Sie entschuldigen mich?  Ich fürchte, Dolly ist über diesen Vorfall
ganz außer sich, ich muß zu ihr gehen.

(McNaughtan.) Um ihre Partei gegen mich zu ergreifen--was?!

(Frau Clandon ihn ignorierend:) Gloria, willst du mich bei Tisch, so
lange Ich fort bin, vertreten, liebes Kind?  (Sie geht auf die Stufen
zu.  McNaughtans Augen folgen ihr mit bitterem Haß; die übrigen
beobachten sie in verlegenem Schweigen und fühlen sich von dem
Zwischenfall sehr peinlich berührt.)

(Der Kellner hält Frau Clandon am Rande der Stufen auf und bietet ihr
eine Schachtel Wachsbölzer an:) Die junge Dame hat die Streichhölzer
vergessen, gnädige Frau.  Wenn Sie so gütig sein wollten, gnädige
Frau--

(Frau Clandon nimmt, durch den Zauber seiner süßen und ermunternden
Stimme überrascht, den Ton dankbarer Höflichkeit an:) Ich danke Ihnen
sehr.  (Sie nimmt die Wachshölzer und geht hinab an den Strand.)

(Der Kellner zieht seinen Gehilfen durch die Küchentür mit sich ins
Hotel und überläßt die Gesellschaft sich selbst.)

(McNaughtan sich in seinen Stuhl zurückwerfend:) Eine Mutter nach
Ihrem Geschmack, McComas!  Eine Mutter nach Ihrem Geschmack!

(Gloria standhaft:) Ja--eine gute Mutter!

(McNaughtan.) Und ein schlechter Vater--das meinst du doch, was?

(Dr. Valentine erhebt sich entrüstet und wendet sich zu Gloria:)
Fräulein Clandon, ich--

(McNaughtan wendet sich zu ihm:) Dieses Mädchen heißt McNaughtan, Herr
Doktor--nicht Clandon!  Wollen Sie sich meiner Familie in den
Beleidigungen meiner Person anschließen?

(Dr. Valentine ihn nicht beachtend:) Ich bin außer mir, Fräulein
Clandon!  Es ist meine Schuld--ich habe ihn hergebracht--ich bin für
ihn verantwortlich, und ich schäme mich für ihn!

(McNaughtan.) Was meinen Sie damit?

(Gloria erhebt sich; kalt:) Es ist nichts geschehen, Herr Doktor.--Ich
fürchte, wir sind alle ein bißchen kindisch gewesen; unsere
Zusammenkunft ist mißglückt.  Wir wollen sie abbrechen und Schluß
machen.  (Sie schiebt ihren Stuhl zur Seite und wendet sich den Stufen
zu; als sie an McNaughtan vorbeikommt, fügt sie mit nachlässiger Ruhe
hinzu:) Adieu, Vater.  (Sie geht die Stufen mit kalter, verdrießlicher
Gleichgültigkeit hinab.)

(Alle blicken ihr nach und bemerken daher die Rückkehr des Kellners
nicht, der, mit McNaughtans Rock und Dr. Valentines Stock, mit ein
paar Schals, Sonnenschirmen und einem weißen Leinensonnenschirm und
einigen Feldstühlen beladen, aus dem Hotel kommt.)

(McNaughtan für sich, Gloria mit verzerrtem Gesichtsausdruck
nachblickend:) Vater--Vater!...  (Er schlägt mit der Faust heftig auf
den Tisch:) Jetzt--

(Der Kellner den Überzieher anbietend:) Ich glaube, das ist der Ihre,
gnädiger Herr.

(McNaughtan starrt ihn an, reißt dann den Überzieher grob an sich und
geht längs der Terrasse gegen die Gartenbank zu.  Er kämpft mit seinem
Rock bei seinen ärgerlichen Bemühungen, ihn anzuziehen.  McComas
erhebt sich und eilt ihm zu Hilfe.  Dann nimmt er seinen Hut und
Schirm von dem kleinen Eisentisch und wendet sich den Stufen zu.
Inzwischen bietet der Kellner, nachdem er McNaughtan mit unveränderter
Süßigkeit für die Abnahme des Überziehers gedankt hat, etwas von
seiner Last Philip an.)

(Der Kellner.) Die Sonnenschirme für die Damen, junger Herr.--Das Meer
blendet heute stark, das ist sehr schädlich für den Teint...  Ich
werde die Strandstühle selbst hinuntertragen.

(Philip.) Sie sind alt, Vater William, aber Sie sind der aufmerksamste
Mensch, den ich kenne.--Nein, behalten Sie die Sonnenschirme und geben
Sie mir die Strandstühle.  (Er nimmt sie.)

[Footnote: Zitat aus einem Gedicht von Southey.]

(Der Kellner mit schmeichlerischer Dankbarkeit:) Zu gütig, junger Herr.

(Philip.) Finch, teilen Sie mit mir.  (Er gibt ihm welche.) Kommen Sie!
(Sie gehen zusammen die Stufen hinunter.)

(Dr. Valentine zum Kellner:) Lassen Sie mich auch etwas hinuntertragen.
.. einen von diesen.  (Er will ihm einen Sonnenschirm abnehmen.)

(Der Kellner diskret:) Der gehört der jüngeren Dame, Herr Doktor.  (Dr.
Valentine überläßt ihn dem Kellner.) Wenn Sie gestatten wollten, so
glaube ich, Sie sollten lieber dies hier nehmen.  (Er legt den
Sonnenschirm auf McNaughtans Stuhl und zieht aus seiner hinteren
Fracktasche ein Buch.  Ein Damentaschentuch ist zwischen den Blättern
als Lesezeichen eingelegt.) Das ist das Buch, in dem die ältere junge
Dame jetzt gerade liest.  (Dr. Valentine ergreift es eifrig.) Danke
schön.  Schopenhauer, wie Sie sehen.  (Er nimmt die Sonnenschirme
wieder auf.) Ein sehr interessanter Autor, Herr Doktor, namentlich was
die Damen betrifft.  (Er geht die Stufen hinab.)

(Dr. Valentine im Begriff, dem Kellner zu folgen, erinnert sich an
McNaughtan und ändert seinen Entschluß.  Er geht ziemlich aufgeregt zu
McNaughtan:) Nein, wirklich, McNaughtan: schämen Sie sich denn gar
nicht?

(Mc Naugthan streitsüchtig:) Mich schämen?...  Weshalb?

(Dr. Valentine.) Weil Sie sich betragen haben wie ein Bär!...  Was
wird Ihre Tochter von mir denken, daß ich Sie hergebracht habe?

(McNaughtan.) Ich habe noch keine Zeit gefunden, darüber nachzusinnen,
was meine Tochter von Ihnen denkt.

(Dr. Valentine.) Nein, Sie haben nur an sich gedacht!  Sie sind ein
krankhafter Egoist!

(McNaughtan tiefbekümmert:) Sie hat Ihnen ja gesagt, was ich bin--ein
Vater--ein seiner Kinder beraubter Vater!--Was sind die Herzen dieser
Generation?...  Muß ich herkommen nach all den Jahren, um zum ersten
Male zu sehen, was aus meinen Kindern geworden ist--ihre Stimmen zu
hören!... und soll mich dabei wie ein richtiger Gast benehmen!...
platze zufällig in das Frühstück herein--heiße Herr McNaughtan!...
Was für ein Recht haben meine Kinder, mit mir so zu sprechen?...  Ich
bin ihr Vater--leugnen sie es?...  Ich bin ein Mann mit allgemein
menschlichen Gefühlen!...  Habe ich keine Rechte, keine Ansprüche?...
Was für Menschen habe ich in all den Jahren um mich gehabt?...  Diener,
Angestellte, Geschäftsfreunde!...  Aber ich habe ihre Achtung
genossen--ja ihre Güte!...  Würde einer von diesen Leuten so mit mir
gesprochen haben, wie dieses Mädchen?...  Würde einer von denen über
mich gelacht haben, wie dieser Junge die ganze Zeit über mich gelacht
hat?  (Wild:) Meine eigenen Kinder--Herr McNaughtan!  Meine--

(Dr. Valentine.) Aber, aber!...  Es sind ja nur Kinder!  Das einzige
von ihnen, das etwas wert ist, hat Sie "Vater" genannt.

(McNaughtan.) Ja, "adieu, Vater"--adieu!  O ja!  Dies Kind hat sich an
mein Herz gewendet--mit einem Dolchstoß.

(Dr. Valentine nimmt das sehr übel auf:) Hören Sie, McNaughtan, lassen
Sie die in Ruh!  Sie hat Sie sehr gut behandelt.  Ich habe eine viel
schlimmere Stunde beim Frühstück zugebracht als Sie.

(McNaughtan.) Sie?...

(Dr. Valentine mit wachsender Heftigkeit:) Ja--ich!  Ich habe neben
ihr gesessen und habe während der ganzen Zeit nicht ein einziges Wort
mit ihr gesprochen--nicht ein einziges Wort konnte ich finden--und
nicht ein Wort hat sie für mich gehabt!

(McNaughtan.) Nun?

(Dr. Valentine.) Nun... nun?...  (Spricht sehr ernst und immer
schneller:) McNaughtan, wissen Sie, was heute mit mir vorgegangen ist?.
..  Sie glauben doch nicht, daß ich die Gewohnheit habe, meinen
Patienten so mitzuspielen, wie ich Ihnen heute mitgespielt habe?

(McNaughtan.) Hoffentlich nicht.

(Dr. Valentine.) Der Grund ist, daß ich entweder völlig verrückt bin,
oder vielmehr früher nie wirklich im Besitze meines gesunden
Menschenverstandes gewesen bin.  Jetzt bin ich zu allem fähig--ich bin
endlich erwachsen--ich bin ein Mann geworden--und Ihre Tochter ist es,
die einen Mann aus mir gemacht hat!

(McNaughtan ungläubig:) Sind Sie in meine Tochter verliebt?

(Dr. Valentine, seine Worte ergießen sich nun in einem wahren Strom
von seinen Lippen:) Verliebt?...  Unsinn!...  Es ist viel mehr und
viel höher als Liebe... es ist Leben, Glaube, Kraft, Gewißheit,
Paradies...

(McNaughtan unterbricht ihn mit beißendem Hohn:) Unsinn, Mensch!  Was
haben (Sie), um eine Frau zu unterhalten?...  Sie können sie nicht
heiraten.

(Dr. Valentine.) Wer will sie denn heiraten?...  Ich will ihre Hände
küssen, ich will zu ihren Füßen knien, ich will für sie leben, ich
will für sie sterben... und das soll mir genügen!  Sehen Sie ihr Buch
an--sehen Sie!  (Er küßt das Taschentuch:) Wenn Sie mir Ihr ganzes
Geld anböten für diese Gegenstände, die mir als Ausrede dienen, an den
Strand hinunterzugehen und mit ihr wieder zu sprechen,--ich würde
Ihnen nur ins Gesicht lachen.  (Er geht übermütig gegen die Stufen zu,
wo er dem vom Strande heraufkommenden Kellner direkt in die Arme läuft.
Die beiden bewahren einander vor dem Umfallen, indem sie sich
gegenseitig eng um den Leib fassen und sich umschlungen herumdrehen.)

(Der Kellner zart:) Sachte, Herr Doktor--sachte!

(Dr. Valentine über seine eigene Heftigkeit unangenehm berührt:)
Entschuldigen Sie!

(Der Kellner.) Bitte, Herr Doktor--bitte.  Das ist ganz natürlich in
Ihrem Alter.--Das gnädige Fräulein hat mich um ihr Buch
heraufgeschickt; dürfte ich mir erlauben, Sie zu bitten, es ihr sofort
zu bringen?

(Dr. Valentine.) Mit Vergnügen!--Und wollen Sie mir erlauben, Sie mit
der sechswöchentlichen Einnahme eines Zahnarztes zu beschenken...  (Er
bietet ihm Dollys Fünf-Schilling-Stück an.)

(Der Kellner, als ob diese Summe seine höchsten Erwartungen überträfe:
) Danke vielmals, Herr Doktor--tausend Dank!

(Dr. Valentine stürzt die Stufen hinunter.) Ein sehr übermütiger
junger Mann, sehr männlich und gut gewachsen!

(McNaughtan in brummiger Herabsetzung:) Und wird sehr schnell
ein Vermögen machen--zweifellos!  Ich weiß, wieviel seine
sechswöchentlichen Einnahmen betragen.  (Er geht über die Terrasse an
den eisernen Tisch und setzt sich.)

(Der Kellner philosophisch:) Ja, gnädiger Herr, man kann nie wissen...
Das ist mein Wahlspruch, wenn Sie gütigst verzeihen wollen, daß ich
so ein Ding habe.  (Der Philosoph wird einen Augenblick vom zart
fühlenden Kellner zurückgedrängt:) Sie wissen vielleicht selbst nicht,
daß Sie Ihr Getränk noch nicht berührt hatten, als die Gesellschaft
aufbrach.  (Er nimmt das Glas vom Frühstückstisch und setzt es vor
McNaughtan hin.) Ja, gnädiger Herr--man kann nie wissen...  Sehen Sie
nur meinen Sohn: wer hätte je gedacht, daß er es dahin bringen würde,
einen seidenen Talar zu tragen als königlicher Anwalt?  Und dennoch
verdient er heute nicht weniger als sechzig Pfund bei jedem Prozeß,
gnädiger Herr.  Was für eine Lehre!

(McNaughtan.) Nun, ich hoffe, er ist Ihnen dankbar und weiß, was er
Ihnen schuldet.

(Der Kellner.) Wir vertragen uns sehr gut--wahrhaftig, sehr gut in
Anbetracht der Verschiedenheit unserer Stellungen.  (Mit einem zweiten
seiner unwiderstehlichen Übergänge:) Ein Stückchen Zucker wird, ohne
den Trank merklich zu süßen, die Fadheit des Sodawassers beseitigen.
Erlauben Sie, gnädiger Herr.  (Er wirft ein Stückchen Zucker in das
Glas:) Aber wie ich ihm sage: worin besteht schließlich der
Unterschied?  Ich muß einen Frack anziehen, wenn ich zeigen will, was
ich bin, und er muß eine Perücke und einen Talar anlegen, wenn er
zeigen will, was er ist.  Wenn mein Einkommen vorwiegend aus
Trinkgeldern besteht und ich doch so tun muß, als ob ich nicht darauf
aus wäre, so besteht sein Einkommen vorwiegend aus Gebühren, und auch
er muß, wie ich wohl verstehe, so tun, als wäre er nicht darauf aus.
--Wenn er Geselligkeit liebt und ihn sein Beruf in Berührung mit allen
möglichen Gesellschaftsklassen bringt, der meine tut das auch.  Wenn
es für einen Advokaten nicht günstig ist, der Sohn eines Kellners zu
sein, so ist es auch für einen Kellner nicht günstig, der Vater eines
Advokaten zu sein.  Ich versichere Ihnen, es gibt Leute, die darin
eine große Dreistigkeit sehen!--Kann ich Ihnen sonst noch etwas
besorgen, gnädiger Herr?

(McNaughtan.) Nein, danke.  (Gedemütigt und bitter:) Ich hoffe, man
wird nichts dagegen einzuwenden haben, daß ich hier noch eine Weile
sitzen bleibe.  Hier stör' ich jedenfalls nicht die Gesellschaft am
Strande.

(Der Kellner gerührt:) Es ist sehr gütig von Ihnen, gnädiger Herr, daß
Sie tun, als ob Sie nicht wüßten, daß Ihre Anwesenheit hier eine
Auszeichnung und eine Ehre für uns alle ist... wirklich sehr gütig!
--Je mehr Sie sich hier zu Hause fühlen, desto glücklicher werden wir
sein.

(McNaughtan mit scharfer Ironie:) Zu Hause!

(Der Kellner nachdenklich:) Nun ja, gnädiger Herr, das ist auch
Ansichtssache.  Ich behaupte immer, der große Vorzug eines Hotels
besteht darin, daß es Schutz bietet vor dem Familienleben.

(McNaughtan.) Ich habe diesen Segen heute nicht gehabt.

(Der Kellner.) Ja, das haben Sie auch nicht--jawohl, weiß Gott!  Immer
geschieht das, was man nicht erwartet hat, nicht wahr?  (Er schüttelt
den Kopf:) Man kann nie wissen, gnädiger Herr--man kann nie wissen!
(Er geht ins Hotel.)

(McNaughtan stützt sein abgehetztes, jammervolles Gesicht mit den
hartblickenden Augen in die Hände:) Familie--Familie!  (Er legt seine
Arme auf den Tisch und neigt den Kopf darauf; aber da er eben jemanden
kommen hört, setzt er sich wieder kerzengerade auf.  Es ist Gloria,
die allein die Stufen heraufkommt, ihren Sonnenschirm und ihr Buch in
Händen.  McNaughtan sieht sie trotzig an.  Die brutale Hartnäckigkeit
seines Mundes und die sehnsüchtigen Augen stehen zueinander in
pathetischem Widerspruch.  Sie geht an das eine Ende der Gartenbank
und lehnt sich mit dem Rücken dagegen und sieht auf McNaughtan herab,
wie erstaunt über seine Schwäche.  Sie ist zu neugierig auf ihn, um
kalt zu bleiben, aber das Verwandtschaftverhältniß ist ihr höchst
gleichgültig:) Nun?...

(Gloria.) Ich möchte Sie einen Augenblick sprechen.

(McNaughtan sie fest anblickend:) Wirklich?  Das ist überraschend!  Du
begegnest deinem Vater nach achtzehn Jahren und du hast wahrhaftig den
Wunsch, ihn "einen Augenblick" zu sprechen!--Das ist rührend--wahrhaftig!
(Er bleibt sitzen, den Kopf in die Hand gestützt, und blickt, in
düsteres Nachdenken versunken, hinunter und von ihr fort.)*

(Gloria.) Was Sie da sagen, scheint mir alles so unsinnig, so
unberechtigt.  Was für Gefühle haben Sie von uns erwartet?  Was sollen
wir für Sie tun?  Warum sind Sie gegen uns weniger höflich als andere
Leute?...  Sie können uns augenscheinlich nicht recht leiden--warum
sollten Sie auch?--aber trotzdem sollten wir einander doch begegnen
können, ohne zu streiten.

(McNaughtan, über dessen Antlitz ein schwerer grauer Schatten streicht:
) Machst du dir klar, daß ich dein Vater bin?

(Gloria.) Vollkommen.

(McNaughtan.) Begreifst du, was mir als deinem Vater gebührt?

(Gloria.) Zum Beispiel--?

(McNaughtan erbebt sich, als ob er ein Ungeheuer zu bekämpfen hätte:)
Zum Beispiel--... zum Beispiel--?...
Pflicht--Liebe--Achtung--Gehorsam!

(Gloria gibt ihre sorglose Stellung auf und stellt sich ihm schnell
und stolz gegenüber:) Ich gehorche nur meinem Sinn für das Rechte; ich
achte nichts, was nicht edel ist!  Das ist meine Pflicht.  (Sie fügt
weniger fest hinzu:) Was Liebe anbelangt, so liegt die nicht in meiner
Macht--ich glaube nicht, daß ich genau weiß, was Liebe eigentlich ist.
(Sie wendet sich, mit sichtlichem Widerwillen gegen dieses Thema, ab
und geht an den Frühstückstisch, zu einem bequemen Stuhl hin, wo sie
ihr Buch und ihren Sonnenschirm niederlegt.)

(McNaughtan folgt ihr mit den Augen:) Meinst du wirklich, was du sagst?

(Gloria wendet sich um; rasch und streng:) Entschuldigen Sie: aber das
ist eine unhöfliche Frage.  Ich spreche ernst mit Ihnen und ich
erwarte auch, daß Sie mich ernst nehmen.  (Sie nimmt einen der Stühle,
wendet ihn fort vom Tisch und setzt sich etwas müde nieder.) Können
Sie diese Dinge nicht kühl und vernünftig besprechen?

(McNaughtan.) Kühl und vernünftig?...  Nein, das kann ich nicht!
Verstehst du?  Das kann ich nicht!

(Gloria mit Nachdruck:) Nein--das kann ich nicht verstehen.  Ich habe
keine Sympathie für--

(McNaughtan fährt nervös zusammen:) Halt, sprich nicht weiter!  Du
weißt nicht, was du tust!  Willst du mich toll machen?  (Sie runzelt
die Stirn, denn sie findet eine solche Laune unerträglich.  Er setzt
rasch hinzu:) Nein, ich bin nicht zornig--wirklich nicht!  Warte,
warte--laß mir nur etwas Zeit, mich zu besinnen.  (Er steht einen
Augenblick da und runzelt die Stirn und ballt die Hände in seiner
Aufregung.  Dann nimmt er den Stuhl vom Ende des Frühstückstisches und
setzt sich neben Gloria.  Mit einer rührenden Anstrengung, sanft und
geduldig zu sein, sagt er:) Ich glaube, jetzt bin ich so weit.
Jedenfalls will ich es versuchen.

(Gloria fest:) Sehn Sie: alles geht, wenn man es nur energisch zu Ende
denkt.

(McNaughtan mit plötzlichem Schreck:) Nein, das tu nicht!  Denke
nichts--ich will, du sollst fühlen!  Das ist das einzige, was uns
helfen kann.  Höre!  Weißt du--aber vor allem--ich vergaß: wie heißt
du eigentlich?  Ich meine deinen Kosenamen.  Sie können dich nicht gut
Sophronia nennen.

(Gloria mit erstauntem Widerwillen:) Sophronia?...Mein Name ist Gloria.
Ich werde immer so genannt.

(McNaughtan, dessen Zorn zurückkehrt:) Dein Name ist Sophronia,
Mädchen!  Du wurdest nach deiner Tante, meiner Schwester, Sophronia
getauft!  Sie hat dir deine erst Bibel mit deinem Namen darin
geschenkt.

(Gloria.) Dann hat mir meine Mutter einen neuen Namen gegeben.

(McNaughtan ärgerlich:) Sie hatte kein Recht dazu!  Ich werde das
nicht zugeben!

(Gloria.) Sie hatten kein Recht, mir den Namen Ihrer Schwester zu
geben.  Ich kenne sie nicht einmal.

(McNaughtan.) Unsinn!  Alles lasse ich mir nicht bieten: das hat seine
Grenzen!  Ich will das nicht haben--verstehst du?

(Gloria erhebt sich; warnend:) Sind Sie entschlossen, in diesem
zänkischen Ton fortzufahren?

(McNaughtan entsetzt, bittend:) Nein, nein--setze dich!  Willst du?
(Sie sieht ihn an und läßt ihn in Ungewißheit.  Er zwingt sich, den
verhaßten Namen auszusprechen:) Gloria!

(Sie gibt ihrer Befriedigung mit einer leichten Bewegung der Lippen
Ausdruck und setzt sich:) Nun also--du siehst, ich habe nur den Wunsch,
dir zu zeigen, daß ich dein Vater bin, mein--mein liebes Kind.  (Die
Zärtlichkeit ist so kläglich unbeholfen, daß Gloria gegen ihren Willen
lächelt und sich vornimmt, ein wenig nachsichtig zu sein.) Höre mich
an.  Was ich dich fragen will, ist folgendes; Entsinnst du dich meiner
nicht?  Du warst ein ganz kleines Kind, als man dich von mir nahm,
aber du konntest schon alles recht gut verstehen.  Kannst du dich
wirklich an niemanden erinnern, den du geliebt hast, oder--
(schüchtern:) wenigstens auf Kinderart leiden mochtest?  Besinnst du
dich nicht auf jemanden, in dessen Arbeitszimmer du sein und seine
kleinen Schiffe ansehn durftest, die du für Spielzeug hieltest?  (Er
sieht ihr ängstlich in die Augen, als suchte er nach irgendeiner
Antwort.  Dann fährt er dringender und weniger hoffnungsvoll fort:)
Auf jemanden, der dich tun ließ, was du nur wolltest, und dir nie ein
böses Wort gab, dir höchstens sagte, du solltest still sein und nicht
sprechen?  Auf jemanden, der dir etwas war, was dir sonst niemand
gewesen ist--der dein Vater war!

(Gloria ungerührt:) Wenn Sie mir das alles noch lange so schildern,
dann werde ich mir zweifellos bald einbilden, daß ich mich daran
erinnere.  Aber tatsächlich erinnere ich mich an gar nichts.

(McNaughtan sehnsüchtig:) Hat deine Mutter dir nie von mir erzählt?

(Gloria.) Sie hat Ihren Namen mir gegenüber nie erwähnt.  (Er stöhnt
unwillkürlich auf.  Sie blickt ihn ziemlich verachtungsvoll an und
fährt fort:) Doch!  Ein einziges Mal--und da geschah es, um mich an
etwas zu erinnern, was ich auch vergessen hatte.

(McNaughtan blickt hoffnungsvoll auf:) An was?

(Gloria erbarmungslos:) An die Peitsche, die Sie eigens gekauft hatten,
um mich zu schlagen.

(McNaughtan mit den Zähnen knirschend:) Oh!  Das aufzutischen, um dich
mir zu entfremden, wo du es nie zu wissen brauchtest!  (Mit pfeifendem,
schmerzhaftem Atem:) Fluch ihr!

(Gloria aufspringend:) Sie Elender!  (Mit heftigem Nachdruck:) Sie
Elender--Sie wagen es, meine Mutter zu verfluchen!

(McNaughtan.) Hör' auf, oder du wirst es noch einmal bereuen!  Ich bin
dein Vater!

(Gloria.) Wie ich dieses Wort hasse!  Wie ich das Wort "Mutter" liebe!
Es wäre besser, Sie gingen.

(McNaughtan.) Ich--ich ersticke--du willst mich töten!
Etwas--ich--(Seine Stimme erstickt, er ist einer Ohnmacht nahe.)

(Gloria gebt zur Balustrade; kühl und nicht verlegen um ein
Auskunftsmittel, ruft sie zum Strand hinunter:) Doktor Valentine!

(Valentine antwortet von unten:) Bitte!

(Gloria.) Kommen Sie doch einen Augenblick herauf!  Herr McNaughtan
braucht Sie.  (Sie geht an den Tisch zurück und schenkt ein Glas
Wasser ein.)

(McNaughtan seine Sprache wiedererlangend:) Nein! laß mich in Ruhe!
Ich brauche ihn nicht.  Ich fühle mich vollkommen wohl!  Ich brauche
seine Hilfe nicht und deine auch nicht!  (Er erhebt sich und rafft
sich zusammen.) Du hast recht, es ist besser, wenn ich gehe.  (Er
setzt seinen Hut auf.) Ist das dein letztes Wort?

(Gloria.) Ich hoffe.  (Er starrt sie einen Augenblick an, nickt
grimmig, als wenn er damit einverstanden wäre, und geht ins Hotel.
Sie sieht ihm mit gleicher Festigkeit nach, bis er verschwindet.  Dann
macht sie eine Bewegung der Befreiung und wendet sich zu Dr. Valentine,
der die Stufen heraufgelaufen kommt.)

(Dr. Va1entine keuchend:) Was ist los?  (Er siebt sich um:) Wo ist
McNaughtan?

(Gloria.) Fort.  (Dr. Valentines Gesicht drückt plötzliche Freude,
Furcht und Durchtriebenheit aus.  Er hat eben bemerkt, daß er mit
Gloria allein ist.  Sie fährt gleichgültig fort:) Ich glaubte, er
fühle sich nicht wohl; aber er hat sich wieder erholt.  Er wollte
nicht auf Sie warten--es tut mir leid.  (Sie geht ihr Buch und den
Sonnenschlrm holen.)

(Dr. Valentine.) Um so besser!  Er geht mir ohnedies auf die Nerven
nach einer Weile.  (Tut so, als ob er sich vergäße:) Wie kommt dieser
Mann nur zu so einer wundervollen Tochter?

(Gloria stutzt einen Augenblick und antwortet ihm dann mit höflicher,
aber absichtlicher Verachtung:) Das scheint der Versuch zu einem
Kompliment zu sein.  Erlauben Sie mir, Sie gleich darauf aufmerksam zu
machen, Doktor, daß Komplimente eine sehr öde Unterhaltung abgeben.
Bitte, lassen Sie uns auf eine vernünftige und gesunde Weise Freunde
sein, falls wir Freunde werden sollen.  Ich habe nicht die Absicht,
mich zu verheiraten; und wenn Sie diese Lage der Dinge nicht annehmen
wollen, so wäre vorzuziehen, unsere gegenseitige Bekanntschaft nicht
fortzusetzen.

(Dr. Valentine vorsichtig:) Ich verstehe.  Gestatten Sie mir nur eine
einzige Frage?--Sind Sie gegen die Ehe als gesellschaftliche
Einrichtung im allgemeinen, oder haben Sie nur etwas dagegen, mich
persönlich zu heiraten?

(Gloria.) Ich kenne Sie viel zu wenig, Herr Doktor, um über Ihre
persönlichen Vorzüge irgendeine Meinung zu haben.  (Sie wendet sich
mit unendlicher Gleichgültigkeit von ihm fort und setzt sich mit ihrem
Buch auf die Gartenbank:) Ich halte die Bedingungen einer heutigen Ehe
nicht für solche, die irgendein Weib annehmen könnte, das sich selbst
achtet.

(Dr. Valentine schlägt sofort in den Ton herzlicher Aufrichtigkeit um,
als ob er Glorias Bedingungen ehrlich annähme und von ihren
Grundsätzen entzückt und beruhigt wäre:) Oh, da haben wir denn schon
einen Punkt gemeinsamer Sympathie!  Ich bin ganz Ihrer Ansicht: die
heutigen Eheeinrichtungen sind höchst ungerecht.  (Er nimmt seinen Hut
ab und wirft ihn fröhlich auf den eisernen Tisch.) Nein! ich für mein
Teil möchte all diesen Unsinn loswerden.  (Er setzt sich so unbefangen
neben sie, daß sie nicht daran denkt, etwas dagegen einzuwenden, und
führt mit Enthusiasmus fort:) Finden Sie es nicht auch entsetzlich,
daß ein Mann und eine Frau einander nur zu kennen brauchen, um
verdächtigt zu werden, daß sie Heiratsabsichten haben?  Als ob es
keine andern Interessen gäbe--keine andern Unterhaltungsmöglichkeiten--
als wenn die Frauen zu nichts Besserem fähig wären!

(Gloria interessiert:) Ah, nun fangen Sie endlich an, menschlich und
vernünftig zu sprechen, Herr Doktor!

(Dr. Valentine mit einem Aufleuchten seiner Augen über den Erfolg
seiner Jägerlist:) Selbstverständlich!  Zwei intelligente Menschen wie
wir...!  Ist es nicht erfreulich in dieser dummen, von Konventionen
gefesselten Welt, einmal mit jemandem auf demselben Boden
zusammenzutreffen?... mit einem vorurteilsfreien, aufgeklärten, hellen
Geist?

(Gloria ernst:) Ich hoffe, in England vielen solchen Menschen zu
begegnen.

(Dr. Valentine zweifelbaft:) Hm...  Es gibt eine Menge Menschen in
England--nahezu vierzig Millionen--es sind nicht alles schwindsüchtige
Mitglieder der hochgebildeten Klasse, wie die Leute in Madeira.

(Gloria jetzt ganz von ihrem Gegenstand erfüllt:) Oh, in Madeira sind
alle Leute dumm und vorurteilsvoll!--Es sind schwache, sentimentale
Geschöpfe!  Ich hasse Schwäche; und ich hasse Sentimentalität!

(Dr. Valentine.) Das ist der Grund, warum Sie so begeistern können!

(Gloria mit einem leichten Lachen:) Kann ich begeistern?

(Dr. Valentine.) Ja.  Stärke ist ansteckend.

(Gloria.) Schwäche ist es--das weiß ich.

(Dr. Valentine mit Überzeugung:) Sie sind stark!  Wissen Sie, daß Sie
mir heute morgen die Welt ganz umgewandelt haben?  Ich war schwermütig
und machte mir Gedanken wegen meiner unbezahlten Miete, beunruhigte
mich über die Zukunft... da traten Sie ein: ich war geblendet!  (Ihre
Stirn bewölkt sich ein wenig.  Er fährt rasch fort:) Das war natürlich
albern--aber wahr und wahrhaftig, es geschah etwas mit mir!  Erklären
Sie es, wie Sie wollen--mein Blut wurde--(er zögert und sucht nach
einem genügend leidenschaftslosen Wort)--mit Sauerstoff vermengt,
meine Muskeln spannten sich, mein Geist klärte sich, mein Mut wuchs.
--Das ist sonderbar, nicht wahr?  Wenn man bedenkt, daß ich durchaus
kein sentimentaler Mensch bin.

(Gloria unbehaglich, erhebt sich:) Gehen wir zurück an den Strand.

(Dr. Valentine zu ihr aufblickend, düster:) Wie?  Sie haben das auch?

(Gloria.) Was?

(Dr. Valentine.) Angst.

(Gloria.) Angst?...

(Dr. Valentine.) Ja, daß irgend etwas geschehen könnte.  Es kam
plötzlich über mich, gerade ehe Sie vorschlugen, daß wir weglaufen
sollten zu den andern.

(Gloria erstaunt:) Das ist sonderbar--sehr sonderbar!  Ich hatte
dasselbe Gefühl.

(Dr. Valentine.) Wie merkwürdig!  (Er erhebt sich:) Nun, sollen wir
fliehen?

(Gloria.) Fliehen?...  O nein, das wäre kindisch!  (Sie setzt sich
wieder.  Er setzt sich neben sie und beobachtet sie mit ernster
Sympathie.  Nachdenklich und etwas verwirrt fügt sie hinzu:) Ich wüßte
aber zuweilen gern die wissenschaftliche Erklärung für solche
gelegentlichen Einbildungen.

(Dr. Valentine.) Ja, die möchte ich zuweilen auch gern wissen.  Es ist
ein merkwürdig hilfloses Gefühl--nicht wahr?

(Gloria lehnt sich gegen das Wort auf:) Hilflos?...

(Dr. Valentine.) Ja.  Ist es nicht, als ob die Natur--nachdem sie uns
jahrelang erlaubt hat, uns selbst anzugehören und zu tun, was wir für
richtig und vernünftig halten--plötzlich ihre große Hand erhöbe und
uns, ihre zwei kleinen Kinder, am Kragen packte, um uns, gegen unsern
Willen, auf ihre eigene Weise für ihre eigenen Zwecke dienstbar zu
machen?

(Gloria.) Ist das nicht etwas phantastisch?

(Dr. Valentine mit einem neuen und erstaunlichen Übergang zu einem Ton
äußerster Sorglosigkeit:) Das weiß ich nicht--ich frage nicht danach!
(Vorwurfsvoll losbrechend:) O Fräulein Clandon--Fräulein Clandon--wie
konnten Sie nur!

(Gloria.) Was hab' ich getan?

(Dr. Valentine.) Diese Verzückung in meine Seele schleudern!--Ich
bemühe mich aufrichtig, vernünftig zu sein--ja wissenschaftlich--wie
immer Sie mich wünschen... aber... aber--Oh, sehen Sie nicht, womit
Sie meine Phantasie erfüllt haben?!

(Gloria mit empörter verachtungsvoller Härte:) Ich hoffe, daß Sie
nicht so albern und nicht so gemein sein werden--von...  "Liebe" zu
sprechen!

(Dr. Valentine mit ironischer Eile, eine solche Schwäche in Abrede zu
stellen:) Nein, nein, nein, nicht Liebe!  Wir sind zu gescheit, an so
was zu denken!  Wir wollen es Chemie nennen!  Sie können nicht leugnen,
daß es so etwas wie eine chemische Tätigkeit, eine chemische
Wahlverwandtschaft, eine chemische Verbindung gibt.  Sie ist die
unwiderstehlichste aller Naturkräfte...  Nun, Sie ziehen mich
unwiderstehlich an--chemisch.

(Gloria verachtungsvoll:) Unsinn!

(Dr. Valentine.) Natürlich ist das Unsinn, dummes Mädel!  (Gloria
weicht mit empörter Überraschung zurück.) Ja, ein dummes Mädel sind
Sie!--Das ist eine wissenschaftliche Tatsache!  Sie sind ein
eingebildeter Philister--ein weiblicher Philister!  Das sind Sie!  (Er
erhebt sich:) Jetzt sind Sie wahrscheinlich fertig mit mir--für immer!
(Er geht an den eisernen Tisch und nimmt seinen Hut.)

(Gloria setzt sich mit vollendeter Ruhe, wie eine Lehrerin in einer
Hochschule, die dem Photograpben sitzt:) Das beweist mir nur, wie
wenig Sie meinen wirklichen Charakter verstehen--ich bin nicht im
geringsten beleidigt.  (Er schweigt und setzt seinen Hut wieder hin.)
Ich bin immer bereit, mich von meinen Freunden auf meine Fehler
aufmerksam machen zu lassen, Herr Doktor--selbst wenn diese Freunde
mich so ungeheuerlich mißverstehen wie Sie!  Ich habe viele
Fehler--sehr große Fehler sogar, aber wenn ich etwas nicht bin, so ist
es das, was Sie einen Philister nennen.

(Sie preßt ihre Lippen fest zusammen und blickt ihn standhaft und
herausfordernd an, während sie gefaßter ist denn je.)

(Dr. Valentine kehrt an das Ende der Gartenbank zurück, um Gloria mit
mehr Nachdruck gegenüber zutreten:) O doch, das sind Sie!  Mein
Verstand sagt es mir--meine Kenntnisse sagen es mir--meine Erfahrung
sagt es mir.

(Gloria.) Entschuldigen Sie, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, daß
Ihr Verstand und Ihr Gefühl und Ihre Erfahrung nicht unfehlbar
sind--ich hoffe es wenigstens.

(Dr. Valentine.) Ich muß diesen aber glauben.  Es sei denn, Sie
wollten, daß ich meinen Augen, meinem Herzen, meinen Instinkten und
meiner Einbildungskraft glaube, die mir alle über Ihre Person die
ungeheuerlichsten Lügen erzählen.

(Gloria, deren Fassung anfängt nachzulassen:) Lügen?...

(Dr. Valentine hartnäckig:) Ja, Lügen.  (Er setzt sich wieder neben
sie.) Oder soll ich vielleicht glauben, daß Sie das schönste Weib der
Erde sind?  Erwarten Sie das von mir?

(Gloria.) Das ist lächerlich und etwas persönlich noch dazu.

(Dr. Valentine.) Natürlich ist es lächerlich!--Aber es ist das, was mir
meine Augen sagen.  (Gloria protestiert mit einer verachtungsvollen
Bewegung:) Nein, ich schmeichle Ihnen nicht--ich sage Ihnen doch,
daß ich meinen Augen nicht traue.  (Sie schämt sich darüber, daß ihr
das auch nicht ganz recht ist.) Erwarten Sie, daß ich hier sitzen und
wie ein Kind heulen werde, wenn Sie aus Widerwillen gegen meine
Schwäche nichts von mir wissen wollen?

(Gloria beginnt einzusehen, daß sie, um standhaft zu bleiben, kurz und
bündig sprechen muß:) Warum sollten Sie das wohl, bitte?

(Dr. Valentine läßt absichtlich eine Gefühlsbewegung in seiner Stimme
zittern:) Natürlich werde ich das nicht!  Ich bin kein solcher Esel!
--Und doch sagt mir mein Herz, daß ich heulen würde--mein närrisches
Herz.  Aber ich will ein ernstes Wort mit meinem Herzen reden und es
zur Vernunft bringen.  Und liebte ich Sie tausendmal, so will ich der
Wahrheit dennoch standhaft ins Antlitz sehen...  Ist ja doch auch ganz
leicht, vernünftig zu sein...  Tatsachen sind Tatsachen.  Wo sind wir
hier?  Nicht im Himmel, sondern im Marine-Hotel!  Die Zeit ist nicht
die Ewigkeit, sondern halb zwei Uhr nachmittags.  Was bin ich?  Ein
Zahnarzt--ein Fünf-Schilling-Zahnarzt!

(Gloria.) Und ich bin ein weiblicher Philister.

(Dr. Valentine leidenschaftlich;) Nein, nein, das kann ich nicht
ertragen!  Eine Illusion muß mir bleiben--die Illusion über Sie!  Ich
liebe Sie.  (Er wendet sich zu ihr, als ob er der Lust, sie zu
berühren, nicht länger widerstehen könnte.  Sie erhebt sich zornig und
ist auf der Hut.  Er springt ungeduldig auf und tritt einen Schritt
zurück.) Oh, was bin ich für ein Narr--was für ein Idiot!  Sie
verstehen mich nicht...  Ich könnte ebensogut zu den Steinen am Strand
sprechen!  (Er wendet sich entmutigt ab.)

(Gloria beruhigter infolge seines Rückzuges und etwas reuig:) Es tut
mir leid.  Ich möchte nicht teilnahmslos sein, Herr Doktor,--aber was
soll ich sagen?

(Dr. Valentine kehrt zu ihr zurück, und an die Stelle seines
Sichgehenlassens tritt ein verbindlicher und ritterlicher Respekt:)
Sie können nichts sagen, Fräulein Clandon.  Verzeihen Sie mir.  Ich
allein trage alle Schuld--oder richtiger, ich habe eben Pech gehabt.
Sehen Sie, es hing alles davon ab, ob Sie mich gern möchten.  (Sie ist
im Begriff zu sprechen, er unterbricht sie aber mit bittenden Gebärden:
) Oh, ich weiß--Sie dürfen mir nicht sagen, ob Sie mich gern mögen
oder nicht; aber--

(Gloria wappnet sich sofort mit ihren Grundsätzen:) Ich darf nicht?...
Warum nicht?...  Ich bin ein freies Weib!  Warum soll ich es Ihnen
nicht sagen dürfen?

(Dr. Valentine weicht ängstlich zurück; bittend:) Nicht!  Ich könnte
es nicht ertragen!

(Gloria nicht länger verachtungsvoll:) Sie brauchen sich nicht zu
fürchten.  Ich halte Sie für sentimental und für ein wenig
überspannt--aber ich habe Sie gern.

(Dr. Valentine fällt wie zermalmt in den Eisenstubl:) Dann ist alles
vorüber!  (Er ist ein Bild der Verzweiflung.)

(Gloria nähert sich ihm; verwirrt:) Aber warum denn?

(Dr. Valentine.) Weil gernhaben nicht genügt!  Jetzt, wo ich ernstlich
darüber nachdenke, weiß ich selbst nicht, ob ich Sie gern habe oder
nicht.

(Gloria blickt mit erstauntem Interesse auf ihn herab:) Das tut mir
leid.

(Dr. Valentine.  Im Schmerz zurückgehaltener Leidenschaft:) Oh,
bemitleiden Sie mich nicht!  Ihre Stimme zerreißt mir das Herz!
Lassen Sie mich allein, Gloria.  Sie wühlen mich in meinen tiefsten
Tiefen auf, Sie verwirren und beleben mich zugleich!--Ich kann den
Kampf dagegen nicht aufnehmen--ich kann es Ihnen nicht sagen--

(Gloria bricht plötzlich nieder:) Oh, hören Sie auf mir zu sagen, was
Sie fühlen: ich kann es nicht ertragen!

(Dr. Valentine springt triumphierend auf, seine ersterbende Stimme
klingt jetzt stark und jubelnd:) Ah!  Er ist endlich gekommen--der
Augenblick meines Mutes!--(Er ergreift ihre Hände; sie blickt ihn
entsetzt an.) Der Augenblick *unseres* Mutes!  (Er ziebt sie an sich,
küßt sie mit ungestümer Kraft und lacht knabenhaft.) Es ist geschehen,
Gloria--es ist alles vorüber--wir sind ineinander verliebt!  (Sie kann
nur nach Luft ringen.) Aber was für ein Ungeheuer waren Sie, und was
für ein Hasenfuß bin ich gewesen!

(Philips Stimme vom Strande rufend:) Doktor Valentine!

(Dollys Stimme.) Doktor Valentine!

(Dr. Valentine.) Leben Sie wohl... vergeben Sie mir.  (Er küßt ihr
rasch die Hände und läuft zu den Stufen, wo er der heraufkommenden
Frau Clandon begegnet.  Gloria, ganz verloren, kann ihm nur
nachstarren.)

(Frau Clandon.) Die Kinder suchen Sie, Herr Doktor.  (Sie siebt sich
ängstlich um:) Ist er fort?

(Dr. Valentine verwirrt:) Er?...  (Sich erinnernd:) Oh, McNaughtan!
--Der ist schon längst fort, Frau Clandon.  (Er läuft in gehobener
Stimmung die Stiegen hinunter.)

(Gloria auf die Bank sinkend:) Mutter!

(Frau Clandon stürzt ängstlich auf sie zu:) Was ist geschehen, mein
Kind?

(Gloria mit tief bekümmertem, anklagendem Vorwurf:) Warum hast du mich
nicht ordentlich erzogen, Mutter?

(Frau Clandon erstaunt:) Kind, ich habe mein môglichstes getan!

(Gloria.) Oh, du hast mich nichts gelehrt--gar nichts!

(Frau Clandon.) Was ist mit dir?

(Gloria mit dem größten Nachdruck:) Ich schäme mich--schäme
mich--schäme mich--(Da sie unerträglich errötet, bedeckt sie ihr
Gesicht mit den Händen und wendet sich von ihrer Mutter ab.)

(Vorhang)




DRITTER AKT

(Der Salon der teuern ebenerdigen Wohnung, welche die Clandons im
Marinehotel gemietet haben.  Eine bis auf den Fußboden reichende
zweiflügelige Fenstertür führt in den Garten.  In der Mitte des
Zimmers steht ein massiver, von Stühlen umgebener Tisch, der mit einer
kastanienbraunen Decke bedeckt ist.  Kostspielig eingebundene Hotel-
und Eisenbahnführer liegen darauf.  Ein Besucher, der durch die
Fenstertür käme und zu diesem Mitteltisch ginge, würde den Kamin zu
seiner Linken haben und einen Schreibtisch an der Wand zu seiner
Rechten, in der Nähe die Tür, die weiter hinten ist.  Er würde, wenn
dies seiner Geschmacksrichtung entspräche, die pflaumen- und
bronzelackfarbigen Mauerverzierungen von Lincrusta Walton mit Sockel
und Kranzgesims und die Goldbronze-Konsolen in den Ecken bewundern
können.  Zu beiden Seiten des Fensters sieben Vasen auf
Pfeilerpiedestalen aus gesprenkeltem Marmor mit Untersätzen aus
poliertem schwarzem Holz.  Zunächst der Vase, in der nächsten Nähe des
Kamins, steht ein verzierter Schrank, dessen Mittelfach eine Tür aus
Holzmosaï[*or i?]k verschließt und dessen durch gewölbte Glasscheiben
abgerundete Kanten Gestelle mit billigem blauem und weißem
Steingutgeschirr schützen.  Ein Teetisch aus Bambusrohr mit
zusammenklappbaren Seitenbrettern steht gegenüber auf der andern Seite
des Fensters.--An den Wänden hängen Bilder, gemalte Ozeandampfer und
Hunde von Landseer.  In einer Linie mit der Türe, aber auf der andern
Seite des Zimmers befindet sich eine Ottomane; auf dem Kaminteppich
stehen zwei bequeme dazu passende Stühle.  Über dem Fenster ist
eine massive Messingstange angebracht, an der ein Paar rotbraune
Ripsvorhänge mit mattgrünen Zierborten hängen.  Kurzum, ein Zimmer,
das danach eingerichtet ist, den Gefühlen des Bewohners von seiner
eigenen Wichtigkeit zu schmeicheln und ihn mit der täglichen Ausgabe
eines ganzen Pfundes für die Benützung auszusöhnen.)

(Frau Clandon sitzt am Schreibtisch und liest Korrekturen.  Gloria
lehnt am Fenster und starrt in gequälter Träumerei ins Weite.  Die Uhr
auf dem Kaminsims schlägt Fünf mit schwachem Klirren, da die Glocke
gegen das marmorne schwarze Ehrengrab, in das sie eingemauert ist,
nicht aufkommen kann.)


(Frau Clandon.) Fünf!  Ich glaube, wir brauchen nicht länger auf die
Kinder zu warten; sie trinken gewiß außer Haus Tee.

(Gloria müde:) Soll ich klingeln?

(Frau Clandon.) Ja, mein Kind.

(Gloria geht an den Kamin und klingelt.)

(Frau Clandon.) Endlich bin ich mit den Korrekturen fertig.  Gott sei
Dank!

(Gloria durchschreitet das Zimmer unaufmerksam und tritt hinter den
Stuhl ihrer Mutter:) Was für Korrekturen?

(Frau Clandon.) Die neue Auflage der "Frauen des zwanzigsten
Jahrhunderts".

(Gloria mit einem bittern Lächeln:) Es fehlt noch ein Kapitel.

(Frau Clandon beginnt ihre Korrekturen zu durchstöbern:) Glaubst du?...
doch nicht.

(Gloria.) Ich meine ein ungeschriebenes.  Vielleicht werde ich es für
dich schreiben--sobald ich erst den Schluß weiß.  (Sie geht an das
Fenster zurück.)

(Frau Clandon.) Gloria! ein neues Rätsel?

(Gloria.) O nein! das alte Rätsel.

(Frau Clandon verlegen und ziemlich verwirrt, nachdem sie ihre Tochter
einen Augenblick beobachtet hat:) Mein Kind--

(Gloria zurückkommend:) Ja?

(Frau Clandon>) Du weißt, daß ich niemals Fragen stelle.

(Gloria neben ihrem Stuhl kniend:) Ich weiß, ich weiß!  (Sie wirft
plötzlich ihren Arm um den Hals ihrer Mutter und umarmt sie beinahe
leidenschaftlich.)

(Frau Clandon sanft Lächelnd, aber verlegen:) Aber mein Kind, du wirst
ganz sentimental!

(Gloria zurückfahrend:) Nein, nein--o sage das nicht--oh!  (Sie erhebt
sich und wendet sich mit einer Bewegung von Frau Clandon ab, als ob
sie sich losrisse.)

(Frau Clandon sanft:) Liebes Kind, was ist geschehen?  Was--(Der
Kellner kommt mit dem Teebrett herein.)

(Der Kellner sanft:) Danach haben Sie wohl geklingelt, gnädige Frau?

(Frau Clandon.) Ja, ich danke.  (Sie wendet ihren Stuhl vom
Schreibtisch fort und setzt sich wieder.)

(Gloria geht an den Kamin und kauert sich dort mit abgewandtem Gesicht
in einen Stuhl.)

(Der Kellner setzt das Brett einstweilen auf den Mitteltisch:) Das
habe ich mir gedacht, gnädige Frau.  Sonderbar, wie die Nerven
nachmittags ohne Tee nachzulassen beginnen.  (Er holt den Teetisch und
setzt ihn vor Frau Clandon bin und spricht dabei:) Der junge Herr und
das gnädige Fräulein sind eben zurückgekommen, gnädige Frau.  Sie
waren in einem Boote auf dem Meer.  Sehr angenehm an einem schönen
Nachmittag wie heute, sehr kräftigend.  (Er nimmt nun das Teebrett vom
Mitteltisch fort und setzt es auf den Teetisch.) Herr McComas kommt
nicht zum Tee, gnädige Frau.  Er ist fortgegangen, Herrn McNaughtan zu
besuchen.  (Er nimmt zwei Stühle und setzt sie rechts und links vom
Teetisch hin.)
                
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